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Winterkönig: Mandura - Die Anfänge II
Winterkönig: Mandura - Die Anfänge II
Winterkönig: Mandura - Die Anfänge II
eBook834 Seiten11 Stunden

Winterkönig: Mandura - Die Anfänge II

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Über dieses E-Book

Hauptmann Reik Domallens Ziel ist es, Winterkönig zu werden, Heerführer der manduranischen Armee.
Durch Zufall begegnet er Mara wieder, der angeblichen Magierin, die er auf Betreiben der obersten Priesterin, Lorana, nach Mandura geholt hat. Schnell ist die alte Vertrautheit, sind die überwältigenden Gefühle zwischen ihnen wieder da, und Reik glaubt, in Mara weit mehr als eine Freundin und Vertraute gefunden zu haben. Doch Mara hat ganz eigene Vorstellungen von ihrem zukünftigen Leben und will sich nicht durch eine Ehe mit dem Thronfolger einschränken lassen.
Nach dem Mittsommernachtsfest eskaliert ein Streit zwischen den beiden und es kommt zum Bruch.
In der Situation bricht in Manduras Hauptstadt das Sumpffieber aus, eine hochansteckende und oftmals tödlich verlaufende Krankheit. Reik und Mara müssen ihre persönlichen Differenzen überwinden und gemeinsam für die Zukunft kämpfen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Juni 2017
ISBN9783742783073
Winterkönig: Mandura - Die Anfänge II

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    Buchvorschau

    Winterkönig - N. H. Warmbold

    Prolog

    Doch der Dämon, so heißt es, sei gar nicht tot.

    Er ruhe nur, wie schlafend, irgendwo in den undurchdringlichen Wäldern des Südens. Lauere auf Beute, auf Opfer.

    (Erzählung der einfachen Leute in den südlichen Ländern)

    Ich wandere durch eine zerstörte, brennende Stadt, Rauch treibt durch die Straßen. Menschen schreien, vor Angst, vor Schmerz, aber ich sehe niemanden … Die Stadt ist leer … Ich suche den Tempel, irre durch die verlassene Stadt, aber ich kann ihn nicht finden …

    Ich mache mich auf den Weg, nach Norden, nach Westen, aber wohin ich auch wandere, überall sehe ich nur Leid und Elend, geplünderte Dörfer … Tod … Sie zerstören die Tempel, überall zerstören sie die Tempel! … Ruinen, rußgeschwärzte Mauern …

    Die Menschen flüchten in die Wälder und die Berge, und ich wandere weiter, wandere über die Ebenen, die Stadt ist nicht mehr fern … Ich sehe … Ich sehe eine große Armee, es sind so viele! Sie warten?! Auf den König, der über den Fluss kommt, in die Schlacht zieht, aber nur wenige folgen ihm … Es ist eiskalt … Und die Schlacht beginnt … Der Schnee ist rot vor Blut …"

    2. Buch: Winterkönig

    Kapitel 1 – Im Tempelbezirk

    Das Frühstückszimmer der königlichen Familie im ersten Stock des Palastes war ein mäßig großer, wohnlicher und an Tagen wie diesen sonniger Raum. Reik mochte die hellen Farben, die fast schon schlicht zu nennende Einrichtung, nicht so üppig und überladen wie manch anderes Zimmer. Mit großen Schritten eilte er die breite Treppe hinauf und ließ sich von dem Gardisten die Tür öffnen.

    Im nächsten Moment fiel ihm seine Schwester Tessa freudestrahlend um den Hals. „Oh Reik, wie schön, ich habe gar nicht damit gerechnet … Mama sagte, du müsstest in den Tempel …"

    „Musste ich auch, unterbrach er ihren Wortschwall und drückte sie kurz an sich, bevor er sich höflich und mit einem schelmischen Lächeln vor seiner Mutter verbeugte, grinste. „Aber hier bin ich in angenehmerer Gesellschaft.

    Die Königin, Alina Sadurnim, unterdrückte ein Lachen und nickte ihm zur Begrüßung zu. „Du bist also der kleinen … unserem Gast nicht begegnet?"

    „Nein, nur Réa. Er nahm neben Tessa Platz und griff sich eines dieser köstlichen, noch warmen kleinen hellen Brötchen. „Die Hohe Frau war nicht sonderlich guter Laune.

    „Ach nein?" fragte seine Mutter mit emporgezogenen Augenbrauen.

    „Na ja, gleich morgens ein Gespräch mit mir ..." Wie schon oft fragte sich Reik, ob sein Verhältnis zu Lorana besser, einfacher, wäre, gäbe es seinen Bruder Leif – Loranas Sohn – nicht. Oder hätte der ältere nicht bei der Probe versagt. Warum auch mussten sie Konkurrenten sein? Doch die Frage war müßig; die Dinge waren, wie sie waren, sie beide die Söhne ihres Vaters. Des Königs von Mandura.

    Und Mandura brauchte einen Winterkönig. In diesem Punkt war er sich mit der Hohen Frau, Lorana, ausnahmsweise einig gewesen.

    „Außerdem ist sie, wie soll ich sagen, unzufrieden. Ihre Zauberin entspricht nicht so ganz ihren Erwartungen und sagt ihr wohl nicht all das, was sie zu wissen wünscht."

    „Ist das Mädchen etwa wirklich so dumm, Lorana gegen sich aufzubringen? Sie ist noch nicht einmal einen Tag hier."

    „Wenn du mich fragst, nein." Er verzog das Gesicht. „Aber ich halte Gènaija für eine recht eigensinnige Person, die mitunter nicht weiß, was das Beste für sie ist. Oder es nicht wissen will."

    Alina tunkte ein Stück Kuchen in ihren Tee und musterte ihn dabei aufmerksam. „Klingt für mich nach einer ziemlich kindischen Person."

    „Nein, das wirklich nicht. Er schüttelte abwehrend mit dem Kopf. „Aber sie kann furchtbar stur sein. Du solltest sie kennenlernen. Vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt. Gènaija ist … Er hob die Hand, ließ sie dann aber mit einem Seufzer wieder sinken.

    „Du meinst, nicht kindischer als andere in ihrem Alter? beendete seine Mutter den Satz. „Und zudem ein ungewöhnlich hübsches Mädchen, das dir nicht mehr aus dem Kopf geht.

    Er lachte, sprang auf und umarmte seine Mutter innig. „Ich danke dir, dass du es so und nicht anders formuliert hast. So leid es mir tut, ich muss mich verabschieden."

    „Aber du hast noch gar nicht gegessen", wandte Tessa ein.

    Eilig trank er seinen Tee aus und stibitzte noch ein zweites Brötchen, lächelte seiner Mutter entschuldigend zu. „Das muss fürs Erste reichen. Wir sehen uns beim Abendessen."

    Auf dem Weg vom Palast zu den Gebäuden der Garde bemerkte Reik eine Gruppe Gardisten, die auf dem Übungsplatz Stockkampf trainierte. Kurz erwog er, sich ihnen anzuschließen, doch womöglich erwartete Sandar, Hauptmann Sandar Sadurnim, ihn bereits.

    Sein Vetter, ein wuchtiger, großer Mann und einige Jahre älter als er, fläzte sich entspannt auf dem Sofa im Vorzimmer seines Arbeitszimmers, erhob sich bei Reiks Eintreten aber sofort.

    „Reik, wie schön, dich heil und gesund wieder hier zu haben!", begrüßte Sandar ihn herzlich.

    „Tut gut, wieder hier zu sein. Du hast hoffentlich nicht lange auf mich warten müssen?"

    „Bin gerade erst gekommen", beschwichtigte ihn Sandar.

    Sie begaben sich nach nebenan, in das Arbeitszimmer des Hauptmanns der Garde. Der große, lichte Raum wurde dominiert von einem schweren Schreibtisch aus dunklem Holz, vor dem drei bequeme Sessel standen. An den Wänden wechselten sich breite Schränke mit hohen Regalen ab, rechter Hand führte eine unauffällige Tür ins noch größere Sitzungszimmer, in dem die regelmäßigen Treffen der Gardehauptleute stattfanden.

    Reik ließ sich hinter den Schreibtisch nieder, die Fenster im Rücken, während Sandar in einem der Sessel Platz nahm und seufzend die langen Beine ausstreckte.

    „Und, erzähl. Wie war’s da unten im Süden?, erkundigte Sandar sich neugierig. „Dein Mädchen habe ich ja gestern schon erlebt.

    „Sie ist nicht mein Mädchen, gab Reik gelassen zurück. „Hat Bro die ganze Geschichte nicht schon ein Dutzend Mal erzählt?

    „Pah, Bro. Du weißt, dein Onkel und ich haben’s nicht so miteinander. Leckt der Hohen Frau die Füße …"

    Reik unterdrückte ein Grinsen. „Deine Verbindung zum Haus Sekassne wird demnächst sogar noch enger sein, wenn du erst Lucinda geheiratet hast."

    Sandar verzog das Gesicht. „Eine Entscheidung der Familie, weniger meine. Du lenkst ab."

    „War nicht meine Absicht. Und so viel gibt es gar nicht zu erzählen, da unten … Jenseits der Tameran-Kette ist vor allem Wald, dichter, nahezu unberührter Wald, Bäume, Bäume und nochmals Bäume. Versteckt und sehr vereinzelt findest du kleine Dörfer, winzige Weiler mit verängstigten, verdreckten Bewohnern, es ist … Abwehrend schüttelte er den Kopf. „Nicht schön, wirklich nicht schön, wie die Leute leben, sehr ärmlich. Selbst an einem Ort wie dieser ‚Burg‘ Ogarcha leben höchstens hundertfünfzig Menschen.

