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Ardeen: Das Kartenspiel
Ardeen: Das Kartenspiel
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eBook710 Seiten10 Stunden

Ardeen: Das Kartenspiel

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Über dieses E-Book

Seit Ravenors erste große Liebe starb, sind viele Jahre vergangen.
Und nun ist es längst überfällig, eine passende Frau zu finden … meint zumindest Prinz Raiden.
Doch die richtige Partnerwahl ist niemals einfach und das Schicksal hat unerbittlich seine Hand im Spiel.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Dez. 2019
ISBN9783941436459
Ardeen: Das Kartenspiel

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    Buchvorschau

    Ardeen - Sigrid Kraft

    www.ArdeenShop.de

    Inhalt

    Inhalt

    Das Kartenspiel

    Der verwunschene Turm

    Das Herz von Wydland

    Der Landsitz

    Schatten der Vergangenheit

    Der junge Narr

    Der Mann mit der Maske

    Die Pferdediebin

    Das heiße Bad

    Edelinde

    Putzartefakte

    Der Ball

    Politik

    Die Hochzeitsfeier

    Fährtensuche

    Alte Bekannte

    Die Höhle

    Das Ende der Suche

    Der Tradition Genüge getan

    Epilog I

    Epilog II

    Das Kartenspiel

    „Der Hohepriester Zelodes wartet unten und bittet um eine Audienz", verkündete der Bote und Prinz Raiden verzog das Gesicht. Er hatte es sich an diesem Nachmittag draußen auf dem Balkon gemütlich gemacht und die Sonne genossen. Zumindest bis jetzt.

    Da warte ich darauf, dass eine Auswahl an Pralinen und Keksen seinen Weg zu mir herauffindet und stattdessen bedroht mich dieser rüde Kerl mit der Gegenwart des hohen Priesters. Für einen Moment zog er es in Erwägung, sich verleugnen zu lassen. Doch er kannte die Penetranz seines ungebetenen Gastes und ihm war klar, dass solch ein Akt die Audienz maximal um ein paar Tage hinauszögern würde. Deswegen gab er sich einen Ruck. Also gut, bringen wir es hinter uns, dieses jährliche Ansuchen um finanzielle Mittel.

    „Bittet meinen werten Gast nach oben."

    Nach dem üblichen Austausch der Höflichkeiten saß Zelodes nun Prinz Raiden gegenüber und faltete die Hände ineinander.

    Beten wird dir auch nichts nützen. Jeder will immer nur Geld von mir. Du bekommst kein Goldstück mehr als das letzte Mal. Die Götter stehen nämlich nicht auf der Seite der Gierigen.

    Prinz Raiden tat dem frommen Mann damit grobes Unrecht, denn Zelodes war weit davon entfernt, gierig zu sein. Er selbst lebte ein ausgesprochen bescheidenes Leben ohne Luxus und half den Armen und Kranken im Land, wo er nur konnte. Seine haselnussbraunen Augen wirkten gütig und schienen in die Herzen anderer hineinblicken zu können.

    Eine Eigenschaft, die Prinz Raiden reichlich unangenehm war. Gibt es eine andere göttliche Macht neben der heiligen Magie?, fragte er sich gerade und entschied sich dann gegen diese Annahme.

    „Etwas Wein, Eure Heiligkeit?"

    „Danke nein, ich trinke nur Wasser."

    Suspekt. Kein normaler Mann trinkt nur Wasser. Aber er ist ja auch kein normaler Mann. Er ist so etwas wie ein verdammter Heiliger. Viel zu gut, um auf Erden zu wandeln. Für einen Moment kam Prinz Raiden in den Sinn, solch ein Verhalten unter Strafe zu stellen. Doch das würde die vielen schlechten Menschen nur ermutigen noch schlechtere Taten zu vollbringen, weswegen er diese Idee sogleich wieder verwarf. Also Augen zu und durch. Stellt Eure Forderung und lasst mich dann den Rest meines Tages genießen.

    Doch Zelodes war nicht so plump, derart mit der Tür ins Haus zu fallen.

    „Ich sah Euch neulich in Arvon an den Gräbern der Gegangenen. Die Götter nehmen die Last von der Seele, wenn man sie ihnen darbietet."

    Die Götter lassen auch Scheiße regnen, wenn es ihnen gefällt. „Da gibt es keine Last, von der ich befreit werden müsste." ... Solange ich mir selbst vergebe. Dennoch meinte Prinz Raiden sich näher erklären zu müssen. „Ich zollte den Toten lediglich meinen Respekt. Gar mancher von ihnen hätte ein längeres Leben mehr als verdient." Zum Beispiel Danian. Er war ein guter König und hat sich kaum über diese Arbeit beklagt, die ich so sehr hasse. Manchmal denke ich, die Götter haben ihn zu sich gerufen, um mich zu strafen. Prinz Raiden warf seinem Gast einen verstohlenen Blick zu. Nur kein Schuldbekenntnis in seiner Gegenwart. Das wird gegen mich verwendet. Doch Zelodes wirkte so entspannt und fromm wie stets.

    „Und auch das ist wohlgefällig, denn jeder von uns wird einmal diesen Weg beschreiten. Vorher schon heiligen Frieden gefunden zu haben, ist dabei sehr hilfreich."

    Ich hatte heiligen Frieden ... bevor ich Besuch bekam. „Missversteht mich nicht, Eure Heiligkeit, aber Ihr seid sicherlich nicht gekommen, um mit mir über tiefgründige theologische Problemstellungen zu diskutieren. Darum frage ich Euch rundheraus: Was ist Euer Begehr?" Das war jetzt zwar unhöflich, doch wenn er nicht anfangen möchte, dann muss ich das eben tun. Sonst endet diese Philosophiestunde nie.

    Doch Zelodes schien keineswegs brüskiert. „Die Geschicke des Reiches lasten schwer auf Euren Schultern, das merkt man. Und Ihr umgebt Euch mit einer rauen Schale. Doch die Götter lassen sich nicht täuschen und erkennen Euer gutes Herz."

    Da bin ich aber froh, dachte Prinz Raiden sarkastisch und schwieg.

    „Und nun schäme ich mich fast dafür, eine weitere Last auf Eure Schultern zu laden. Doch die Mittel für die Tempel gehen zur Neige und die wenigen Spenden, die wir erhalten, vermögen die Kosten nicht zu decken. So komme ich als geringer Bittsteller an Eure Tür und hoffe auf eine großzügige Zuwendung – so wie letztes Jahr."

    Habe ich es nicht gleich gesagt. Er will Geld. Prinz Raiden schwieg ein wenig zu lange und so führte Zelodes weitere Argumente ins Feld. „Vielleicht könntet Ihr dieses Jahr sogar ein wenig mehr für die Armen und Kranken erübrigen. Euer werter Vater war ein sehr frommer Mann und erhöhte die Summe jedes Jahr. Manchmal gab er sogar zusätzliche Spenden für die gute Sache."

    Mir gab er nie zusätzlich etwas und heuchlerische Frömmigkeit macht auch keinen anständigen Mann. „Ihr kanntet meinen Vater gut?" Prinz Raiden konnte sich diese Frage nicht verkneifen und Zelodes’ Blick richtete sich nach innen, als er die Vergangenheit heraufbeschwor.

    „Nun, ich war damals noch bedeutend jünger als jetzt, doch der edle König kam manchmal zu mir, um über seine schweren Bürden zu reden. Tiefer Gram hatte sich in sein Herz gefressen und oft betete er zu den Göttern. Das gab ihm Frieden."

    Würde mich interessieren, was der alte Sack zu sagen hatte ...

