Faszination Jazzbass - 22 Porträts und Interviews
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Christina Maria Bauer
Christina M. Bauer lebt und arbeitet in München als freiberufliche Musikredakteurin und Journalistin.
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Buchvorschau
Faszination Jazzbass - 22 Porträts und Interviews - Christina Maria Bauer
Faszination Jazzbass - 22 Porträts und Interviews
Christina M. Bauer
Vorwort
Ohne die tiefen Saiten wäre der Jazz kein Jazz. Die vier - und gerade bei Solistinnen und Solisten manchmal mehr - Saiten des Basses sind in einem Großteil der Ensembles und Bigbands unverzichtbar. Dass sie oft in der Rhythmusgruppe das musikalische Fundament mit formen, ist eine Sache. Das war schon in frühen Zeiten des Jazz so, als noch der Swing stilistisch im Vordergrund stand. Ob Bebop, Cool Jazz, Hardbop, Jazz-Rock-Fusion, Free Jazz, World Jazz, Kammerjazz oder andere Stile und Entwicklungen, diese Funktion blieb dem Bass erhalten. Hinzu kamen Veränderungen der Rhythmen - und immer öfter auch solistische Parts.
Zu den großen Stilgestaltern und Vorbildern zählen bis heute die US-amerikanischen Granden Jimmy Blanton, Ray Brown, Charles Mingus, Charlie Haden, Gary Peacock, Oscar Pettiford, Paul Chambers, Percy Heath, Ron Carter, Jaco Pastorius, Steve Swallow, William Parker, der britische Basskünstler Dave Holland sowie viele ihrer Zeitgenossen. Der über Jahrzehnte mit verschiedenen Zupf- und Schlag-techniken gut etablierte Kontrabass wird, insbesondere durch Einflüsse aus Klassik und zeitgenössischer Musik, inzwischen auch im Jazz manchmal mit Bogentechniken bespielt. In nicht wenigen Jazzbands kommt statt dessen - oder parallel - ein elektrischer Bass zum Einsatz. Eindeutiges Fazit: Für Musiker und Musikbegeisterte gibt es mehr Variationsmöglichkeiten als jemals vorher.
Porträts von und Interviews mit Musikerinnen und Musikern (und, wie im Fall des BMW Welt Jazz Award 2017, Reportagen aus der Kulturszene) ermöglichen facettenreiche Einblicke in ihre kreative Welt, ihre Sichtweisen und Erfahrungen, als Künstler - und als Menschen. In den vergangenen Jahren habe ich viele von ihnen spielen hören, mit ihnen in Interviews gesprochen, und über sie, ihre Ideen und ihre Musik Porträts und Features geschrieben.
Dieses Buch ist ein Best of der Artikel über Jazzbassisten aus den Jahren von 2015 bis 2020. Die meisten sind in der Musikzeitschrift bassquarterly erschienen, einzelne in der Zeitschrift Jazzpodium. Für das Buch habe ich sie nun noch einmal neu bearbeitet. Es sind etablierte, berühmte Musiker dabei, junge Künstler, die ihre Karriere noch aufbauen, Bassistinnen und Bassisten aller Stile und (fast) jeden Alters. Das Ergebnis ist eine spannende, musikalische Reise mit 22 Begegnungen.