    Reik bemühte sich, seinen Unwillen zu verbergen. „Sie selbst nennen es Burg, dabei ist es eine Ansammlung heruntergekommener, verrotteter Gebäude, in der ein paar Familien leben, oder eher hausen, direkt neben dem Dorf, das die Burgbewohner versorgt und bedient. Ein dummer Zufall, dass wir geradezu über diese Kerle gestolpert sind, die sich sofort bedroht fühlten und angriffen. Tja, und mein Onkel hat seine Leute nicht sonderlich gut unter Kontrolle, also haben wir Ogarcha … erobert."

    „Ihr habt also nur durch Zufall, durch eine Verkettung unglücklicher Umstände dieses Mädchen, Loranas Zauberin, gefunden?", wollte Sandar wissen.

    „Na ja … Er zuckte die Achseln. „Nennen wir es eine glückliche Fügung.

    Sandar musterte ihn eindringlich. „Du klingst nicht sehr überzeugt."

    „Von ihr? Oh, Gènaija ist überzeugend, sie ist großartig, fantastisch, alles. Ich habe nur meine Zweifel, wie sie auf einen Krieg Einfluss nehmen soll. Dafür braucht es ganz andere Fähigkeiten."

    „Entschuldige die dreiste Frage, aber was genau kann die Kleine denn?", beharrte Sandar.

    Reik zuckte einmal mehr die Achseln. „Träumen." Sie hatte vom Krieg geträumt. In ihrer ersten Nacht im Tempelbezirk in Manduras Hauptstadt Samala Elis. Und er hatte ihr nicht davon erzählt, mochte Lorana glauben, was sie wollte. Gènaija kannte diesen Traum, diese Vision nicht von ihm. Aus seinen Gedanken? Aber das konnte nicht sein, dann hätte sie ihm doch etwas gesagt.

    Er hätte vielleicht im Bezirk bleiben und sie darauf ansprechen sollen. Aber dazu war später noch Zeit. Sollte sie erst einmal in Ruhe ankommen und sich in dieser völlig neuen Umgebung eingewöhnen.

    „Offenbar sieht sie in ihren Träumen, Alpträumen, die Zukunft. Sie wusste, dass wir kommen. Und sie sah den Überfall … Hinterhalt der Ostländer bei den Dunklen Höhen voraus. Andere Dinge. Sie kann verdammt gut mit Tieren umgehen, sie … lenken, beeinflussen. Und … angeblich kann sie Gedanken lesen, deine, meine ... Er unterdrückte ein Grinsen. „Nur braucht sie dazu keine Hilfsmittel, keine Drogen. Wohingegen Bro nicht in ihre Gedanken kam, dabei hat er es mit aller Kraft versucht.

    Sandar stieß die Luft aus. „Ein wirklich interessantes Mädchen, und so überaus … Ich liebe ihre roten Locken, und ihr Akzent ist hinreißend."

    „In der Tat."

    „Erzähl mir nicht, sie wäre nicht dein Mädchen, Reik, lachte Sandar schelmisch. „Ich habe gesehen, wie du sie angesehen hast. Und sie dich. Also nimm sie dir.

    „Wie?" Reik stutzte, schüttelte irritiert den Kopf.

    „Ernsthaft, die Kleine ist entzückend, bildschön. Heirate sie, bevor es ein anderer tut, Reik. Ich würd‘ keine Sekunde zögern."

    „Sandar …"

    „Deinem Vater gefällt sie auch. Wieder lachte Sandar, ein Lachen, dessen Unterton Reik nicht gefiel. „Ich hab‘ mich gestern ernsthaft gefragt, wer verführt hier eigentlich wen.

    „Wovon redest du?"

    „Ich rede zu viel, fürchte ich. Sein Vetter, ein erfahrener Mann, jemand, mit dem er gut auskam, den er als Freund bezeichnen würde, biss sich auf die Lippen. „Entschuldige bitte, manchmal ...

    Das Klopfen an der Tür unterbrach Sandar.

    „Ja?", rief Reik ungeduldig, aber zugleich erleichtert über die Unterbrechung.

    „Hauptmann Domallen, begrüßte Hauptmann Davian ihn förmlich, nickte Sandar flüchtig zu. „Komme ich zu spät?

    „Ihr kommt gerade recht, würde ich sagen", erklärte Sandar etwas zu hastig.

    „Hauptmann Davian, setzt Euch, forderte Reik den wie üblich grimmig dreinblickenden, nur wenige Jahre älteren Mann auf. „Kann ich Euch etwas zu trinken anbieten?

    „Danke, ich hatte bereits …, Davian grinste kühl, „Euren Onkel beim Frühstück getroffen. Der Mann wird ziemlich redselig, wenn er zu viel getrunken hat.

    „Dann … gehe ich davon aus, Ihr wisst bereits alles Wichtige, und ich muss Euch nichts mehr erzählen?"

    „Hängt davon ab, was Ihr mir erzählen wollt, Hoheit."

    Reik unterdrückte ein Grinsen. „Jedenfalls nicht alles. Im Augenblick interessiert mich die Stimmungslage in Kalimatan viel mehr." Hauptmann Berit Remasseys Bericht über die Geschehnisse im Grenzgebiet, die gehäuften Überfälle war besorgniserregend.

    „Angespannt und unruhig. Ich hatte Dessum ja schon verlassen, bevor ihr Euer Ziel erreicht hattet, kann also nicht von direkten Reaktionen berichten. Allerdings habe ich auch zuvor keine Gerüchte über eine Magierin, eine Zauberin oder eine Hexe gehört. Dieses Mädchen war bislang kein Thema."

    „Und das beunruhigt Euch?", wollte Reik wissen.

    „Nein. Aber ich wundere mich darüber … ein bisschen. Die Kleine ist ja nicht gerade unauffällig. Anderes Thema: Sind Euch auf dem Ritt ein paar Kandidaten für die Garde ins Auge gefallen?"

    „Ihr braucht mehr Männer, Davian?"

    „Meine Einheit könnte drei, vier fähige Männer durchaus gebrauchen, ich gebe mich aber auch mit einem oder zwei zufrieden, lenkte Davian ein. „Torn und dieser Jula.

    „Jula? Sandar schüttelte den Kopf. „Was willst du mit diesem Weiberheld?

    „Hast du den Jungen mal mit dem Stock gesehen? Er ist verdammt gut", urteilte Davian knapp.

    „Jula wollte ich für meine Einheit, aber Torn kann ich Euch versprechen", entschied Reik.

    „Einverstanden. Der Hauptmann streckte sich und ließ den Blick zwischen ihm und Sandar hin- und herwandern. „Wollt Ihr den gesamten Vormittag verplaudern oder noch ein bisschen trainieren?

    „Vielleicht solltet Ihr erst einmal Euren Rausch ausschlafen, Hauptmann?", stichelte Reik.

    „Ich bin keineswegs betrunken, falls Ihr das andeuten wollt, Hoheit, gab Davian, dessen unsteter Blick etwas anderes sagte, kühl zurück. „Ich vertrag‘ einiges mehr als Bro, also … paar Runden im Stockkampf zum Warmwerden und anschließend weiter mit dem Schwert?

    „Wenn das keine Herausforderung ist …, heiser lachend erhob sich Reik, nickte Sandar zu. „Du zählst? Und springst ein, wenn Hauptmann Davian eine kleine Pause braucht?

    * * *

    Benommen hob Mara den Kopf und lauschte dem Regen, der ans Fenster prasselte. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren.

    Hier, das war der Tempelbezirk von Samala Elis, genauer gesagt die Unterkünfte von Malin, der Hauptfrau der Tempelwache. In deren Bett hatte sie den dringend benötigten Schlaf nachgeholt.

    Sie hatte wahrlich einen weiten Weg hinter sich. Von Ogarcha, der Burg im südlichen Wildewald, fast schon im Grenzland zu Kalimatan liegend, wo sie fast ihr gesamtes Leben verbracht hatte, bis in die Hauptstadt des Landes Mandura. Samala Elis.

    Eine anstrengende und aufregende Reise – allein bis zum Erreichen der Tameran-Kette hatten sie und ihre Begleiter, ein großer Trupp Soldaten, rund einen Monat benötigt. Mara hatte einiges erlebt und erfahren, über sich und ihre verwirrenden, sie selbst erschreckenden Fähigkeiten.

    … und heute: ihr erster Morgen im Tempelbezirk, dann dieser unselige Zwist. Mara war nicht auf Streit aus gewesen, und sie hatte auch nichts gegen die Tempelwächterin, diese Sina, im Gegenteil. Eigentlich fand sie die Frau und ihre direkte Art interessant. Aber sie war nicht länger bereit, Provokationen und Beleidigungen einfach hinzunehmen. Und so hatte sie sich gewehrt, war Sina ihrerseits angegangen, indem sie in deren Geist eingedrungen war. Malins Auftauchen im Speisesaal hatte die Situation vorläufig geklärt, aber natürlich würde sie sich nun bei Sina entschuldigen müssen.

    Zu Maras Verwunderung war es recht dunkel im Zimmer, lediglich eine Kerze brannte. „Wieso ist es so dämmrig?"

    „Die Sonne ist gerade untergegangen, du hast den ganzen Tag geschlafen", klärte Malin sie auf.

    „Wirklich? Habe ich etwa das Abendessen verpasst?", wollte Mara wissen.

    „Wenn du dich sofort anziehst, kommen wir noch rechtzeitig."

