fremdgesteuert
Von Ekkehard Wolf
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Buchvorschau
fremdgesteuert - Ekkehard Wolf
Kapitel 1
Viola Ekström blickte auf die Straße vor dem Cafe und lehnte sich zurück. Die Erinnerung hatte sie ausgerechnet vor dem schäbigen kleinen Hotel in Helsinki übermannt, das aufzusuchen sie sich gern erspart hätte. Noch vor wenigen Wochen hätte sie jeden für verrückt erklärt, der auf die Idee gekommen wäre, zu behaupten, ihre Vergangenheit würde sie noch einmal einholen. Aber jetzt war das doch geschehen. In Gedanken glitt sie zurück zu dem Moment, mit dem all das angefangen hatte. Gerade so, als ob es erst gestern gewesen wäre, entdeckte sie sich selbst in dem abgedunkelten Besprechungszimmer in Schottland, in dem sie gemeinsam mit ihren damaligen Kollegen den Versuch unternommen hatte, ihren Abteilungsleiter von den Beobachtungen in Kenntnis zu setzen, die ihr im Verlauf der vorhergehenden Tage „ins Netz gegangen" waren.
Es war ein unangenehmer Tag gewesen. Alles grau in grau. Der Himmel war dicht mit Wolken verhangen. Das Kalenderblatt zeigte das Datum des 10. September. Sie hatte sich damals klar gemacht, dass ihr Vorgesetzter vermutlich mit Wehmut auf dem Weg ins Besprechungszimmer an den zurückliegenden Urlaub gedacht und dabei selbst noch intensiver gefröstelt haben dürfte. Im Vorführraum des kleinen, mit grauen, eingeschossigen Baracken ausgestatteten Gebäudekomplexes der Außenstation des weltweit arbeitenden Nachrichtendienstes war er bereits von ihr und ihren beiden Kollegen erwartet worden. Gemeinsam hatten ihm ihren damaligen Erkenntnisstand vorgetragen.
„Die hohe Schule der Hacker und Cracker also? hatte ihr damaliger Vorgesetzte zum Abschluss ihres Berichtes nachdenklich in einem Ton zurück gefragt, die sie zunächst als sarkastisch wahrgenommen hatte. Wie ihr später klar geworden war, hatte der Oberstleutnant die Perspektiven dessen, was seine Mitarbeiter da an Erkenntnissen zu Tage gefördert hatten als ausgesprochen beunruhigend empfunden. „Wer steckt dahinter?
, hatte er wissen wollen und dabei mit hochgezogenen Augenbrauen in die Runde geblickt. Ihre damaligen Kollegen und sie hatten diese Frage damals mit einer ganzen Reihe von Mutmaßungen beantwortet, schließlich aber einräumen müssen: „Wir wissen es nicht."
Inzwischen war das lange her, aber Viola Ekström musste sich eingestehen, dass sich an dieser Einschätzung seither nicht wirklich viel geändert hatte.
In dem kleinen Café, das zu dem schäbigen Hotel gehörte, von dem Viola Ekström gehofft hatte, es nie aufsuchen zu müssen, kam Unruhe auf. Ein Gast hatte sich genau in dem Augenblick ruckartig von seinem Platz erhoben, als die Bedienung mit einem vollen Tablett hinter ihm vorbei ging. Natürlich gingen die Gläser zu Bruch und die Aufmerksamkeit der wenigen Gäste konzentrierte sich auf die Frage, wie der Gast und die Bedienung mit dem kleinen Missgeschick umgehen würden. Bei Viola Ekström hingegen klingelten bei dem Vorfall reflexartig sämtliche Alarmglocken. Schon fast mechanisch glitt ihre Hand in die Umhängetasche und umklammerte die kleine Galesi, die sie zu ihrem und ihrer Tochter Schutz ständig mit sich führte, wenn sie sich in eine Gefahrensituation begeben musste, deren Ausgang für sie nicht abschätzbar war. Seit einiger Zeit schienen sich solche Gefahrensituationen zu häufen. Die kleine Waffe war so zu ihrem ständigen Begleiter geworden. Doch in diesem Fall schien die Sorge unbegründet. Der Gast entschuldigte sich vielmals und half der überraschten Bedienung sogar dabei, die Scherben aufzusammeln. Das Interesse der anderen Gäste begann sich wieder auf das Geschehen auf der Straße zu konzentrieren und Viola Ekström kehrte in Gedanken zurück zu jenem denkwürdigen Ausflug nach Dänemark und Norwegen, in dessen Verlauf erst die polnische Sonderermittlerin Agnieszka Malik ermordet und anschließend ihr bisheriges Leben gründlichst durcheinander gewirbelt worden war.