    In diesem Moment suchte Zelodes Blickkontakt zu Prinz Raiden und schlug voller Überzeugung vor: „Vielleicht wollt auch Ihr in Zukunft öfter zum Beten ins Große Heiligtum kommen. Das Innerste des Tempels ist nun gänzlich frei von jeder Magie, damit der Gläubige ganz ungestört zu den Göttern beten kann." Zelodes verkündete dies, als wäre es eine große Errungenschaft, wohingegen sich Prinz Raiden schwertat, seine Gelassenheit zu bewahren. Meint der etwa, ich fühle mich in einer unmagischen Umgebung wohl? Wie stellt er sich das vor? Mit einem dünnen Hemd bekleidet, knie ich auf dem kalten Steinboden und verliere mich im Gebet ... auf dass die Erleuchtung komme und ich das Himmelreich sehe? Wohl eher kommt da eine üble Rotze und Keuche auf mich zu, die ich nur dank segensreicher Magie zu heilen vermag. Besser, ich bezahle ihn, bevor ihm noch mehr gute Ideen kommen. „Ich schätze die uneigennützige Arbeit der Priester sehr und deswegen bewillige ich die jährliche Zahlung gerne." Das letzte Wort kostete Prinz Raiden einiges an Überwindung, doch dieser heilige Mann neigte nur demütig den Kopf und sah Seine Hoheit mit einem klaren Blick sanftmütig an.

    Er klagt mich an. Versucht mir Schuldgefühle zu machen. Dies ist schlimmer als ein ehrlicher Kampf. Ich verliere. „Und ich lege noch 500 Goldstücke drauf, weil viele Bürger meines Reiches an die Götter glauben und die Tempel ihre einzige Möglichkeit sind, im Falle einer Krankheit Hilfe zu erhalten."

    Wieder nickte Zelodes und ein ganz leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

    „Die Götter werden Euch für Eure Großzügigkeit belohnen. Ist es nicht befreiend, von Zeit zu Zeit einen Akt der Selbstlosigkeit zu vollbringen? Eine gute Tat mehrt den wahren Reichtum im Leben."

    Ich wurde von einer großen Summe Geld befreit und es fühlt sich nicht gut an! Geh jetzt, boshafter Geist.

    „In der Tat. Ich will nicht unhöflich sein, doch in Kürze muss ich zu einem wichtigen Treffen aufbrechen." Ich frage ihn jetzt nicht, ob er noch weitere Anliegen hat. „Darf ich Euch hinausgeleiten lassen?"

    Als Seine Heiligkeit gegangen war, atmete Prinz Raiden tief durch. Natürlich war besagtes Treffen nur ein Vorwand gewesen, um den unliebsamen Gast schnell loszuwerden. Doch auch nachdem Wein und Kekse serviert worden waren, wollte sich die Gemütlichkeit nicht mehr einstellen. Prinz Raidens Gedanken kreisten beständig um das vorherige Gespräch, bis er schließlich zu der Schlussfolgerung kam:

    Götter und gute Taten – was für ein Blödsinn. Man kann auch ohne gute Taten gut leben.

    Doch die Saat des Zweifels war gesät und sie ging bereits auf. Vielleicht sollte ich doch einmal selbstlos etwas Gutes tun? Dann schalt er sich einen Narren. Was soll das, Raiden. Es gibt keine Götter. Magie und Wissenschaft sind Realität, aber die Götter sind nur eine Einbildung. Ein seltener blauer Vogel flog herbei und setzte sich just in diesem Moment auf die Balustrade. Götterbote wurde dieses Tier im Volksmund auch genannt und Prinz Raiden fühlte sich unbehaglich.

    Sie beobachten mich. Der alte Priester hat mich verflucht, und wenn ich jetzt nicht selbstlos etwas Gutes tue, dann ... Er griff nach dem Weinglas und trank gedankenverloren daraus. Mit Flüchen war nicht zu spaßen und irgendwie beschlich ihn die fixe Idee, dass er sich nur davon befreien könnte, wenn er eine gute Tat vollbrächte. Aber was?

    Und da gaben ihm die Götter die richtige Idee ein und Prinz Raiden lachte zufrieden.

    „Das ist es. Es hilft dem Reich, befreit mich von diesem Fluch und kostet mich auch kein weiteres Goldstück mehr. Gold zu bezahlen ist ohnehin nicht sehr selbstlos. Das ist vielmehr so, als würde man sich die Gunst der Götter erkaufen. Eine selbstlose Tat muss von Herzen kommen."

    Vier Stunden zäher Verhandlungen lagen hinter Ravenor und er fühlte sich ausgelaugt. Er war nun alleine in dem Saal zurückgeblieben und reflektierte über die vorangegangene Unterredung.

    Meister Ulf Merett war mit den Jahren noch fetter geworden und körperlich gesehen ein ziemliches Wrack. Doch sein Geist war ungetrübt scharf und es gab keinen härteren Verhandlungspartner als den Vorsteher der Händlergilde. Es ging um die Neufestsetzung der Zölle und Ravenor war mit dem erzielten Ergebnis ganz zufrieden.

    Ich würde sogar sagen, dass ich diese Schlacht gewonnen habe, wenn auch nicht allzu deutlich ... und der Feind konnte mit einem Großteil seiner Truppen flüchten. Er grinste bei diesem Gedanken. Der strahlende Held Ravenor tummelte sich nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern schlug nun seine Gegner mit Advokaten und Erlassen. Die Geschicke des Reiches zu lenken, war nicht einfach, doch Ravenor war froh um seine Position. Natürlich war Prinz Raiden nach wie vor König von Ardeen, doch er war Regent des Landes, und sein Vater ließ ihm weitestgehend freie Hand. Der hatte sich nie sonderlich für die Verwaltung begeistern können und war somit glücklich, wenn jemand anderes diese Aufgabe übernahm. So waren alle zufrieden und Ravenor gähnte unverhohlen. Er war früh aufgestanden, um sich auf die Besprechung mit Ulf Merett noch ein wenig vorzubereiten und nun, nachdem die Anspannung nachgelassen hatte, fühlte er sich müde und ziemlich hungrig. Auf dem Tisch stand ein Teller, auf dem gerade mal noch ein Keks lag.

    Dieser schmierige Advokatsgehilfe, der hatte nichts anderes zu tun, als sich ständig mit den Leckereien vollzustopfen, während ich mit Ulf redete. Die permanenten Essgeräusche haben mich wahnsinnig gemacht, doch rauswerfen konnte ich den Kerl auch nicht. Das hätte Meister Fettkröte gleich zu seinem Vorteil genutzt.

    Ravenor nahm sich den letzten Keks, doch der kleine Happen konnte seinen Hunger kaum stillen.

    Ich muss was Anständiges essen. Er ging gerade die Möglichkeiten durch, als Prinz Raiden ihn telepathisch rief:

    „Komm nach Naganor und leiste mir Gesellschaft."

    Ravenor bestätigte und dann war die Verbindung auch schon wieder unterbrochen. Auf dem Weg zum Tor rieb er sich die Hände. Die Küche Naganors ist exquisit und sicherlich lässt mein Vater gut auftischen. Schließlich ist es gerade Mittagszeit. Hervorragend, und dann kann ich ihm auch gleich noch von meinem großen Erfolg berichten.

    Um zu reisen, brauchte er keinen Magier mehr, der ihn hindurchführte. Sein Vater hatte ihm schon vor Längerem ein Artefakt erschaffen, mit dem er von jedem Tor aus nach Naganor gelangen konnte. Es war ein Ring mit drei kleinen Edelsteinen. Ravenor aktivierte die Magie und trat durch die magische Wand hinüber in den Torraum des Schwarzen Turmes. Beschwingten Schrittes machte er sich auf den Weg hinunter zur Halle.

    Jeder prahlte gerne mit seinen Erfolgen und suchte dafür eine gebührende Anerkennung. Darüber hinaus stellte sich Ravenor gerade ein formidables Mahl vor. Da bog sich die lange Tafel unter der Last der aufgetischten Speisen. Schweinebraten, Ente, Fasan, Rinderfilet, Lammkeule, und das alles äußerst dekorativ angerichtet und umgeben von einer Vielzahl von Beilagen. Das Wasser lief ihm bereits im Mund zusammen, als er die Tür zur großen Halle öffnete. Doch dann zerplatzten seine Vorstellungen jäh, denn die Tafel war gänzlich leer.

    Oh, ich bin wohl zu früh eingetroffen.

    Am hinteren Ende der Tafel saß Prinz Raiden und mischte gerade kunstvoll ein Kartenspiel durch.

    „Mein Prinz", grüßte Ravenor, während sein Vater ihn irgendwie komisch ansah.

    „Es ist wahrlich Zeit ...", begann Seine Hoheit und machte eine gewichtige Pause, weswegen Ravenor diese Einleitung gänzlich falsch verstand.