    „Gut. Mara stand auf und zog sich rasch an, es war kalt im Raum. „Hoffentlich ist Milla mir nicht böse, sie wollte mir den Tempelbezirk zeigen.

    „Das glaube ich nicht. Ich habe ihr gesagt, dass du schläfst. Außerdem hat es eh den ganzen Tag geregnet, und Milla hat noch genug anderes zu tun. Du wirst auch allein herausfinden, wo hier alles ist."

    „Sicher, aber sie schien sich darauf gefreut zu haben", meinte Mara.

    „Ja. Auf einen freien Tag und spannende Geschichten, gab Malin trocken zurück. „Fertig?

    „Gehen die Zimmer nach Süden und Osten hinaus?, erkundigte sich Mara, als sie den Raum verließen. „Dann weiß ich nämlich, wo wir sind.

    „Direkt neben dem Nordeingang vom Tempelbezirk, bestätigte Malin. „Hat den Vorteil, dass ich von hier aus jeden sehe, der in den Bezirk oder den Tempel will. Natürlich gibt es noch den Eingang bei den Häusern, von Süden her, den kann ich leider nicht überblicken.

    Sie folgten einem Flur und überquerten den großen, gepflasterten Hof, von dem aus man zu den Pferdeställen gelangte, und gingen danach wieder durch lange Gänge.

    „Wie viele Frauen leben hier?, wollte Mara wissen. „Das alles ist ja riesengroß.

    „Rund zweihundert Priesterinnen und mehr als doppelt so viele Tempelwächterinnen", gab Malin ihr Auskunft.

    „Warum so viele Wächterinnen? Sind die Priesterinnen derart unbeliebt, dass man sie so gut beschützen muss?"

    „Nein, sie genießen hohes Ansehen, erklärte Malin. „Aber es ist ein Zeichen von Macht und Stärke, viele Bewaffnete unter seinem Kommando zu haben.

    „Ja? Dann seid Ihr als Hauptfrau der Tempelwache also eine mächtige Frau?"

    „Ich unterstehe Loranas Befehl", unterstrich Malin.

    „Natürlich, das ist mir klar. Aber ich meine … also, Hauptmann Remassey beispielsweise, der Statthalter von Kirjat, ist als Kommandant der Grenztruppen doch auch ein mächtiger Mann, oder nicht? Trotzdem er dem Befehl des Königs untersteht."

    „Ja, er ist mächtig, aber noch aus anderen Gründen: Er kommt aus einer alten, einflussreichen Familie. Aber gut, in dem Sinne kann man mich wohl als mächtig bezeichnen", stimmte die ältere ihr zu.

    Sie betraten eine große Küche. Von den dort zubereiteten Speise stieg Dampf und ein verlockender Duft auf. Mara knurrte der Magen.

    Eine beleibte Frau mit rundem, gerötetem Gesicht, die zwei anderen Frauen Anweisungen gab, drehte sich neugierig zu ihnen um. „Malin! Seid Ihr so hungrig oder warum lasst Ihr Euch in der Küche sehen?"

    „Ich wollte nicht schon wieder nass werden, erwiderte Malin. „Und außerdem möchte ich Euch Mara vorstellen. Hier ist sie also. Mara, darf ich dich mit Bes, Pola und Tane bekannt machen?

    Mara nickte den dreien höflich zu. Pola, die Suppe aus einem großen Kessel in Schüsseln füllte, und Tane, die frisches Brot auf Körbe verteilte, erwiderten ihren Gruß zurückhaltend freundlich. Bes war weniger förmlich – vielleicht hatte sie auch gerade nichts zu tun – und umarmte Mara herzlich lachend. „Ihr seid also die kleine Zauberin, von der die ganze Stadt spricht? Willkommen in meinem kleinen Reich."

    Verdutzt sah Mara Bes an. „Eurem Reich?"

    „Meine Küche. Wir sind Köchinnen, keine Priesterinnen, um das gleich klarzustellen, und ich leite die Küche. Setzt Euch, Kleine, während ich Euch Eure Milch heiß mache."

    „Meine … Ich habe doch gar keine Milch verlangt", wunderte sich Mara.

    Malin verließ grinsend zusammen mit Tane die Küche, während Bes Mara zur Sitzbank am Fenster schob. „Nein, verlangt nicht. Aber Ihr seht wirklich aus, als könntet Ihr eine heiße Milch mit Honig vertragen."

    „Danke. Aber ich möchte Euch keine Umstände bereiten, ich kann das auch selbst … nicht?" Mara zögerte.

    Bes lachte schallend. „Hast du das gehört, Pola? Die Kleine will mir keine Umstände machen. Kindchen, es ist meine Aufgabe, für das leibliche Wohl anderer Menschen zu sorgen."

    „Ich wollte nur behilflich sein, erwiderte Mara entschuldigend. „Ihr versorgt zusammen mit Tane und Pola die Frauen im Tempelbezirk. Ist das nicht furchtbar viel Arbeit?

    „Alles eine Frage der Organisation", stellte Bes nüchtern fest. „Außerdem helfen uns ja die Priesterschülerinnen bei den einfacheren Arbeiten. Manchmal ist gerade das die Arbeit."

    „Dann sehen wir uns bestimmt bald wieder. Hoffentlich bin ich dann nicht die Arbeit", versicherte Mara.

    „Das hoffe ich auch. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass Ihr in der Küche helfen werdet. Schließlich seid Ihr nicht irgendein Mädchen, das Priesterin werden will."

    „Schon möglich, stimmte Mara der Köchin zu. „Aber falls ich einmal nichts anderes zu tun habe, darf ich dann zu Euch kommen?

    „Natürlich dürft Ihr das, Kindchen, jederzeit, ich würde mich sehr über Euren Besuch freuen. Vielleicht erzählt Ihr mir dann ja, was man im Süden kocht?"

    „Nichts lieber als das. Ich bin wirklich gerne in Küchen."

    „Ach ja? Warum?", fragte Bes amüsiert nach.

    „Es ist fast immer warm dort, und meistens duftet es ganz köstlich."

    Wieder lachte Bes. „Das ist wohl wahr. Und wenn Ihr jetzt in den Speisesaal geht, werdet Ihr eine ganz köstliche Hühnersuppe und gutes, frisches Brot essen können. Hinterher gibt es Gewürzkuchen. Vergesst Eure Milch nicht, Kindchen."

    „Nein. Vielen Dank auch, und auf bald."

    Noch immer hungrig, aber gut gelaunt verließ Mara die Küche durch die Tür, die direkt in den Speisesaal führte. Sie gesellte sich zu Malin an den Tisch, an dem auch schon Milla und Nadka saßen.

    Milla lächelte sie freundlich an, sie war ihr wohl wirklich nicht böse. „Ausgeschlafen? Du warst unglaublich müde, was?"

    Verlegen zuckte Mara die Schultern. Musste wohl so sein.

    „Konntest du denn trotz des Gewitters schlafen?", wollte Milla wissen.

    „Welches Gewitter?"

    „Vorhin, es hat ganz schrecklich geblitzt und gedonnert, es … Milla schien verblüfft. „Du hast nichts gehört? Ungläubig sah sie Mara an.

    Nadka fing an zu lachen und wollte gar nicht mehr aufhören. „Das nenne ich einen gesunden Schlaf."

    Milla fiel in ihr Lachen ein, und sogar Malin grinste. Dann senkte sich Schweigen über den Tisch. Jede löffelte genüsslich die köstliche Suppe.

    Gerade als Mara zu Ende gegessen hatte und mit Milla den Speisesaal verlassen wollte – für einen kurzen Rundgang sei immer noch genügend Zeit, wie Milla erklärte, und den Regen würde man schon ertragen –, betraten Réa und Sina den Saal. Réa nickte Mara freundlich zu, Sina jedoch blickte betont an ihr vorbei.

    Seufzend bat Mara Milla, einen Moment zu warten, und eilte hinter Sina her, griff zaghaft nach ihrem Ellenbogen. „Sina, ich …"

    „Was?", blaffte die hochgewachsene Frau.

    „Ich würde gern mit Euch reden."

    „So, du möchtest mit mir reden. Das passt mir leider überhaupt nicht, ich habe bis Mitternacht Dienst am Nordeingang. Und wie ich hörte, hast Du einen tiefen …", begann die Tempelwächterin.

    „Ich werde wach sein, versprach Mara hastig. „Ihr wisst, wo meine Zimmer sind?

    Sina nickte knapp. „Ich werde es mir überlegen."

    Mara eilte zurück zu Milla. Diese führte sie zu den wichtigsten Stätten im Tempelbezirk: die Unterrichtsräume der Heilerinnen, den großen Kräutergarten, die Unterkünfte der Priesterinnen und die Gebäude der Tempelwache mitsamt den Übungsräumen für die Ausbildung der Wächterinnen. Am besten gefiel Mara allerdings das Badehaus, ein rundes Gebäude mit gepflastertem Boden, großen Wasserbecken, hölzernen Badewannen, Ruhebänken und Liegen; es duftete würzig nach Holz. Meist gingen alle, die Unterricht im Schwertkampf hatten, anschließend gemeinsam ins Badehaus, wo es dann sehr lustig und oft auch sehr spät wurde, wie Milla berichtete.

    Nach dem Rundgang führte Milla sie in einen Trakt nahe der Küche und bepackte Mara mit Kleidung und Wäsche. „In deinem Zimmer war nicht sehr viel für Dich vorbereitet, oder?"

