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Ardeen – Band 2: Neue Wege
Ardeen – Band 2: Neue Wege
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eBook675 Seiten8 Stunden

Ardeen – Band 2: Neue Wege

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Über dieses E-Book

Die verzweifelte Suche einen Weg ins Nimrod zu finden setzt sich fort. Gezielte Forschungen bringen Meister Raiden diesem Ziel stetig näher, auch wenn der große Durchbruch noch nicht in Sicht ist.

Währenddessen werden Eryn und Ravenor mit verschiedensten Aufgaben bedacht, denen sie sich mit Intelligenz, Witz und Schlagkraft stellen. Dabei begeben sie sich auch auf Reisen, um mehr über Eryns Herkunft zu erfahren.

Als sich dann aber der Schleier lüftet, werden Wahrheiten zu Tage gefördert, die am besten im Dunklen geblieben wären …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Okt. 2018
ISBN9783941436275
Ardeen – Band 2: Neue Wege

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    Buchvorschau

    Ardeen – Band 2 - Sigrid Kraft

    1. Dobrix’ Schwert

    Deren, Farat und Eryn hingen zu dritt auf der Stube herum und wetterten über Ravenor.

    „Seit er befördert worden ist, ist unser guter ‚Sir Ravenor‘ ungenießbar. Dem schwillt ganz schön der Kamm", regte sich Farat gerade auf und Deren stimmte diesen Vorwürfen sogleich zu:

    „So schnell vergisst er seine alten Kameraden, spielt sich jetzt als der penible Vorgesetzte auf und meint, er müsse uns andauernd maßregeln."

    „Stell dir vor! Neulich scheißt er mich wegen meiner Ausrüstung an, die seiner fachkundigen Meinung nach nicht einwandfrei in Ordnung gewesen sein soll. Er muss uns nicht wie Rekruten im ersten Jahr behandeln, schließlich sind wir alle schon länger dabei und haben sogar richtige Kampferfahrung."

    Die Stimmung schaukelte sich hoch und das Gespräch wurde hitziger, wobei sich nun auch Eryn einmischte und ironisch bemerkte:

    „Wenn man dabei bedenkt, wie genau es unser Ravenor mit seiner Ausrüstung immer nimmt..."

    Sie alle wussten, dass Ravenor Aufräumen und Putzen regelrecht hasste, weshalb er sich wenig Mühe dabei gab und oft angezählt worden war. „Und wir mussten seine Nachlässigkeit dann ausbaden. Mehr als einmal war die ganze Stube dran... und das nur wegen ihm."

    Dem konnten Deren und Farat nur beipflichten und Eryn lästerte weiter: „Jetzt hat er einen Burschen, der für ihn putzt und aufräumt. Der Kerl tut mir wirklich leid."

    Jetzt, da sich alle auf Ravenor eingeschossen hatten, wurden die Gesprächsbeiträge immer boshafter.

    „Ravenor verhält sich nur so, weil er plötzlich meint, das hier wäre die Lordlingskompanie von Sir Haerkin. Jemand sollte ihm vielleicht einmal stecken, dass das hier nur die Bastardkompanie ist und er auch nicht der hochwohlgeborene Sohn eines noblen Lords ist, sondern lediglich ein niedriggeborener Prinzenbastard."

    Die anderen lachten über Derens treffende Einschätzung und dann schimpfte Farat:

    „Die elende Poxe soll ihn treffen, damit er wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommt."

    Und dann kam ihnen eine gemeine Idee: „Eryn, kannst du ihm nicht irgendetwas anzaubern? Ein hässliches Furunkel, gelbe Flecken, große Ohren... einfach irgendetwas, das seiner übertriebenen Eitelkeit Einhalt gebietet. Das schmerzt ihn am meisten."

    Alle drei fanden diese Idee ungemein lustig und waren sofort dabei, Ravenor einen bösen Streich zu spielen. Dann überlegten sie gemeinsam, was genau sie ihrem ehemaligen Kameraden antun könnten, bis Eryn schließlich der geeignete Zauber für dieses Unterfangen einfiel.

    Die Magie bot unendlich viele Möglichkeiten und darunter waren auch Zauber, die man eigentlich zu nichts gebrauchen konnte, außer eben zu dem Zweck, sich mit jemandem einen derben Scherz zu erlauben. Eryn erinnerte sich noch gut an jene unterhaltsame Unterrichtsstunde. Meister Calwas war damals weit vom eigentlichen Thema abgeschweift und hatte ihnen dann am Ende diesen absolut unnützen Quiekizauber beigebracht. Dieser Fluchzauber führte dazu, dass der Verzauberte nur noch unverständliche, grunzende und quietschende Laute ausstoßen konnte, sich aber selbst noch ganz normal reden hörte. Das klang lustig und insgeheim lachten sich die Verschwörer schon ins Fäustchen.

    Allerdings benötigte man für diese Art der Magie Sichtkontakt mit der Zielperson und deshalb überwachten sie nun abwechselnd den Hof, den sie durch das Stubenfenster zum Großteil einsehen konnten. Es galt Ravenor abzupassen und schließlich erspähte Deren ihr Opfer und rief seine Kameraden herbei: „Schnell, da kommt er aus Richtung Kantine."

    Die eilten sogleich zum Fenster und Eryn öffnete seine magischen Adern:

    „Ruhe jetzt", dann verwob er die Bahnen und begann den Zauber, unterstützt durch die rhythmischen Worte der Intonierung, zu wirken. Die Magie baute sich auf und Eryn schickte sie gebündelt auf Ravenor.

    „Hat es funktioniert?", fragte Deren neugierig, doch Eryn war sich da selbst nicht so sicher:

    „Werden wir gleich sehen, wenn er jemandem zum Reden findet. Und so gerne wie sich die prinzenbastardliche Hoheit selbst reden hört, brauchen wir darauf sicherlich nicht lange zu warten."

    Die drei lachten gehässig, während Eryn einen magischen Spiegel erzeugte, mit dem sie Ravenors weiteres Tun verfolgen konnten. Gerade überquerte das ahnungslose Opfer den Hof und Farat mutmaßte: „Er geht zur Wachablösung."

    „Nein, widersprach Eryn, „er biegt zum Schießstand ab.

    Tatsächlich schlug Ravenor den Weg zum Übungsplatz der Bogenschützen ein und seine drei alten Kameraden verfolgten ihn auf magischem Wege. Zuerst sah Ravenor den Übenden nur zu, doch es dauerte nicht lange, da sprach er einen der Rekruten an und das verzerrte Grunzen war deutlich aus Eryns Spiegelübertragung zu hören. Ein ganzer Schwall unmöglichster Geräusche kam nun aus Ravenors Mund und der arme Rekrut sah den Offizier zunächst nur entgeistert an, bis er sich dann getraute höflich auf das Problem hinzuweisen:

    „Entschuldigung, Sir, ich verstehe Euch nicht."

    Das Quieken und Grunzen klang jetzt ziemlich ärgerlich, aber der verwirrte Soldat traute sich nicht mehr erneut nachzufragen und sagte einfach nur: „Jawohl, Sir!" Eine deutliche Zustimmung war schließlich das, was die Vorgesetzten in den meisten Fällen hören wollten. Nach einem letzten langgezogenen Quieken wandte sich Ravenor dann ab und ging, während sich Deren, Farat und Eryn vor Lachen nur so krümmten. Aber es ging noch weiter. Der Prinzenbastard kam an einer Gruppe Soldaten vorbei und grunzte diese lautstark an, wofür er eine Menge irritierter Blicke erntete. Am Eingang zur Hauptwache begegnete der verhexte Sir Ravenor einem seiner Offizierskollegen und quikgrunzte offensichtlich eine Begrüßung. Der andere Zugführer war aus Sir Oswolds Kompanie und hieß Tyrne. Erneut setzte Ravenor an, um ein Gespräch zu beginnen, doch der um ein paar Jahre erfahrenere Sir Tyrne lachte amüsiert und war dann so freundlich Ravenor aufzuklären:

    „Da hat sich wohl jemand einen Scherz mit Ihnen erlaubt, Sir Ravenor. Aus Ihrem Mund dringen nur seltsame Laute und da ich Quiekisch nicht verstehe, ist ein Gespräch im Augenblick ausgesprochen sinnlos. Vielleicht solltet Ihr mal bei den Magiern vorbeischauen, damit die nachsehen, welch böse Zauberei Euch da versehentlich getroffen hat."