    Diese Anschuldigung ist lächerlich. Ich bin geradezu geflogen. „Mein Prinz, ich kam, so schnell ich konnte."

    Prinz Raiden grinste amüsiert. „Das bestreite ich auch nicht, und wenn du etwas mehr Geduld hättest, dann könnte ich meinen Satz auch zu Ende führen."

    Ich höre. Irgendetwas schien seinen Vater zu beschäftigen und Ravenor wirkte gleichermaßen interessiert wie erstaunt.

    „Da ich nun deine Aufmerksamkeit habe, lausche. So wie das gerade läuft, ist es nicht richtig und die Götter selbst haben mir ein Zeichen gegeben. Du aber scheinst das anstehende Problem gar nicht zu erkennen, und deswegen muss ich hier wohl lenkend eingreifen."

    Hä? Wovon redet er da?

    „Also ... es ist wahrlich an der Zeit, dass du dir eine Frau suchst, so wie es den Göttern wohlgefällig ist."

    Ravenor dachte, er höre nicht recht. „Ich habe genug Frauen, kein Grund zur Besorgnis", platzte er pampig heraus, woraufhin sein Vater warnend den Zeigefinger hob.

    „Eine Verbindung, die den Göttern wohlgefällig ist", strich er heraus und Ravenor dämmerte langsam, worum es hier ging. Eine Heirat. Er redet von einer Heirat. „Ich hatte eine rechtmäßige Frau, wenn Ihr Euch erinnern wollt. Zwei sogar, um genau zu sein." Essyia war die Einzige. Trotz all der Jahre, schmerzte ihn der Verlust noch immer.

    „Verliere dich nicht wieder in der Vergangenheit. Das ist jetzt schon viel zu lange her, als dass es noch irgendwie ins Gewicht fallen sollte."

    Ravenor schnaubte unwirsch, was sein Vater großzügig übersah. Eine gute Tat zu tun, ist nicht einfach, wenn der Begünstigte gar nicht erkennen will, dass man ihm nur helfen möchte. Ravenor bockt jetzt schon rum, ganz wie ein kleiner Esel. „Außerdem, als Regent dieses Landes hast du eine gewisse gesellschaftliche Stellung und damit gehen Pflichten einher."

    „Habt Ihr etwa Bedenken, dass ich meine Pflichten nicht ausreichend erfülle? Ich diene meinem Land, so gut ich kann und gerade heute habe ich ein neues Zollabkommen mit Ulf Merett verhandelt, welches der Krone nicht zum Schlechteren gereicht."

    Prinz Raiden ließ die Karten durch die Finger rauschen, als er den Stapel so auf dem Tisch ablegte.

    „Und das bestreitet auch niemand. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass du in ungeregelten und obendrein recht ungezügelten Verhältnissen lebst. Das Volk redet bereits darüber."

    „Dann lass sie reden! Was kümmert mich die Meinung des Volkes." Ravenor kniff die Augenbrauen zusammen und überlegte, wie er aus dieser Falle wieder entkommen könnte. In Erwartung eines köstlichen Mahles werde ich hierhergelockt und dann das hier. Der Hunger war ihm inzwischen gänzlich vergangen.

    „Unterschätze die Meinung des Volkes nicht. Ein aufgebrachtes Volk kann einem Regenten großen Kummer bereiten. Und was sie über dich sagen, ist wahrlich nicht sehr schmeichelhaft. Dann zitierte er: „Der Held des Volkes hat mehr Weiber flachgelegt, als Männer auf dem Schlachtfeld getötet. Er ist nicht wählerisch, wenn er sein ungezügeltes Temperament auslebt und er macht auch nicht halt vor gar manchem braven Mannes Eheweib. Er pflügt die Frauen wie der Bauer die Erde. Hilfe, der Held der Frauen kommt – versteckt euer Weibsvolk ... Das Volk sagt noch mehr. Wie der Vater, so der Sohn. Er hurt noch besser als sein Alter. Zusammen haben sie ganz Ardeen begattet ... Aber diese Aussagen sind meiner Argumentation jetzt nicht dienlich. „Tz, tz, solches Gerede ist nicht gut. Und lass einmal eine Missernte für Hunger sorgen oder eine Seuche über das Land hereinbrechen, dann werden die Reden rasch harscher werden. Man wird dir die Schuld geben, denn dein lästerlicher Lebensstil hat den Zorn der Götter heraufbeschworen."

    „Das stimmt so nicht, entgegnete Ravenor lahm und sein Vater bestätigte das: „Natürlich nicht, doch das Volk biegt sich seine eigene Wahrheit zurecht und es liebt schöne Geschichten. Der tapfere Held des Volkes findet die große Liebe. Sie heiraten, haben Kinder und die Thronfolge des Landes ist gesichert. Das ist es, was das Volk haben möchte und auch dir würde ein bisschen Sesshaftigkeit guttun. Für dieses ständige Geflattere bist du doch inzwischen schon ein wenig zu reif.

    Der größte Rammler Ardeens will mir ins Gewissen reden? Unbewusst griff Ravenor nach der Kette um seinen Hals. Jenes Artefakt, welches ihn vor der schnöden Gedankenspionage schützte. Doch ganz sicher war er sich nicht, ob das Geschmeide auch Prinz Raiden abhalten konnte. Wenn er mich aber trotz des Artefaktes belauschen kann, dann kann ich den Punkt auch gleich direkt ansprechen.

    „Die Freuden dieser Vergnügung kennt Ihr selbst doch am besten und eine Beschränkung durch das Alter scheint es da auch nicht zu geben."

    Er ist gänzlich uneinsichtig und wird langsam frech. Aber um die ‚gute Tat‘ zu vollbringen, schien es Prinz Raiden nun falsch, Vernunft in seinen Sohn hineinzuprügeln. „Ich verlange von dir ja auch nicht, dass du allem entsagst. Das eine schließt das andere doch nicht aus. Lediglich geordnete Verhältnisse sollen geschaffen werden."

    Ach sieh an, Ehebruch ist also erlaubt. Am liebsten wäre Ravenor jetzt wieder gegangen, aber das war sicherlich keine Option. Doch weiterhin verloren herumzustehen, behagte ihm auch nicht.

    „Ihr erlaubt, dass ich mich setze?"

    Prinz Raiden deutete auf den freien Platz zu seiner Rechten und als Ravenor Platz genommen hatte, versuchte er ein reichlich plumpes Ablenkungsmanöver.

    „Die Verhandlungen heute Morgen waren wirklich hart. Es ging um Wein, Salz ..."

    „Ja und ich bin mir sicher, du hast das gut gemacht, unterbrach ihn Prinz Raiden, um dann sogleich wieder auf ihr vorheriges Thema zurückzukommen. „Eine standesgemäße Verbindung ist in den Kreisen des Adels unumgänglich. Auch ich musste mich dem damals beugen.

    „Und wart damit nicht sonderlich glücklich, wenn ich mich recht entsinne", meinte Ravenor spitz, was ihm einen strengen Blick einbrachte.

    „Der Regent ist im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und er hat dem Volk ein Vorbild zu sein ... Zumindest dem Schein nach. Kurzum, suche dir eine passende Partie aus, zeuge einen legitimen männlichen Erben und alles ist zum Besten."

    Prinz Raiden zog eine Karte vom verdeckten Stapel und legte sie umgedreht auf den Tisch.

    „Ich selbst bin auch kein legitimer Nachkomme", stellte Ravenor klar.

    „Und das hat vieles verkompliziert. Aber dein magisch sehr versierter Vater konnte dir alle Unbill aus dem Weg räumen. Wie aber könntest du dasselbe für einen eigenen Bastard tun, Unmagischer?"

    Halt mal! Da verdreht er die Tatsachen aber ganz gewaltig. Ich musste mich immer und immer wieder beweisen, bis er schließlich meinen Wert erkannte. Pha, von wegen, er hat die Unbill für mich aus dem Weg geräumt! Vielmehr war er die Unbill auf meinem Weg. Während sich Ravenor noch insgeheim ereiferte, führte Prinz Raiden weitere Geschütze ins Feld. „Dabei stellt sich das Problem zurzeit ohnehin nicht, da du bisher keine Nachkommen in deinen vielen Affären zeugen konntest. Das sollte dir zu denken geben. Ich bin kein Magier aus Averis, doch da scheint ein unnatürliches Unvermögen vorzuliegen."