    „Bis auf ein Nachthemd und die Bettwäsche eigentlich nichts", bestätigte Mara.

    „Das dachte ich mir. Mal sehen, hier sind Handtücher, eine warme Decke, ein Nachthemd zum Wechseln, zwei Röcke, ein Unterkleid, ein Hemd, eine Bluse, zählte Milla auf. „Noch etwas gefällig?

    „Eine Bürste oder ein Kamm?", schlug Mara vor.

    „Klar, das brauchst du ganz sicher. Milla lachte sie frech an. „Unbedingt. Schuhe sind allerdings ein Problem, dazu müssen wir in die Stadt.

    „Ich habe Stiefel", wandte Mara ein.

    „Du kannst nicht immer in Stiefeln herumlaufen. Wenn sonst noch etwas fehlt, sagst du es mir einfach. Die Sachen für das Kraft- und Beweglichkeitstraining bekommst du von Sina. Du nimmst doch daran teil?", fragte Milla nach.

    „Ich denke doch. Macht das nicht jede hier?"

    „Nein, bestimmt nicht jede. Die meisten Priesterinnen haben keine Lust, sich neben ihren täglichen Pflichten abends auch noch anzustrengen. Wenn sie Unterricht im Schwertkampf haben, ist die Teilnahme allerdings verpflichtend."

    „Verstehe. Und du?", wollte Mara wissen. Sie waren in ihre Räume zurückgekehrt, verstauten die Wäsche und Kleidung in den Truhen.

    „Ich mache beides, Sina besteht darauf."

    Mara runzelte verwundert die Stirn. „Sie besteht darauf?"

    Milla errötete und schaute verlegen zu Boden. „Ja, sie … sie sagt, es wäre gut für mich."

    „Wirklich? Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich finde, das ist ein seltsamer Grund, etwas zu tun. Nur weil jemand darauf besteht."

    „Sie meint, ich wäre zu … ängstlich, und damit sie hat wohl Recht."

    „Dann passen wir gut zusammen, ich bin nämlich furchtbar leichtsinnig, das sagt jeder, bemerkte Mara leichthin. „Und nun schau nicht so zerknirscht. Ist etwas?

    „Nein, nur … Ich mag dich, du bist … Jedenfalls mag ich dich, sehr sogar. Aber ich habe auch Sina gern und …"

    „Und wir streiten", setzte Mara Millas Satz fort.

    „Eben. Darf ich mich zu dir aufs Bett setzen?"

    Mara hatte nichts dagegen, im Gegenteil. Bereitwillig rutschte sie ein Stück zu Seite. „Gern, mach es dir bequem."

    „Danke. Jetzt fällt mir auch ein, was wir vergessen haben, sagte Milla: „Kerzen. Na ja, das muss Zeit bis morgen haben. Im Dunklen lässt sich sowieso besser über gewisse Dinge reden. Sie beugte sich nah zu Mara, sprach sehr leise. „Wo würdest du jetzt gern sein?"

    „Genau hier", erklärte Mara fest.

    „Wirklich? Ganz ehrlich?"

    „Hm, wenn ich ganz ehrlich sein soll … ich würde gern meinen Kopf auf deinen Bauch legen."

    Milla lachte und zog Mara zu sich; ein angenehmes Gefühl machte sich in ihr breit.

    „Dort wo ich herkomme, auf Ogarcha, habe ich immer mit meiner Freundin so gelegen, erzählte Mara. „Und sie hat auch immer in meinen Haaren gewühlt, so wie du jetzt.

    „Es ist schön so, bestätigte Milla. „Und dann habt ihr geredet?

    „Meist hat sie geredet und ich habe zugehört. Das, was ich sagte, gefiel ihr selten. Sie meinte, entweder sei es total verrückt oder es mache ihr Angst."

    „Sie wollte es nicht hören?", fragte Milla vorsichtig.

    „Nein. Am liebsten hätte sie mit den Achseln gezuckt. „Das ist alles schon so fern.

    „Mara, darf ich dich etwas fragen?", bat Milla leise.

    „Hm?"

    „Wie ist er so?"

    „Wer? Mara unterdrückte ein Grinsen. „Reik?

    „Ja."

    „Oh, er ist … kein einfacher Mensch, würde ich sagen, ich kenne ihn nicht so gut. Er macht sich viele Gedanken, eigentlich ständig, über alle möglichen Dinge, und er weiß viel über andere Menschen. Ich glaube, er ist schwierig."

    „Schwierig?", wunderte sich Milla.

    „Ja. Er ist klug und er weiß genau, was er will. Aber das sollte man von jemandem, der König werden will, wohl auch erwarten können."

    „Das ist eine … interessante Beschreibung."

    „Wohl nicht die, die du hören wolltest?"

    „Ich weiß nicht genau, was ich hören wollte, gestand Milla. „Ich bin ihm noch nie begegnet, habe ihn nur mal von weitem gesehen. Seltsam, aber alles, was ich von meinem nächsten König weiß, stammt aus den Erzählungen anderer. Oder aus Gerüchten.

    Mara war verblüfft. „Du hast noch nie mit ihm gesprochen?"

    „Leider nicht. Wahrscheinlich würde ich ohnehin kein Wort herausbringen, oder wirres Zeug stammeln."

    „Warum?", wollte Mara wissen.

    „Weil … ach, ich weiß nicht", wich Milla aus.

    „Ich rede gern mit ihm, es ist … so herausfordernd. Du lachst? Das ist mein voller Ernst"

    „Das glaube ich dir, Mara, wirklich, beschwichtigte sie Milla. „Aber du bist schon komisch, jede andere Frau hätte mir erzählt, wie gut er aussieht, was für ein großartiger Mensch und aufregender Mann er ist und wie hervorragend er kämpfen kann.

    „Vielleicht, nur … Ich dachte, dich würde interessieren, was ich denke. Wenn du etwas anderes hören wolltest, tut es mir leid." Ärgerlich setzte sie sich auf.

    Milla zog sie hastig wieder neben sich. „Sei mir nicht böse, Mara. Natürlich will ich wissen, was du denkst, sonst hätte ich auch … Nein, ich hätte nicht einmal irgendeine andere Frau fragen müssen, ich wüsste ihre Antwort bereits. Ich habe mich nur gewundert … und zugleich gefreut. Du warst sehr ehrlich mit deiner Antwort, sehr offen, was deine Meinung anbelangt, und das ist schön. Zärtlich küsste Milla ihre Nasenspitze. „Nicht wahr, du bist mir nicht böse?

    „Nein, ich bin dir nicht böse, Milla … Sie rollte sich auf sie, drückte Millas Hände neben ihrem Kopf in die Kissen und strich mit dem Finger ihren Halses entlang. Ihre Stimme klang heiser. „Ich bin dir sogar alles andere als böse. Ich wünschte, ich wäre ein Mann, jetzt.

    „Aber wieso?"

    „Ich würde dich küssen wie ein Mann. Dich verführen wie ein Mann. Doch ich bin eine Frau, ein Mädchen, und du, du nimmst sie nicht ernst, diese Gefühle, denn ich bin eine Frau. Aber das macht nichts. Ich war auch Anella nicht böse, sie hat es ebenfalls nicht ernst genommen. Es gefiel ihr, sie fand es aufregend, vielleicht wollte sie mir auch nur einen Gefallen tun … Der Gedanke war neu, ein bisschen erschreckend. „Aber sie meinte es nicht ernst, nicht wirklich.

    „Aber du meinst es ernst?", flüsterte Milla mit belegter Stimme.

    „Ich meine immer alles ernst."

    „Mara, ich … Woher willst du wissen, dass ich es nicht ernst …", fragte Milla stockend.

    „Ich kann deinen Gefühlen sehr genau nachspüren, dazu muss ich nicht in dein Bewusstsein eindringen. Das solltest du als Priesterin eigentlich wissen, auch wenn du noch Schülerin bist. Ich könnte deine Gedanken lesen, wenn ich wollte, einfach so. Ich bin eine Zauberin, Milla." Sie bemühte sich, ihre Stimme nicht drohend klingen zu lassen.

    Milla sah Mara mit großen Augen an. „Ja … eine Zauberin, und das sollte ich ernst nehmen, nicht? Würdest du mich trotzdem küssen, obwohl ich … obwohl du kein Mann bist?"

    Mara küsste sie, und Milla war so weich, so anschmiegsam und … völlig wehrlos. Sie war ganz außer Atem, als Mara von ihr abließ.

    Mit einem Lächeln stand Mara auf. „Begleitest du mich in den Tempel?"

    „Jetzt noch? , fragte Milla überrascht. „Es ist schon dunkel.

    „Und?"

    „Da ist niemand mehr."

    „Umso besser."

    „Mara, weißt du … ich finde es nachts unheimlich im Tempel."

    „Hast du etwa Angst?, wunderte sich Mara. „Wovor denn?

    „Lach mich bitte nicht aus! Es klingt vielleicht … verrückt, aber … Wenn ich allein im Tempel bin und niemand da ist und spricht, dann höre ich Geräusche. Ein Säuseln, das aber nicht vom Wind kommt. Manchmal hört es sich beinah wie Gesang an, nur ganz leise. Ich habe Sina danach gefragt, aber die meinte nur, ich hätte zu viel Phantasie, da wäre nichts. Und Nadka, die ihre Bemerkung gehört hat, hat mich ausgelacht", berichtete Milla verzagt.

    „Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass Sina diesen Gesang nicht hört, weil sie ihn einfach nicht hören kann?", fragte Mara.

    „Und Nadka?"