Das alles war zwar lange her, aber trotzdem noch immer nicht eigentlich „Schnee von gestern". Vor allem auch, weil Viola Ekström bis zum diesem Moment keineswegs wirklich klar war, wer damals die Mordaktion in Auftrag gegeben hatte. Jedenfalls schauderte es sie bei der Erinnerung an die Ereignisse noch immer. Sie versuchte, sich von den quälenden Gedanken zu befreien, sah genervt auf die Uhr und bestellte sich noch einen Kaffee. Wieder einmal hatte sich ihre Freundin verspätet und diese Erfahrung trug mit dazu bei, weitere Fetzen der Erinnerung bei ihr selbst zu aktivieren.
„Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob es wirklich vernünftig war, mich damals so sang- und klanglos aus dem Staub zu machen."
Wie so häufig in letzter Zeit ertappte sie sich dabei, diese Worte halblaut gesprochen zu haben, obwohl sie allein am Tisch saß. Ohne äußerlich erkennbare Unruhe wandte sich die Frau im nächsten Moment jedoch unmittelbar darauf wieder dem kleinen Mädchen zu, das nicht müde wurde, auf den Platten des Bürgersteigs vor dem kleinen Cafe laut juchzend von einem Bein auf das andere zu springen und mittlerweile aus Sicht seiner Mutter dem Straßenrand gefährlich nahe gekommen war.
„Larischka, Liebling, komm’ hierher, komm’ zur Ma," ertönte es gleich darauf aus ihrem Munde auf russisch.
Der Stimme war kaum eine Spur von Besorgnis anzumerken.
Einem Unbeteiligten musste diese leise vorgetragene Aufforderung wie die ganz alltägliche Reaktion einer Mutter erscheinen, die verhindern möchte, dass das eigene Kind sich dem Straßenverkehr zu sehr nähert. Irritierend hätte lediglich der Umstand wirken können, dass auf der Straße praktisch kein Autoverkehr zu verzeichnen war.
Lediglich ein einziges Fahrzeug näherte sich in einiger Entfernung, das jedoch mit geringer Geschwindigkeit und zudem noch auf der anderen Straßenseite.
Einem aufmerksamen Beobachter wäre indes sicherlich nicht die Hand entgangen, die sich im gleichen Moment wie beruhigend auf die Hand der Mutter legte, die sich ihrerseits so fest um die Tischkante geklammert hatte, dass das Weiße das Blut aus den Knöcheln verdrängt hatte.
Doch einen solchen Beobachter gab es nicht und so war lediglich der in genau diesem Moment eingetroffenen Freundin der unruhige Blick nicht entgangen, mit dem die Frau auf die Annäherung des PKW reagiert hatte, bevor sie sich dazu entschloss, ihre Tochter zu sich zu rufen. Während ihre Hand in der Hand der Freundin ruhen blieb, verschwand die andere Hand wie zufällig erneut in der Umhängetasche, die sie neben sich auf den freien Stuhl gelegt hatte.
Die Augen beider Frauen waren konzentriert auf das näher kommende Fahrzeug gerichtet.
„Lara, hierher, sofort."
