Canan und Franziska
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Buchvorschau
Canan und Franziska - Claudia Maria Korte
Canan und Franziska
Titel Seite
Claudia Maria Korte
Canan und Franziska
Für alle meine geliebten Freundinnen und Freunde,
für meine geliebten Eltern
und für alle, denen grenzenlose Freundschaft wichtig ist.
Ein bisschen Vorwort
Ein bisschen Autobiographie,
ein bisschen Phantasie,
ein bisschen İstanbul, Türkei und Kultur,
ein bisschen deutsche Migrationsgeschichte,
ein bisschen Jugendbuch und ein bisschen Erwachsenenbuch -
und ganz viel Freundschaft!
Dieses Manuskript schlummerte fast 30 Jahre unvollendet in meinen Unterlagen und ist nun teilweise zu einem Zeitdokument geworden, mit dem man in ein Deutschland und eine Türkei in den Achtziger und Neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zurückreist – sowohl im migrationsbedingten Denken als auch in den Medien. Es soll ein Lächeln der Erinnerung auf die Lippen bei denen zaubern, die in diesen Zeiten gelebt und kommuniziert haben und einen Erkenntnisgewinn bei den Jüngeren bringen.
Der Zauber der Freundschaft ist hingegen zeitlos.
I
1983 - 1984
„Frank Hermes? - „Ja.
„Anja Hochmann? - „Hier.
„Franziska Kögler? - „Ja, hier.
„Stefan Maurer? - „...
- „Der ist krank."
„Ka...Ka... Die Französischlehrerin stockte. „Den Namen kann ich nicht aussprechen.
Sie nahm einen zweiten Anlauf. „Ka...Kanan Ötzkan. Ist jemand, der diesen Namen hat, hier?" - Alle schauten sich um. Keiner meldete sich.
Franziska grinste in sich hinein. So schwer schien doch der Name gar nicht zu sein. Auf jeden Fall verbarg sich ein türkischer Junge oder ein türkisches Mädchen dahinter, das hörte man dem Namen irgendwie an. Oder? Sie beugte sich zu Simone.
„Weißt du was über die oder den? „Ja, ich glaub', die ist bei Helmut in der Klasse. Herr Kriese hat gesagt, die kommt später, weil sie noch in der Türkei ist. Und er hat gleich die Jungen gewarnt, sich mit ihr näher zu unterhalten, es könnten ja ein Vater oder ein Bruder mit einem Messer auftauchen!
, flüsterte Simone.
Franziska tippte sich mit dem Finger an die Stirn. „Das ist doch wieder typisch Kriese! Der hat wirklich einen Totalschaden."
Simone zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich, wie die türkischen Männer sind?", sagte sie.
„Ach Simone, fauchte Franziska. „Ich kenne auch keine persönlich, aber wenn die schon zum Gymnasium gehen darf, werden ihre männlichen Verwandten wohl nicht gleich auf alle Jungen hier einstechen!
Franziska zog es vor, das Gespräch mit Simone zu beenden, bevor sie sich noch mehr aufregte. Simone war manchmal so ungeheuer hausbacken und hinterwäldlerisch, dass sie mit ihren noch so guten Argumentationen nichts ausrichten konnte. Zudem war die Französischlehrerin inzwischen schon bei der ersten Lektion angelangt, und es war vielleicht besser, wieder aufzupassen. Schließlich war der erste Eindruck, den man bei den Lehrkräften hinterließ, der bleibende. Außerdem war Franziska froh, endlich in der elften Jahrgangsstufe Französisch zu bekommen.
Dennoch ging ihr diese Kanan, oder wie sie hieß, in den nächsten Minuten noch im Kopf herum. Eine Türkin auf dem Gymnasium. Das war noch nie da - sie erinnerte sich nur an Ali, der im letzten Jahr sein Abitur gemacht hatte. Seine Eltern waren vor ein paar Jahren in die Türkei zurückgekehrt, und er hatte sich geweigert. Eine deutsche alte Frau hatte ihn bei sich aufgenommen. Jetzt hatte er sein Abitur und studierte irgendetwas mit Chemie - in Deutschland natürlich.
„Warum er wohl hier bleiben wollte?" fragte Franziska sich.
Vielleicht waren seine Eltern in ein Dorf zurückgekehrt. Ali konnte sich bestimmt nicht denken, in einem Dorf in der Türkei zu leben. Vielleicht hatte er auch sein Türkisch verlernt und traute sich nicht, für immer zurückzugehen, weil er Angst hatte, dass die anderen ihn auslachen würden, weil er seine Muttersprache nicht mehr sprechen konnte.
Schade. Sie hätte sich mal mit Ali unterhalten sollen. Jetzt war es zu spät. Es mussten schon wichtige Gründe sein, die ihn in dieser langweiligen Provinzstadt hielten. Auf jeden Fall machte er auf dem Schulhof einen sehr ausgeglichenen, zufriedenen Eindruck, viel mehr noch als seine Mitschüler. Das mochte daher kommen, dass er sich in seinem Leben bereits bewusst für etwas sehr Wichtiges entschieden hatte, über das die anderen nie nachgedacht hatten, weil sie nie in der Situation waren.
„Nee, Barbara, ich hab' keine Karten dabei, tut mir leid, wir können nicht Skat spielen.", sagte Franziska gerade, als ihr Blick nach hinten in den Klassenraum schweifte.
Da stand sie. Es waren schon zwei Wochen seit der ersten Französischstunde vergangen, und Franziska hatte in der Zeit so viele andere Dinge im Kopf gehabt, dass sie die Türkin völlig vergessen hatte.
Sie stand einfach da, und Franziska konnte sie nur anschauen.