    „Vielleicht hatte sie nur Angst zuzugeben, dass sie etwas hört, weil Sina sie dann auslachen würde. Oder sie hört nichts, wer weiß?"

    „Dann … Milla zögerte, „du glaubst, da ist tatsächlich etwas?

    „Natürlich. Milla, das ist ein Tempel, nicht irgendein beliebiges Gebäude."

    „Dann hast du es auch gehört?", rief Milla.

    „Ja, aber das muss nicht viel heißen. Ich höre auch Stimmen, wenn gar keine da sind. Na ja, ich bin eben …"

    Millas eben noch erleichterter Gesichtsausdruck verfinsterte sich wieder. Vielleicht war Mara doch etwas zu offen gewesen. „Aber falls es dich beruhigt: Auch Reik hat den Gesang gehört, in Dalgena."

    Und manchmal sagte sie genau das richtige. Milla strahlte sie an. „Ist das wahr?"

    „Frag ihn selbst. Du möchtest mich also wirklich nicht begleiten?"

    „Wenn es dir nichts ausmacht, lieber nicht."

    „Gut, dann werde ich dich jetzt in deine Kammer begleiten. Schläfst du allein?", fragte Mara interessiert.

    „Nein, mit drei anderen Mädchen zusammen. Aber die schlafen sicher schon"

    Millas Kammer befand sich im selben Gebäude, im westlichen Trakt des Erdgeschosses. Mara warf einen kurzen Blick in den Raum: Er war kleiner als ihr Schlafzimmer. Sie verabschiedete sich leise von Milla und begab sich zum Tempel.

    (Ende 51. Tag)

    Kapitel 2 – Begegnungen

    Es war still im Tempel, düster, nur zwei Fackeln erleuchteten den Haupteingang. Doch es war noch jemand anwesend: Die Hohepriesterin Lorana saß auf der untersten Stufe zum Innenraum. Mara wollte sich leise wieder davonmachen. Sie wollte nicht stören, und womöglich war die Frau noch immer verärgert.

    „Bleibt bitte, Mara forderte Lorana sie auf. „Ich habe auf Euch gewartet. Setzt Euch einen Augenblick zu mir.

    „Ihr habt gewusst, dass ich komme?", wunderte sich Mara.

    „Ich habe damit gerechnet, erklärte die Hohepriesterin kühl. „Ich komme oft des Nachts hierher, wenn ich in Ruhe nachdenken will. Und gerade jetzt habe ich über sehr vieles nachzudenken.

    Mara setzte sich in gebührendem Abstand zu der Frau. „Auch über mich?"

    „Vor allem über Euch. Ihr seid …"

    „Ich bin nicht die Person, die Ihr erwartet habt, warf Mara ein. „Und Ihr wisst nicht, was Ihr von mir halten sollt. Oder könnt.

    „Das ist richtig. Zumindest seid Ihr nicht dumm. Könnt Ihr lesen und schreiben?", verlangte die Hohepriesterin zu wissen.

    „Südländisch, ja, bei Manduranisch bin ich mir nicht ganz sicher."

    „Es besteht kein großer Unterschied in der Schrift, das lernt Ihr schnell. Vielleicht solltet Ihr in nächster Zeit einmal mit Réa in die Stadt gehen, sie unterrichtet dort Kinder aus dem Hafenbezirk. Sie hält das für eine wichtige Aufgabe, obwohl … Die Frau zuckte die Achseln. „Es ist ihre Zeit. Ihr könntet ihr helfen und gleichzeitig selbst etwas lernen. Mein Sohn erzählte mir, Ihr könnt singen? Loranas Fragen klangen, als würde sie eine innere Liste abarbeiten.

    „Ja, wenn Ihr mir Text und Melodie beibringt. Ich kenne nur wenige manduranische Lieder", gab Mara zu.

    „Ich dachte mehr an das, was während der rituellen Handlungen und Zeremonien in einem Tempel gesungen wird. Wir werden sehen. Gute Sängerinnen sind selten. Versteht Ihr etwas von der Heilkunst?", wollte Lorana als nächstes wissen.

    „Ein bisschen, ich kann Wunden und Verletzungen versorgen, wenn nötig auch nähen, und ich weiß einige Krankheiten zu behandeln."

    „Gut, dann werdet Ihr zusammen mit den Priesterschülerinnen Unterricht bei den Heilerinnen erhalten, entschied Lorana. „Natürlich nur, wenn Ihr selbst es wollt.

    Mara nickte. „Ja, natürlich."

    „Na bestens. Kommen wir also zu den Dingen, die nicht so einfach zu regeln sind … Die Frau zögerte einen Moment und setzte dann erneut an: „Um es kurz zu machen, ich biete Euch an, von mir unterrichtet zu werden. Ich werde Euch alles beibringen, was ich weiß. Und Ihr erhaltet Zugang zum Tempelarchiv.

    Mara schwieg verblüfft. Damit hatte sie nicht gerechnet! Aus irgendeinem Grund war Lorana ihr gegenüber plötzlich sehr großzügig und freundlich, und das beunruhigte sie weit mehr als ihre gestrige Feindseligkeit. Ihre Stimme klang leise und gepresst, als sie fragte: „Warum lasst Ihr mir eine solche Ehre zuteilwerden?"

    „Weil ich es für sinnvoll halte, antwortete Lorana ungeduldig. „Ich habe eine Zauberin erwartet und Euch bekommen, ein siebzehnjähriges Mädchen, das außer der zugegebenermaßen beeindruckenden Fähigkeit, mit Leichtigkeit in das Bewusstsein anderer Menschen einzudringen, nichts kann.

    Das war nicht die Antwort, die Mara hören wollte. Wütend stand sie auf und wandte sich zu der sitzenden, so viele Jahre älteren Frau um. „Ich will wissen, warum?!" Der laute Klang ihrer Stimme hallte fast bedrohlich von den Wänden des Tempels wider.

    Nicht minder wütend als Mara starrte Lorana sie an. „Schreit mich nicht an, Mara, das wäre nicht sehr klug von Euch. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, dass Ihr einige sehr mächtige Freunde habt, aber hier im Tempel müsst Ihr mit mir zurechtkommen. Und ich lasse mich von Euch nicht um den kleinen Finger wickeln."

    „Das ist keine Antwort. Warum, Lorana?", drängte Mara.

    „So etwas Stures ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet. Wieso seid Ihr eigentlich so sicher, dass ich Euch antworte?"

    „Nicht ich habe siebzig Männer über die Berge geschickt, um eine Zauberin zu holen", bemerkte Mara spitz.

    „Ihr seid … wirklich nicht dumm. Ich brauche Euch, der Tempel braucht Euch. Euch, die mächtige Zauberin Mara I’Gènaija."

    Mara überhörte Loranas Spott. „Warum?"

    „Habt Ihr noch nicht genug gehört? Weil es in naher Zukunft Krieg geben wird in Mandura ... Und so, wie es momentan aussieht, sind unsere Aussichten nicht besonders gut."

    „Mandura wird den Krieg verlieren?", fragte Mara betroffen.

    „Ihr habt es doch selbst gesehen!"

    Gesehen habe ich es nicht, wehrte Mara ab. „Ihr legt es nur so aus! „Aber nicht alles, was man in Träumen sieht, geschieht auch, das wisst Ihr besser als jede andere, Lorana.

    Die Hohepriesterin betrachtete sie mit wachsendem Interesse. „Ihr seid eine richtige kleine Kämpferin."

    Da sie nicht wusste, worauf die Frau hinaus wollte, schwieg Mara. Womöglich wollte Lorana sie nur provozieren.

    „Ihr möchtet am Unterricht im Schwertkampf teilnehmen?", wechselte Lorana das Thema.

    „Ja", bestätigte Mara knapp.

    „Ich habe keinen Anlass, es Euch zu verbieten, beschied die Hohepriesterin. „Ihr könnt gehen.

    „Gestattet Ihr mir noch eine Frage, Lorana?"

    „Wenn es sein muss", antwortete die Frau unwillig.

    „Warum habt Ihr Angst vor mir?"

    „Wie kommt Ihr darauf, dass ich Angst vor Euch haben könnte?"

    „Weil Ihr Euch nicht allein mit mir trefft."

    „Wie bitte?" Loranas Stimme klang schrill und empört.

    „Ich weiß, dass Malin irgendwo im Dunkeln hinter mir steht", erklärte sie ruhig.

    „Also das ist … ich habe doch keine Angst vor einem unverschämten kleinen Mädchen, wie Euch!"

    Mara beugte sich zu Lorana, sah ihr lange in die Augen. „Seid Ihr Euch da so sicher?"

    Eilig lief Mara die Stufen zum hinteren Tempelausgang hinauf, rannte lachend durch den Regen. Sie würde lernen, alles, was sie wollte, sie würde sogar kämpfen lernen, mit einem Schwert!

    Und sie hatte Zugang zum Tempelarchiv; sie wusste zwar nicht einmal, wo sich dieses befand, aber es hörte sich großartig an.

    Ausgelassen tanzte sie in ihrem Schlafzimmer herum, ließ ihre Kleidung nachlässig auf den Boden fallen und warf die Stiefel hinter sich. Dann ließ sie sich mit ausgebreiteten Armen aufs Bett fallen. Die sandfarbene Katze, die auf dem Kaminsims gesessen und Maras Treiben gleichgültig zugeschaut hatte, schnupperte neugierig an ihrem Hals. „Möchtest du gestreichelt werden? Oder lieber spielen? Gut, aber nicht kratzen. Ich bin keine Maus."

