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Der Krieg der Hexenjäger
Der Krieg der Hexenjäger
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eBook526 Seiten6 Stunden

Der Krieg der Hexenjäger

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Über dieses E-Book

Visionen und ein sogenanntes Wunder zu Cölln führen im Jahre 1626 zur Anklage gegen die Klarissin Sophia Agnes von Langenberg wegen des Verdachts der Hexerei. Der Jesuitenpater Maurus van Leuven kämpft verbissen um das Leben der jungen Frau, der der Tod auf dem Scheiterhaufen droht, hingegen sein Freund, der churfürstliche Anwalt und Ermittler Matthias Liebknecht, in Brüssel bei der Statthalterin der Spanischen Niederlande ein Gnadengesuch für die Condesa Carmen de Silva stellt, die sich in den Fängen der spanischen Inquisition befindet.
Während sich sein Freund in Brüssel aufhält, entdeckt der Jesuitenpater einen Zusammenhang zwischen den Visionen der Nonne und einer geheimnisumwitterten, vergessenen Kirche. Die Kirche der verlorenen Seelen!
Matthias sieht sich nach seiner Rückkehr plötzlich Beschuldigungen wegen Mordes und unheimlichen Geschehnissen gegenüber. Seine Widersacher drängen den Advocatus in eine schier aussichtslose Lage, denn plötzlich sieht sich der Anwalt selbst im Visier der Hexenjäger. Verbissen kämpft Matthias um sein eigenes Leben.
Indessen Maurus die Welt von Gott verlassen glaubt und an der Lehre der katholischen Kirche zweifelt, versucht er alles, um Sophia Agnes von Langenberg vor dem Tod zu retten. Er bemerkt aber nicht, dass sich ihre Gegner bereits zur Schlacht formieren. Denn eine Hexenjagd ohne Gleichen entbrennt und stürzt nicht nur das Rheinland, sondern halb Europa durch den sich wie eine Seuche ausbreitenden Hexenwahn in einen höllischen Abgrund.
Der Krieg der Hexenjäger hat begonnen!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum25. März 2015
ISBN9783738020878
Der Krieg der Hexenjäger

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    Buchvorschau

    Der Krieg der Hexenjäger - Wilfried Esch

    Prolog

    Eine große Dunkelheit zog auf, alles Licht verzehrend, bis eine schreckliche Finsternis herrschte. Alles Gute schien vergangen, alle Liebe erloschen. Die Welt erstarrte in Angst und Schrecken, denn die Tore der Hölle hatten sich aufgetan. Legionen über Legionen von Dämonen des Fürsten der Finsternis machten sich auf, die Erde zu erobern, um aller Seelen habhaft zu werden. Daraus entbrannte ein Krieg, ein schrecklicher Krieg, der kein Erbarmen, kein Entrinnen kannte, der nicht mehr unterschied, zwischen Gut und Böse. Es war der Krieg der Hexenjäger.

    Gott schien die Welt verlassen zu haben, traurig abgewandt von den Gräueln, die Menschen einander antaten. Fortan lebten die Menschen in Angst und Schrecken, fürchteten die Hatz der Hexenjäger, die einen Krieg entfesselt hatten, der gottlos und unbarmherzig geführt wurde gegen jene unglücklichen Seelen, die man als vermeintliche Hexen, als Jünger Satans, ausgemacht hatte. Ein Krieg im Namen Gottes, der aber dem HERRN zum Hohn gegen seine Gebote verstieß, jedwede Menschlichkeit vermisste.

    So gerieten nicht nur Gottes Gebote in Vergessenheit, sondern auch jene Mysterien, die das Leben lebenswert machen, wie der Weg der Rose aus Jesses Art, der Weg der Liebe und des Lichtes. Alsbald schien sich niemand mehr daran zu erinnern, was diese Hexenjagd ausgelöst hatte. Denn sehr bald schon ging es nur noch um Geld und Macht, sich auf Kosten der armen Seelen dieser geschundenen, misshandelten, gequälten und gemarterten Kreaturen, von Gott verlassen, Taschen und Bäuche zu füllen, aller Menschlichkeit entartet, nur noch dem schnöden Mammon dienend.

    Auch ich geriet inmitten dieses Krieges, hin und her gerissen in meinen Gefühlen, voller Angst um die, die mir am Herzen liegen, voller Furcht vor dem wahren Gesicht Satans und voller Zorn und Wut über die Ohnmacht, die mich zu überkommen schien. So erinnerte ich mich in dieser schlimmen Zeit daran, dass die Zeit uns einst zusammenführte, so wie sie uns auch wieder trennte, meinen Freund Matthias und mich.

    Doch wie sagt Jesaia:

    Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden zu deinem Licht ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht."

    Ich erinnerte mich! So folgte ich dem Wort des HERRN und dem Weg der Liebe und des Lichts, so folget auch Ihr denn dem Pfad des Lichts, erkennet die Rose in den Herzen, begreift das Geheimnis der Rose.

    Jetzt sitzen die Mächtigen der Welt zusammen und beraten über den Frieden in Münster und Osnabrück, über das Schicksal Europas. Dennoch, ich bin voller Hoffnung und ich weiß, sie wird eines Tages kommen, Die Zeit des Erwachens!

    Veere, 31. August AD 1648

    Aus den Memoiren des

    Maurus Schouwenaars van Leuven

    Erster Teil Denuntio

    1 Dreizehn

    1.1 Der Alptraum

    Es war heiß, die Sonne stand hoch am Himmel. Drei Knaben spielten Fangen in einem Hof, der zu einer Seite von einer mit Zinnen bewehrten Mauer begrenzt wurde. Die Knaben, einer mochte etwa acht Jahre alt sein, die beiden anderen vielleicht elf, trugen helle Kutten und hatten Spaß am Spiel.

    Plötzlich sprang einer der beiden Älteren auf die Mauer.

    »Seht nur, was ich kann«, rief er den anderen zu und kletterte behände auf eine der Zinnen.

