Faszination Jazzklavier - 20 Porträts und Interviews
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Über dieses E-Book
Christina Maria Bauer
Christina M. Bauer lebt und arbeitet in München als freiberufliche Musikredakteurin und Journalistin.
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Buchvorschau
Faszination Jazzklavier - 20 Porträts und Interviews - Christina Maria Bauer
Faszination Jazzklavier - 20 Porträts und Interviews
Christina M. Bauer
Vorwort
Mary Lou Williams, Duke Ellington, Count Basie, Art Tatum, Bud Powell, McCoy Tyner, Horace Silver, Thelonious Monk, Bill Evans, Oscar Peterson, Keith Jarrett, Chick Corea, Herbie Hancock, Brad Mehldau und viele weitere Künstlerinnen und Künstler des Jazz: Kaum jemand kennt nicht etwas von der Musik, die sie aus dem Klavier zaubern konnten - und können.
Weltbekannte Standards oder einfallsreiche Innovation, Solokunst oder Interaktion in der Band, knackige Rhythmen, außergewöhnliche Harmonik oder lyrische Melodien, klassiknahe Strukturen oder freie Improvisation, in der Welt des Jazzklaviers gab und gibt es ein enormes Spektrum an Möglichkeiten, und eine Menge Musikerinnen und Musiker, die sie auf ihre Art und aus ihrer Perspektive ausloten und erweitern.
Die Form eines Porträts oder Interviews ermöglicht Einblicke in ihre kreative Welt, ihre Sichtweisen und Erfahrungen, als Künstler - und als Menschen. In den vergangenen Jahren habe ich viele von ihnen spielen hören, mit ihnen in Interviews gesprochen, und über sie, ihre Ideen und ihre Musik Porträts und Features geschrieben. Dieses Buch ist ein Best of der Artikel über Klavierkünstlerinnen und Künstler aus den Jahren von 2014 bis 2020. Die meisten davon sind zuerst in der Musikzeitschrift PianoNews erschienen, einzelne in der Zeitschrift Jazzpodium. Für dieses Buch habe ich sie nun noch einmal neu bearbeitet.
Es sind junge Musikerinnen und Musiker am Anfang ihrer Karriere gleichermaßen dabei wie etablierte Stars. Sie stammen aus der deutschen und der gesamten internationalen Jazzszene. Jede und jeder von ihnen hat eine eigene, einzigartige Stimme am Jazzklavier entwickelt und einen künstlerischen Weg begonnen, der sicher noch zu vielen weiteren interessanten Ideen und hörenswerter Musik führen wird.
Viel Freude beim Lesen, beim Zuhören - und beim Spielen!
Christina M. Bauer
Coverfoto: OneClic/adobe stock
Inhalt
2014
Klassik-Pop-Jazz - Chris Gall
Kobold am Klavier - Iiro Rantala
Mauritischer Jazz - Jerry Léonide
„Durch das Klavier singen" – Lorenz Kellhuber
2015
"Ich spiele nicht nur Klavier, ich spiele mich"-Monty Alexander
„Virtuos, frei und schön" - Marialy Pacheco
Mit Temperament - Anke Helfrich
2016
„Die einzige Wahrheit ist die des Musikmachens" - Sebastian Sternal
Fließende Muster - Benedikt Jahnel
„Jazz hat mich befreit" - Helen Sung
Die Kraft der Vision - Romain Collin
Lebensszenen - George King
2017
„Irgendwo im atonalen Bereich" - Alexander von Schlippenbach
Ein Teil des Möglichen - Aruán Ortiz
Irgendwo, in einer anderen Welt - Younee
2018
Eine andere Virtuosität - Kristjan Randalu
„Ich muss live spielen" - Rainer Böhm
2019
Eine Welt voller Farben - Justin Kauflin
„Das ist meine eigene Welt geworden" - Ulrike Haage
2020
Schwebende Musik - Alain Roche
Klassik-Pop-Jazz – Chris Gall (2014)
Der Münchner Musiker Chris Gall spielt überwiegend neue - und oft eigene - Kompositionen, die sich als moderner Klassik-Pop-Klavier-Jazz bezeichnen ließen. Seine Stücke enthalten feine Gebilde von hymnischer Sanftheit genauso wie Klang gewordene Energiewirbel, gern arbeitet er dabei mit minimalistischen Elementen. Der Absolvent des Berklee College of Music in Boston zeigt seine Vielseitigkeit außerdem durch die Kooperation mit unterschiedlichen künstlerischen Partnern. Mit seinem Trio und dem Popsänger Enik veröffentlichte er die Alben Climbing Up und Hello Stranger. Davon abgesehen spielte er mit der Giana Viscardi Group, dem HiFli-Orchestra, der Weltmusikcombo Quadro Nuevo, Ecco DiLorenzo und mit Gitarrist Andreas Dombert, mit dem er in diesem Frühjahr ein neues Duo-Album veröffentlicht.