Der schärfer werdende Ton der zweiten Aufforderung an das weiterhin unbekümmert am Straßenrand spielende Kind verriet die zunehmende Anspannung, mit der die junge Mutter auf das Näherkommen des Fahrzeugs reagierte. Genau in dem Moment, in dem sie im Begriff war, ihre Hand aus der Umklammerung durch ihre Freundin zu befreien, hielt der Wagen genau auf der gegenüber liegenden Straßenseite.
Viola Ekströms Nerven lagen in diesem Augenblick bereits so blank, dass sie meinte ganz deutlich das summende Geräusch des kleinen Elektromotors zu vernehmen, mit dem der Fahrer des Wagens die Seitenscheibe herunterließ. Während ihre Freundin weiterhin wie gebannt auf das gegenüberstehende Fahrzeug starrte, schnellte die nicht mehr ganz junge Frau wie von einer Feder getrieben von ihrem Stuhl hoch. Mit einem Satz erreichte sie ihre Tochter und zog das völlig überraschte Kind mit einer schon panikartigen Bewegung hinter sich. Während ihr Blick, dem eines gehetzten Wildes ähnlich, fieberhaft nach einer schützenden Deckung suchte und sie zugleich mit einem Sprung versuchte, gemeinsam mit ihrer fest umklammerten Tochter den nahen Müllcontainer zu erreichen, brach sich bei der Landung mit einem stechenden Schmerz in der Schulter bei ihr die Erkenntnis Bahn, von ihren Verfolgern aufgespürt worden zu sein. Sie spürte, wie das warme Blut aus der verletzten Schulterwunde sich auf dem Pflaster ausbreitete, verharrte nichtsdestotrotz zusammengekrümmt hinter dem Container und benötigte einige Zeit, bis sie begriff, dass in Wirklichkeit nichts geschehen war. Auch zu dieser Einsicht gelangte sie schließlich erst, als sie die rüttelnde Hand ihrer Freundin an ihrer unverletzten Schulter spürte und zugleich das leise Wimmern ihrer Tochter wahrnahm, die sie noch immer umklammert hielt. Dem Wagen auf der anderen Straßenseite war zwischenzeitlich ein junger Mann entstiegen, der offenkundig lediglich die Absicht hatte, in dem dahinter liegenden Geschäft seine Einkäufe zu tätigen und der von der durch ihn verursachten Panik auf der gegenüber liegenden Straßenseite anscheinend nicht einmal etwas mitbekommen hatte.
„Komm hoch, vernahm sie die energische Stimme ihrer Freundin, die sich erst im nächsten Atemzug danach erkundigte, ob sich die noch immer am Boden Liegende verletzt habe. Als Viola Ekström aufblickte, musste sie zur Kenntnis nehmen, dass sich in der kurzen Zeit bereits ein kleiner Menschenauflauf von Passanten gebildet hatte. Deren mitleidsvolle Reaktionen machten ihr deutlich, dass die Umstehenden davon ausgingen, sie sei beim Spiel mit ihrer Tochter versehentlich gestürzt und habe sich dabei eine Verletzung zugezogen. Noch während sie sich mühsam versuchte aufzurichten, registrierte sie in einem neuerlichen Panikanfall, wie ihre Tochter in die Reihen der Umstehenden eintauchte und dort verschwand. Erst als ihre Freundin mit ihrer Tochter an der Hand wenige Augenblicke später wieder auftauchte, begann sich die innere Spannung allmählich zu lösen. Sie erhob sich, torkelte leicht, so dass sie sich an den Müllcontainer lehnen musste, spannte dann energisch ihre Muskeln an und teilte sich und den Umstehenden mit: „Es geht schon wieder.
Deren Blicke verrieten ihr zwar, dass sie nicht sonderlich überzeugend gewesen sein konnte, doch als sie gestützt auf ihre Freundin mit ihrer Tochter nunmehr an der eigenen Hand in der Lage war, den Ort des Geschehens zwar langsam aber immerhin zu verlassen, legte sich auch deren Interesse wieder.