    Ravenors Gesicht lief hochrot an und ohne ein weiteres Grunzen eilte er in Richtung der Magierunterkünfte davon.

    „Schade, dass es schon vorbei ist, meinte Deren. „Die Gesichter der anderen waren zu komisch. Mal sehen, wie schnell sich diese lustige Geschichte hier herumspricht.

    „Kann er uns verdächtigen?, fragte Farat leicht besorgt, da er Konsequenzen fürchtete, doch Eryn schüttelte den Kopf: „Verdächtigen schon, aber nichts beweisen. Wir müssen halt alle die Klappe halten und so tun, als ob wir von nichts wüssten. Und Deren ergänzte mit einem Augenzwinkern:

    „Die anderen Soldaten werden uns schon davon erzählen und dann wissen wir ja ganz offiziell darüber Bescheid. Der arme Sir Ravenor, wer tut ihm denn nur so etwas Gemeines an."

    Da der Magieunterricht bald stattfand, musste sich Eryn nun auf den Weg machen. Warum sie ihn nicht gleich in Sir Heimes Kompanie steckten, in der die ganzen Magieranwärter Dienst taten und ausgebildet wurden, hatte Eryn bis zu diesem Tage immer noch nicht herausgefunden. Inzwischen besuchte er die allgemeinen Unterrichtsstunden der Magieranwärter, erhielt aber auch noch Einzelstunden von Meister Lionas.

    Als Eryn nach Beendigung des Unterrichts zurück auf die Stube kam, hatte er den Kopf voll und zwei Bücher zum Durchlesen mit dabei. Deren und Farat waren nicht da und so machte sich Eryn sogleich daran, die Lektüre durchzuarbeiten. Er begann mit dem Buch Kunst der Wandlung, das davon handelte, wie man eine andere Gestalt annehmen konnte. Dies war durch Illusion, durch reale Wandlung oder durch Besitzergreifung möglich. Das Buch war wieder einmal ein Paradebeispiel für trockene und abstrakte Literatur. Offensichtlich hatten überragende Magier eine Vorliebe dafür, ermüdende Abhandlungen zu schreiben. Dabei legte das Werk lediglich die grundlegenden Möglichkeiten dar und verriet noch nicht einmal, wie die Zauber tatsächlich auszuführen waren. So quälte sich Eryn durch den Stoff, als plötzlich die Tür aufflog. Sein erster Gedanke war, Deren und Farat seien schon zurück, doch es war ein wütender Ravenor, der da in der Tür stand. Da Ravenor nun Zugführer war und somit ein Vorgesetzter, hatte Eryn laut Vorschrift aufzustehen. Das tat er nun, jedoch nicht allzu schnell, wobei er flapsig grüßte:

    „Hey, Ravenor."

    Die harten Züge von Ravenors Gesicht glichen einer eisernen Maske, als er mit Nachdruck befahl: „Zimmerkontrolle, alle anwesenden Soldaten: Achtung!"

    Eryn beschloss sich einfach dumm zu stellen und fragte scheinheilig: „Was ist denn mit dir los?"

    Da aber tauchte Harkon hinter Ravenor auf und plötzlich hörte Eryn eine warnende Stimme in seinen Gedanken: „Ich habe ihm nichts verraten, aber er ahnt, dass du es warst."

    Das ist nett von Harkon, mich zu warnen.

    Ravenor kochte förmlich vor Wut und schnauzte Eryn an: „Ich werde in meinem Zug keine Regelverstöße durchgehen lassen!"

    Ach, so muss er sich nun auch wieder nicht aufplustern. Und Eryn fragte übertrieben freundlich:

    „Ravenor, dürfte ich wissen, was du gerade für ein Problem hast?"

    „Für dich ‚Sir Ravenor‘, Soldat!", fauchte Ravenor.

    Oh, jetzt kann er seine Herkunft nicht verleugnen, der Prinzenspross. „Wenn du ein Problem mit mir hast, ‚Sir Ravenor‘, dann gehen wir vor die Tür und regeln das wie Männer", antwortete Eryn bestimmt, doch Ravenor ließ sich auf so etwas nicht ein:

    „Ein Offizier prügelt sich nicht mit der Mannschaft!"

    Da ist uns aber was ziemlich in den Kopf gestiegen. Arrogant warst du immer schon, aber dass du jetzt dazu auch noch ein Arschloch bist...

    Ravenor fuhr fort Rügen und Befehle zu erteilen: „Und nun nimm gefälligst Haltung an! Zimmerkontrolle. Magieranwärter Harkon, bitte entfernen Sie alle Verzauberungen in diesem Raum!"

    Eryn kniff verärgert die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen, denn er wusste genau, worauf sein ehemaliger Stubenkamerad hinauswollte: Ravenor, du alte Ratte, nur weil du mir den lustigen Spaß nicht beweisen kannst, pisst du mich jetzt wegen der Stiefel an. Die sind schon seit Monaten verzaubert und das weißt du ganz genau!

    Und dann löschte Harkon auch schon Eryns Verhüllungszauber und seine ‚normalen Soldatenstiefel‘ verwandelten sich zurück in die überaus bequemen und leichten Wildlederstiefel, die sie tatsächlich waren. Natürlich richtete sich sogleich Ravenors Blick darauf und mit einem hämischen Grinsen stellte er fest:

    „Verstoß gegen die Kleiderordnung, Soldat."

    Wie sich das gerade entwickelte, gefiel Eryn gar nicht und er versuchte noch einmal seinen ehemaligen Stubenkameraden Ravenor zum Nachgeben zu bewegen: „Ravenor, was soll das? Du…"

    Doch Ravenor herrschte ihn an: „Ich sage es jetzt zum letzten Mal, Soldat: Nimm Haltung an und sprich mich entsprechend meinem Rang an! Sonst wird dieses Verhalten vorschriftsmäßig mit einem Besuch am Pfahl bestraft. Haben wir uns verstanden?"

    Der meint es wirklich ernst. Ist wohl auch gleich zum Kotzbrocken mitbefördert worden.

    Eryn knallte die Hacken zusammen und salutierte:

    „Jawohl, Sir Ravenor." Irgendwann wirst du mir das büßen.

    „Besser so, Soldat! Und um solche Zwischenfälle in Zukunft zu vermeiden, hat Sir Draken persönlich zugestimmt, dass du einen Magieblocker zu tragen hast, der nur während deiner magischen Ausbildung abgenommen wird."

    Aus seiner Tasche zog Ravenor einen Armreif heraus, den er dann Eryn reichte.

    „Anlegen!"

    „Jawohl, Sir." Die Poxe möge dich treffen. Gut, bitte, dann tue ich dir eben den Gefallen. Aber ich bin mir sicher, dieses Schmuckstück werde ich ohnehin nicht sehr lange tragen. Schließlich ist Seine Hoheit, der Prinz von Ardeen, an meinen schnellen magischen Fortschritten interessiert. Und das wird dann wohl Vorrang haben vor Seiner Bastardhoheits Wünschen.

    Der Verschluss des Reifes klickte leise, als Eryn sich den verhassten Ring um das Handgelenk legte. Sofort was das wohlige Gefühl der fließenden magischen Adern verschwunden.