    Dieser Umstand war Ravenor nicht entgangen und er reagierte gekränkt. „Ich kann Kinder zeugen! Carmina ist zweifelsfrei meine Tochter. Außerdem ist sie langsam alt genug, dass man ihr die Wahrheit enthüllen kann."

    „Sei nicht so selbstsüchtig. Sie ist noch zu jung und eine derartige Enthüllung würde sie gänzlich durcheinanderbringen. Außerdem ist sie nicht einmal hier, wie du weißt."

    Ravenor presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sein Vater hatte zumindest in diesem Punkt recht, trotzdem lehnte er sich auf. „Sie ist meine Tochter und sie sollte das endlich wissen."

    Nun wurde auch Prinz Raidens Tonfall merklich schärfer: „Das würde rein gar nichts ändern und ist im Augenblick auch nicht das Thema. Du scheinst an einer Art Unfruchtbarkeit zu leiden und die Zeugung Carminas war wahrscheinlich nur durch die Magie der verderbten Eishexe möglich. Dann wurde seine Stimme wieder schmeichelnd sanft. „Aber sei unbesorgt, wenn du eine standesgemäße Gattin erwählt hast, und ich mache es dir leicht ..., dabei deckte er eine weitere Karte auf. „ ... dann werde ich mich deines peinlichen Problems persönlich annehmen und eine Lösung dafür finden. Mit deiner liebreizenden Frau wirst du fortan viele Kinder haben und alle sind zufrieden", beendete er seine Ansprache und sah Ravenor erwartungsvoll an. Bei den Göttern, zieht der ein Gesicht.

    „Kann man die Dinge nicht so lassen, wie sie jetzt sind?" Ich bin mit meinem Leben absolut zufrieden.

    „Nein, und das Warum versuche ich dir schon die ganze Zeit über zu erklären."

    „Aber denkt an Eure eigene Ehe zurück. Damit wart Ihr doch auch nicht glücklich. Wie könnt Ihr von mir nun das Gleiche erwarten?"

    „Solche Worte stehen dir nicht zu", wies Prinz Raiden seinen Sohn scharf zurecht. Die Götter machen es mir nicht einfach. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so dagegen sträuben würde. „Außerdem ist das nicht vergleichbar. Ich hatte keine Wahl! Absolut keine! König Tarn wählte sie aus und stellte mich vor die Entscheidung: Die, oder er würde mein Leben zur Hölle machen. Obwohl er unmagisch war, war dies gewiss keine leere Drohung. So kam es, dass ich die stacheligste Distel unter allen Prinzessinnen zur Frau nehmen musste. Doch dir gestehe ich durchaus eine freie Wahl zu. Nur standesgemäß muss sie sein." Noch eine Karte wurde umgedreht und da erst fiel Ravenor auf, dass auf allen Karten hübsche Frauenbilder zu sehen waren. Selbst wenn die kleinen Symbole in den Ecken etwas anderes auswiesen, denn da lagen nun Schwerter-Götter, Feuer-Bauer und Herz-König auf dem Tisch.

    Er hat doch nicht etwa ein Kartenspiel daraus gemacht, schlussfolgerte Ravenor gerade ungläubig, doch genau das war es, was Prinz Raiden getan hatte.

    „Ich habe hier bereits eine passende Auswahl zusammengestellt, um dir die Mühen einer endlosen Suche zu ersparen." Diese Nachforschungen hatten Seine Hoheit die letzten Wochen über sehr beschäftigt und all die Informationen zu beschaffen, war gar nicht so einfach gewesen.

    „Eine großzügige Auswahl, wie ich meinen möchte." Und Prinz Raiden legte die aufgedeckten Karten wieder zurück auf den Stapel und begann ihn zu mischen, während Ravenor nachrechnete:

    Sofern das Deck vollständig ist, stehen mir 24 mögliche Damen zur Auswahl.

    Ein Deck bestand aus vier Farben: Ähre, Schwerter, Feuer und Herz und hatte jeweils sechs Bilder: Den Bauern, den Prinzen, die Königin, den König, das Heer und die Götter.

    Dann schob Prinz Raiden den gemischten Stapel zu Ravenor hinüber. „Such dir eine aus."

    Ravenor betrachtete den Stapel mit Abscheu und rührte ihn nicht an. „Das ist lächerlich."

    „Falsch, das ist mein voller Ernst", konterte Prinz Raiden.

    Ich bin jetzt der Regent des Landes. Er kann mich nicht mehr wie einen unreifen Jungen behandeln. Er kann das nicht machen. „Und wenn ich mich weigere?"

    „Dann ziehe ich eine Karte und die Götter entscheiden über dein Schicksal." Ich bin mir sicher, die Götter werden eine gute Wahl treffen, denn eine gute Tat ist ihnen wohlgefällig.

    „Das ist Erpressung. Und wenn ich meinen Rücktritt einreiche und all meine Ämter zurückgebe, dann stehe ich sicherlich nicht mehr im öffentlichen Interesse."

    Ihnen war beiden klar, dass Ravenor dies niemals tun würde und Prinz Raiden grinste spöttisch.

    „Und selbst dann." Wenn ich ihm auch nur ein kleines Schlupfloch lasse, windet er sich dort wie ein Wurm heraus. „Bei den Göttern, Ravenor, es ist mehr als an der Zeit, dass du ein Leben nach den üblichen Regeln der Gesellschaft zu führen beginnst. Du wirst sehen, am Ende bist du mir noch dankbar dafür, dass ich dir geholfen habe, deine unbegründeten Ängste zu überwinden. Außerdem hat es auch etwas für sich, wenn man heimkommt und jemand erwartet einen und das Essen steht bereits auf dem Tisch."

    Genau das dachte ich mir heute auch schon mal und die Annahme erwies sich nur als Lug und Trug. Außerdem weiß ich sehr wohl, wie das mit einer Frau daheim ist. Ich habe Essyia nie vergessen. Wohingegen er da wohl kaum mitreden kann. Immer wenn ich denke, alles ist in Ordnung, dann kommt er mit einer fixen Idee daher, um die Welt ins Chaos zu stürzen.

    Prinz Raiden beobachtete seinen Sohn genau. Er überlegt. Das ist schon mal gut. „Alles ist sauber und aufgeräumt", säuselte Prinz Raiden und holte Ravenor damit aus seinen Gedanken.

    „Ich kann mir Bedienstete leisten, die tun das auch."

    Der Punkt ging an Ravenor und Prinz Raiden ging gar nicht weiter darauf ein. „Und dann schallt dir helles Kinderlachen entgegen ..." ‚wildes, liederliches Gekreische‘ korrigierte Prinz Raidens Geist ungewollt die Formulierung, während er fortfuhr, das Bild einer heilen Welt zu zeichnen. „ ... und die lieben Kleinen fragen mit großen Augen: Papa, hast du mir etwas mitgebracht?" … Und dann streiten sie sich sogleich über alles, was man sich nur vorstellen kann. Prinz Raiden gab eine äußerst glaubhafte Darstellung und dabei schlich sich sogar ein rührseliger Glanz in seine Augen.

    „Und wenn ich mich dennoch weigere?, fragte Ravenor matt, woraufhin ihm Prinz Raiden mit einem Lächeln auf den Lippen drohte: „Dann wird die Magie richten, was der freie Wille nicht richtig zu entscheiden vermag.

    Ravenor seufzte und sah hinüber zur Fensterfront. Es gibt kein Entkommen. Zumindest nicht im Augenblick. Dann will ich wenigstens gute Bedingungen aushandeln. „Wie genau soll das denn ablaufen? Ich suche mir eine aus und dann sehe ich sie mir erst einmal aus der Nähe an. Ihr werdet doch sicherlich nicht auf eine Verbindung bestehen, wenn die Dame ... größere Mängel aufweisen sollte."

    Prinz Raiden lachte. „Mir scheint, du hast heute schon zu lange mit Ulf Merett an einem Tisch gesessen. Tz, tz, eine Dame weist doch keine ‚größeren Mängel‘ auf. Schließlich ist sie keine Ware, sondern eine von den Göttern gesandte Kreatur, um den Manne zu erfreuen. Aber ich verstehe deinen Einwand. Also es läuft so: Du suchst dir eine aus, machst ihr den Hof und sollte sich dabei herausstellen, dass gewichtige Gründe gegen eine Verbindung sprechen, dann sind ja noch 23 andere Damen im Spiel."