Viel Freude beim Lesen, Zuhören - und Spielen
Christina M. Bauer
Coverfoto: alenavlad/Shotshop.com
Inhalt
2015
Der Sound von 200 Saiten - Sebastian Gramss
Die Summe aller Inspirationen-Christian Meaas Svendsen
„Ein eigenes Universum schaffen" - Olivier Carole
„Ich wollte immer Grenzen überschreiten" - Juan Garcia-Herreros
2016
Kantiger Barde - Heinz Ratz
Im Orchesterformat - Michael Formanek
Nächtliche Geschichten - Sven Faller
Der Dozent - Bernd Heitzler
Musikalische Symmetrien - Henning Sieverts
Jazz Groove - Axel Kühn
2017
„Die Basis aller Dinge" - Anne Mette Iversen
Jazz mit Temperament - Giulia Valle
Sideman auf Solo-Pfaden - Larry Grenadier
Viersaiter im Rampenlicht - Reportage zum BMW Welt Jazz Award
„Erzählen mit den Mitteln des Sounds" - Kinga Glyk
2018
„Der Bass ist so ein unentdecktes Territorium" - Petros Klampanis
„Weit entfernt spielen ist toll" - Stéphane Kerecki
2019
„Immer etwas anders machen" - Mats Eilertsen
„Das Instrument reflektiert mich" - Moto Fukushima
Songs mit Bass - Tal Wilkenfeld
Tradition und Hollywood - Juan García-Herreros
2020
Gefühlvolle Melodikerin - Mai Leisz
Der Sound von 200 Saiten - Sebastian Gramss (2015)
Sebastian Gramss, 49, ist nicht nur ein versierter Solist am Kontrabass, er bringt auch gern ganze Kontrabass-Kollektive auf die Bühne, um seine Kompositionen zu spielen. Es dürfen natürlich mal andere Musikinstrumente mitmischen, wie beim Jazzquintett Underkarl. Im Juni trat Gramss als einer von nur wenigen deutschen Teilnehmern bei der International Society of Bassists Convention in den USA auf. Mit der Bassmasse 13 möchte der ECHO-Preisträger im Herbst sein nächstes Album veröffentlichen.
Eine Sache bringt Sebastian Gramss durch seine künstlerische Arbeit rüber wie kaum ein zweiter: Es gibt kein wichtigeres Musikinstrument vor dem Kontrabass. Womöglich bräuchte die Musikszene sonst gar keine Instrumente. Ok, Gramss spielt natürlich in multiinstrumentellen Ensembles, vor allem dem seit 1993 bestehenden Quintett Underkarl, das für rasant-schrulligen Anarcho-Jazz bekannt ist. In jüngster Vergangenheit befasst er sich zum einen solistisch intensiv mit seinem Tieftöner, außerdem verdichtet er möglichst oft kontrabassistische Möglichkeiten zahlreicher Musiker. Beides steht in enger Wechselwirkung, wie Gramss erklärt: „Ich habe gerade in den letzten Jahren reichlich Erfahrungen gesammelt, die mir halfen, mein eigenes Vokabular als Bassist weiterzuentwickeln und als Soloprogramm zu performen. Mein Wissen um die Feinheiten des Kontrabasses ist auch eine gute Grundlage, um für Ensembles mit mehreren Bässen Stücke zu komponieren." Da tritt schon Mal eine ganze Schwadron von Kontrabassisten aus aller Welt an, etwa zum Auftakt des Moers Festivals 2014. „Die Resonanz zum Auftritt mit der Bassmasse 50 in Moers war sehr positiv, erinnert sich der Musiker.
Dass wir bei der Gelegenheit die neue Bühne einweihten, war wohl mehr für die Außenwirkung von Bedeutung. Als Musiker geht es letztlich darum, am jeweiligen Ort gute Musik zu machen, egal, ob es diesen seit gestern gibt oder seit fünfzig Jahren."
Wenn es um „beste Bassisten geht, und um die eigenen Vorbilder, ist Gramss erst Mal zurückhaltend. „Es gibt viele gute Bassisten, von denen jeder auf seine eigene Art überzeugend ist
, stellt er fest. Man kann sie im Grunde gar nicht so einfach miteinander vergleichen.
Aber schließlich nennt er Peter Kowald, der war ein wichtiger Mentor. Den von ihm geerbten Kontrabass hält Gramss in Ehren, neben seinen drei weiteren Modellen. Dann war da noch Stefano Scodanibbio, der Anfang 2012 im Alter von 55 Jahren an ALS verstarb. Das bedeutete unter anderem das Ende seiner 2008 begonnenen Kooperation mit Gramss. Seine jahrzehntelange Innovationsarbeit als Bassist wirkt trotzdem nach. „In den letzten Jahren hatte sicher Stefano Scodanibbio den größten Einfluss auf mich", berichtet Gramss.
„Er kam mehr aus dem Bereich Neue Musik, dort hat er sich intensiv mit einer neuen Klangästhetik am Bass beschäftigt. Durch seine Arbeit hat er die Rolle des Instruments ein großes Stück vorangebracht. Für viele Bassisten, deren Interessen nicht sehr eng festgelegt sind, ist er sicher eine der großen Leitfiguren, zum Beispiel mit seinem Album Voyage that never ends."