    »Was machst du da?«, rief der Kleine und schaute ängstlich drein. Der Junge auf der Zinne lächelte und breitete seine Arme aus.

    »Ich werde jetzt von Zinne zu Zinne hüpfen«, rief er den beiden anderen zu. Der Größere lachte, hingegen der Kleine weinerlich schrie: »Mach’, das nicht, du wirst stürzen!«

    »Du bist ein Angsthase, Georg ist doch der Drachentöter. Der Erzengel Michael wird ihm Flügel verleihen. Er wird vom Wind getragen werden wie ein Vogel«, lachte der Knabe neben dem Kleinen. »Los Georg, flieg’! Zeig es unserem Angsthasen!«

    Der Junge auf der Mauer überlegte nicht lange und sprang von einer Zinne zur anderen.

    »Siehst du, Georg geschieht nichts«, verhöhnte der andere den Kleinen. Doch dann geschah es! Als Georg wieder auf einer Zinne landete, löste sich ein loser Stein und brach unter seinen Füßen weg. Er strauchelte, wand sich wie ein Wurm, versuchte das Gleichgewicht zu halten. Sein Gesicht war plötzlich voller Angst und Panik. Dann stürzte er. Der Kleine rannte sofort zur Mauer und schaute hinunter. Georg hing an einem Strauch unterhalb der Zinne, der sich im bröckelnden Mörtel zwischen den Steinen verwurzelt hatte.

    »Nimm meine Hand, Georg«, rief der Kleine und streckte Georg seine kleine Hand entgegen, der diese mit der Kraft der Verzweiflung ergriff. »Lambert, Lambert, hilf mir. Ich kann ihn allein nicht halten«, schrie der Kleine verzweifelt und versuchte, Georg hochzuziehen. Doch dann gab das Wurzelwerk des Strauches nach. Georg fand keinen anderen Halt mehr, hing nur noch mit einer Hand an der Hand seines jüngeren Spielkameraden.

    »Matthias, ich rutsche ab, bitte! Hilf mir!«, hörte der Kleine verzweifelte Worte. Todesangst und Verzweiflung waren jetzt in dessen Augen zu sehen.

    Matthias Hände wurden feucht und rutschig, der Junge mit dem blonden Lockenkopf konnte den wesentlich größeren und schwereren Georg nicht mehr halten. Langsam, aber unaufhaltsam, entglitt ihm dessen Hand. Mit entsetzt geweiteten Augen sah der Kleine seinen Freund in die Tiefe stürzen und in einem roten Nebel verschwinden. Dunkelheit!

    *

    Gästetrakt, Palast von Coudenberg, Brüssel, im November 1626

    Er schlug die Augen auf. Für einen Moment blieb er reglos liegen, um dem rot wallenden Nebel vor seinen Augen die Chance zu geben, sich aufzulösen. Matthias fühlte, wie sein Hemd vom Schweiß durchtränkt am Leibe klebte.

    Mühsam richtete er sich auf, ließ seine Füße vom Bett auf den kalten Dielenboden sinken, erhob sich und wankte zum Spiegel über der Kommode mit der Waschschüssel.

    Seine Augen hatten tiefe Ränder, wirkten übernächtigt und entzündet. Seit Tagen hatte er nicht mehr richtig geschlafen. Zu groß war seine Sorge um Carmen, die Frau, die sein Herz begehrte, die sich aber in den Fängen der spanischen Inquisition befand. Carmen, jene Schönheit mit den sanften dunklen Augen und dem braunen Haar, das in der Sonne rötlich glänzte. Wie es ihr jetzt wohl erging?

    Matthias schüttete aus dem bereitstehenden Krug Wasser in die Waschschüssel, tauchte die Hände hinein und wusch sich sein Gesicht. Wieder betrachtete er sich im Spiegel. Seine Haut wirkte grau, so wie sein inzwischen schütteres Haupthaar.

    Die Träume der letzten Tage zehrten zusätzlich an seinen Kräften, lagen wie ein dumpfer endloser Schmerz in seinem Bewusstsein, der kein Ende zu nehmen schien. Kein Ende! Auch dieser Traum hatte wieder kein richtiges Ende. Allmählich kehrte die Erinnerung zurück an jene Zeit, als bei den Benediktinern auf dem Michaelsberg zu Siegburg lebte. Es war wohl in den Jahren 1590 bis 1594. Er erinnerte sich an Magister Martin, der ihm ein väterlicher Freund war, wenn auch der Benediktiner nie Matthias’ Eltern ersetzen konnte, die ihm der Krieg genommen hatte.

    Er erinnerte sich auch an die anderen Kinder, Novizen, die wie er auf dem Michaelsberg lebten. Doch fehlte ihm die Erinnerung an gemeinsame Spiele völlig. Hatte er jemals mit ihnen gespielt? Hatte es dafür überhaupt Zeit gegeben? Matthias erinnerte sich nur daran, dass Magister Martin ihn recht schnell nach Trier brachte. Trier! Zu seiner Verwunderung erinnerte er sich an diese Zeit sehr gut. Aber warum nicht an Siegburg? Und was hatte dieser schreckliche Alptraum zu bedeuten? Namen, aber keine Gesichter! Georg und Lambert, er hatte keine Erinnerung an die beiden. Vielleicht sollte er noch einmal die Abtei besuchen und versuchen, dort oben auf dem Michaelsberg die Antworten auf seine Fragen zu finden.

    Er besann sich wieder auf das Hier und Jetzt. Er war in Brüssel zu Gast in der Residenz der Statthalterin der spanischen Niederlande. Carmen war einst Hofdame der Infantin von Spanien und Portugal, Isabella Clara Eugenia.