    Selbstgefällig nickte Ravenor: „So, damit hätten wir wohl Überraschungen in Zukunft ausgeschlossen, und dann fügte er ausgesprochen großzügig an: „Auf eine Bestrafung verzichte ich diesmal, Soldat, spreche aber eine deutliche Verwarnung aus.

    „Danke, Sir Ravenor. Es kostete Eryn eine große Überwindung, diese Worte ohne einen spöttischen Unterton hervorzubringen. Das zauberte ein äußerst zufriedenes Lächeln auf Ravenors Gesicht und er schien es zu genießen, als er Eryn nun informierte: „Übrigens, den Reif können nur Harkon und die Magiermeister entfernen. Eine kleine Vorsichtsmaßnahme, damit du auch keinen findest, den du in Versuchung führen könntest.

    „So etwas würde mir auch gar nicht in den Sinn kommen, Sir." Vielleicht macht ihm das ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn an seine eigenen Verfehlungen erinnere.

    Doch Ravenor schien von dem versteckten Hinweis gänzlich unberührt und deutete auf die Stiefel:

    „Und die da, ausziehen und in der Kleiderkammer abgeben!" Diese erfolgreiche Machtdemonstration hatte Ravenors Gemüt abgekühlt; er drehte sich um und ging. Harkon warf Eryn noch einen Blick zu, der zu besagen schien: ‚Ich kann da auch nichts machen‘, und dann folgte er Ravenor nach draußen.

    Wieder alleine im Zimmer, fluchte Eryn ungehalten. Er hatte keine andere Wahl, als seine schönen Wildlederstiefel wieder gegen die schweren und äußerst unbequemen Soldatenstiefel einzutauschen. Diese befanden sich, unsichtbar gemacht, schon seit langem ganz hinten im Schrank. Aber durch Harkons Zaubersäuberungsaktion waren auch die Standardstiefel wieder sichtbar geworden. Missmutig holte Eryn sie nun hervor und tauschte sein bequemes Schuhwerk gegen sie ein. Ich kann mir hier keine Tricksereien erlauben. So wie Ravenor gerade drauf ist, kontrolliert er das sicherlich nach.

    Und schweren Herzens machte sich Eryn auf den Weg zur Kleider- und Waffenkammer, um seine Wildlederstiefel abzugeben.

    In seinem Studierzimmer wartete Prinz Raiden darauf, dass Magieranwärter Harkon endlich zu ihm kam, denn schließlich hatte er ihn rufen lassen.

    Der Mann ist zwar langweilig und unscheinbar, doch hat er durchaus akzeptable Fähigkeiten, was die Magie betrifft. Die Ungeduld hatte bereits von Prinz Raiden Besitz ergriffen; wie immer schien es ihm viel zu lang zu dauern. Auch wenn sich Magieranwärter Harkon sicherlich beeilte. Endlich betrat er den Raum und grüßte etwas linkisch.

    Angewidert betrachtete Prinz Raiden den Magieranwärter. Kann denn niemand diesen Magiern beibringen, wie man in Habtachtstellung steht? „Ah, da seid Ihr ja endlich. Nun, ich habe eine Aufgabe für Euch, Meister Harkon."

    Der junge Mann räusperte sich verlegen und bemerkte bescheiden:

    „Mein Prinz, ich bin nur ein Magieranwärter. Der Titel Meister steht mir noch nicht zu."

    An einem schlechten Tag hätte Prinz Raiden dieser ungebetenen Belehrung eine Sanktion folgen lassen, doch heute sah er gut gelaunt darüber hinweg und nahm es mit Humor:

    „Widersprecht Eurem Prinzen nicht, Harkon! Außerdem habe ich die anderen Meister darüber reden hören, dass sie gedenken, Euch bald zu prüfen."

    Der verlegene Harkon wusste nicht, was er auf diese durchaus freundlichen Worte sagen sollte und so ging er gar nicht darauf ein: „Und weshalb habt Ihr mich rufen lassen, mein Prinz?"

    Ja, kommen wir besser gleich zur Sache. Sich mit Harkon zu unterhalten, scheint mir ohnehin wenig reizvoll. „Nun, Ihr sollt mir ein Artefakt bringen, welches vermutlich immer noch in einer Ruine in der Nähe zu finden sein dürfte. Westlich von Griscont liegen die Überreste der Burg Cerfall und in den Aufzeichnungen heißt es, dass dort ein großer Held begraben liegt. Naja, zumindest das gemeine Volk bezeichnet ihn als solchen: Nun, Sir Dobrix von Cerfall – ein überaus blöder Name, wenn Ihr mich fragt – also unser Sir Dobrix besaß ein Zauberschwert, mit dem er ‚ach so große‘ Wunder wirkte und ein paar Wölfe, Wyvern und Drachen erschlagen haben soll. Die üblichen Geschichten eben. Aber es heißt, das Schwert wurde mit ihm auf Burg Cerfall begraben und nun sollt Ihr Euch auf den Weg machen und es mir bringen."

    Der Schwarze Prinz ließ eine Karte von Ardeen in der Luft entstehen und erklärte:

    „Hier ist die Burg. Dabei erschien eine rote, leuchtende Markierung an einer bestimmten Stelle. Dann vergrößerte er das Bild auf die besagte Stelle und die überwucherten Überreste eines alten, zerfallenen Gemäuers wurden sichtbar. „Es ist nicht mehr viel übrig von der einstigen Burg. Seht Ihr, nur die paar Mauern hier. Wahrscheinlich war das auch kein allzu prächtiges Bauwerk, mehr ein größeres Haus aus Stein. Aber zu jenen Zeiten war so etwas ja schon eine Besonderheit.

    Dann fand Prinz Raiden wieder zum Kern der Aufgabe zurück und ließ ein magisches Licht über verschiedene Punkte wandern, während er kommentierte:

    „Hier ist der Zugang zur Gruft. Seht Ihr, direkt unter dieser eingelassenen Steinplatte. Dort wurden auch mehrere Zauber gewoben, darum kann ich aus der Entfernung auch nicht mehr sehen. Allerdings zeigen mir die Muster, dass es sich um keine besonders starken Schutzbanne handelt und ein fähiger Magier… -anwärter diese vor Ort sicherlich leicht beseitigen kann. Keine besonders schwere Aufgabe, doch solltet Ihr zu Eurem Schutz ein paar Leute mitnehmen. Wenn man wirkt, ist man abgelenkt und da können einem sogar einfaches Räubergesindel oder wilde Tiere zum Verhängnis werden."

    Versonnen blickte Prinz Raiden zur Seite und überlegte kurz, dann traf er eine Entscheidung: „Am besten teile ich Euch diesen neuen Zugführer mit seinen Männern zu – Sir Ravenor aus Sir Drakens Kompanie. Sicherlich will sich der ehrgeizige junge Mann seine Sporen verdienen, und so eine kleine Aufgabe ist eine Gelegenheit, seine Nützlichkeit unter Beweis zu stellen."

    Insgeheim war Prinz Raiden sogar stolz auf seinen Bastardsohn, aber das wollte er weder sich selbst eingestehen noch vor den anderen zugeben. Aber zumindest die Möglichkeit sich zu beweisen wollte er nun jenem Mann geben, der ihm sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter her sehr ähnlich war.

    „Mein Prinz, soll Soldat Eryn uns ebenfalls begleiten? Er befindet sich ebenfalls in Sir Ravenors Zug."

    Wie alle anderen wusste auch Harkon um den Sonderstatus des jungen Mannes aus den Bergen und der Prinz dachte kurz über diesen berechtigten Einwand nach:

    „Warum nicht? Es ist keine besonders gefährliche Mission und Eryn kann Euch beim Wirken zur Hand gehen. Ja, nehmt ihn ruhig mit! Braucht Ihr sonst noch etwas für Eure Mission?"

    Da Harkon die Karte schon magisch kopiert hatte, verneinte er und der Prinz entließ ihn.