„So geht das nicht weiter," zischte noch auf dem Weg zu ihrem Wagen die Freundin der jungen Mutter. Die Frau ohne eigene Identität hatte sich extra einige Tage frei genommen, um ihre langjährige Freundin wiedersehen zu können. Intuitiv hatte sie gespürt, dass ihre früher so lebenslustige Bekannte seit ihrem erzwungenen Abtauchen vor knapp vier Jahren immer stärker unter der Abkapselung und der Isolierung litt, in die sie seither geraten war. Es bereitete ihr körperlich Schmerzen zu erleben, wie die junge Mutter sich immer stärker in eine Art Verfolgungswahn hineinsteigerte und auf dem besten Weg war, entweder schizophren zu werden oder zumindest jedoch depressiv. Das soeben Erlebte bestätigte ihr nachdrücklich, dass es so nicht weiter gehen konnte. Viola Ekström sah die Sache völlig anders. Sie wollte endlich Gewissheit haben. Die Aufregung über das gerade Erlebte löste eine kleine Kreislaufschwäche aus. Nur mühsam gelang es ihr, sich an der Lehne eines Stuhles festzuhalten. „Ich muss mich einen Augenblick setzen," stellte sie klar und ließ sich am nächsten Tisch nieder. Erneut glitten ihre Gedanken daher ab zu den Ereignissen, die sie seither nicht mehr losließen.
Gleich nach ihrer Rückkehr aus Norwegen, hatte sie nach dem Mord an der Malik damals versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um herauszufinden, wer und was sich hinter der ominösen Organisation verbarg, die unter der Bezeichnung „GLOVICO" firmierte. Überschattet worden waren ihre Bemühungen allerdings von dem unerwarteten Ableben dreier weiterer Personen. So musste sie sich eingestehen, dass nach der Mordaktionen gegen die Malik, Olaf Haffner und das Ehepaar Bird faktisch eine grundlegende Veränderung eingetreten war. So waren die Hintermänner der seltsamen Onlineplattform seither auf einen Schlag von der Bildfläche verschwunden gewesen. Viola Ekström rätselte noch immer, ob hierfür tatsächlich die Kommandoeinheiten des Oberst Rudenko verantwortlich waren, oder ob die Täter mit den Abräumaktionen bei den Banken einfach ihr Ziel erreicht hatten und nun auf den Bahamas oder anderswo die Strände bevölkerten. Völlig verändert hatten sich seither auch die Aktivitäten der früheren Kandidaten des obskuren Onlinerekrutierungsbüros. Hier hatte sich offenkundig ein Generationswandel vollzogen. Denen, die da inzwischen die Zügel in der Hand hielten, reichte offenkundig der Kick nicht mehr aus, sich in irgendein fremdes Netz erfolgreich eingehackt zu haben. Ihr Vorgehen war jetzt personenorientiert. Mithilfe der modernen Navigationstechnik orteten sie ihre Opfer, klemmten sich an sie und versuchten sie so zu bearbeiten, dass diese sich zu willfährigen Instrumenten ihres Willens verwandelten. Die Art und Weise, wie sie das taten, hatte durchaus sadistische Züge. Natürlich gehörte ausgerechnet auch sie einmal wieder zum bevorzugten Kreis dieser Opfer. Auch wenn sie nicht begriff, warum. Als Geheimnisträgerin kam sie jedenfalls nicht mehr in Frage. Eher schon als Mittel zum Zweck. Was immer der Zweck sein mochte, der diese Mittel heiligte. War es möglich, dass die Verursacher von damals identisch waren mit den Hintermänner ihres aktuellen Problems?