    Matthias hatte sie nach seiner Ankunft in Brüssel gebeten, in Carmens Angelegenheit zu intervenieren, ihren Neffen, König Philipp IV. von Spanien, zu bitten, das Inquisitionsverfahren gegen Carmen einzustellen. Er hatte vor der Infantin niedergekniet, ihr sogar im Gegenzug angeboten, in ihre Dienste zu treten, so wie sie es bereits vor einigen Jahren von ihm gewünscht hatte, damals, als die Holländer Bonn beherrschten und ihre Schreckensherrschaft von der Festung Pfaffenmütze ausübten. Damals hatte die Infantin General Spinola mit einer 12.000 Mann starken Armee in Marsch gesetzt, um Churfürst Ferdinand von Cölln zu Hilfe zu eilen. Für die Diplomatie war damals Carmen de Silva zuständig, ihre Hofdame, die Matthias bei einem Fest am Hofe zu Brüssel kennen gelernt hatte.

    »Wir werden die Sache überdenken und zu einer wohlweislichen Entscheidung kommen. Bis dahin bitten wir, dass Ihr Euch als unseren Gast betrachtet«, hatte die Infantin Matthias geantwortet. Dabei war ihr Gesicht regungslos geblieben, wirkte eher streng.

    Jetzt warteten er und Roger de Puivert, der französische Ritter und Gefolgsmann Carmens, schon seit zwanzig Tagen auf die Entscheidung der Infantin.

    Matthias ging zum Tisch und entzündete eine Tranlampe, deren Flamme mehr Licht spendete als die heruntergebrannte Kerze. Schließlich legte er ein paar Scheite auf die Glut im Kamin, die schnell knisternd aufloderten und das Zimmer zusätzlich erhellten.

    Auf dem kleinen Tisch gegenüber der Kommode standen ein Krug Wein und ein Becher. Der Anwalt und churcöllnische Commissarius schenkte sich ein, verdünnte den Trunk aber mit Wasser. Schließlich trat er ans Fenster und schaute hinaus in die kalte Novembernacht. Der Himmel war klar, aber nur wenige Sterne erleuchteten das Firmament. Auf den laublosen Bäumen, den Sträuchern und Wiesen vor der Residenz glitzerte Raureif, der die Umgebung in eine unwirtliche Atmosphäre tauchte.

    Während er in die Dunkelheit sah, wanderten seine Gedanken zurück nach San Juan de la Peña, wo er mit Carmen und ihren Caballeros den letzten Jahreswechsel verbracht hatten, nachdem sie gemeinsam in einem gefahrvollen Abenteuer einen Mörder und Dieb zur Strecke gebracht hatten. Er dachte an ihren Besuch in Bonn im vergangenen Frühjahr, an die wunderbare gemeinsame Zeit.

    Aber all das war in diesem Augenblick unwichtig, angesichts der Gefahr, die Carmen drohte: Folter und Verurteilung, vielleicht sogar der Tod. Man warf ihr Häresie und Hexerei vor, wie er erfahren hatte. Was war nur in den letzten Monaten geschehen?

    Ein Klopfen an der Tür ließ Matthias seine trüben Gedanken für einen kurzen Augenblick vergessen.

    »Ja bitte!«

    Die Tür öffnete sich und Roger de Puivert trat ein.

    »Verzeiht, Commissarius, aber ich sah noch Licht in Eurem Zimmer und dachte ...«

    Matthias lächelte mild.

    »Ist schon gut, Roger. Das ewige Warten lässt auch Euch nicht ruhen, nicht wahr?«

    Der Franzose nickte.

    »Kommt, lasst uns gemeinsam einen Becher Wein trinken. Vielleicht hilft das gegen den Schmerz über unsere Hilflosigkeit.«

    Matthias schenkte Roger de Puivert einen Becher Wein ein und die beiden Männer stießen wortlos miteinander an. Keinem der Beiden war im Augenblick nach einem Trunkspruch.

    »Was machen wir, wenn die Infantin Eure Bitte ablehnt?«, unterbrach der Franzose das triste Schweigen.

    »Das weiß Gott allein, mein Freund. Dann möge der Himmel Carmens Seele gnädig sein«, meinte Matthias und dachte wieder besorgt an die Condesa.

    Erneut klopfte es, ungehalten über die Störung riss Matthias die Tür auf. Ein Bediensteter blickte ihn erschrocken an, richtete dann aber nach einem ehrerbietenden Gruß die folgende Einladung aus:

    »Ihre königliche Hoheit, die Infantin von Spanien und Portugal, Isabella Clara Eugenia, erwartet Euch morgen früh um Neun Uhr in ihrem Audienzsaal.« Mit einer Handbewegung entließ Matthias den Mann und blickte zu de Puivert.

    »Endlich!«, stellte er dann fest. »Das Warten hat ein Ende.«

    *

    1.2 Die Infantin

    Im Audienzzimmer, Palast von Coudenberg, Brüssel

    Isabella Clara Eugenia von Österreich, Infantin von Spanien und Portugal, saß auf einem roten Samtstuhl mit dicken Eichenarmlehnen, als sie Matthias und Roger de Puivert empfing.

    Sie trug ein schwarzes, hochgeschlossenes Seidenkleid mit weißer Spitzenhalskrause, das spanischer Mode entsprach. Ihr rotes Haar war hochgesteckt und mit einem perlen- und edelsteinverzierten Diadem geschmückt.

    Die Gesichtszüge der Infantin wirkten trotz ihrer sechzig Jahre weich und jugendlich. Ihre Brust zierte eine Amtskette und das Collane eines Ritters vom Orden vom Goldenen Vlies.

    Matthias bewunderte insgeheim ihre Schönheit, wenngleich er sich fragte, woher die makellose Farbe ihres Haars herrührte. Seines war schon grau meliert und das anderer Frauen in diesem Alter bereits in Ehren ergraut.

    Außer der Infantin befanden sich ein Sekretär und einige mit Hellebarden bewaffnete Wachsoldaten im Raum. Isabella von Österreich winkte die beiden Männer heran und bedeutete ihnen, Platz zu nehmen.