    Bei dem habe ich immer das Gefühl, dass froh ist, wenn er sich wieder aus meiner Nähe entfernen kann. Irgendwie verschroben. Aber solange er mir gut dient, sollten mir die Flausen meines Untertanen egal sein.

    Bei Dobrix‘ Schwert handelte es sich sicherlich um kein besonders mächtiges Artefakt, aber darum ging es Prinz Raiden auch gar nicht in erster Linie. Für ihn war der Punkt entscheidend, dass die Klinge aus einer Zeit stammte, in der man noch per Artefakt reiste. Später, in der Zeit der starken Zauberer und der Torwege, gebrauchte kaum jemand mehr ein Artefakt zum Reisen. Allein Kraft ihrer Magie waren viele Zauberer in der Lage, zu jedem erdenklichen Ort zu reisen. Nur das gewöhnliche, unmagische Volk musste sich damals mit Artefakten behelfen. Doch die Zeiten hatten sich mit der Erschaffung des Nimrods geändert und nun war das Reisen wieder nur durch einige wenige Tore möglich. Deshalb suchte Prinz Raiden nach einem Artefakt, das ihm Zugang zum Nimrod verschaffen könnte. Dabei musste dieses Artefakt auch nicht sehr mächtig, sondern lediglich für diese Aufgabe geeignet sein. In Aufzeichnungen hatte er Vermerke über alte Schlüssel gefunden, die direkt in die Burg des Großen Grauen führen sollten. Und da prinzipiell jedes alte Artefakt aus der Zeit vor der großen Magierblüte dafür infrage kam und Dobrix nachgesagt wurde, er habe auch Drachen erschlagen, knüpfte Prinz Raiden seine geringen Hoffnungen an dieses Artefakt. Und gerade kam Seiner Hoheit ein lustiger Reim bezüglich Artefakte in den Sinn:

    Wenn auf glänzend kahlem Kopf

    plötzlich wächst ein langer Zopf.

    Wenn den Leuten Glück ist hold

    und es regnet pures Gold.

    Wenn ein eh’mals feiger Knecht

    plötzlich kämpft für Ehr und Recht.

    Ja, dann musst du Obacht geben,

    dort, wo diese Leute leben!

    Such’ im Hause und der Gruft,

    such’ im Wasser und der Luft,

    such’ im Dampf und Moderduft,

    bis es mächtig zu dir ruft:

    Gefunden, jenen Gegenstand der Macht!

    Nimm das Artefakt, wenn es zu dir lacht.

    Harkon, Ravenor und die gesamten zwanzig Mann seines Zuges brachen am nächsten Morgen in aller Frühe auf. Sie ritten ein scharfes Tempo und es wurde kaum ein Wort gesprochen. Die Stimmung war angespannt, da Sir Ravenor, immer noch schlecht gelaunt, in einem harschen, distanzierten Tonfall seine Befehle gab und Harkon sich aus dem Konflikt zwischen der Mannschaft und ihrem Zugführer heraushielt. Als eher schweigsamem und auch ein bisschen der normalen Welt entrücktem Menschen waren Harkon alle Arten von Auseinandersetzungen zuwider.

    Derweil hielten es Eryn, Farat und Deren für besser, sich absolut unauffällig zu verhalten, denn ihnen war durchaus bewusst, dass Ravenor die kleinste Kleinigkeit zum Anlass nehmen würde, um auf ihnen herumzuhacken. Und dann begann es auch noch zu regnen und wollte partout nicht mehr aufhören.

    Zunächst waren sie auf der Straße gen Norden geritten, aber als sie dann Burg Griscont, Lord Borons Stammsitz, hinter sich gelassen hatten, bogen sie nach einer Weile nach Osten ab und ritten querfeldein. Als Sir Ravenor ein langsameres Tempo befahl, lenkte Harkon sein Pferd an dessen Seite:

    „Sir Ravenor, sollte man Eryn nicht langsam den Armreif abnehmen? Schließlich hat Prinz Raiden selbst gesagt, dass Eryn mich magisch unterstützen solle."

    Aber da Ravenor der gemeine Scherz auf seine Kosten noch zu gut im Gedächtnis war, verzog er sogleich mürrisch das Gesicht:

    „Dazu ist später immer noch Zeit, dann wenn Eryns Kräfte wirklich gebraucht werden. Solange es aber nur darum geht, auf einem Pferd zu sitzen und mit der Truppe Schritt zu halten, ist es wohl kaum ein Anlass zu Magie." Besser du bleibst unter den Unmagischen, Eryn, du lausiger Verräter.

    Eigentlich hatte Harkon das Oberkommando bei dieser Unternehmung, doch Sir Ravenor war in seinem Auftreten zu dominant und die Männer wiederum unterstanden seinem Befehl. Und da Harkon niemand war, der sich gern mit anderen anlegte, gab er klein bei; und so war die Sache vom Tisch

    Harkon führte sie nächsten drei Tage, in denen es ununterbrochen regnete, durch das unbekannte Gelände, bis sie schließlich den Wald Cer Veris erreichten. Zu allem Übel verirrten sie sich dort im unübersichtlichen Waldgebiet und landeten schließlich in einer Schlucht, aus der es kein Weiterkommen gab. Was sie dazu zwang umzukehren, um einen anderen Weg zu nehmen.

    Ravenor nieste zum wiederholten Male und Harkon bot sich freundlich an zu helfen:

    „Wenn Ihr es wünscht, dann kann ich Euch von der Gemeinen Rotze heilen, Sir Ravenor."

    Doch Ravenor, in seiner Arroganz, wünschte dies nicht und herrschte den anderen unfreundlich an:

    „Ich bin nicht krank, nur weil ich einmal niesen musste. Kümmert Euch lieber darum, den richtigen Weg zu finden, damit wir endlich zu dieser verfluchten Ruine kommen."

    Die Ruine suchten sie erfolglos noch bis spät in die Nacht; schließlich mussten sie doch noch ein Lager aufschlagen.

    Dann endlich am nächsten Tag erreichten sie ihr Ziel. Die kläglichen Überreste der einstigen Festung befanden sich auf einer kleinen Anhöhe und waren nicht mehr als ein paar Steinmauern und Trümmerhaufen, die inzwischen von einer dichten Pflanzdecke überwuchert waren.

    Nun vor Ort fanden sie den Zugang zum Grab recht schnell, denn Harkon erkannte die riesige Steinplatte sogleich wieder, die den besagten Zugang verschloss. Ravenor trat neben Harkon und deutete auf die Platte:

    „Magieranwärter Harkon, könnt Ihr den Zugang jetzt bitte freilegen?" Jetzt sind wir hier bald fertig und können wieder heimkehren. Doch so einfach, wie der junge Zugführer sich das vorstellte, war die Angelegenheit nicht und Harkon mahnte zur Vorsicht:

    „Ich muss mir die Zauber erst einmal genauer ansehen, bevor ich etwas unternehme." Diese Erkundungsmagie dauerte seine Zeit und da Ravenor rein gar nichts von dem erkennen konnte, was der andere gerade tat, hing er bald seinen Gedanken nach. Ihm erschien es ganz so, als ob seine ehemaligen Kameraden eine Front gegen ihn bildeten. Ganz unschuldig war er daran allerdings nicht, denn er hatte sich ihnen gegenüber ziemlich aufgespielt, weil er befürchtete, dass sie sonst seine Autorität untergraben würden. Diese ganze Situation drückte auf seine Stimmung und obendrein hatte sich die Gemeine Rotze inzwischen noch erheblich verschlimmert. Allerdings untersagte es ihm sein Stolz, nun doch noch reumütig zu Harkon zu gehen, um sich von diesem heilen zu lassen. Und in Ravenors Fall war Stolz ein unüberwindliches Hindernis.