    Prinz Raiden nahm sich den Kartenstapel und ließ ihn gleich einer Ziehharmonika von einer Hand in die andere gleiten.

    „Bis wann muss ich eine erste Wahl treffen?"

    Der Kartenstapel teilte sich und wurde zu zwei Fächern. Er versucht es mit einer Hinhaltetaktik – so nicht, mein Freund. „Du triffst heute deine erste Wahl. Jetzt gleich, um präzise zu sein. Sind wir doch mal ehrlich, die erste Entscheidung erweist sich doch meist als die richtige." Die Fächer klappten zusammen und die zwei Stapel wurden mit dem Daumen aufgebogen und rauschten dann ineinander, um wieder einen einzigen Stapel zu bilden. Der wurde dann betont auf die Tischplatte gelegt.

    Mit den Tricks könnte er auf dem Jahrmarkt auftreten. „Es ist schwierig, von einem kleinen Porträtbild auf die wahre Person zu schließen", äußerte Ravenor seine Zweifel, doch auch dieses Argument wusste Prinz Raiden zu entkräften.

    „Darum sind es 24 – wie ich bereits erwähnte. Dann schlug er vor: „Spielen wir doch ein Spiel. Ich gewinne, dann suche ich eine für dich aus. Du gewinnst, dann musst du dir selbst den Kopf zerbrechen. Hübsch und jung sind sie allesamt, also da kann man doch nicht so falsch liegen.

    „Ein Spiel?", fragte Ravenor zunächst ungläubig. Doch er saß in dieser verzwickten Falle, aus der es kein Entkommen gab. Aber da keine der Damen ihm etwas bedeutete, zuckte er mit den Schultern und meinte müde:

    „Warum nicht. So gewinnt man dieser Geschichte wenigstens etwas Gutes ab."

    „Das ist die richtige Einstellung, mein Junge."

    „Wir spielen ehrlich unmagisch?"

    „Natürlich, wo denkst du hin. Schließlich wäre es nicht fair, dich zu übervorteilen." Die größte Schlacht habe ich ja schon gewonnen, wenn die Götter ihm jetzt einen kleinen Sieg vergönnen, dann soll es so sein. Aber leicht machen werde ich es ihm trotzdem nicht.

    Die Karten wurden ausgeteilt und es wurde äußerst verbissen gespielt. Dann legte Prinz Raiden die Ährengöttin, doch Ravenors letzter Trumpf, der Schmied, wie der Bauer der Schwerter auch genannt wurde, stach, und das Spiel war entschieden.

    „So viel Glück gibt es doch gar nicht!, ereiferte sich Prinz Raiden. „Das ist ... also, das ist einfach ..., dann riss er sich zusammen. „Ähm, die Wahl ist dein."

    Schon während des Spiels hatte sich Ravenor die Karten genauer angesehen – zumindest diejenigen auf seiner Hand. Nun legte er das gesamte Blatt vor sich aus, doch er blieb bei seiner ersten Einschätzung.

    Die Bäuerin der Schwerter ist schnuckelig. Die nehme ich. Außerdem hat sie mir gerade zum Sieg verholfen. Wahrlich ein Zeichen der Götter, und ich hätte nicht gedacht, dass er ehrlich spielt.

    Ravenor schob die Karte aus der ersten Reihe nach vorne: „Ich versuche es mal mit der hier."

    Wie unromantisch, urteilte Prinz Raiden, was ihn jedoch sogleich zum nächsten Problem kommen ließ:

    „Du weißt, wie man um eine Dame wirbt?"

    Ravenor verdrehte die Augen. „Meine Erfolgschancen waren bisher immer ganz gut."

    „Ich glaube, du verwechselst da gerade etwas. Eine Frau zu betören oder gar zu bezahlen, um mit ihr den Beischlaf zu pflegen, hat nichts mit einer angemessenen und standesgemäßen Werbung zu tun. Da gibt es ein offiziell vorgeschriebenes Ritual, welches einzuhalten ist."

    Dunkel erinnerte sich Ravenor an ein paar Gepflogenheiten und zählte diese nun wahllos auf:

    „Der Besuch beim Brautvater, der erste Tanz und das Versprechen?"

    Prinz Raiden seufzte: „Das mag für einfache Bauersleute genügen, aber nicht für Ardeens Hochadel. Es beginnt mit dem Ansuchen. Ein handgeschriebener Brief an die Familie der Braut. Dann musst du dir eine Ehrengarde zusammenstellen, und damit meine ich nicht eine Abteilung von Soldaten. Die Segnung der Ringe, dazu müssen entsprechend teure Schmuckstücke besorgt werden. Der Brautkranz, die Kleidung des Freiers ... Es ist eine ganze Liste an Formalitäten. Am besten ich schicke dir jemanden vorbei, der dich über die Gepflogenheiten in Kenntnis setzt. Verweilst du zurzeit im Palast in Arvon?" Das tat Ravenor meistens, wenn er Besprechungen und Ratstreffen in der Hauptstadt beiwohnte. Doch der Palast in Arvon barg so seine Gefahren.

    Dann tratscht morgen die ganze Stadt über meine ... Schmach. Ich will dieses Thema nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Darum entschied er anders: „Ich werde auf Burg Velden zu finden sein." Besagte Festung lag im Norden von Arvon und Ravenor hatte sie schon vor ein paar Jahren gekauft und das heruntergekommene Bauwerk anschließend wieder gut in Schuss gebracht.

    Prinz Raiden nickte. „Gut, dann werde ich dir einen Spezialisten dorthin schicken."

    „Und die Schmiedin? Gibt es zu ihr noch weitere Informationen?"

    „Auch die bekommst du noch heute Abend", versicherte ihm sein Vater, während Ravenor die Karten zu einem Stapel zusammenschob und die Bäuerin der Schwerter obendrauf legte.

    Hübsch ist sie, vielleicht passen wir ja zusammen. Dann blickte er auf:

    „Kann ich die Karten mitnehmen?"

    „Nur zu, ich habe noch ein weiteres Deck."

    Ravenor empfahl sich und sein Vater ließ ihn gehen. Na also, das Spiel hat begonnen und die Götter werden meine Bemühungen belohnen. Denn eine selbstlose und wahrlich gute Tat ist es, wenn ich mich um das Wohl meines Sohnes kümmere. Er verplempert sonst noch sein ganzes Leben mit flatterhaften Vergnügungen.

    Ravenor machte sich nicht gleich auf den Weg nach Velden, sondern nahm den altbekannten Weg in Naganors Palastküche. Alle dort kannten ihn und hier war er nicht der unnahbare Regent von Ardeen, sondern einfach nur Ravenor. Nach der herzlichen Begrüßung polterte er spaßeshalber:

    „Bei den Göttern, warum gab es heute kein anständiges Mittagessen in der Halle? Ich bin extra deswegen aus Arvon hergekommen."

    „Seine Hoheit hat heute spät gefrühstückt und darum entschieden, das Mittagessen ausfallen zu lassen. Völlerei bekommt ihm nicht, sagt er. Dabei ist Seine Hoheit doch eh so schlank wie eine Gerte", meinte die beleibte Telfa, und als sie dann sah, wie Ravenor verstohlen zu den Töpfen auf dem Herd hinüberging, fügte sie an:

    „Aber wir bereiten schon für den Abend vor und ein Kuchen befindet sich im Backrohr. Der müsste fast fertig sein ... falls der junge Herr etwas essen möchte."

    „Und wie ich das möchte. Es gibt keine bessere Küche im ganzen Reich als die hier in Naganor."

    Das erste fahle Licht ließ die Umrisse von Burg Velden gerade so im grauen Dunst erkennen. Es war noch sehr früh am Morgen, doch Ravenor saß bereits beim Frühstück. Er würde bald aufbrechen müssen, denn die erste Besprechung des Tages fand schon in einer Stunde statt und dann jagte ein Termin den nächsten. Ravenor schluckte den letzten Bissen Brot hinunter und zog sich anschließend den Obstteller näher heran.