    »Commissarius Liebknecht! Wir haben Euer Anliegen sorgsam überdacht und Eure damit verbundene Bitte reiflich geprüft«, begann sie mit einer sanften ruhigen Stimme, die dennoch jeden Winkel und jedes Ohr im Audienzzimmer erreichte. »Carmen de Silva war mir stets eine loyale und zuverlässige Hofdame. Ihr Ausscheiden aus meinen Diensten vor drei Jahren habe ich sehr bedauert. Dennoch konnte ich ihre Beweggründe sehr gut verstehen.«

    Carmen hatte damals den Brüsseler Hof verlassen, um sich um die Angelegenheiten ihres kranken Vaters zu kümmern. Es entstand eine kurze Pause, da Isabella von Österreich an ihren eigenen Vater denken musste, König Philipp II. von Spanien, den sie selbst bis zu seinem Tode aufopferungsvoll gepflegt hatte, einer der Gründe, warum sie erst mit 31 Jahren Albrecht von Österreich ehelichte.

    »Darum bin ich gewillt, diese Angelegenheit persönlich zu prüfen. Nichtsdestotrotz seid Ihr, werter Advocatus, ein getreuer Gefolgsmann unseres lieben Freundes Erzbischof Ferdinand von Wittelsbach, Churfürst zu Cölln. Auch ihm zu Ehr und Dank verpflichtet, sind wir gewillt, Eurem Wunsche nachzukommen, zumal Ihr mir Eure persönlichen Dienste angeboten habt, was ich zu gegebener Zeit gerne in Anspruch nehmen werde. Darum haben wir beschlossen, einen Boten zu König Philipp zu entsenden mit der Bitte, die Untersuchung gegen Condesa Carmen de Silva in unsere Hände zu übergeben.«

    Matthias huschte ein zaghaftes Lächeln über das Gesicht.

    »Habt Dank, Königliche Hoheit«, erwiderte er.

    Die Infantin erhob sich und kam auf Matthias zu.

    »Freut Euch nicht zu früh, Commissarius. Ich habe inzwischen erfahren, dass man sie nicht nur des frevlerischen Verbrechens der Hexerei anklagt, so soll sie auch eine Alumbrada sein. Die Alumbrados sind Sektierer, die für viel Unruhe sorgen und es wohl immer geschafft haben, selbst angesehene Mitglieder des Adels auf ihre Seite zu ziehen und sie mit ihren ketzerischen Lehren zu vergiften.«

    »Aber Königliche Hoheit . . .«, begann Matthias. Doch die Infantin hob beschwichtigend die Hand, so dass er verstummte.

    »Man hat Beweise gefunden, nach denen ihr Vater mit den Alumbrados in Verbindung zu stehen scheint. Höchst belastende Dokumente, Briefe, unter anderem an andere Alumbrados gerichtet.«

    »Ich vermag das kaum zu glauben, Königliche Hoheit«, warf Matthias ein, »ihr Vater war stets ein königstreuer Untertan, nun ist er ein alter Mann, der sich zuweilen vielleicht ein wenig seltsam gebärdet.«

    »Ein alter Mann mit seltsamen und gefährlichen Anwandlungen, Commissarius. Wir wissen schon seit längerem, dass er mit Juan Brix Martinez eng befreundet ist und ihm bei der Auffindung von Schriften zu den Legenden um den Heiligen Gral behilflich war.«

    Überrascht sah der Advocatus die Infantin an. Matthias glaubte, ein flüchtiges Lächeln in ihrem Gesicht zu erkennen.

    »Überrascht es Euch, Commissarius? Glaubtet Ihr etwa, uns würden derartige Dinge entgehen?«

    Die Infantin kam noch näher zu Matthias und beugte sich flüsternd vor.

    »Versteht Ihr jetzt, in welcher Gefahr sich die Condesa befindet?«

    »Voll und ganz, Königliche Hoheit.«

    »Selbst wenn ich ihr Leben retten kann, ist dies keine Garantie für ihre Freiheit, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

    Matthias nickte.

    Isabella von Österreich schritt wieder zurück zu ihrem Thron.

    »Caballero Roger de Puivert! Ich habe bereits einen Boten zu König Philipp II. entsandt und gehe davon aus, dass dieser meiner Bitte auf Übertragung der Untersuchung statt gibt. Ihr werdet Euch unverzüglich auf den Weg nach Jaca machen und dort auf das Eintreffen der königlichen Befehle warten. Sodann werdet Ihr die Condesa Carmen de Silva nach Brüssel geleiten. Hier wird sich dann eine Kommission unter meiner Leitung mit ihrem Fall befassen.«

    »Ich würde mich freuen, dieser Kommission angehören zu dürfen«, bemerkte Matthias. Die Infantin hob leicht die Augenbrauen.

    »Nein, das werdet Ihr nicht, Commissarius. Man würde dies als eine unerwünschte Einmischung ansehen, was der Untersuchung mehr abträglich, denn förderlich wäre. Eure Bitte wurde gehört und Ihr werdet zu gegebener Zeit Antwort erhalten. Doch diese Zeit ersuche ich Euch in Bonn zu verbringen. Kuriere werden Euch regelmäßig den Stand des Verfahrens übermitteln. Wir werden Euch außerdem noch ein Empfehlungsschreiben an Churfürst Ferdinand mit auf den Weg geben, das Euch als Gesandten der katholischen spanischen Niederlande ausweist.«

    Isabella von Österreich erhob sich.

    »Gehabt Euch wohl, meine Herren, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

    Die Audienz war beendet. Matthias und Roger de Puivert verneigten sich. Die Infantin verließ zuerst das Audienzzimmer. Die beiden Freunde folgten ihr nach.

    ***

    2 Die Schwesternschaft des Bösen

    2.1 Die Besessenen

    Cölln, Kloster Sankt Clara, im November 1626

    Unruhig warf sich Schwester Lucia in ihrem Bett hin und her. Sie schwitzte trotz der Kälte, die im ungeheizten Schlafsaal der Novizinnen des herrschte. Plötzlich bäumte sich ihr Körper auf und fiel hart auf den Rücken zurück.

    Die Nonne riss die Augen auf und starrte mit schreckgeweiteten Pupillen zur Decke. Ihr Atem ging stoßweise und schnell, ihr Puls raste und sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde zerspringen. Ihre verschwitzte Haut brannte wie Feuer.