Viola Ekströms Erinnerung wurde unterbrochen. Der junge Mann, der zuvor mit seinem Wagen ihren Panikanfall ausgelöst hatte, verließ das Geschäft, in dem er eingekauft hatte. Er setzte sich wieder in sein Fahrzeug, wendete und lenkte die Limousine jetzt genau in Richtung des Lokals, in der sich Viola zur Erholung niedergelassen hatte. Sofort umklammerten ihre Hände panikartig den Rand des Bistrotisches an dem sie Platz genommen hatte. Der Wagen kam näher. Beim Hinschauen entdeckte sie, dass der Fahrer nicht allein im Auto saß. Als im gleichen Augenblick ihr Handy klingelte, war sie kurz davor, sich erneut fluchtartig aus dem Staub zu machen. Wieder versuchte ihre Freundin beruhigend auf sie einreden. Aber Viola Ekström war nicht bereit, sich beruhigen zu lassen. Zu offenkundig waren für sie die Versuche der vergangenen Wochen gewesen, sie ausfindig zu machen. Die SMS, die ihr gerade jetzt übermittelt worden war, trug nicht dazu bei, ihre Besorgnisse zu vermindern. Wie ihr ein kurzer Blick auf das Display verriet, enthielt die Botschaft nichts anderes, als einen Link zu einer Internetseite, die ein zweites Leben anpries. Aber sie zögerte diesen anzuwählen, da sie ein Ablenkungsmanöver befürchtete, mit dem ihre Aufmerksamkeit von dem Geschehen vor ihr abgelenkt werden sollte. Zwar hatte der Wagen das Lokal inzwischen passiert, doch hielt er bereits wenige Meter weiter erneut. Abermals verließ der Fahrer sein Fahrzeug und betrachtete die Auslagen eines Schaufensters.
„Lass’ uns hier abhauen, raunte Viola ihrer Freundin zu und musste feststellen, dass diese ihre Bedenken anscheinend zu teilen schien. Sie hatte sich erhoben, ging jetzt ohne zu zögern auf den jungen Mann zu und sprach ihn an. Viola konnte nicht verstehen, was beide miteinander sprachen, doch die erschrockene Reaktion des jungen Mannes machte deutlich, dass ihre Freundin ihn dienstlich aufgefordert haben musste, sich auszuweisen. Früher hätte sie eine solche Beobachtung in Erstaunen versetzt. Aber mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, dass ihre Freundin offenkundig keinerlei Schwierigkeiten hatte, sich mit Dienstausweisen einzudecken. Unwillkürlich fragte sie sich zwar, wie es der Frau gelungen war, den Unbekannten in seiner Sprache anzusprechen, aber anscheinend war auch das nicht unmöglich. Der junge Mann jedenfalls kam der Anweisung nach, wies sich mit einem Dokument aus, setzte sich gleich darauf wieder in sein Auto und fuhr davon. Als ihre Freundin wieder am Tisch angelangt war, hatte Viola Ekström bereits die Internetseite aufgerufen, die ihr gerade per SMS zugestellt worden war. Das, was sie jetzt zu sehen bekam, bestätigte ihre Befürchtungen. Die aufgerufene Seite enthielt nichts anderes, als eine persönliche Widmung mit der schlichten Mitteilung, dass sie identifiziert sei und auch ihr nunmehr die Möglichkeit gegeben werde, ein zweites Leben zu beginnen. Wie immer aber hatte sie keinerlei konkreten Hinweise darauf, wer sie identifiziert hatte. Aber sie begriff, dass es dem Absender der Meldung wohl vorrangig darum ging, sie mürbe zu machen. Sobald ihre Freundin wieder am Tisch war, reichte sie ihr das Handy. Per Blickkontakt verständigten sich beide Frauen darauf, jetzt erst einmal den Versuch zu unternehmen, sich der unmittelbaren Beobachtung zu entziehen. Sie bestellten sich ein Taxi und starteten ihr Verwirrspiel, indem sie sich kreuz und quer durch die Stadt chauffieren ließen. Während ihre Freundin den nachfolgenden Verkehr im Blick behielt, bemühte sich Viola Ekström, die kleine Reise für ihre Tochter wie einen Ausflug aussehen zu lassen. Schließlich hatte sie die kleine Lara mit einer ausgedachten Geschichte unterhalten, bis das Kind eingeschlafen war. Als sie gleich darauf aus dem Fenster blickte, glaubte sie für einen Moment lang ihren Augen nicht zu trauen. Stand da nicht ihr ehemaliger Vorgesetzter von der NSA ganz ungeniert direkt an der Ampel? „Was machst du hier Schultz?