    Das wird ein anstrengender Tag. Alleine schon das Durchgehen des großen Finanzberichtes mit Meister Werge dauert seine Zeit. Nur um dann am Schluss festzustellen, dass das Reich mehr ausgibt, als es in der Kasse hat. Dann beginnt das Gefeilsche um Einsparungen, Kürzungen und höhere Abgaben. Kurzum, am Ende fühlt sich irgendeine Fraktion ungerecht behandelt und beschwert sich daraufhin beim König. Was in diesem Falle bei mir bedeutet, denn der Prinz-König Raiden kümmert sich nicht sonderlich um die Amtsgeschäfte. Der vertreibt sich seine Zeit lieber mit unsinnigen Unternehmungen. Ravenor musste immer noch ungläubig den Kopf darüber schütteln, dass sein Vater ihm tatsächlich noch am Vortag jenen Traditionsberater auf den Hals gehetzt hatte. Der hatte eine ganze Liste mitgebracht, was alles beachtet werden müsse. Doch als sich Ravenor den Zettel genauer ansah, stellte er fest, dass lediglich vier Dinge erfüllt sein mussten, wenn es um die ersten Schritte in Sachen Werbung ging.

    Zuerst war da der offizielle Brief, in dem er höflich um eine Einladung bitten musste. Wurde dieser Einladung dann stattgegeben – und davon war leider auszugehen – dann musste er sich in Begleitung seiner Ehrengarde auf die Reise begeben und der Dame einen ersten Besuch abstatten. Hierbei war das erste Gastgeschenk mitzubringen. Der Dame überreichte man üblicherweise einen Blumenstrauß und den Gastgebern brachte man eine Flasche Wein und einen kleinen Beutel voller Münzen mit. Diese drei Gaben symbolisierten Liebe, Herzlichkeit und Großzügigkeit. Natürlich musste man für diesen Anlass auch entsprechend gekleidet sein, und das war dann der vierte Punkt auf der Liste – das Gewand des Freiers.

    Alles andere kam danach, falls sich denn aus diesem ersten Treffen mehr entwickeln sollte. Aber noch vor dem besagten ersten Treffen beschloss Ravenor, es langsam angehen zu lassen. Da galt es, vier ehrenwerte Begleiter zu finden und ein Schneider musste hergebeten werden, um Maß zu nehmen. Schließlich hatte Ravenor weder zu seiner ersten noch zu seiner zweiten Hochzeit so etwas Unnützes wie ein Freiersgewand gebraucht.

    Als Prinz Raiden ihm gestern das erste Mal seine hirnrissige Idee eröffnete hatte, hatte das Ravenor zunächst ziemlich aufs Gemüt geschlagen und er hatte sich ganz schön aufgeregt, doch inzwischen sah er alles viel gelassener.

    Ich werde nicht gleich morgen zur Hochzeit getrieben und wenn ich mir Zeit lasse und es geschickt anstelle, dann verliert Seine ungeduldige Hoheit sicherlich bald die Lust an diesem dummen Spiel und lässt mich in Ruhe. Schließlich ist Geduld nicht eine seiner herausragenden Eigenschaften. Es braucht nur ein anderes Thema, welches ihn beschäftigt hält, dann vergisst er mich schnell.

    Er setzte da seine Hoffnung in die Mitglieder der Bruderschaft, denn die Magier hatten immer irgendwelche vertrackten Probleme, die an den Unmagischen gänzlich vorbeizogen.

    Ravenor trank den letzten Rest aus und stellte den leeren Becher zurück auf den Tisch. So, fünf Minuten noch, dann muss ich los. Er lehnte sich zurück und beschloss diese Gnadenfrist der Ruhe zu genießen, bevor dann der hektische Alltag über ihn hereinbrechen würde.

    Da kam Aiden herein. Er hatte vor gut fünf Jahren als Bursche bei Ravenor angefangen und war inzwischen zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen. Hier auf Velden kümmerte er sich um die Pferde, versah den Wachdienst und war auch geschickt, wenn es um handwerkliche Dinge ging. Ravenor mochte den fröhlichen jungen Mann und nickte ihm wohlwollend zu.

    Er kann nichts dafür, dass seine Eltern ihn nach meinem Vater benannt haben. Das zwar nur teilweise, doch die Ähnlichkeit im Namen war offensichtlich. Natürlich hatten die Eltern des jungen Aiden es nicht gewagt, ihrem Kind den Namen des noch lebenden Königs zu geben. Denn dies bedeutete Unglück für beide Seiten. Ob die Würfel tatsächlich diese Buchstaben vorgegeben haben? Der alte Brauch, die Buchstabenwürfel bei der Geburt zu werfen, wurde inzwischen nicht mehr in allen Teilen des Landes ausgeübt.

    Aiden verbeugte sich gerade, doch bevor er etwas sagen konnte, kam ihm Ravenor zuvor:

    „Ja, ich weiß, es ist an der Zeit. Aber ich bin sowieso fertig. Ist mein Pferd schon gesattelt?" Ravenor stand auf, doch als er Aidens Gesicht sah, merkte er bereits, dass da noch etwas anderes war.

    „Ähm, Lord Ravenor, ich habe noch nicht aufgesattelt. Doch da ist ein Bote für Euch. Er sagt, es wäre dringend."

    Hm, das sagen sie immer. Ravenor setzte sich wieder. „Dann bitte ihn herein und sattle anschließend gleich auf. Das hier wird sicherlich nicht lange dauern."

    Herein kam kein Geringerer als Meister Ogras, Kampfmagier aus Naganor, und Ravenor schwante bereits Böses, was sich auch umgehend bestätigte.

    „Lordregent Ravenor, ich grüße Euch im Licht der Sonne." Meister Ogras verbeugte sich leicht und überbrachte dann seine Botschaft:

    „Prinz Raiden schickt mich, um Euch Folgendes mitzuteilen: Haltet Euch bereit, denn der Schneider ist schon auf dem Weg hierher. Darüber hinaus will Seine Hoheit wissen, ob Ihr den Brief bereits geschrieben habt. Ist er vielleicht sogar schon auf dem Weg? Und wie steht es mit der Ehrengarde?"

    „Haltet ein!", Ravenor hob warnend die Hand. Dazu kann die Ungeduld meines Vaters natürlich auch führen: Er schickt mir einen seiner Höllenhunde auf den Hals. „Meister Ogras, Ihr lasst mich ja gar nicht zu Wort kommen. Ich verstehe durchaus, dass Prinz Raiden mit Ungeduld auf ein Vorankommen in dieser Angelegenheit drängt, doch ich muss Euch leider enttäuschen. Ich werde im Palast erwartet und habe heute gleich mehrere wichtige Besprechungen. Die Staatsgeschäfte gehen einfach vor. Da kann ich mich nicht um belanglose private Angelegenheiten kümmern. Beim besten Willen nicht."

    Meister Ogras’ Miene wirkte ausdruckslos und Ravenor versuchte vergeblich, darin Verständnis oder gar Mitgefühl zu entdecken. Diese Magier sind alle gleich emotionslos. Ist das wegen ihrer eingeschränkten Libido oder kommt das, weil sie sich stundenlang im Meditieren üben?

    „Prinz Raiden lässt Euch ebenfalls ausrichten, dass Ihr Euch deswegen keine Sorgen machen müsst."

    „Wie darf ich das verstehen?", fragte Ravenor herausfordernd und Meister Ogras eröffnete ihm:

    „Alle Eure Termine für heute sind abgesagt."

    Ungläubig riss Ravenor die Augen auf. „Was? Erklärt mir das bitte etwas genauer. Nimmt Prinz Raiden etwa an meiner Stelle an den Besprechungen teil?"

    Das entlockte sogar dem Magier ein dünnes Lächeln. „Nein, natürlich nicht. Dafür ist Seine Hoheit viel zu beschäftigt."

    Mit welcher wichtigen Angelegenheit kann ich mir schon denken, urteilte Ravenor grimmig, während Meister Ogras unbeirrt fortfuhr:

    „Die Termine sind vorerst abgesagt, und das haben auch alle verständnisvoll eingesehen. Wenn Seine Hoheit persönlich der Meinung ist, dass ein paar Tage Aufschub nottun, wer möchte ihm da schon widersprechen."

    Ravenor seufzte insgeheim. Niemand.