    Die alte Alberta hatte Recht, etwas Unheimliches ging im Kloster vor, etwas grauenhaft Furchterregendes. Jetzt glaubte Lucia es auch. Ein Dämon hatte versucht, sich ihrer im Schlaf zu bemächtigen. Deutlich sah sie ihn vor sich, seine grässliche Gestalt, die glühenden gelben Augen, wie er über ihr schwebte, in sie einzudringen versuchte und ihren schmalen Körper rüttelte und schüttelte, um sie gefügig zu machen. Übelkeit stieg in der jungen Nonne auf.

    Sie zitterte, spürte die Angst, die sich wie eisige Kälte langsam in ihrem Körper ausbreitete und sie zu lähmen drohte. Sie musste die anderen warnen, vielleicht war es nicht nur ein Dämon, vielleicht waren es ihrer viele, und sie alle im Kloster in großer Gefahr. Lucia wollte sich aufrichten, doch im selben Augenblick spürte sie, wie eine unsichtbare Faust in ihren Unterleib schlug und ihr die Luft zum Atmen raubte. Laut gurgelnd erbrach sie eine weiße schleimige Masse. Unmenschliche Schmerzlaute folgten.

    Schwester Margareta hatte es zuerst bemerkt. Erschrocken von seltsamen, unheimlichen Geräuschen geweckt, fuhr sie aus dem Schlaf und erblickte Lucia, die sich unter wilden Krämpfen auf ihrer Bettstatt hin und her warf. Schnell weckte sie die anderen, die sich jetzt entsetzt um Lucias Lager versammelten.

    Eine der Novizinnen erfasste die Gefahr, in der sich Lucia befand, löste sich aus ihrer Erstarrung und eilte hinaus.

    »Lasst mich durch!«, hörten die Novizinnen die Stimme einer Nonne, die sich kurze Zeit später eine Gasse bahnte und an Lucias Bett trat. Sie beugte sich zu Lucia hinunter und untersuchte sie kurz.

    »Holt mir heißes Wasser und Tücher. Los, beeilt euch!«, forderte sie die anderen Novizinnen auf. »Und weckt die Mutter Oberin.«

    Während die Nonne auf die Oberin wartete, wusch sie Lucias Gesicht und Körper.

    »Holt frische Decken und frisches Bettzeug!«, befahl sie erneut den Novizinnen. Doch dann bäumte sich Lucias Körper urplötzlich erneut auf.

    »Bleib ruhig, mein Kind«, versuchte die Nonne die Novizin zu beruhigen und wollte sie zurück aufs Bett drücken. Doch mit einem markerschütternden Aufschrei wehrte sich Lucia dagegen.

    »Helft mir, Schwestern! Helft mir, sie ans Bett zu fesseln, damit sie sich nicht selbst verletzt.«

    Doch noch ehe die übrigen Novizinnen der Nonne zu Hilfe eilen konnten, bäumte sich Lucia mit einem zu einer furchtbaren Grimasse verzerrten Gesicht auf und erbrach sich in hohem Bogen. Der Strahl ihres Erbrochenen traf auch andere Novizinnen, die in heller Panik aus dem Schlafsaal rannten. Danach fiel Lucias Körper bewusstlos auf das Bett zurück. Endlich kam auch die Oberin in den Schlafsaal geeilt.

    »Was geht hier vor, Schwester Franziska?«

    »Die gleichen Symptome wie bei Schwester Theodora, Mutter Oberin«, erklärte die Nonne.

    Die Oberin warf einen Blick auf das Bett.

    »Lebt sie noch?«

    »Ja«, antwortete Schwester Franziska.

    »Sie sieht furchtbar aus. Ihre Haut wirkt so merkwürdig durchsichtig«, stellte die Oberin fest. Jetzt riss Lucia die Augen auf, die Pupillen riesig geweitet starrte sie die Oberin an. Dann kippten die Augäpfel nach hinten und verliehen der jungen Novizin ein dämonisches Aussehen, unmenschliche Schreie folgten.

    Inzwischen hatte auch eine alte Nonne mit runzligem Gesicht den Schlafsaal betreten. Ihre Rechte auf einen Krückstock gestützt, wackelte sie auf zittrigen Beinen zu Lucias Lager. Sie richtete den immer noch klaren Blick ihrer wasserblauen Augen auf die Novizin, um sich dann an die Oberin zu wenden.

    »Ich habe es Euch doch gesagt, der Teufel ist unter uns. Ihr müsst jetzt etwas unternehmen«, forderte sie die Oberin unmissverständlich auf.

    »Noch haben wir keinen eindeutigen Beweis«, warf Franziska ein. »Wir sollten nichts überstürzen. Wenn wir den Generalvikar unterrichten, wird er mit einer Heerschar von Priestern und Exorzisten über uns herfallen. Bedenkt das Schicksal, das unserer armen Schwester Sophia droht. Wollt Ihr, dass noch mehr von uns verhaftet und vielleicht der Folter des Henkers überantwortet werden?«

    »Ich sage Euch, hier geht es nicht mit rechten Dingen zu! Gott hat dieses Haus verlassen und der Teufel es zu seinem Tummelplatz auserkoren«, beharrte die Alte.

    Jetzt regte sich Lucia wieder. Die Oberin warf Franziska und der Alten einen strengen Blick zu, der ihnen zu schweigen gebot. Dann beugte sie sich zu Lucia hinunter.

    »Gelobt sei Jesus Christus, mein Kind. Kannst du mir sagen, was dir fehlt?«, fragte die Oberin. Lucias Hand griff nach dem Nonnenkleid der Oberin und zog diese näher an sich heran.

    »ASMMO ...«, brachte sie heraus und blickte gleichzeitig die Oberin verzweifelt an, denn diese Laute entsprachen nicht dem, was sie sagen wollte.

    »Was willst du sagen, mein Kind?«, fragte die Oberin und versuchte zu erkennen, welche Worte Lucias Lippen formten.