Letztlich war es Scodanibbio, der Gramss zum Aufbau größerer Basskollektive inspiriert hat. Das 2008 von den beiden gemeinsam intiierte Duoprojekt Double the Double Bass führt Gramss bis heute in wechselnder Besetzung mit ausgewählten Co-Bassisten weiter. Im Frühjahr spielte er einige Konzerte mit dem Briten Barry Guy. Eine Aufnahme von Scodanibbio mit zahlreichen übereinandergelegten Bassspuren wurde zum Vorbild für ein größeres Memorial Projekt, das dem so Bedachten gefallen haben dürfte. Mit elf Bassisten aus aller Welt kreierte Gramss eine Einspielung, die er selbst zugleich als künstlerische Weiterentwicklung erlebte: "Das Projekt Thinking of… war für mich sehr wichtig. Es wurde in elf verschiedenen Studios weltweit, von Japan über Europa bis in die USA, aufgezeichnet. Das war ganz schön aufwendig in der Vor- und Nachbereitung. Ich hatte die Musik komponiert, war aber nicht als Produzent vor Ort, wenn die Kollegen ihre Parts einspielten, zum Beispiel Mark Dresser in Kalifornien. Ich konnte nur die Partitur und meine Spielanweisungen schicken, mit Playback- und Click-Tracks, damit die elf zusammengefügten Aufzeichnungen später als Gesamtheit gut klingen würden. Für meine Weiterentwicklung in Sachen Komposition und Postproduktion war dieses Projekt sehr hilfreich." Die elf Bassisten sind außerdem Teil von Gramss‘ bisher größtem Ensemble Bassmasse 50, gegründet 2012. Er schrieb dafür unter anderem die Komposition Schwarm. Die Gesamtkoordination ist ein wenig unhandlich und nicht auf allzu viele Bühnen anwendbar, aber dafür gibt es eine Light-Version: Bassmasse 13. Nach einigen Konzerten Anfang des Jahres erscheint nun im Herbst ein Album dieser Formation. Es geht eine Nummer kleiner in den Quartetten Basz mit Dieter Manderscheid, Joscha Oetz und Robert Landfermann sowie Multibass Orchester 4 mit Dietmar Fuhr, Achim Tang und Christian Ramond.
Doch den mit Thinking of … eingeschlagenen Weg entwickelt Gramss in einem anderen Projekt ebenfalls weiter. Dieses Mal soll es für die Bandleute weniger Vorgaben geben, dafür mehr Mitwirkung: „Bei Sound:Carving möchte ich versuchen, die Stücke stärker aus der Gruppe heraus zu komponieren. Dazu koordiniere ich mit jedem der Musiker zunächst einzelne Einspielungen im Studio, in denen wir individuelle Ideen und Ansätze festhalten, zum Beispiel Fragmente, Rhythmen, Harmonien oder lose Akkordfolgen. Die Aufzeichnungen ergeben eine Skizze, aus der ich anschließend Stücke für das Ensemble komponiere. Auf diese Weise ist jeder schon im ersten Schritt mit seiner eigenen Stimme repräsentiert. Dann erst trifft sich die Gruppe, um die so entstandene Musik einzustudieren und auf Tournee zu gehen." Ab und an zieht es Gramss allein auf die Bühne. Ein Mann, ein Bass, ein bis zwei Bögen und ein Satz Spirocore Saiten von Thomastik-Infeld in Wien. Das lässt eine Menge Spielraum für das Erproben verschiedener Pizzicato-, Slap- und Bogentechniken einschließlich Extended Techniques. Gramss erkundet, was sich aus Saiten, Griffbrett, Korpus und Bogen rhythmisch und klanglich rausholen lässt. Auch melodische und harmonische Gestaltungen schleichen sich immer wieder verstärkt ein. „Neben meiner Bandarbeit ist für mich am Bass derzeit die stärkste innere Herausforderung, ein neues Soloprogramm zu entwickeln und einzuspielen, beschreibt der Musiker.
In dieser Richtung übe, forsche und komponiere ich ständig weiter, aber ich denke, es wird einige Monate dauern, bis das Material wirklich reif ist."