    Nein, sie war keine Maus. Manchmal war sie die Katze, die um den Topf mit der Sahne schlich, manchmal war sie selbst die Sahne. Seltsame Gedanken huschten durch Maras Kopf: nicht mehr die Beute sein, sondern der Jäger. „Jawohl, die Beute hat die Seiten gewechselt. Die Beute hat keine Lust mehr, länger das Opfer zu sein. Klingt verrückt, was? Genau so verrückt, wie mit einer Katze zu reden."

    Sie beobachtete die Katze, die sich sorgfältig das Fell leckte. Bei diesem Anblick kam Mara der Gedanke, dass sie sich auch mal wieder kämmen könnte, einen Kamm hatte sie ja nun. Ihre Haare waren völlig verknotet, es dauerte ewig, bis sie sie auch nur einigermaßen durchgekämmt hatte. Am Ende standen sie wirr in alle Richtungen. Seufzend fuhr Mara sich mit den Fingern durch ihr widerspenstiges Haar, irgendwas machte sie falsch.

    Es musste längst Mitternacht sein, und Sina war noch nicht vorbei gekommen. Ungeduldig lauschte Mara auf ein Geräusch von der Tür und vertrieb sich die Zeit, indem sie mit der Katze schmuste. Und wartete.

    Plötzlich spitzte die Katze die Ohren, kurz darauf klopfte es. Mara stürzte förmlich zur Tür und riss diese auf.

    Sina schaute sie überrascht an und musterte sie dann lächelnd vom Kopf bis zu den Füßen. „Sieht fast so aus, als hättest du sehnsüchtig auf mich gewartet, Süße."

    „Ungeduldig, nicht sehnsüchtig, korrigierte Mara. „Aber gewartet habe ich. Wollt Ihr nicht hereinkommen?

    „Nur wenn du endlich auf dieses ‚Ihr‘ verzichtest."

    Mara nickte. „Abgemacht. Komm doch rein."

    Sina grinste, trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Nett hier, wahrscheinlich wie bei Réa, nur seitenverkehrt. Und der Ausblick! Darf ich?"

    Ohne auf eine Antwort zu warten trat Sina auf den Balkon, stützte sich auf die Brüstung und betrachtete die nächtliche Stadt. Mara folgte ihr zögernd, die Luft war kühl und sie fröstelte in ihrem dünnen Unterkleid. „Sie ist so groß."

    „Das ist sie, groß, laut und voller Menschen. Und ziemlich aufregend."

    Mara lachte. „Ja, das hat Len auch gesagt."

    „Wer ist Len?"

    „Ein Soldat, er war mit … im Süden. Er kommt aus Dalgena, hat eine gebrochene Nase, eine Narbe am Hals und kann hervorragend tanzen."

    „Sagt mir nichts, erwiderte Sina. „Na ja, ich kenne zwar viele Soldaten, aber natürlich längst nicht alle.

    „Aber Jula kennst du?", fragte Mara nach.

    „Ziemlich gut sogar. Ist dir nicht kalt, Süße?"

    „Geht so, ein bisschen", gab Mara zu.

    Sina schob sie kurzerhand ins Zimmer zurück und zum Bett. „Deck dir die Füße zu, du holst dir ja sonst was. Hast du irgendwo Kerzen?"

    Mit untergeschlagenen Beinen setzte sich Mara. „Leider nicht."

    „Macht nichts. Was dagegen, wenn ich den ganzen Kram hier ablege? Es gibt bequemeres als ein Kettenhemd."

    „Nein." Interessiert sah sie zu, wie Sina den Schwertgürtel ablegte, sich aus dem Kettenhemd wand und zuletzt die Tunika und die hohen Stiefel auszog. Die Frau war gar nicht so hager, aber sehr groß und knochig. Das helle Haar trug sie kurz geschnitten. Im Grunde war Sina das genaue Gegenteil von Milla und mindestens fünf Jahre älter als diese, oder sie selbst.

    Die Tempelwächterin machte es sich neben ihr bequem. „Hätte nicht gedacht, dass ich so schnell mit dir im Bett lande, Süße."

    „Du willst mir doch nicht erzählen, dass das alles Absicht war?"

    „Nein, bestimmt nicht. Trotzdem bin ich hier, oder?", stellte Sina fest.

    „Und?" Sie war irritiert.

    „Mara, ist es denn wirklich zu viel verlangt, wenn du mir gegenüber etwas weniger reserviert wärst? Was soll ich tun, vor dir auf die Knie fallen und dich um Verzeihung anflehen?"

    „Das ist nicht notwendig, eine einfache Entschuldigung reicht."

    Abrupt setzte sich Sina auf, und selbst in der Dunkelheit des Zimmers konnte Mara erkennen, wie wütend sie war. „Ich soll mich bei dir entschuldigen? Wofür?"

    „Du hast mich beleidigt, Sina." Aber eigentlich wollte sie sich ja bei ihr entschuldigen.

    „Das war ein Scherz! Vielleicht etwas geschmacklos, das gebe ich gern zu, aber …"

    „Du hast mich mit Absicht beleidigt, nur um mich zu provozieren."

    „Ist mir gelungen, stimmt's?" Sina grinste sie an, aber ihre Stimme klang verunsichert. Mara wurde nicht schlau aus ihrem Verhalten, was wollte Sina eigentlich erreichen?

    „Mara, es tut mir leid, ich bin zu weit gegangen, ich … Du siehst so harmlos aus, und das ist nicht beleidigend gemeint. Ich habe nicht geglaubt, dass …"

    „Habe ich dir wehgetan?", fragte Mara hastig.

    „Nicht wirklich, nein. Es war … seltsam und beunruhigend, gleichzeitig unwiderstehlich und zugleich sehr sanft. Aber es tat nicht weh."

    „Das freut mich. Sacht ergriff Mara ihre Hand und blickte Sina tief in die Augen. „Ich war mir nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist … dir zu befehlen, meine ich.

    „Also war ich so etwas wie ein Versuch? Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich davon halten soll, jemand wie du ist mir noch nicht begegnet. Und dabei bist du so unglaublich süß … Verwundert schüttelte Sina den Kopf, legte sich auf die Seite und betrachtete sie nachdenklich. „Soll ich dir von Jula erzählen?

    „Ja, bitte."

    „Gut. Seit Bro und die Soldaten vor sechs, eigentlich jetzt schon sieben Tagen angekommen sind, erzählt man sich überall in der Stadt Geschichten über diesen Ritt in den Süden und darüber was sich so alles zugetragen hat. Und man hört Geschichten über dich. Wenn auch nur die Hälfte von dem, was erzählt wird, stimmt, war es wohl … eine aufregende Reise. Sina räusperte sich. „Vor drei Tagen wollte ich die Dinge einmal von jemandem hören, der selbst dabei gewesen ist. Also zog ich durch ein paar Kneipen, von denen ich wusste, dass sich dort Soldaten aufhalten. Und wirklich: in der dritten Spelunke traf ich einige von Bros Männern beim Bier. Auch Jula war dort, aber längst nicht so redselig wie die anderen. Wie gesagt, wir kennen uns ziemlich gut, und nachdem ich ihm zwei, drei Krüge Bier spendiert hatte, wurde er schließlich doch etwas redseliger und schwärmte mir von dir vor, um es treffend auszudrücken. Scheint ihn ganz schön erwischt zu haben, Süße.

    „Wie bitte?" Mara schüttelte den Kopf.

    „Er ist verliebt."

    „Ach so, ja … ich weiß." Sie lächelte verlegen, froh darüber, dass es so dunkel war, denn sie wurde rot.

    „So, das weißt du? Von Jula?"

    „Hm, er deutete so etwas an. Woher kennst du ihn?"

    „Wir stammen aus dem gleichen Dorf, Beita. Ich verließ es, als Jula noch ein kleiner Junge war, berichtete Sina. „Vor vier, fünf Jahren ist er dann hier in Samala Elis aufgetaucht, ohne Geld, ohne irgendjemanden in der Stadt zu kennen. Wollte Soldat werden, wie alle kleinen Jungen in Mandura, am liebsten in der Garde des Königs. Obwohl er wohl noch andere Gründe hatte herzukommen, aber danach fragst du ihn besser selbst.

    „Und warum bist du weggegangen?"

    Sina schien über die Frage überrascht. „Ich wollte schon immer Schwertkämpferin werden, und da Frauen keine Soldaten werden können, bin ich schließlich Tempelwächterin geworden. Außerdem hat man es in dem kleinen Dorf nicht gern gesehen, dass ich mich mehr für Frauen als für Männer interessiere. In Städten ist es … einfacher."

    Ob sich Sina dessen bewusst war, wie verletzlich sie klang, so angreifbar, dass Mara kaum zu atmen wagte und erst recht nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte? Ihr war in letzter Zeit etwas zu oft vorgeworfen worden, sie wäre grausam und hätte kein Mitgefühl.

    Also schwieg sie, genau wie Sina, bis diese irgendwann die Hand hob und sacht über ihre Wange streichelte. „Was für ein bezauberndes Wesen du bist. Weißt du eigentlich, dass ich dich …"

    „Ja, ich weiß."

    „Das weißt du also auch. Sina fuhr mit den Fingerspitzen über Maras Lippen. „Was für ein hinreißender Mund, du würdest … nein, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Es ist unglaublich, du bringst mich vollkommen durcheinander, Süße, ich … Jetzt sag endlich was, bevor ich mich noch gänzlich lächerlich mache!