    »Dääähmon«, keuchte die Novizin schließlich. »Gefaaahhr«, folgte. Dann fiel sie wieder kraftlos zurück, um im gleichen Moment wieder in eine tiefe Schwärze zu versinken.

    »Ihr habt es alle gehört«, krächzte die Alte. »Sie hat uns vor einem Dämon gewarnt. Wir sind in großer Gefahr. Ich hatte also Recht.« Mit bleichen Gesichtern blickten die Oberin und Schwester Franziska zu Lucia und dann wieder zu der Alten.

    »Du hattest Recht, Alberta«, gewann die Oberin als Erste ihre Fassung wieder. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte sie dann zu Franziska gewandt. »Veranlasse, dass Generalvikar Gelenius informiert wird und rufe alle Schwestern sofort in die Kirche, damit wir für die armen Seelen beten können.«

    »Und was machen wir mit Schwester Lucia?«, wollte Franziska wissen.

    »Bindet sie ans Bett. Ihr Körper scheint zwar erschöpft zu sein, jedoch könnte sich der Dämon ihrer erneut bemächtigen.«

    *

    Johannes Gelenius, der Generalvikar des Cöllner Erzbischofs Ferdinand von Wittelsbach war von korpulenter Gestalt. Sein Haupt zierte gelocktes Haar und aus dem vollen Gesicht stachen besonders die großen, runden Augen hervor. Die geschwungenen Lippen umrahmte ein kurz geschnittener Kinnbart.

    Als er die Amtsstube der Äbtissin des Klosters Sankt Clara betrat, folgten ihm zwei weitere Geistliche sowie ein Arzt und ein hagerer Dominikanermönch. Die Oberin erhob sich und kam dem Generalvikar und seinem Gefolge einige Schritte entgegen.

    »Gelobt sei Jesus Christus. Seid bedankt für Eure schnelle Visitation, hochwürdigster Generalvikar«, begrüßte die Klosterfrau Johannes Gelenius. »Darf ich nach den anderen Herren fragen?«

    »Gelobt sei Jesus Christus, Schwester.«, erwiderte der Generalvikar den Gruß. »Mein Erscheinen ist wohl angebracht, angesichts dessen, was sich in diesem Sündenpfuhl ereignet. In der Tat! Eure Nachricht versetzte mich in größte Besorgnis, darum begleiten mich diese ehrwürdigen Herren. Denn es gebietet sich von selbst, dass wir die geschilderten facta, Vorfälle sogleich untersuchen müssen. Eine disputatio, wissenschaftliche Untersuchung, ist unumgänglich. Das sind die Hochwürden Paul Binz und Dekan Amadeus Mühlen sowie der Arzt Petrus Schorn. Zudem begleitet mich Pater Jean de Cluny, genannt Liborius, vom Ordo fratrum Praedicatorum, dem Dominikaner Orden. Ihm wird wohl die schwierigste Rolle zukommen. Pater Liborius ist ein ausgewiesener Experte in Dämonologie und ein ebenso erfahrener wie auch erfolgreicher Exorzist.«

    »Gelobt sei Jesus Christus und willkommen in unserem bescheidenen Haus«, begrüßte die Oberin auch Gelenius’ Begleiter mit einem zaghaften Lächeln.

    »Habt Ihr die Novizinnen isoliert, so wie ich es Euch auftragen ließ?«, erkundigte sich Gelenius.

    »Ja, genauso wie Ihr es wünschtet. Schwester Theodora war bereits abgesondert auf der Krankenstation. Schwester Franziska stellte für Schwester Lucia ihre Zelle zur Verfügung und betreut höchstpersönlich das arme Kind.«

    »Gut, dann lasst uns sofort mit der Untersuchung beginnen. Die Novizin Lucia ist ansprechbar, sagtet Ihr?«

    »Ja, sie ist hin und wieder bei Bewusstsein.«

    »Dann beginnen wir mit ihr«, entschied der Generalvikar. »So bringt uns denn zu ihr, Schwester!«

    Gehorsam eilte die Äbtissin voraus, dennoch gefiel ihr die Situation nicht. Die Schwesternschaft des Klosters Sankt Clara gehörte dem Franziskanerorden an und unterstand somit nicht der Jurisdiktion der Erzdiözese, sondern unmittelbar Rom. Doch seit der Verhaftung der Schwester Sophia Agnes von Langenberg im vergangenen Mai war alles anders. Plötzlich hatte Erzbischof Ferdinand das Recht, beinahe alle Fälle im Kloster zu untersuchen, sofern sie mit Wundern oder dem Verdacht der ketzerischen Hexerei zu tun hatten. Dabei war der Generalvikar sein williges Werkzeug!

    Auch die alte Alberta machte sich auf den Weg. Sie musste unbedingt mit dem Herrn Generalvikar sprechen: Was waren das für Zeiten? Der neue päpstliche Nuntius Pier Luigi Carafa hatte alles aus dem Ruder laufen lassen durch seine unbedachten Äußerungen hinsichtlich der Untersuchung von Wundern. Was mochten wohl die feinen Herren mit den Novizinnen anstellen? Exorzismus? Oder gar die Folter? Was war das schlimmere Übel? Eine Wahl zwischen Pest oder Blattern! Gab es Schlimmeres?

    Noch während sie ihren Gedanken nachhing, kreuzte die alte Alberta den Weg des Generalvikars.

    »Endlich!«, rief sie triumphierend. »Es wird Zeit, dass man den Dämon austreibt, bevor noch mehr Unheil geschieht und sich der Teufel an weiteren Schwestern vergreift.«

    Abrupt blieben alle stehen und starrten die Alte an.

    »Alberta, was soll das?«, erregte sich die Oberin.

    »Aber bitte, Schwester«, griff Gelenius ein. »Lasst uns hören, was Eure Mitschwester zu sagen hat. Jeder Hinweis kann hilfreich sein.«

    Die Alte ergriff mit ihren knöchrigen Fingern die fleischige Hand des Generalvikars, um sie zu küssen.