    Dabei war der nächste Tiefschlag schon auf dem Weg, denn Harkon hatte seine Untersuchung beendet und verkündete nun seine Einschätzung der Lage:

    „Sir Ravenor, es liegen hier Verzauberungen vor, von denen ich nicht genau sagen kann, womit wir es zu tun haben. Darum wäre es besser, diesen Zugang ohne Magie zu öffnen, denn manchmal werden Fallen schon durch einen einfachen Lichtzauber ausgelöst. Allerdings ist die Platte nicht gegen manuelle Kräfte versiegelt." Womit Harkon meinte, dass Graben mit unmagischer Muskelkraft unbedenklich und möglich wäre. Somit würden sich hier nicht so schnell fertig sein, wie es sich Ravenor erhofft hatte. Missmutig zog er seine Stirn in Falten.

    „Vier Leute richten hier ein Lager ein und die anderen öffnen den Zugang!"

    Dieser knappe Befehl resultierte in einer Stunde mühsamer Arbeit, in der sie versuchten die gewaltige Steinplatte zu verschieben. Doch zeigten sich keinerlei Fortschritte und Ravenor kratzte sich nachdenklich am Kopf, während er zusah, wie die Männer unter der Anstrengung schwitzten.

    Wer hat dieses Monstrum bloß verlegt? Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass die 1 x 1,5 Schritt große Platte mit ihrer auffallend glatten Oberfläche aus härtestem Stein bestand, denn alle Versuche, den Stein zu zerstören, scheiterten kläglich. Sie muss immens dick sein.

    Darum änderte er nun seinen Plan und befahl den Männern, an den Seiten hinunterzugraben, um so unter die Platte zu gelangen. Er hoffte, dann mithilfe der Hebelwirkung und der Kraft der Pferde die Platte verschieben zu können. Sie hatten nicht allzu viel Werkzeug dabei; aber Ravenor hatte vorzugsweise seine alten Stubenkameraden am Gerät eingeteilt. Mit Schaufel und Hammer legten diese erst einmal einen Bereich um die Platte herum frei. Doch nach kaum einer Handbreit Erde stießen sie auch dort auf harten Felsboden. Dieser Stein ließ sich zwar im Gegensatz zur Zugangsplatte zerschlagen, jedoch ging dies ebenfalls nur sehr langsam vorwärts und Eryn und Deren keuchten bei der Arbeit. Das dauert noch ewig. Erneut versuchte Ravenor, Harkon dazu zu bewegen, seine magischen Kräfte einzusetzen. Doch der vorsichtige Magieranwärter weigerte sich vehement:

    „Das ist zu gefährlich. Mit Magie spielt man nicht sorglos herum."

    Eryn sah kurz auf und warf Harkon einen bösen Blick zu: Danke für die Hilfe, Harkon.

    Endlich, nach Stunden, gelangten sie unter die Platte, und dann dauerte es noch zwei weitere Stunden, bis sie schließlich mithilfe der Hebelwirkung eines langen Baumstammes und mit vereinten Kräfte die Platte hochwuchten und herausdrehen konnten. Nun, da man ein Seil darumlegen konnte, war es ein Leichtes, die Pferde den riesigen Stein weiter beiseite ziehen zu lassen. Und dann lag die Öffnung nach unten endlich frei.

    Ein muffiger Geruch schlug ihnen von unten entgegen. Die ausgetretenen Treppenstufen verloren sich in der Dunkelheit. Ravenor ließ sich eine entzündete Fackel geben und nahm sein Schwert in die andere Hand. Dann wagte er sich vorsichtig die Stufen hinunter, gefolgt von Harkon und den anderen.

    Die Treppe endete nach nur ein paar Stufen in einem etwa viermal fünf Meter großen Raum, auf dessen Boden ein paar Knochen und rostige Rüstungsteile herumlagen. Eine der Leichen war zu einer Mumie vertrocknet und saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Außer diesen Überresten und einem einfachen Steinaltar, der sich in der Mitte des Raumes erhob, war die Kammer jedoch leer.

    „Vorsicht! Hier sind Zauber aktiv, aber ich bin mir nicht sicher, was sie genau verursachen. Wir müssen sehr vorsichtig sein", warnte Harkon und Ravenor konnte es schon nicht mehr hören. Ist das jetzt noch berechtigte Vorsicht oder schon jämmerliche Angst vor einer leeren alten Gruft? Hu hu, habe ich aber Angst vor diesen Gerippen hier.

    „Wir brauchen noch mehr Fackeln und bringt das Werkzeug auch gleich mit! Nur für den Fall, dass wir diesen Steinaltar hier auch noch auseinandernehmen müssen", bemerkte Ravenor sarkastisch und die Soldaten, die gerade erst die Treppe heruntergekommen waren, drehten wieder um und machten sich daran, Ravenors Anweisungen nachzukommen. Eryn hingegen blieb in der Kammer neben Harkon und Ravenor stehen. Ich habe mich vorhin schon genug abgerackert. Sollen die anderen mal springen. Schließlich braucht es nicht zehn Hände, um die paar Werkzeuge zu holen.

    An der Wand befand sich eine verrostete Halterung und Ravenor steckte seine Fackel dort hinein. Dann ging er zum Steinaltar hinüber, um diesen genauer zu begutachten. Aber er entdeckte nichts Besonderes.

    „Nur eine einfache Platte! Und wo soll dieses tolle Schwert nun sein, Harkon?, fragte er, dabei fiel sein Blick auf ein ziemlich verrostetes Exemplar einer Klinge, das neben dem Altar auf dem groben Steinboden lag. „Das hier wird es wohl kaum sein. Dabei bückte er sich und hob es auf.

    Die Worte waren kaum verklungen, da fing das rostige Schwert plötzlich unheimlich zu leuchten an und darauf überschlugen sich die Ereignisse.

    „Nein, lass es fallen!", schrie Harkon noch und eilte dabei auf Ravenor zu, der zur selben Zeit einen Schritt zurück trat und so leicht mit Harkon zusammenstieß. Es gab einen grellen Lichtblitz und der Magieranwärter fiel sofort zu Boden. Währenddessen begann sich vor dem Treppenaufgang ein seltsames, nebeliges Schimmern aufzubauen und die schwere Steinplatte, die sie so mühsam entfernt hatten, setzte sich in Bewegung und schob sich langsam wieder vor den Eingang.

    Eryn bemerkte das Verhängnis zuerst und rief warnend: „Raus hier! Wir werden eingeschlossen!"

    Dabei spurtete er hinüber zur Treppe. Doch bevor er sich dem Aufgang überhaupt nähern konnte, stieß er im Bereich des Schimmerns auf eine undurchdringliche, magische Wand. Und nun begann sich auch noch eine Gestalt im Nebel abzuzeichnen: Ein großer Krieger mit langem, verfilztem Bart. Er trug ein Kettenhemd, grobe unverzierte Bein- und Armschienen und einen Helm nach der Mode längst vergangener Zeiten. Der Krieger sah wütend aus und wirkte äußerst bedrohlich, da er ein langes Schwert in seiner Hand hielt. Allerdings manifestierte er sich nicht ganz und über seiner ganzen Gestalt lag ein leicht transparenter Weißton.

    „Wer wagt es, meinen Frieden zu stören?", donnerte der Geist und dann ging er ohne weitere Vorwarnung auf die Eingeschlossenen los. Nun zog auch Eryn sein Schwert und kurz darauf kämpfte er Schulter an Schulter mit Ravenor verbissen um sein Leben.

    Ein Wächterzauber. Wie war das doch gleich mit Wächterzaubern? Es war schwer, nachzudenken, wenn gleichzeitig eine tödliche Klinge auf einen zuraste. Abgesehen davon, dass Eryn nicht allzu viel über Wächterzauber wusste, allenfalls die banalsten Grundlagen, konnte er, dank Ravenor, im Augenblick sowieso keine Magie anwenden.