    „Also, wo war ich vorhin? Ach ja, die Ehrengarde. Wen habt Ihr dafür ausgewählt?"

    Was ist das hier? Ein Verhör? Als Ravenor nicht sofort antwortete, informierte ihn Meister Ogras:

    „Prinz Raiden wünscht, dass Ihr all diese Aufgaben bis zum Abend erledigt habt. Schließlich habt Ihr heute ja keine anderen Termine mehr."

    Wenn er jetzt auch nur den Mundwinkel spöttisch verzieht, schlage ich ihm eine rein. Meister Ogras tat zum Glück nichts dergleichen und Ravenor fühlte sich wie ein armes Tier in der Falle. Es gab kein Entrinnen und er funkelte Meister Ogras böse an. „Nun gut, ich habe verstanden. Ihr könnt jetzt gehen."

    „Das kann ich leider nicht, Lordregent Ravenor. Ich habe Anweisungen, Euch ... ähm, den Tag über zu begleiten." Als Ravenor die Augen zu dünnen Schlitzen zusammenkniff, zeigte Meister Ogras tatsächlich Anzeichen von leichtem Unbehagen. Warum hängt er nicht ein Auge an die Decke? Dann braucht er mir keinen zweiäugigen Aufpasser auf die Pelle zu hetzen.

    „Ich kann auch in irgendeinem Zimmer darauf warten, bis Ihr fertig seid, meinte der Magier verlegen und fragte dann interessiert: „Habt Ihr hier eine Bibliothek?

    Ist das hier vielleicht ein verdammter Magierturm? Ich habe ein Arbeitszimmer voller Akten und ein Archiv mit noch mehr Akten. Darauf stehen Unmengen an Zahlen, Daten und Fakten über die belanglosen unmagischen Untertanen des Reiches Ardeen. „Ich habe keine Bücher, die Euch interessieren könnten – wenn Ihr das meint. Aber draußen gibt es einen Kräutergarten und Aiden kann Euch die Burg zeigen, wenn Ihr wollt", meinte Ravenor versöhnlich, denn ihm war klar, dass Ogras nichts dafürkonnte. Der Magier befolgte nur seine Befehle.

    Gegen Mittag war alles erledigt. Der Schneider hatte Maß genommen und sich daraufhin empfohlen, um schnellstens mit seiner Arbeit beginnen zu können. Offensichtlich zahlte ihm Prinz Raiden einen Bonus dafür, dass er die neue Robe baldmöglichst fertigstellte. Dann hatte er den Brief an die holde Lady Elingard von Orin-Carst und Andalyr verfasst. Die Titel klangen beeindruckend und er überlegte, ob er ebenfalls mit seinen ganzen Titeln prahlen sollte. Er entschied sich dann aber für ein schlichtes ‚Lord Ravenor von Ardeen‘.

    Für den Brief brauchte er keinen Boten extra zu beauftragen, denn Meister Ogras bot sich an, diesen gleich selbst mitzunehmen – genauso wie den Zettel, auf dem Ravenor seine vier Begleiter vermerkt hatte. Auch Ravenor war klar, dass die Schriftstücke zunächst in Prinz Raidens Hände gelangen würden, bevor sich zumindest der eine dann auf den Weg zu Lady Elingard begab. Obwohl Meister Ogras lediglich ein unliebsamer Spion war, vergaß Ravenor nicht, ein höflicher Gastgeber zu sein und lud den Magier noch zum Mittagessen ein, bevor dieser dann den Rückweg antrat. Wieder allein auf Burg Velden, war Ravenor absolut nicht nach Arbeit zumute. Wenn ich schon keine Termine mehr habe, dann werde ich den Rest des Tages genießen und einen Ausritt machen. Verantwortungsbewusstsein und Dienst am Volke sind ja zurzeit nicht gefragt. Nein, im Gegenteil, sie werden mit Freiheitsberaubung bestraft. Was geht es ihn an, ob ich verheiratet bin oder nicht? Es sollte ihn überhaupt nichts angehen und er könnte mich doch einfach in Ruhe lassen.

    Diese lauteren Wünsche jedoch gingen nicht in Erfüllung – im Gegenteil. Nach einem mehrstündigen Ausritt kehrte Ravenor am späten Nachmittag heim. Als er auf den Hof ritt, war sein morgendlicher Unmut weitestgehend abgeklungen und er warf Aiden die Zügel des verschwitzten Hengstes zu.

    „Reib ihn gut ab und dann gib ihm anständig zu fressen. Ich habe ihn heute hart rangenommen."

    „Ja, Lord, bestätigte Aiden und meinte dann verlegen: „Ähm, Ihr habt schon wieder Besuch.

    Ravenor brummte unwirsch: „Wer ist es diesmal? Wieder so ein Bote?"

    „Nein, es ist Seine Hoheit persönlich. Seine Hoheit ist kurz vor Euch angekommen und wartet in der Halle auf Euch."

    Ugh, wenn man den Teufel beschwört, dann erscheint er auch. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich ihn nicht beschworen habe. Ich habe ihn vielmehr gebannt. Aber spitzfindige Analysen halfen jetzt auch nicht weiter. Ravenor ließ Aiden wortlos stehen und ging in die Burg.

    In der Halle saß Prinz Raiden auf Ravenors angestammtem Platz – wo auch sonst. Als sein Sohn hereinkam, stand der Herr von Naganor sogar auf. Aber nicht aus Höflichkeit, sondern um seinen Unmut dramatischer kundzutun. Er hielt einen Zettel hoch und sparte sich auch gleich jegliche Begrüßung.

    „Was ist das?"

    Ravenor zuckte mit den Schultern. „Ein Blatt Papier?"

    „Ich habe nicht den weiten Weg auf mich genommen, um mir provokante Antworten anzuhören, sondern um dir zu helfen."

    Auf die Hilfe kann ich getrost verzichten. Ohne Vorwarnung traf ihn eine Kopfnuss und erst da fiel Ravenor wieder ein, dass er die schwere goldene Halskette, das Artefakt gegen Gedankenspionage, vor dem Ausritt abgelegt hatte.

    „Bürschlein, werde nicht frech, ermahnte ihn Prinz Raiden und belehrte ihn dann. „Ohne meine Hilfe kommst du nie zu einer standesgemäßen Frau. Also sei gefälligst dankbar. Deinen stümperhaften Brief an Lady Elingard habe ich etwas überarbeitet, bevor er dann auf Reisen ging und der Schneider ist schon fast fertig. Morgen hast du das Freiersgewand. Das wäre also auch erledigt. Was aber gar nicht geht, ist die Auswahl deiner Ehrengarde. Lord Demon Agarat, Lord Caristan Darkir, Kommandant Albwyth und Kommandant Deren.

    Die Verlesung der Namen wirkte wie eine Anklage, doch Ravenor war sich keiner Schuld bewusst.

    „Warum nicht? Das sind alles Männer mit Rang und Namen."

    „Das, mein Freund, sind deine bevorzugten Saufkumpane. Du scheinst deine Brautwerbung mit einer Tour durch die Wirtshäuser zu verwechseln, dann schüttelte Seine Hoheit leicht den Kopf und redete, ähnlich wie der Forscherdrache, mit sich selbst: „So, wie er aufgewachsen ist, darf ich keine tiefgreifende Bildung erwarten und der Traditionsberater hat ihm offensichtlich nicht alles erklärt. Da ist es wieder einmal an mir, die Dinge richtigzustellen. Dann sah er Ravenor streng an und belehrte seinen Sohn: „Ich will es dir erklären. Also hör gut zu. Die Ehrengarde soll möglichst viele Tugenden widerspiegeln. Deine Reputation mit der Waffe ist hervorragend, also brauchst du keinen weiteren Kämpfer in deiner Garde, womit deine vier Freunde sich allesamt disqualifiziert haben."

    Seit wann braucht eine Garde keine Kämpfer. Diese Vorstellung war Ravenor mehr als suspekt. Aber Prinz Raiden fuhr unbeirrt fort: „Woran es diesen Herren nämlich mangelt, sind intellektuelle Fähigkeiten, wie zum Beispiel Kunst und Musik, Philosophie, Wissenschaft, Reinheit und Tugend – diese Sparten solltest du bedienen."