    »Habt Dank, hochwürdigster Generalvikar. Ich denke, ich weiß, welcher Dämon Besitz von Lucia ergriffen hat!«

    Alberta genoss diesen Augenblick und warf der Äbtissin einen geringschätzigen Blick zu, in dem ihre ganze Verachtung der Oberin gegenüber zum Ausdruck kam. Immer wieder war Alberta von der Äbtissin zurechtgewiesen worden, sie sehe Gespenster, sei voller Aberglauben, hatte die Äbtissin Alberta gescholten. Jetzt schenkte ihr endlich eine höhere Macht Gehör.

    »Also? Was ist?«, wurde Gelenius ungeduldig. Alberta krümmte sich, als hätte man sie geschlagen, drehte ihr runzliges Gesicht dem Generalvikar zu, dessen strenger erwartungsvoller Blick den ihren traf.

    »As…mmm…mo… waren ihren letzten Silben, als der Dämon in sie drang, um den satanischen Incubus zu vollziehen«, raunte die Alte geheimnisvoll und bekreuzigte sich. »Ihr Körper bäumte sich auf, warf sich hin und her, als wäre sie schamlos der Fleischeslust verfallen. Es gibt nur einen Teufel, auf den dieses Verhalten zutreffen kann: Asmodäus, der Dämon der Wollust!«

    »Woher wollt Ihr das wissen, Schwester?«, hinterfragte Jean de Cluny mit stark französischem Akzent nach einem Moment der Überraschung Albertas Aussage.

    »Ich bin zwar alt, aber nicht dumm, Pater«, entrüstete sich die Alte beleidigt.

    »Hab‘ Dank für deine Hilfe, Schwester«, beschwichtigte Gelenius. »Wir werden deine Worte wohl überlegt bei unserer Untersuchung berücksichtigen. Doch jetzt müssen wir weiter!«

    Auf seinen Wink hin setzte die Äbtissin den Weg mit versteinerter Miene fort, während ihr der Generalvikar und die anderen folgten.

    Sorgenvoll blickte die Oberin drein, als sie mit den hohen Herren im Gefolge die Klosterzelle betrat, in der man Lucia isoliert hatte. Schwester Franziska saß neben der Novizin auf der Bettkante und betete.

    »Sie schläft jetzt ruhig«, erklärte sie den Anwesenden, nachdem sich der Generalvikar nach dem Befinden der Novizin erkundigt hatte.

    »Gut, Schwester. Dann lass uns jetzt allein, damit wir mit der Untersuchung beginnen können«, forderte Gelenius sie auf, die Zelle zu verlassen. Die Nonne zögerte.

    »Meint Ihr nicht, ich könnte vielleicht von Nutzen sein, hochwürdigster Generalvikar?«, fragte Schwester Franziska.

    »Ich wüsste nicht, warum«, entgegnete Johannes Gelenius ungehalten.

    »Aber bedenkt doch, sie ist eine Frau«, warf Franziska ein. Die überraschten Würdenträger warfen ihr erboste Blicke zu.

    »Sei unbesorgt, Franziska«, griff jetzt die Äbtissin ein, um die eskalierende Situation zu retten. »Die Herren sind allesamt erfahrene personae, du kannst beruhigt sein.«

    »Wie Ihr wünscht, Mutter Oberin!« Schwester Franziska bekreuzigte sich und verließ die Zelle.

    »Doktorius Schorn, würdet Ihr mit der medizinischen Untersuchung beginnen?« Der Arzt, ein kleiner rundlicher Mann mit Glatze, blickte den Generalvikar zustimmend an. Der gefährliche Unterton in Gelenius’ liebenswürdigen Worten war ihm nicht entgangen. Bereits auf dem Weg ins Kloster hatte ihm der Generalvikar unmissverständlich klargemacht, dass er schnelle Ergebnisse erwarte, die wiederum den Cöllner Erzbischof und Churfürsten Ferdinand von Wittelsbach zufriedenstellen müssten.

    »Wir, wir müssen sie entkleiden«, unsicher schaute er zur Äbtissin.

    »Ich werde Euch helfen, Doktor!« Die Äbtissin löste die Fesseln, die Lucia ans Lager fesselten, und entkleidete die angehende Nonne.

    Als Doktor Schorn der Novizin den Leib abtastete, stöhnte die junge Frau vernehmlich, dann bäumte sie sich urplötzlich auf, ihr Gesicht verzerrte sich, die Augen quollen vor und aus ihrem Mund kamen unverständliche, gurgelnde Laute. Schließlich erbrach sie grünliche Galle. Dann fiel sie erschöpft zurück.

    »Heilige Mutter Gottes«, murmelte einer der beiden Geistlichen und bekreuzigte sich.

    »Mutter Oberin, wisst Ihr, was die Ärmste zuletzt gegessen hat?«

    »Getreidebrei, so wie wir alle. Warum wollt Ihr das wissen?«

    Der Arzt ergriff Lucias Hand und tastete die Finger ab.

    »Schwester Lucia, spürt Ihr das?«, fragte er schließlich die Novizin.

    »Nnnnnneiiiiiin«, kam schwer die Antwort, ehe die junge Frau sich wieder vor schrecklichen Schmerzen krümmte und ihr gepeinigter Körper sich erneut aufbäumte. Nur mit Mühe konnte der Arzt sie mit Liborius’ Hilfe auf das Bett niederdrücken.

    Doktor Schorn tupfte sich den Schweiß von der Stirn.

    »Warum habt Ihr der Schwester die Finger untersucht?«, fragte Pater Cluny.

    »Ich bin mir nicht sicher, sie könnte an einer Vergiftung leiden.«

    »Was heißt das?«, fauchte Gelenius nervös.

    »Ihre Finger sind taub, dann die Krämpfe in Darm und Unterleib. Das alles sind Symptome für das Antoniusfeuer. Ich müsste das Korn sehen, das man für die Zubereitung des Breis verwendet hat.«

    »Aber das ist blanker Unsinn«, meldete sich jetzt Hochwürden Binz zu Wort. »Dann müssten doch alle Nonnen im Kloster davon betroffen sein. Schließlich sagte die Oberin aus, dass alle den Getreidebrei gegessen haben.«

    »Es könnte sich auch um eine gezielte Vergiftung handeln«, erklärte Schorn weiter.