CMB: Du hast deine Ausbildung in Boston am Berklee College gemacht. Eine Menge erfolgreiche Musiker waren da. Wie kam das bei dir zustande?
CG: Eigentlich ein bisschen zufällig. Nach dem Abitur wollte ich weiter Klavier lernen, hatte aber nicht vor, das zu studieren. Ich hatte in der Schulzeit viel geübt, war ehrgeizig und wollte Fortschritte machen. Aber ich hatte nicht das Berufsziel Jazzmusiker. Ich war noch zu naiv und unbedarft, um überhaupt über dieses Format nachzudenken, in dem man als Musiker lebt. Relativ unvorbereitet sagte ein Freund, dass er zu einem Stipendiumsvorspiel nach Paris reist. Ich bin einfach mitgefahren und habe vorgespielt, zuerst zum Spaß, und um die Erfahrung zu machen. Ich konnte mir zu der Zeit gar nicht vorstellen, selbst dorthin zu gehen. Dann habe ich ein Stipendium bekommen. Erst da habe ich angefangen, mir darüber Gedanken zu machen, und mich dafür entschieden. Als ich da war, habe ich schnell Feuer gefangen – und wollte nicht mehr aufhören.
CMB: Das hat einen guten Weg mit sich gebracht.
CG: Es war wirklich ein glücklicher Zufall. Nach dem Studium habe ich anfangs noch überlegt, ob ich bei der Musik bleibe, oder ob sie ein Hobby sein soll. Ich kannte die Szene und das Musikleben als Konzertbesucher, kannte allerdings kaum professionelle Musiker persönlich.
CMB: Erfreulicherweise hast du dich doch dafür entschieden.
CG: Ich habe weitergemacht, und die anderen Möglichkeiten, die ich gehabt hätte, vor mir hergeschoben. Bis es zwei, drei Jahre später so weit war, dass ich mir dachte, jetzt ist es so. Da hatte ich meine ersten Aufträge und das Gefühl, das nimmt eine positive Entwicklung, und es würde keinen Sinn mehr machen, etwas anderes anzufangen. Ich war in der Sache drinnen und wollte nicht zurück.
CMB: Du hast für eine längere Zeit die Jazzszene in Boston erlebt. Da gibt es sicher zahlreiche interessante Musiker, und man entwickelt sich gerade in der Ausbildung eine Zeit lang zusammen. Wie ist diese Szene, wenn du sie vergleichst mit München?
CG: Sie ist jedenfalls größer, das ist klar. Die Stadt selbst ist kaum größer als München. Es gibt vor allem mehr Studenten. In meinem Fall gab es etwa dreihundert ambitionierte Jazzmusiker am Klavier, gleichzeitig an einem Ort, die alle das Ziel hatten, in einigen Jahren ihren Abschluss zu machen. In Deutschland werden je nach Größe der Hochschule pro Semester oder Studienjahr zwei oder drei Leute genommen. Am College gab es hunderte, auf jedem Niveau, von Anfängern bis hin zu sehr professionellen Spielern. Außerdem gab es Profis auf dem Weg zum ganz großen Sprung, die noch mal eine Auszeit genommen hatten, weil sie sich von bestimmten Lehrern einen Feinschliff erhofften. Ich habe täglich in einem Gebäude mit einem langen Flur geübt. Es waren etwa hundert kleine Kabinen nebeneinander in diesem Schlauch, mit einer Größe von zwei Quadratmetern - gerade so groß, dass ein Klavier hineinpasste. Die Räume hatten Glastüren, es war ständig ein Riesenkrach.
CMB: Ich stelle mir gerade vor, wie das klingt, wenn jeder etwas anderes spielt.
CG: Es ist gedämpft, trotzdem hört man durch jede Tür, was die anderen spielen. Das ist eine enorme Motivation, wenn man täglich so viel Konkurrenz um sich herum hat. Ich meine das im positiven Sinn. Für mich war es inspirierend, mitzuerleben, wie alle arbeiten. Manche machen besonders viel, oder besonders gut. Es gab Kommilitonen, vor deren Zimmer ich im Vorbeigehen immer kurz stehen geblieben bin, um zu hören, was sie gerade machen. Die habe ich damals bereits bewundert. Bei einigen verfolge ich jetzt noch, was sie tun. Viele haben inzwischen einen großen Schritt gemacht. Als Student war das College der ideale Ort, um Einflüsse aus der ganzen Welt zu erleben. So etwas findet man sonst kaum.