    Bei Kunst und Musik drängte sich Ravenor geradezu das Bild einer Schauspielertruppe auf dem Marktplatz auf. „Soll ich etwa einen Gaukler mitnehmen?"

    Banause. Ob er jemals im Theater war? „Einen Barden. Am besten einen der ganz bekannten Namen: Rigoland, Gerominas, Damantes ..."

    Ravenor drehte sich der Magen um. Wäh, einen dieser schwuchteligen Säuselsänger. Dieses Geklampfe ist widerlich. Die Gedanken wurden prompt erspäht. „Der Barde soll ja nicht dir gefallen, sondern bei der holden Weiblichkeit Eindruck schinden."

    „Wenn ich schon eins von diesen Windeiern mitnehmen muss, dann will ich aber auch Lord Agarat mit dabeihaben, begann Ravenor zu handeln und meinte dann: „Übrigens, Lord Agarat spielt auch gelegentlich auf der Laute.

    „Allenfalls malträtiert er dieses Instrument", urteilte Prinz Raiden.

    „Lord Agarat ist dabei. Schließlich brauche ich jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Das erfüllt den Punkt Reinheit und Tugend." Die Argumentation schien Ravenor logisch, doch sein Vater seufzte mitleidvoll.

    „Das ist die Interpretation eines Nichtwissenden. Reinheit und Tugend, damit ist eine sittlich enthaltsame Person gemeint, und das ist Lord Demon Agarat mit Sicherheit nicht. Sein schlechter Ruf steht deinem kaum nach und dies, obwohl er verheiratet ist. Ein Priester wäre hierfür ideal."

    Ein Klampfenbruder und ein Priester, das wird ja immer besser. Ravenor machte einen anderen Vorschlag: „Und wie wäre es mit einem jungen Burschen, der noch keine einschlägige Erfahrung hat? So einer wäre doch auch enthaltsam zu nennen."

    „Hmm, eine mögliche Lösung, gab Prinz Raiden zu und Ravenor ergriff diesen Strohhalm. „Dann habe ich genau den Richtigen für diese Aufgabe gefunden: den jungen Aiden. Er kann mich begleiten.

    Prinz Raidens Augenbrauen wanderten nach oben: „Und wer genau ist das?"

    „Aiden ist einer meiner Burschen. Er ist von adeliger Abstammung, wenn auch nicht aus den ganz großen Häusern und er dient mir schon seit einigen Jahren."

    „Du bist sicher, dass er noch jungfräulich ist?"

    Ravenor grinste. „Ziemlich sicher. Hier auf Burg Velden ist die Auswahl an Mädchen nicht allzu groß und die Einzige, die ihm gefallen hat, ist jetzt mit dem Schmied verheiratet. Vor zwei Monaten war die Hochzeit und Aiden war mehr als geknickt. Er hat sich bis zuletzt Hoffnungen gemacht und geglaubt, sie würde sich für ihn entscheiden."

    Ravenor ist gut über die Sorgen und Nöte seiner Untergebenen informiert.

    „Arvon ist nicht allzu weit entfernt. Er könnte sich dort die Hörner abgestoßen haben", zweifelte Prinz Raiden, doch Ravenor schüttelte voller Überzeugung den Kopf.

    „Aiden hat diese romantische Ader. Der glaubt noch an die eine große Liebe, die er eines Tages treffen wird."

    Prinz Raiden lachte. „Daran solltest du auch glauben. Vielleicht heißt sie ja Elingard."

    Wir werden sehen. „Dann sind nun Meister Rigoland, Lord Agarat und Aiden meine Begleiter. Fehlt nur noch einer. Prinz Raiden widersprach nicht und Ravenor wertete dies als gutes Zeichen. Laut überlegte er weiter: „Ein Wissenschaftler, ist damit ein Magier gemeint?

    „Das ist die einfachste Interpretation und ich bestehe sogar darauf, dass du einen vertrauenswürdigen Magier mitnimmst. Man weiß nie, was auf so einer Reise alles passieren kann und magische Unterstützung dabeizuhaben, ist sicherlich nicht verkehrt."

    Ein magischer Überwacher also. Ravenors erste Wahl wäre Eryn gewesen. Aber sein alter Kumpel war nach wie vor verschollen. Seine zweite Wahl war Sir Kerven, aber auch der war abwesend. Auf Anweisung von Prinz Raiden musste der sich mit dem Nachwuchs von Naganor abgeben und war somit absolut unabkömmlich.

    Damit war Ravenors Liste an loyalen Magiern erschöpft und die anderen standen alle auf Prinz Raidens Seite. „Meister Lionas", schlug er halbherzig vor und stieß damit sogleich auf Ablehnung.

    „Meister Lionas ist schon recht alt und obendrein viel zu honorig für solch eine illustre Reise. Da braucht es jemand Jüngeres. Ich würde Meister Ogras vorschlagen, zumal er mit dem Problem auch schon weitestgehend vertraut ist."

    Zwei von mir und zwei von ihm. Was Besseres lässt sich da sicherlich nicht raushandeln. „Also gut. Sagt Euch die Auswahl für die Ehrengarde jetzt zu, mein Prinz?"

    „Wenn dieser Aiden wirklich jungfräulich unberührt ist, dann ist die Ehrengarde so akzeptabel – auch wenn Lord Agarat ein bisschen aus der Reihe fällt."

    „Ich finde, er ist der Einzige, der wirklich passt", widersprach Ravenor, nur um seinen Standpunkt noch einmal deutlich zu machen, und Prinz Raiden maß ihn mit einem eindringlichen Blick.

    Bei der Ehrengarde kann man Abstriche machen, solange er am Ende mit einer Braut heimkommt.

    „Gut, dann haben wir heute schon einiges erreicht. Sobald eine Antwort auf deinen Brief eintrifft, machst du dich auf den Weg. Ich begebe mich nun auf die Heimreise. Übrigens, du könntest ruhig eine Tunnelverbindung nach Burg Velden einrichten. Hierherzukommen ist mühsam."

    Ravenor wirkte ganz unschuldig. „Die halbe Stunde gemütlichen Ritts nach Arvon macht mir nichts aus."

    „Denk nicht immer nur an dich", tadelte ihn sein Vater noch, bevor er den Raum verließ.

    Der verwunschene Turm

    „Ich dachte, Orin-Carst läge in der Nähe der Hauptstadt", meinte Ravenor zu Demon, der neben ihm ritt.

    „In diesem trotteligen Land heißt doch alles Orin-dies und Orin-das. Wenn ich mich recht entsinne, dann gab es einmal einen großen König namens Orin. Nachdem er das Land befriedet hatte, wurde alles ihm zu Ehren umbenannt."

    Oh, Demon glänzt mit Bildung, lästerte Ravenor, der in seiner Jugend nicht die Ausbildung eines Adeligen genossen hatte. Er ließ das Thema fallen und suchte sich etwas anderes, über das er sich beschweren konnte.

    „Diese ganze Reise ist nichts weiter als lächerlich. Dann sah er an sich herunter und urteilte: „Ich komme mir in diesem Gewand wie ein fahrender Gaukler vor. Der Vergleich wurde der Freierstracht nicht gerecht. Tatsächlich wirkte Ravenor darin sehr elegant, doch er selbst fühlte sich nicht sonderlich wohl in dem gesteppten schwarzen Wams mit den weißen Streifen auf den Ärmeln. Es war lang geschnitten und der Kragen war mit einer goldenen Borte gesäumt. Ebenso die Bündchen und der untere Rand. Ein schwarzer Gürtel mit einem weißen Blumenmuster betonte die Taille und über die rechte Schulter lief eine breite Schärpe mit einem ähnlichen Dekor. Sie endete in einer kleinen Tasche, dort, wo normalerweise das Schwertgehänge seinen Platz hatte. Das Gewicht der Waffe nicht an seiner Seite zu spüren, war für Ravenor ungewohnt. Besonders wenn er sich wie jetzt auf Reisen befand. Doch diesmal war ihm das Tragen von Waffen untersagt. Auch eine dieser unsinnigen Traditionsregeln. Natürlich hatte Ravenor trotzdem sein Schwert und einen Dolch mitgenommen. Die steckten jetzt in Aidens Gepäck.

    Ravenor drehte sich im Sattel um und sah kurz nach seinem Gefolge. Hinter ihnen

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