    „Gut, erwiderte sie und überlegte kurz. „Wenn ich jemandem einen Brief schreiben möchte, was muss ich tun, damit der Brief auch bei der richtigen Person ankommt?

    „Wohin soll der Brief denn gehen, nach Süden, in deine Heimat?, fragte Sina nach. „Das wäre allerdings ein Problem.

    Verhalten lachte Mara und schüttelte den Kopf. „Wem sollte ich dort schon schreiben? Nein, nach Kirjat."

    „Nichts einfacher als das, bring den Brief in den Palast. Von dort brechen alle paar Tage berittene Boten mit Nachrichten des Königs nach Kirjat auf, die werden deinen Brief bestimmt mitnehmen", schlug Sina vor.

    „Das … also, das wäre mir nicht so Recht. Gibt es keinen anderen Weg?"

    „Das wäre dir nicht so Recht …, lachte Sina. „Tja, es gäbe natürlich noch die Möglichkeit, einen Wächter am Osttor zu bitten, deinen kostbaren Brief einem Händler mitzugeben, wenn dir das lieber wäre.

    „Meine Briefe sind nicht kostbar, nur persönlich. Aber ich kenne keine Wächter am Osttor", wandte sie ein.

    „Süße Mara, rein zufällig kenne ich einige Angehörige der Stadtwache. Ich kann dir sagen, an wen du dich wenden musst, in Ordnung?"

    „Ja, gut. Aber erst einmal muss ich richtig Manduranisch lernen, bevor ich überhaupt Briefe schreiben kann, erklärte sie. „Lorana sagte, es gäbe keine großen Unterschiede in der Schrift.

    „Wenn sie das sagt. Gedenkst du eigentlich, am Unterricht im Schwertkampf teilzunehmen?"

    „Natürlich, ich halte das für notwendig, sie lächelte verhalten. „Und außerdem möchte ich es unbedingt lernen.

    „Das höre ich gern, dann sehen wir uns also morgen Nachmittag. Schlaf schön, meine Süße, und träume süß."

    „Gute Nacht, Sina."

    Selten in ihrem Leben war Mara so beschäftigt gewesen wie in jenen ersten Tagen im Tempel von Samala Elis, und sie genoss jeden Tag.

    Bei Sonnenaufgang stand sie auf und ging erst spät nachts schlafen, fiel todmüde in ihr Bett. Leider hatte sie fast jede Nacht Alpträume, doch daran war sie ja gewöhnt. Es war nicht immer derselbe Traum vom Krieg in Mandura, aber es ging gewalttätig zu und meist floss Blut. Und sehr oft tauchte Reik auf, obwohl sie kaum an ihn dachte und auch nichts von ihm hörte oder sah.

    Lorana schien überaus interessiert an dem, was sie träumte, doch Mara erzählte ihr nicht alles, nicht alle Einzelheiten. Die Unterredungen mit ihr waren faszinierend und anstrengend zugleich, erbitterte Wortgefechte. Weder die Hohepriesterin noch Mara waren bereit, mehr an Wissen, Nichtwissen und Informationen preiszugeben als unbedingt notwendig. Und doch lernte Mara bei diesen Gesprächen viel, lernte, sich zu beherrschen, ihre Gefühle nicht ungewollt ihrem Gesprächspartner mitzuteilen, Gestik, Mimik und ihre Stimme zu kontrollieren. Es fiel ihr nicht sehr schwer, hatte sie das nicht ihr Leben lang getan, nur nicht so absolut, wie Lorana es jetzt von ihr erwartete? Ständig wies diese Mara auf das ungeduldige Wippen ihres Fußes, ein nervöses Spielen der Finger hin, außerdem kaute Mara auf ihrer Unterlippe.

    Von der Hohepriesterin lernte sie aber auch, wie sie durch gewollte oder gespielte Gefühlsäußerungen ihr Gegenüber beeinflussen und täuschen konnte. Lorana brachte ihr zudem bei, sich in kürzester Zeit vollständig zu entspannen, selbst dann, wenn sie wieder einmal heftige Kopfschmerzen plagten, um sich dann voll und ganz auf einen einzigen Gedanken, eine Sache, ein Bild zu konzentrieren.

    Im Archiv des Tempels fanden sich etliche Schriftrollen und Papiere, die in der Alten Sprache abgefasst waren, also lehrte Lorana sie auch diese. Die Schrift sah gänzlich anders aus als die Mara bekannte. Es gab keine einzelnen Buchstaben, nur Symbole und Zeichen, die für Silben, teilweise für ganze Worte oder Begriffe standen. Lorana hatte Probleme beim Lesen dieser Schrift, konnte lediglich die Übertragungen in manduranischer Schrift entziffern. Es gab aber auch Papiere ohne diese Übertragungen, meist sehr alte. Da niemand sich die Mühe gemacht hatte, sie in ‚lesbare‘ Schrift zu übertragen, hielt Lorana sie für unwichtig. Allerdings erlaubte sie Mara, die Schriften mit auf ihr Zimmer zu nehmen, wenn sie ihre Nächte unbedingt mit derlei Kram ‚verplempern‘ wollte.

    Bald schon bog sich Maras Schreibtisch unter alten Schriftrollen und mit ihren Anmerkungen versehene Bögen, abgefasst in einer wilden Mischung aus Südländisch, Manduranisch und der Alten Sprache. Die Ausbeute war nicht sehr ergiebig, es sei denn, man interessierte sich für die Tischsitten und Gebräuche zu Zeiten eines König Olofs, für Rezepturen für Schönheitswässerchen und ‚garantiert wirksame‘ Liebestränke.

    Immerhin konnte Mara nach einiger Zeit die Schrift fließend lesen und schreiben. Und bei Weitem nicht alles war so unwichtig, wie Lorana glaubte. Allerdings war das Wenige, was sie wirklich interessierte, schwer nachzuvollziehen, klang wirr und erschien ihr verrückt, wenn nicht gar gefährlich.

    Zu den Anmerkungen und Übertragungen der Papiere aus dem Tempelarchiv gesellten sich Notizen und Zeichnungen aus dem Unterricht der Heil- und Kräuterkunde. Diesen erhielt Mara gemeinsam mit Milla und den anderen Priesterschülerinnen, auch wenn sie selbst keine Schülerin war und nicht Heilerin werden wollte. Die Mädchen halfen jeden dritten Tag den Heilerinnen bei der Versorgung und Pflege der Kranken in den Häusern und erhielten dort praktischen Unterricht.

    Milla mochte die praktische Arbeit, mehr als die trockenen Lehrstunden über die Wirksamkeit bestimmter Kräuter und die Herstellungsweisen von Tees, Salben und Tinkturen. Ihr Motto war, dass es besser war, den Menschen zuzuhören, statt mit ihnen über die Funktion ihrer Organe zu diskutieren.

    Und Mara schrieb alles auf, dürstete nach Wissen, obwohl sie doch keine Angst haben musste, etwas zu vergessen. Sie vergaß nicht. Ihre Gedanken schienen sich zu ordnen, wenn sie schrieb, wurden klarer, sie sah klarer.

    Sie verbrachte ihre Zeit aber nicht allein im Tempelarchiv, in den Häusern oder hinter dem Schreibtisch. Mit Réa ging sie alle paar Tage in die Stadt hinunter, in den Stadtteil, der zwischen Hafen und Westtor lag, und in dem viele arme Familien lebten. Réa unterrichtete dort Kinder, deren Eltern sich einen Lehrer nicht leisten konnten, im Lesen und Schreiben, im Rechnen, in der Geschichte des Landes Mandura, erzählte alte Legenden und sang mit ihnen Lieder.

    Die Kinder kamen gern zu ihr, es war für sie eine willkommene Abwechslung in ihrem oftmals harten Alltag, und Réas Unterricht in dem engen Hinterzimmer eines Gasthauses war die einzige Möglichkeit, sich solche Kenntnisse anzueignen. Oft kamen Kinder aus dem Hafenbezirk, manchmal ohne irgendwelche Angehörige, die ihr Leben auf der Straße verbrachten, in dunklen Kellerecken oder verlassenen Häusern schliefen, sich mit Betteln und Diebstählen durchschlugen. Da sie nur unregelmäßig zum Unterricht kamen, war es schwierig, ihnen etwas beizubringen, doch wenn sie kamen, waren sie mit genau so viel Begeisterung bei der Sache wie die anderen Kinder.

    Den meisten Spaß machte den Kindern das Singen. Réa brachte ihnen ein Lied bei, dessen einzelne Abschnitte sie, Mara und die Kinder jeweils allein zu singen hatten. Es wurde eine Tradition, dieses Lied jedes Mal am Ende des Unterrichts zu singen, richtig laut, bis dass die Wände zu wackeln der Putz von der Decke zu rieseln schien.

    Ähnlich erging es Mara, wenn sie mit den anderen Priesterinnen im Tempel sang. Dann vibrierte der Boden aber wirklich. Die Priesterinnen sahen Mara misstrauisch und beunruhigt von der Seite an, aber sie zuckte bloß lächelnd mit den Schultern.

    Lorana meinte, das sei in Ordnung. Solange die Menschen während der Zeremonien nicht schreiend aus dem Tempel liefen, aus Angst, er könnte einstürzen.

    Natürlich lief niemand davon, ganz im Gegenteil. Wie Réa ihr erzählte, kämen einige Leute angeblich nur zu den feierlichen Handlungen in den Tempel, um Mara singen zu hören. Das wiederum gefiel Lorana gar nicht. Vermutlich störte es sie, dass nicht sie, die doch die Rituale leitete, alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

    Mara war es anfangs peinlich, wie die Menschen sie ansahen, während sie sang, doch sie gewöhnte sich schnell daran, die Beachtung gefiel ihr sogar. Selten sang sie ja allein im Tempel, meist zusammen mit anderen Priesterinnen im Chor. Und mit Milla, die eine wundervolle Altstimme hatte, so dass sie sich perfekt ergänzten.