Für ein früheres Soloalbum hat Gramss mit einem eigenen Bassmodell experimentiert: „Den Spacebass habe ich vor etwa zehn Jahren entwickelt. Er hat unter den regulären Saiten noch zwölf Resonanzsaiten, die normalerweise nicht direkt bespielt werden, sondern nur mitschwingen. Das Prinzip ähnelt dem bei einer Viola d’Amore oder einer Sitar. Ich habe diesen Bass bei zwei, drei Stücken meiner ersten Solo-CD gespielt. Für den Bandkontext ist er weniger geeignet, da der Nachhall der Zusatzsaiten recht leise ist. Ab und an denkt der Bassist darüber nach, daraus eine flexible Bass-Erweiterung zu entwickeln. Die wäre mit jedem Kontrabass kombinierbar. Der Musiker bietet interessierten Zuhörern gerne mal einen Blick ins Innere „seines
normalen Kontrabasses, mit dem YouTube-Video Inside A Double Bass. Was er für seinen Tieftöner nach Möglichkeit nie verwendet, sind Verstärker. Bei Bedarf wird in Sachen Soundfülle höchstens über Mikrofonierung nachgeholfen.
Stilistisch agiert der Musiker vor allem in den Bereichen Jazz, Neue Musik und zeitgenössische Musik. Im Grunde, so stellt er fest, landet er meist wie von selbst immer da, wo Improvisation einen hohen Stellenwert hat. Was er in den unterschiedlichen Besetzungen spielt, sind überwiegend eigene Stücke. Zwischen beidem sieht er einen fließenden Übergang: „Improvisation ist im Grunde nur eine schnelle Ad-Hoc-Komposition. Wenn jemand improvisiert, greift er genauso auf sein bisheriges Vokabular zu, er entscheidet sich nur schneller. Manchmal gibt es gute Ergebnisse, die man im stillen Kämmerlein gar nicht hinbekäme, weil man im Prozess des Spielens spontan auf ganz andere Ideen kommt. Was für ihn selbst wichtig ist, davon sollen nach Möglichkeit die Beteiligten im Ensemble ihrerseits etwas haben: „Grundsätzlich achte ich bei vielen meiner Projekte auf ein Gleichgewicht zwischen Auskomponiertem und Improvisation. Mit seltenen Ausnahmen lege ich meine Stücke so an, dass sie auch den Musikern einigen Spielraum lassen.
Die Ergebnisse landen immer wieder mal in einer der zahlreichen Besetzungen auf einem Album. Das sind inzwischen bereits um die 20 als Leader. So manche Komposition entstand außerdem fernab von Konzertbühne und Studio für den Kontext von Filmen, Hörspielen oder Theaterstücken, unter anderem für ein Ensemble von Tanzkünstlerin Pina Bausch.
Die Anfänge des Bassisten liegen inzwischen Jahrzehnte zurück. Sie bestanden damals zunächst in klassischem Unterricht bei Ulrich Lau in Stuttgart. Anschließend ließ er sich am Konservatorium in Amsterdam und der Hochschule für Musik und Tanz in Köln am Kontrabass und in Komposition ausbilden. Er spielte zwar eine Zeit lang Cello, aber das, so Gramss, ist ihm heutzutage wirklich zu klein, und dann Quinten-Stimmung. Auf seinem Weg heimste er ab und an eine Auszeichnung ein, in jüngeren Jahren bei Jugend musiziert, 2013 dann den ECHO als bester Bassist des Jahres national für das Underkarl-Album Homo Ludens.
Inzwischen unterrichtet er an der Musikhochschule in Köln und der Hochschule Osnabrück seinerseits junge Musiker in Jazz-Kontrabass und Ensemble. Davon abgesehen sieht er zu, dass er selbst ebenfalls noch etwas zu lernen findet. Dafür eignen sich internationale Kooperationen. Gramss ist gern auf Reisen durch die Welt. Nach einem größeren Austauschprojekt mit Mexiko im letzten Jahr findet nun unter dem Titel Roots & Shoots eines mit Indien statt, gefördert vom Goethe Institut. Die Anfang 2015 besuchten Musiker sind Ende des Jahres in Deutschland zu Gast. Gramss beschäftigt dabei zum einen, wie für diese multinationale Besetzung mit Sitar- und