CMB: Ist in dieser Umgebung der Konkurrenzaspekt präsent, oder gibt es Situationen des gemeinsamen Komponierens und Spielens, der Kooperation?
CG: Die gibt es schon. Mit zahlreichen Studenten hatte ich engen Kontakt und Freundschaften. Wir haben uns oft ausgetauscht. Es ging ja um nicht viel im kommerziellen Sinn. Wir hatten noch kein Konkurrenzdenken in dem Sinne, dass man etwas nicht verrät, weil man dann weniger Geld verdienen könnte. Es war ein bisschen wie eine Spielwelt, etwas surreal. Insofern hatten wir alle ein gutes Verhältnis, egal, ob jemand das gleiche Instrument spielte oder nicht. Im Gegenteil, das war wirklich inspirierend. Bei so vielen guten Musikern ist es so, wenn man einen Schritt gemacht hat und dafür woanders womöglich ein Lob erntet, oder selbst denkt, das war gar nicht schlecht - also, auf solche Gedanken kam man da nicht. Es gab eine solche Menge gute Leute, und durch die große Fluktuation bei den Studenten hätte jederzeit zum Beispiel plötzlich ein junger Koreaner dazukommen können, der alle in die Ecke spielt. Eine gewisse Überheblichkeit, die man vielleicht im Laufe der Zeit bekommen könnte, hätte dort nicht funktioniert. Diese Masse von Leuten öffnet einem die Augen, sich selbst und die ganze Szene anders einschätzen zu können.
CMB: Du hast oft in München gespielt. Wie erlebst du die Jazzszene hier?
CG: Sehr vielfältig. Es gibt eine Menge, und teilweise kleine, Spielorte. Natürlich ist es nicht dieses Riesenpublikum, wie man es aus einer Großstadt wie Paris oder London kennt. Es ist insgesamt sehr vielseitig, und das finde ich an sich schon bemerkenswert in Deutschland. Dabei ist es für mich gar nicht so wichtig, ob es in der Szene nur Jazz gibt, oder alle Stile, etwa Weltmusik. Hier leben viele Ausländer, und auch das macht es zu einer lebendigen Stadt. Gejammert wird immer mal, und sicher wäre einiges verbesserungsfähig.
CMB: Zum Beispiel?
CG: Na ja, vielleicht ein wenig mehr Offenheit, und manche Abläufe. Aus meiner Sicht kommt dazu, dass es schöne Bühnen gibt, auf denen kein Klavier steht, oder nur ein verstimmtes. Es ist eine Besonderheit, dass hier im Night Club ein guter Flügel steht.
CMB: Hast du einen Lieblingsflügel in München?
CG: Es gibt einige gute. Der Jazzclub Unterfahrt hat einen tollen Steinway Flügel. Sonst bin ich einfach froh, wenn es ein gutes Instrument ist.
CMB: Du hast sicher zu Hause einen Flügel. Hast du zu diesem einen speziellen Bezug?
CG: Natürlich. Leider werde ich nie die Chance haben, darauf ein Konzert zu spielen. Da beneide ich Gitarristen und Saxofonisten, die das Instrument, auf dem sie jahrein, jahraus üben und das sie in- und auswendig kennen, einfach in die Tasche stecken und mitnehmen können. Mit dem Klavier wächst man so auf. Man lernt, immer auf anderen Modellen zu spielen und sich schnell darauf einzustellen. Man muss sich dem Instrument anpassen, auf die Nuancen eingehen.
CMB: Klar. Du trittst nun seit Jahren professionell als Musiker auf, hast mehrere Alben veröffentlicht und eine Menge Konzerte gespielt, teilweise international. Gibt es ein Highlight, das dir in Erinnerung geblieben ist?
CG: Das Jazzfest in Montreux, das ist eines der legendärsten Festivals. Da ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Die Atmosphäre war toll. Inzwischen war ich dort zwei mal, einmal 2003 als Sideman einer Sängerin, und 2009 mit meinem Trio. Mit der eigenen Band ist es natürlich etwas ganz Besonderes.
CMB: Das war mit deinem ersten Album mit Enik.
CG: Genau. Ansonsten hatte ich erst kürzlich ein Konzert mit einer Latin Jazz Band, wir waren drei Tage in Spanien. Es ist herrlich, wie die Leute mitgehen. Sie sind begeisterungsfähiger, tanzen sofort vom ersten Stück an. Hier ist es gediegener, seriöser. Im Ausland bringt man als Musiker häufig selbst eine spezielle Energie mit, weil man diese Reise macht und sich womöglich besonders auf das Konzert freut. Da ist es leichter, dass der Funke überspringt.
CMB: Du warst