    Da Ravenor keinen Schild bei sich trug, kämpfte er mit zwei Klingen, wobei das magische Schwert gespenstisch hell leuchtete. Doch der Geist schien unverwundbar und lachte nur, wenn er getroffen wurde. Inzwischen hatte Eryn schon einen Treffer einstecken müssen und blutete aus einer kleinen Schnittwunde am linken Arm.

    Lange halten wir das nicht durch. Der Geist hier scheint unverwundbar. War es das jetzt? Erschlagen von einem dummen Wächterzauber in einer modrigen Gruft. Wächterzauber... denk nach. ‚Wächterzauber sind an Dinge oder Aktionen gebunden.‘ Sehr hilfreich.

    ‚Für einen ausgebildeten Magier einer hohen Stufen stellt ein Wächterzauber keine wirkliche Gefahr dar.‘ Noch sinnloseres Wissen.

    ‚Wächterzauber verlieren über die Jahre hinweg an Stärke und können sich ganz auflösen, wenn sie nicht erneuert werden.‘ Das trifft für den hier leider noch nicht zu. Vielleicht war er ja vorher ganz in Farbe und nicht so transparent wie jetzt.

    Tatsächlich schien der Geist immer deutlicher Gestalt anzunehmen, je länger sie kämpften. Gerade fluchte Ravenor lautstark und schlug dabei wild um sich. Als er den Geist mit der Zauberklinge traf, sah Eryn es ganz deutlich: Der Geist wurde noch substantieller und er erinnerte sich noch an einen weiteren Satz aus einem seiner Lehrbücher: Wächterzauber können genährt werden. Sie erhalten dabei neue Kraft durch einen verzauberten Gegenstand.

    „Ravenor, schmeiß das Schwert weg!", schrie Eryn, weil ihm gerade eine Idee gekommen war, doch Ravenor erkannte den Sinn hinter dieser Aufforderung nicht:

    „Bist du blöd? Warum soll ich die Waffen wegwerfen? Damit wir vielleicht schneller sterben?"

    Eindringlich erklärte Eryn nun seine Vermutung: „Die Zauberklinge nährt das Wesen. Du darfst sie nicht benutzen!" Immer noch zögerte Ravenor und Eryn redete auf ihn ein:

    „Tu es, durch die Klinge zieht das Wesen Energie! Endlich warf Ravenor die Zauberklinge beiseite und Eryn erklärte: „Wenn ich recht habe, dann können wir den Geist jetzt töten.

    „Na, hoffen wir es mal."

    Wieder klirrten die Klingen gegeneinander und da sie zu zweit waren, konnten sie den Geist gut in die Zange nehmen. Nachdem sie mehrere Treffer gelandet hatten, fing der Geist wieder an, blasser zu werden, obwohl er immer noch bei jedem Treffer aus vollem Halse lachte.

    Das Lachen wird dir bald vergehen, großmäuliger Geist.

    Und tatsächlich, nach einigen Minuten und vielen weiteren Treffern, löste sich der nun fast durchsichtige Geist plötzlich in nichts auf. Erschöpft ließen die beiden Männer ihre Waffen sinken und ruhten sich einen Moment aus, dann ging Eryn hinüber zu Harkon, der immer noch reglos am Boden lag. Er fühlte den Puls und sah, wie sich Harkons Brust im Takt der Atmung hob und senkte. Ein sanftes Rütteln blieb wirkungslos.

    „Scheiße, der schläft tief und fest. Ich glaube, der hat sich vorhin einen Paralysezauber eingefangen."

    „Und das heißt?", fragte Ravenor, der inzwischen festgestellt hatte, dass der Weg nach oben immer noch durch die magische Barriere versperrt war.

    „Harkon wird hier schlafen, bis man ihn mit Magie aufweckt. Auf anderem Wege ist da nichts zu machen. Ich vermute, der Zauber ist auf Harkon übergesprungen, als du ihn berührt hast. Manchmal reagieren Zauber nur auf magische Wesen, darum hat dir das Schwert nichts ausgemacht", bemerkte Eryn und Ravenor fragte:

    „Wenn man ihn mit Magie aufwecken kann, dann könntest du es ja versuchen? In den vielen Stunden, die du mit Studieren verbracht hast, musst du ja schließlich auch irgendetwas gelernt haben."

    Diese blöde Bemerkung stieß Eryn doch ziemlich sauer auf und er hielt seinen Arm mit dem Magieblocker hoch, dabei zeigte er zur Verdeutlichung noch mit dem Finger der anderen Hand darauf:

    „Schon vergessen? Ich kann gerade nicht zaubern. Und dann konnte er sich eine weitere Bemerkung nicht verkneifen: „Ich warte auf Ihre Befehle, Sir Ravenor.

    Aber wenn Ravenor etwas nicht in den Kram passte, ging er einfach darüber hinweg.

    „Jetzt lass den Scheiß! Wir sollten lieber überlegen, wie wir hier wieder herauskommen. So weit ich es von hier aus erkennen kann, hat sich der Stein nicht ganz zurückgeschoben. Dort ist noch ein schmaler Spalt, durch den ein Schimmer Tageslicht dringt. Ich bin sicher, die anderen werden den Stein bald wieder weggeschoben haben."

    Doch Eryn war da anderer Ansicht: „Das glaube ich kaum. Siehst du diese schimmernde Wand da? Die Magie blockiert den ganzen Bereich. Und ich wette darauf, dass der Stein durch Körperkraft nun nicht mehr von der Stelle zu bewegen ist. Aber ein Gutes hat der Schlitz. Zumindest kommt hier etwas Luft von draußen herein und wir werden nicht gleich jämmerlich ersticken."

    „Ruhe, ich hör da was!" Ravenor lauschte angestrengt. Er stand ganz nahe an der magischen Wand und vernahm von draußen nun sehr leise die Stimmen der Soldaten. Auch hatte sich der Spalt gerade verdunkelt, so als ob jemand davor stünde.

    „Könnt ihr mich hören?", rief Ravenor laut und horchte dann auf eine Antwort.

    Auch Eryn war nun an die Barriere herangetreten und lauschte ebenfalls angestrengt.

    „Ja, wir können den Stein nicht bewegen. Es war nicht mehr als ein ganz leises Flüstern, darum brüllte jetzt Ravenor umso lauter zurück: „Wir brauchen magische Hilfe. Harkon ist paralysiert, ansonsten ist niemand verletzt. Aber wir kommen hier von alleine nicht mehr raus. Reitet nach Griscont und treibt einen Magier auf, der sich mit Wächterzaubern auskennt.

    „Verstanden."

    „...und ein Teil der Männer reitet sogleich zurück nach Naganor und berichtet dem Schwarzen Prinzen was hier vorgefallen ist..."

    „Verstanden."

    „...und beeilt euch. Wir haben nicht viele Vorräte und wissen nicht, wie viele Tage wir hier unten durchhalten können!"

    „Wir reiten so schnell wir können, Sir. Ein paar bleiben hier vor Ort."

    „Gut, in Ordnung. Wir sehen uns hier unten jetzt erst einmal genauer um." Ravenor sah nicht sehr zuversichtlich aus, als er sich nun wieder zu Eryn umdrehte:

    „Vor Ablauf von vier Tagen wird hier keiner auftauchen. Lass uns sehen, was wir noch an Vorräten haben. Also ich habe hier noch eine volle Wasserflasche, und du?"

    Vorhin beim Arbeiten hatte Eryn schon ziemlich viel getrunken und so war in seiner Flasche lediglich noch ein dürftiger Rest Wasser übrig. Dafür fand er in seiner Tasche noch Überbleibsel vom letzten Frühstück: Eine geräucherte Wurst und ein halbes Brot.

    „Das werden magere Zeiten, bemerkte Eryn mit Sorgenfalten auf der Stirn, aber Ravenor sah das Praktische an der gegenwärtigen Situation: „Zumindest brauchen wir Harkon nichts davon abzugeben.