    »Sehr abwegig, Eure Behauptung, Doktor. Das würde bedeuten, dass jemand der Novizin nach dem Leben trachtet. Kaum zu glauben! Wer sollte das sein und welches Motiv könnte der- oder diejenige in diesem Kloster haben?«, stellte der Generalvikar die Aussage des Arztes in Frage.

    »Vielleicht ist es auch nur ein geschickter Schachzug Satans«, resümierte Pater Liborius. »Der Dämon will Verwirrung stiften, um von sich abzulenken. Der Doktor sollte vorsorglich die Küche untersuchen. Vielleicht ist es ja tatsächlich ein Giftanschlag. Ich werde indessen den Dämon beschwören, der möglicherweise Besitz von ihr ergriffen hat. Dämonen sind verschlagene Ausgeburten der Hölle. Möglich, dass er sogar für einen Giftanschlag verantwortlich ist«, stellte der französische Dominikaner fest.

    »Ihr wollt doch wohl nicht einen Exorzismus durchführen?«, fragte die Äbtissin erschrocken.

    »Die einzige Möglichkeit, werte Schwester, den Dämon zu zwingen, sein wahres Gesicht zu zeigen«, erklärte Pater Liborius.

    »Gut, Pater, dann beginnt damit. Wir haben schließlich alles dabei, Weihwasser und Kruzifixe. Dann wird sich herausstellen, ob wir es mit einer Infestation eines Dämons, Wahnvorstellungen oder vielleicht einer Vergiftung zu tun haben. Doktor Schorn, geht und untersucht die Nahrungsmittel in der Küche! Ihr, Oberin, solltet ihm dabei helfen. Hier sollten sich von jetzt an nur noch personae aufhalten, die mit dem Ritual des Exorzismus vertraut sind und Pater Liborius unterstützen können im Kampf gegen die satanischen Mächte.«

    Mit einer Handbewegung, die keinen Widerspruch duldete, gebot der Generalvikar der Äbtissin und Petrus Schorn zu gehen.

    »Wie Ihr wünscht, hochwürdigster Generalvikar«, bemerkte die Oberin bissig und verließ, gefolgt von Doktor Schorn, die Kammer.

    *

    2.2 Sophias Visionen

    Nachdenklich saß der Jesuit Maurus van Leuven an seinem Schreibpult und betrachtete die darauf ausgebreiteten Unterlagen, seine Aufzeichnungen über Sophias Visionen. Sophia Agnes von Langenberg, eine Nonne des Kloster Sankt Clara zu Cölln, die man der Hexerei bezichtigte. Pater Maurus war einer der Wenigen, die sie regelmäßig in ihrem Gefängnis auf der churfürstlichen Burg in Lechenich besuchen durften. Er war einer ihrer Beichtväter und gleichzeitig ein Spion ihrer Jäger, denn stets musste er nach ihrer Beichte einen Bericht für Generalvikar Johannes Gelenius abfassen. Er hasste sich dafür, den Anordnungen der kirchlichen Obrigkeit entsprechen zu müssen. War das Beichtgeheimnis nichts mehr wert? Warum widersetzte er sich nicht einfach?

    Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen. Im Sommer 1621 befiel Sophia plötzlich eine unerklärliche Krankheit. Heftige Fieberschübe schüttelten ihren Körper, mergelten ihn so sehr aus, dass sie mit dem Engel des Todes rang. In dieser Zeit hatte sie göttliche Visionen. In den Aufzeichnungen des sie betreuenden Franziskanerpaters schilderte sie Jenseitsreisen, während derer Jesus Christus selbst ihr geboten habe, in das irdische Leben zurückzukehren, um seine Botschaft zu verkünden. Dafür solle sie geduldig leiden für die Sünden der Welt und der christlichen Kirche, ihr Kreuz aufnehmen und ihm, dem HERRN, nachfolgen. Dafür wolle er ihren Gebeten für ihre Nächsten entsprechen, was schon bald nach ihrer Genesung geschah. Auf ihre Fürbitten hin wurde eine andere Nonne von der Sankt Vinzenzklause zu Cölln von einem schweren Beinleiden geheilt. Schnell sprach sich das Wunder in der Bevölkerung herum, ebenso ihre mahnenden Predigten über das Versagen der Kirchenoberen. Man verehrte Sophia alsbald als lebende Heilige. Ein Übriges tat das Mirakel eines blutenden Kruzifixes in ihrer Klosterzelle am 27. März, dem Ostersonntag 1622. Trotz eines Verbots durch den päpstlichen Nuntius Pietro Francesco Montoro, das Wunder öffentlich zu machen, sprach es sich in Windeseile in Cölln und darüber hinaus herum.

    Der Nuntius setzte selbst eine Untersuchungskommission ein, aber Zweifel an der Echtheit des Wunders blieben. Man sah Sophia dämonischen Versuchungen ausgesetzt, weil man ihre Mutter in Fälle crimineller Zauberei verwickelt sah. Zudem diente ihr Vater Nikolaus von Langenberg wohl dem protestantischen brandenburgischen Churfürsten Johann Sigismund und seinem Minister Adam von Schwarzenberg. Langenberg, der aus Wipperfürth stammte, und der brandenburgische Minister kannten sich offenbar, denn dieser stammte aus dem nahe gelegenen Gimborn.

    Ein geschickter Schachzug Gelenius’ hatte zudem dazu geführt, dass der Nachfolger Pietro Francesco Montoros vier Jahre später gestattete, das Wunder erneut zu untersuchen. Der neue päpstliche Nuntius zu Cölln, Bischof Pier Luigi Carafa aus Tricarico, nahe Kalabrien im Königreich Neapel, konnte nicht ahnen, dass er nur ein Werkzeug war, er hintergangen wurde und mit seiner Zustimmung eine Untersuchung in ganz anderer Richtung in Gang setzte: Sophia Agnes von Langenberg wurde der

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