    Häufig sangen sie für sich allein, zu ihrem eigenen Vergnügen, oder für die Frauen nach den Übungsstunden und dem Schwerttraining, im Badehaus. Es waren oft Liebeslieder, weil Milla die so mochte und weil Mara gern mit Milla zusammen Liebeslieder sang. Manchmal, wenn Mara in der richtigen Stimmung war oder Sina sie lange genug drängte, sang sie die Lieder, die sie in Kirjat gesungen hatte.

    Von all den Dingen, mit denen Mara sich im Tempel beschäftigen musste, liebte sie den Unterricht im Schwertkampf am meisten. War eine Unterrichtsstunde vorbei, sehnte sie schon die nächste herbei, obwohl sie sich manchmal kaum noch rühren konnte, ihr sämtliche Glieder weh taten und ihr Körper nur allzu oft von Blutergüssen übersät war. Doch das störte sie nicht. Zudem fühlte sie sich nie derart zerschlagen, wie Sina es ihr am Anfang prophezeit hatte, und sie musste auch nicht auf Händen und Knien in das Badehaus kriechen.

    Vielleicht hatte die lange Reise Mara abgehärtet, ihren Körper gestärkt, vor allem der Weg von Ogarcha nach Dalgena. Und vielleicht hatte es doch einen verborgenen Sinn gehabt, Tag für Tag, gleich bei welchem Wetter, reitend im Sattel zu verbringen, nur unterbrochen von der Kletterpartie hinauf zum Südpass, und den Nächten auf dem harten Boden, in denen sie kaum Schlaf gefunden hatte?

    Vor ihrer allerersten Stunde war Mara furchtbar aufgeregt, ein Zustand, der sich auch nicht besserte, als Sina ihr zeigte, wie sie Hemd und Hose anzuziehen hatte. Sina staunte nicht schlecht, als Mara ihr erklärte, noch nie in ihrem ganzen Leben eine Hose getragen zu haben. Sie kam sich lächerlich vor und fühlte sich gänzlich fehl am Platz.

    Nach dem Abschnitt, den Milla als Kraft- und Beweglichkeitstraining bezeichnet hatte und der von Sina geleitetet wurde, stieß Malin zu der Gruppe. Nachdenklich betrachtete sie Maras vor Aufregung zitternde Hände, sagte aber nichts weiter, sondern umwickelte ihre Handgelenke mit Stoffbinden und einer Art Ledermanschette. Mara würde sonst, wie sie sagte, Probleme mit den Gelenken bekommen. Dann drückte Malin ihr wortlos ein Übungsschwert aus Holz in die rechte Hand und ließ sie allein. Mara stand da und wagte nicht sich zu rühren. Stattdessen wartete sie darauf, dass etwas passieren, ein Blitz vom Himmel hernieder fahren und sie erschlagen, die Erde sich unter ihren Füßen auftun und sie verschlingen würde. Natürlich war das Unsinn, das wusste Mara genau. Aber das unsichere Gefühl hielt den ganzen Unterricht lang an, auch noch nachdem sie fast eine Ewigkeit mit Milla grundlegende Techniken geübt und sich dabei äußerst ungeschickt angestellt hatte.

    Am Ende des Unterrichts saß Mara müde mit angezogenen Knien auf dem Boden, das Holzschwert noch immer in der Hand, und starrte trübsinnig vor sich hin. Die anderen Frauen waren längst im Badehaus, doch sie musste einen Moment für sich sein und sich über ihre Gefühle klar werden.

    „Alles in Ordnung, Mädchen?"

    Malin setzte sich zu ihr, den Rücken an die Wand gelehnt, und Mara nickte resigniert. „Wenn Ihr wüsstet, wie dumm ich mir vorkomme!"

    „Nur weil nichts von dem eingetreten ist, was du die ganze Zeit über erwartet hast? Kein Donnerschlag, kein klaffendes Loch in der Erde, kein Erdbeben, keine Flutwelle?"

    Mara wurde rot und senkte verlegen den Kopf. „Auf Ogarcha drohten weniger drastische Strafen, wenn eine Frau eine Waffe berührte. Woher wisst Ihr überhaupt, dass ich …"

    „Du meinst, abgesehen von den zitternden Händen, dem gehetzten, misstrauischen Blick und den fahrigen Bewegungen? Das ging mir am Anfang nicht anders, erklärte Malin. „Kein Grund, sich zu schämen.

    „Wirklich? Aber … Ihr seid die Hauptfrau der Tempelwache."

    „Heute, ja. Ich stamme aus dem Kitainagebirge, dort hat man wohl ebenso merkwürdige Vorstellungen davon, was Frauen und Waffen, speziell Schwerter, angeht, wie im Süden. Übrigens: Warum hast du nicht die Hand gewechselt?", wollte Malin wissen.

    „Was meinst Ihr damit?"

    „Du bist Linkshänderin, warum hast du nicht einfach das Schwert in die andere Hand genommen?"

    „Weil … ich weiß es nicht, stotterte Mara. „Ich dachte, ich müsste mit rechts …

    „Führe das Schwert erst mal mit der Hand, mit der du auch alles andere tust, Mädchen. Später kannst du es immer noch mit rechts probieren, meinst du nicht auch?"

    „Ja?"

    „Ja, und jetzt schau nicht so unzufrieden drein. Es ist noch niemand nach der ersten Unterrichtsstunde zum Schwertmeister geworden. Hoch mit dir!" Malin half Mara auf die Beine, nahm ihr das Übungsschwert ab und schickte sie ins Badehaus, wo Mara sich genüsslich in das heiße Wasser sinken ließ.

    Sina bestand darauf, ihr den verspannten Rücken zu massieren, ebenso Arme und Beine. Sie meinte, andernfalls könne sie sich morgen überhaupt nicht mehr bewegen. Es klang wie ein Vorwand, aber Mara stimmte dennoch zu. Fast augenblicklich schlief ein, womit Sina sie noch tagelang aufzog und neckte.

    Sina gab Mara mehr als deutlich zu verstehen, was sie von ihr wollte, dass sie sie begehrte, drängte sie aber nicht. Sie berührte Mara auch nicht übermäßig oft, legte vielleicht von Zeit zu Zeit einmal den Arm um ihre Schultern oder ihre Hüften, zerzauste ihr das Haar. Doch das war unter den Frauen im Tempelbezirk kein ungewöhnliches Verhalten.

    Milla war Mara gegenüber mit Zärtlichkeiten wesentlich freigiebiger – und umgekehrt. Fast ständig gingen sie Arm in Arm, umarmten und küssten sich bei jeder erstbesten Gelegenheit.

    Allerdings frage Mara Milla nie, ob sie die Nacht bei ihr verbringen wollte. Sie wollte Milla nicht in die Verlegenheit bringen, abzulehnen. Ein seltener Anflug von Feingefühl, denn meist ging sie nicht so schonend mit anderen um.

    * * *

    „Hauptmann Kev … Verwundert begrüßte Reik den Mann, Remasseys Stellvertreter bei den Grenztruppen, in seinem Arbeitszimmer. „Was führt Euch nach Samala Elis?

    „Immer der gleiche Ärger, würde ich sagen … Hauptmann Kev verneigte sich respektvoll. „Danke, dass Ihr mich so schnell empfangt.

    „Nichts zu danken. Nehmt Platz, gebot er dem erfahrenen Soldaten, der während Reiks Zeit bei den Grenztruppen für einige Monate auch sein Hauptmann gewesen war. „Ist es das, was ich befürchte: schon wieder ein Überfall?

    „Bereits der vierte dieses Frühjahr. Kev ließ sich grummelnd in einen Sessel fallen. „Diese feigen Hunde … terrorisieren die Leute, setzen Ställe und Scheunen in Brand, während die Menschen auf dem Feld arbeiten. Vor sechs Tagen kamen sie allerdings nachts.

    Auf einer Karte zeigte der Hauptmann ihm die Lage des Ortes, dessen Name Reik vertraut vorkam.

    „Zwei Dorfbewohner, ein Familienvater und ein junges Mädchen, kamen ums Leben. Etliche andere wurden verletzt, entweder bei den Löschversuchen oder im Kampf gegen die Angreifer. Keine Uniformen und ganz sicher keine Soldaten, meinten die Dorfleute."

    „Ihr wart selbst da?", erkundigte sich Reik.

    „Ja, doch ich kam zu spät", bestätigte Kev verbittert.

    „Ihr könnt nicht überall sein", gab Reik zu bedenken, auch wenn das ein schwacher Trost war.

    „Ich weiß. Und Remassey weiß das ebenfalls. Er erwägt, Euer Einverständnis und das seiner Majestät vorausgesetzt, die Grenztruppen zu verstärken."

    Reik nickte nachdenklich, fuhr sich über das Kinn. „Soll er nur, ich würde die Grenztruppen selbst gern so schnell wie möglich vergrößern, und zwar deutlich."

    „Ist das Euer Ernst, Hoheit?", fragte Kev überrascht.

    „Ja. Erst neulich sprach ich mit Berit darüber. Aber die Ausbildung fähiger Soldaten dauert nun einmal seine Zeit … und der Thronrat möchte gewiss ein Wörtchen mitreden,

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