    In der Ausweglosigkeit ihrer Lage hatte Ravenor sein arrogantes Gehabe gänzlich abgelegt und verhielt sich so wie früher. Doch der Prinzenbastard hatte es in letzter Zeit so oft übertrieben, dass Eryn sich weiterhin beleidigt gab und stichelte:

    „Und jetzt? Ihre Befehle, Sir Ravenor?"

    Ravenor nervte Eryns Getue und er warf ihm einen tadelnden Blick zu: „Jetzt hör schon auf mit dem Mist. Denk lieber darüber nach, wie wir hier wieder herauskommen. Wäre gut, wenn uns selber eine Lösung einfällt, bevor Seine Hoheit uns persönlich hier rausholen muss. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass er darüber nicht erfreut sein wird."

    Doch über die letzten Tage hatte Eryn einen ziemlichen Frust aufgebaut und dem ließ er nun freien Lauf: „Ach, jetzt ist es auf einmal Mist, wenn ich dich mit Titel anspreche! Und neulich, da hast du mich deswegen noch zusammengeschissen. Weißt du was, seit du befördert worden bist, hast du deine alten Freunde nicht nur einfach vergessen… nein, du hackst auch beständig auf uns herum. Bist wohl zu fein dafür geworden, dich mit uns abzugeben?"

    Diese Anschuldigungen schmeckten Ravenor nicht sonderlich und er versuchte sich zu rechtfertigen. „Ich muss mich so verhalten, um die Disziplin aufrechtzuerhalten und außerdem bist du nur neidisch, weil du immer noch einfacher Soldat bist und ich nicht!"

    Eryn meinte gerade, er höre nicht richtig. Doch wenn er ehrlich war, dann passte diese Denkweise absolut zu Ravenor. Also entschied er sich dafür, hier mal ein paar Dinge richtigzustellen:

    „Das, was du da gerade gesagt hast, glaubst du doch nicht im Ernst, oder? Ich will dir mal was verraten: Mich werden sie nie befördern. Ich bin nur in der Garde, weil der Schwarze Prinz der Meinung ist, dass diese militärische Erziehung meinen magischen Fortschritten dienlich ist und weil dort viele Leute viele wachsame Augen auf mich richten, nur falls ich was Dummes tun sollte. Etwas, das ich im Grunde genommen gar nicht mehr kann, nachdem ich durch diesen verdammten Seelenbann gebunden bin. Und irgendwann werden sie mich nach Aleroth zu Meister Elderon schicken. Denn er ist es, der dieses übergroße Interesse an mir hat. Aber damit ich dem obersten Magier überhaupt nützen kann, muss ich erst einmal die Magie etwas besser beherrschen. Und nur allzu gerne hat der Herr von Naganor selbst die Überwachung meiner Ausbildung bis dahin übernommen. Und nun sag mir ehrlich, ob du wirklich glaubst, dass eine Karriere in der Garde meine Zukunft ist. Übrigens, das neulich mit den Stiefeln war schon ziemlich niederträchtig."

    Einsicht war nicht unbedingt eine von Ravenors Stärken und er entgegnete hitzig:

    „Du musst von Niederträchtigkeit reden. Gib zu, dass der Stimmenzauber von dir kam!"

    Eryn grinste bei dem Gedanken an diesen gelungenen Scherz. „Das war verdient."

    „Ich schlag dir gleich eins in die Fresse! Das wäre genau das, was du dafür verdienst!", regte sich Ravenor auf, doch dann lenkte er unerwartet ein:

    „Ich muss meine Führungsrolle in meinem Zug durchsetzen, sonst werden mich die anderen Männer nie akzeptieren."

    Aber Eryn war in diesem Punkt anderer Meinung und gab Ravenor nun einen wohlgemeinten Ratschlag, so wie er es früher schon oft getan hatte, als sie noch Stubenkameraden waren:

    „Mach es nicht auf diesem Wege, das hast du doch gar nicht nötig. Die anderen haben dich doch schon immer respektiert und wir haben uns damals, als du befördert wurdest, sogar riesig für dich gefreut. Da sagten wir noch: ‚Endlich einmal einer von uns und keiner der verzogenen Lordlinge‘, und dann hast du plötzlich angefangen, dich wie deines Vaters wahrer Sohn aufzuführen."

    Die Worte stimmten Ravenor tatsächlich sehr nachdenklich, aber in seiner Eitelkeit wollte er seinen Fehler auch nicht offen zugeben, sondern brummte nur: „Hmm", und lenkte ab:

    „Jetzt sollten wir uns zunächst einmal um die Barriere kümmern, damit wir schon früher von selbst hier herauskommen. Meinst du, Harkon könnte die Barriere aufheben?"

    „Ich denke schon, denn mit welcher Art von Zauber wir es hier zu tun haben, ist jetzt ziemlich offensichtlich. Und wenn du nicht so schnell nach dem Schwert gegriffen hättest, dann hätte Harkon diese lästige Magie schon im Vorfeld aus dem Weg räumen können."

    Der kann immer nur rumunken. „Hätte, könnte... Ist jetzt eh nicht mehr zu ändern. Hilf mir lieber den Müll hier einzusammeln, damit wir ein Feuer machen können, oder zumindest noch ein paar weitere Fackeln." Sie sammelten Lederreste, Lumpen und das Holz zerschlagener Schilde zusammen. Dabei machten sie um das Zauberschwert, welches nun in einer Ecke lag, einen weiten Bogen.

    Eryn deutete er auf die Knochenreste und meinte: „Den alten Gesellen hier ist es wie uns ergangen. Die haben sich Zutritt zur Gruft verschafft und dann den Zauber ausgelöst. Ein paar wird der Geist erschlagen haben und der Rest ist kläglich verhungert."

    Eryn findet immer so aufbauende Worte. Ravenor wollte schon etwas entgegnen, als er heftig niesen musste. Die Gemeine Rotze hatte ihn schon die letzten Tage über fest im Griff.

    „Was gäbe ich jetzt für einen Heilzauber! Du kannst doch auch Heilzauber wirken, Eryn?"

    „Prinzipiell schon. In der Heilmagie bin ich in meinem Studium am weitesten fortgeschritten. Aber dank deiner Genialität trage ich ja diesen Magieblocker, der dummerweise nur von dem paralysierten Harkon oder einem noch höheren Magier abgenommen werden kann."

    Ravenor hatte sich auf den Boden gesetzt, die Knie angezogen und stützte seinen Kopf in seine Hände. Dabei schlug er gequält vor: „Gibt es denn keinen anderen Weg? Kann man das Ding nicht einfach zerschlagen?"

    Für Eryn war es immer wieder erschreckend festzustellen, wie wenig Ravenor über Magie wusste. Und dabei galt er doch immer als der Unwissende aus den Bergen. Diesen Vorwurf bekam Eryn beständig zu hören. Ich weiß nichts und kann nichts, aber andere wissen offensichtlich noch viel weniger.

    „Genau, hack mir doch gleich die ganze Hand ab und selbst dann kann man nicht sicher sein, ob sich dabei nicht noch ein Vernichtungszauber löst. Kenntnisse in den höchsten Stufen der Magie wären auch dienlich. Ich bin sicher, Meister Elderon oder Prinz Raiden könnten sich hiervon leicht befreien, aber der dumme Fenn aus den Bergen kann das mit seinen zwei Jahren Ausbildung in der Magie leider noch nicht."

    Ravenor fühlte sich leicht elend und nieste schon wieder, darum hatte er Eryns Ausführungen auch nur mit halbem Ohr zugehört. Ist eh nur provokantes Geplappere, das uns nicht weiterhilft. Aber ich geb nicht so leicht auf. Wir müssen doch etwas tun können: „Das Schwert besitzt doch Magie. Kann man damit nicht etwas machen?"