Viola Ekström war aufrichtig erstaunt und wandte ich im Vorbeifahren zurück nach dem Mann am Straßenrand.
Im gleichen Moment wurde die frühere NSA Agentin kräftig nach vorn gedrückt. Der Taxifahrer hatte scharf gebremst. Hierdurch wurde die kleine Tochter der Frau aus ihrem Schlaf geweckt. Sogleich fing sie an, sich über die lange Reise zu beschweren, da sie Hunger habe. Dem Wunsch des Kindes konnten sich die Frauen nicht entziehen und so forderten sie den Taxifahrer auf, am nächsten Schnellimbiss zu halten, zahlten, begaben sich in das Lokal und bestellten das, worauf das Kind gerade Appetit hatte.
„Ola, ich denke, wir sollten unbedingt erneut Deine Identität wechseln. Mir wird das so allmählich unheimlich. Wie haben die das geschafft, Dich zu identifizieren?" Ihre Freundin schien aufrichtig besorgt und zugleich ratlos. Sie gab sich zugleich Mühe, im Ton nicht aufgeregt zu erscheinen, um nicht auch noch das Kind zu beunruhigen, obwohl Lara natürlich genau das Element war, das die Sache für beide Frauen besonders beunruhigend machte. Die Kleine machte sie hilflos und erpressbar – zu eben dem potentiell willenlosen Opfer eben, auf das diese Typen so scharf waren.
Viola Ekström zwang sich dazu, in ebenso belanglosem Tonfall zu antworten. Ihr war klar, dass ihre Freundin recht hatte, aber sie war es leid, auf den Vorschlag einzugehen und brachte das auch zum Ausdruck. Wie oft hatten sie sich bereits auf diesen Ausweg geeinigt? Der wievielte Pass steckte inzwischen in ihrer Tasche? Viola Ekström hatte oft Mühe, sich auf ihren jeweiligen Namen und die dazu gehörende Legende noch ernsthaft einzustellen. Wie hieß sie noch? Wer war sie wirklich? Das, was gerade geschehen war, bewies ja, dass es trotzdem noch möglich war, sie zu identifizieren. Sie wusste auch warum. Das Problem war das Kind. Dem konnten sie nicht ständig eine neue Identität verpassen, ohne es restlos zu verwirren. Anfänglich hatte sie versucht zu verhindern, dass ihre Tochter in einer dieser vielen miteinander vernetzten Datenbanken erfasst wurde, aber selbstverständlich war dieser Versuch fehlgeschlagen. Auch der Versuch, es mit Hilfe von Märchen zu versuchen, war fehlgeschlagen. Das Mädchen hatte da wie alle Kinder eine Zeitlang begeistert mitgespielt, aber immer, wenn es ernst wurde, war sie natürlich zurück in ihre vertraute Identität geschlüpft. Sie war nun einmal die Lara und bestand auch darauf. Dementsprechend musste sie in den offiziellen Dokumenten auch diesen Namen tragen. Ein einziger offizieller Arztbesuch hatte vermutlich auch jetzt ausgereicht, um alle zuvor ausgetüftelten Tarnstrategien gegenstandslos werden zu lassen. Vermutlich würde es trotzdem wieder gelingen, für einige Zeit abzutauchen und sich dem Gesichtsfeld der Häscher zu entziehen, doch gelang das eben immer nur vorübergehend. Inzwischen war Viola Ekström überzeugt davon, diese Herrschaften spielten mit ihr und ihrer Tochter ein ganz übles Katz- und Mausspiel und sie ging davon aus, dass sie nicht die einzige Mutter war, mit der dieses Spiel gespielt wurde. Was sie zunächst nicht verstanden hatte, war, warum diese Typen ihr immer wieder Gelegenheit