    „Ja, den Geist herbeirufen. Sicherlich eine gute Idee!", entgegnete Eryn sarkastisch, doch dann wurde auch er wieder ernst und sie gingen alle Möglichkeiten durch, die ihnen einfielen, ohne jedoch zu größeren Erkenntnissen zu kommen. Dann nahmen sie wieder Kontakt mit den Soldaten draußen auf und erfuhren, dass es inzwischen Nacht geworden war. Sie beschlossen erst einmal schlafen zu gehen und das, ohne vorher ihre kümmerlichen Wasservorräte anzutasten, da sie nicht sicher seine konnten, wie lange es dauern würde, bis schließlich Hilfe eintreffen würde.

    Als Eryn wieder erwachte, verstrahlte nur mehr die Barriere ihr schummriges Licht. Die Fackel in der Halterung war inzwischen erloschen und Eryn entzündete eine zweite mit einem Feuerstein. Inzwischen war auch Ravenor erwacht und seine Augen glänzten fiebrig. Sie nahmen beide den ersten tiefen Schluck aus ihren Wasservorräten, doch der befeuchtete den trockenen Gaumen kaum. Als Eryn dann etwas später pinkeln musste, tat er dies in einen umgedrehten Helm. Wasser konnte zu ihrem größten Problem werden und dann mochte einfache Pisse ihr Leben retten. Auch wenn Eryn hoffte, auf diese Notlösung nicht zurückgreifen zu müssen.

    Dann setzte er sich und dachte angestrengt nach. Gibt es wirklich keinen Weg hier heraus? Ich bin von der Magie abgeschnitten, ansonsten könnte ich Harkon aus der Paralyse holen und Harkon könnte den Wächterzauber sicherlich beseitigen. Aber weil ich den Magieblocker trage, kann ich nicht zaubern und es gibt keine Lösung für dieses Problem. Und Hunger und vor allem Durst werden uns noch mächtig zusetzen, je länger wir hier ausharren müssen. So eine Scheiße und das alles wegen einem rostigen alten Artefakt. Was ist denn so besonders an diesem Schwert?

    Da überkam Eryn plötzlich eine Erkenntnis: Prinz Raiden schickt uns sicherlich nicht auf die Suche nach diesem Schwert, wenn das gute Stück nicht auch noch ein bisschen mehr kann, als nur besonders hart und scharf zu sein. Gut, es kann auch noch theatralisch leuchten, aber das beeindruckt Prinz Raiden sicherlich auch nicht. Ich vermute, da verbergen sich noch mehr Fähigkeiten in der Klinge.

    Um das herauszufinden, war der unmagische Ravenor kaum von Nutzen. Für ihn war das Stück Metall nicht mehr als ein rostiges Schwert. Aber Eryn würde vielleicht mehr entdecken, wenn er die Klinge in die Hand nahm. Auf meine eigene Magie kann ich nicht zurückgreifen, aber auf die des Artefaktes vielleicht. Nur zu dumm, dass dann der Geist sogleich wieder erscheint.

    Zunächst erklärte Eryn seinem Freund, was er sich gerade überlegt hatte und Ravenor war natürlich sofort für einen Versuch. Alles erschien ihm besser als diese Untätigkeit und obwohl seine Nase wie ein Wasserhahn tropfte und seine Augen verquollen waren, war er bereit, den Geist erneut zu erschlagen.

    Zunächst schafften sie Harkon vorsichtshalber in die hinterste Ecke des Raumes, damit er ihnen nicht im Weg lag. Dann bereitete sich Ravenor auf den Angriff des Geistes vor und gab Eryn ein Zeichen. Der streckte vorsichtig die Hand nach dem Schwert aus und schloss die Finger um das Heft. Für einen Moment befürchtete er, dass auch ihn ein Paralysezauber treffen könnte, aber das geschah zum Glück nicht. Ob dies an dem Magieblocker lag oder daran, dass sich der Zauber schon beim ersten Mal komplett entladen hatte, blieb vorerst ein Rätsel. Dafür aber konnte Eryn tatsächlich den Fluss der Magie in dem Artefakt ausmachen. Da gab es die üblichen Waffenzauber wie Härte, Schärfe, Unzerbrechlichkeit und große Kraft, ergänzt durch einen Lichtzauber, einen Schildzauber, einen Beherrschungszauber und natürlich der Weckruf für den Wächter, der sich auch schon wieder manifestiert hatte und sein Sprüchlein über seine ‚gestörte Ruhe‘ zum Besten gab. Darum legte Eryn, nachdem er herausgefunden hatte, was er wollte, das Schwert auch gleich wieder beiseite und half Ravenor, des Geistes Herr zu werden. Zu zweit war der lästige Wächter schnell besiegt, zumal sie beide gute Kämpfer waren. Dennoch war es ein anstrengendes Unterfangen und Ravenor atmete heftig nach dem Kampf.

    Wieder etwas zu Atem gekommen, wollte er sogleich wissen: „Und, kann uns das Schwert helfen?"

    „Es sieht nicht danach aus. Ich kann zwar auf die Magie des Schwertes zugreifen, aber es liegen nur wenige Zauber auf der Klinge, von denen mir in unserer Situation keiner als sehr hilfreich erscheint."

    Und dann begann er die Zauber für Ravenor aufzuzählen und endete mit der Bemerkung: „Du siehst, wirklich nichts Spektakuläres darunter."

    „Also sind wir so weit wie zuvor?", seufzte Ravenor enttäuscht und Eryn pflichtete dem bei:

    „Leider ja."

    Wieder schlugen sie die Zeit tot und dösten etwas, um ihre Kräfte zu sparen. Ravenor ging es immer schlechter und er begann zu fiebern, während Eryn irgendetwas zu entdecken versuchte, das ihnen letztendlich helfen würde: Was ist an diesem Schwert eigentlich so besonders? Der Prinz schickt uns hierher für diesen Plunder. In Naganor hat er sicherlich unzählige Waffen herumliegen, die weitaus bessere Fähigkeiten aufweisen als diese Klinge. Abgesehen davon, dass der Magier, der sie damals verzaubert hat, schlichtweg vergaß, die Klinge gegen Rost zu schützen. Jetzt kann das Schwert zwar nicht zerbrechen, sieht aber aus, als würde es gleich zu Staub zerfallen. Ziemlich unsinnig.

    Der Tag verstrich, ohne dass sie einer Lösung näher kamen. Sie hatten ihre kläglichen Vorräte aufgegessen und erneut etwas getrunken. Von den Soldaten über der Erde erfuhren sie, dass diese auch an anderen Stellen versucht hatten, in die Kammer vorzudringen. Doch überall stießen sie auf die unüberwindliche magische Barriere. So blieb ihnen nichts anderes übrig als abzuwarten. Die Fackel sparten sie sich inzwischen auf und verbrannten den gesammelten Unrat. Dann brach der dritte Tag an und mittlerweile wurde der Durst quälend, während das Hungergefühl nahezu verschwunden war.

    Trotz ihres großen Durstes rationierten sie das Wasser eisern, denn frühestens in zwei Tagen durften sie auf Rettung hoffen. Sie sprachen auch nur mehr wenig miteinander, ihre Stimmen waren rau und heiser geworden.

    Die Stunden verstrichen langsam und ließen Eryn viel Zeit zum Nachdenken. Wenn ich einen Weg finde, die Paralyse zu brechen, dann kämen wir hier schnell heraus. Allerdings gibt es unzählige Beispiele dafür, wie paralysierte Personen jahrelang in diesem Zustand verblieben, bevor sie wieder erweckt wurden. Und so weit ich mich entsinne, war da stets Magie im Spiel und kein Einziger ist einfach nur so erwacht.

    Plötzlich dröhnte die wohlbekannte Stimme in Eryns Kopf: „Eryn, dein Meister ruft dich. Antworte!"

    Eryn erschrak heftig, denn es war lange her, seit der Prinz von Ardeen ihn über die Verbindung des Seelenbannes gerufen hatte. Er verspürte das dringende Bedürfnis zu antworten, denn der Bann zwang ihn dazu. Zunächst war

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