Sie hätte alles erwartet, aber so ein Mädchen nicht. Über ein Mädchen mit Kopftuch hätte sie sich zwar aufgeregt, aber es hätte noch eher in ihr Schema „türkisches Mädchen" gepasst als dieses Mädchen. Sie hatte pechschwarze, schulterlange Haare und war bekleidet mit einer schicken, dunkelblauen Lederjacke, einer weißen Bluse und - einem Minirock! Der und die dunkelblauen, halbhohen Pumps waren für Franziska das Auffallendste. Auf dem Gymnasium lief keine mit Pumps herum. Aber ihr stand das, sie sah wirklich hundertprozentig aus mit ihren Büchern, die sie wie einen Schutzschild vor die Brust hielt. Wahrscheinlich hätte sie auch hundertprozentig ausgesehen in einem Müllsack, denn sie sah sehr gut aus. Franziska konnte gar nicht den Blick von ihr wenden. Sie wirkte so selbstbewusst und souverän, wie sie es von keiner ihrer Klassenkameradinnen und Freundinnen kannte. Aus ihren braunen großen Augen ließ sie einen kühlen, fast herablassenden Blick über den Französischkurs los und setzte sich schließlich ganz nach hinten auf den freien Platz, ausgerechnet neben Frank, diesen Penner. Franziska beschloss sofort im Stillen, dass sie neben dem nicht sitzen bleiben durfte. Gleichzeitig beschloss sie, dass sie dieses Mädchen kennen lernen müsse.
Auch die anderen hatten sie inzwischen entdeckt und warfen Blicke, flüsterten. Falls „das Mädchen" (Franziska hatte natürlich ihren Namen vergessen...) überhaupt etwas von den Blicken und den Worten, die ihr galten, registrierte, merkte man ihr das jedenfalls nicht an - sie schaute ins Leere, was auch nicht lange dauerte, da die Französischlehrerin den Raum betrat.
Franziska mochte Frau Hein sehr gerne; sie entsprach ihrer Vorstellung, wie eine Lehrerin zu sein hatte: nicht streng und gerade dadurch eine Autorität. Außerdem war sie sehr freundlich und lieb. Sie gab sich viel Mühe mit ihren Schülern, die fast ständig über die französische Aussprache stolperten. Inmitten des Chaos von herumstehenden, redenden und sich langsam zum Platz begebenden Schülern entdeckte Frau Hein ihre neue Schülerin erst, als sie sich ihren Weg nach vorne gebahnt hatte.
„Oh, sagte sie und lächelte. „Jetzt sind Sie also doch noch gekommen. Herzlich willkommen! Können Sie mir bitte noch mal Ihren Namen sagen, ich hatte schon auf der Liste Schwierigkeiten, ihn zu lesen.
„Ja klar., sagte das Mädchen. „Ich heiße Canan Özcan, und ich war noch mit meiner Familie in der Türkei, deswegen bin ich so spät gekommen.
Also nicht Kanan Ötzkan, sondern Dschanan Ösdschan, dachte Franziska. Das 'c' wird anscheinend weich gesprochen im Türkischen. Dschanan hört sich auch viel besser an als Kanan. Das ist viel zu hart. Mit Dschanan kann man so richtig spielen. Der Name rollt im Mund hin und her wie eine weiche Kugel, über die man sich freut, weil sie so rund und weich ist. Canan, Caaanaaan. Den Namen würde sie bestimmt nicht mehr vergessen.
„Sie haben noch nicht viel verpasst., sagte Frau Hein gerade. „Fangen Sie ganz neu mit Französisch an?
„Nein, ich habe schon auf der Realschule Französisch gehabt.", antwortete Canan.
„Na, dann werden Sie sich in den ersten Monaten bestimmt langweilen., lächelte Frau Hein. „Och, das macht nichts, ich kann ja alles noch mal auffrischen.
, sagte Canan und lächelte auch.
Na phantastisch, dachte Franziska. Wenn die nicht wie geschaffen ist für mich. Sie langweilte sich nämlich auch schon, weil sie einige Brocken Französisch durch den Urlaub konnte und auch die Aussprache, die für die anderen das größte Hindernis zu sein schien, bereitete ihr keine Schwierigkeiten. Frau Hein würde bestimmt nicht schimpfen, wenn Canan und sie in Zukunft nicht ganz aufmerksam sein würden.
Simone flüsterte: „Die scheint ja ganz nett zu sein! Franziska nickte und fragte gleich darauf Barbara, die auf der anderen Seite saß: „Hast du was dagegen, einen Platz aufzurücken, damit Canan hier sitzen kann? Wir können sie doch nicht neben Frank sitzen lassen, da geht sie ja ein!
„Klar, ich rücke auf., sagte Barbara. „Ab nächster Stunde!
Franziska war etwas nervös. Canan war ihr am Ende der letzten Stunde entwischt; sie war ganz schnell aus dem Raum geflitzt, bevor Franziska sich überhaupt erheben konnte. Wahrscheinlich hatte es ihr nicht so sonderlich gefallen oder sie wollte in Ruhe den nächsten Raum suchen. Als Neuling konnte man sich an dieser Schule erstklassig verlaufen. Canan schien auch nicht der Typ zu sein, um jemanden zu fragen. Sie schien sich lieber selbst durchboxen zu wollen.
Gerade deshalb war Franziska jetzt kribbelig. Sie spürte geradezu schon, wie Canan sie mit ihren arroganten Blicken durchbohren würde. Aber vielleicht täuschte der erste Eindruck ja auch?
Ach egal, einfach los!
„Hallo, ich bin Franziska!" Franziska lächelte und streckte Canan ihre Hand hin. Die ergriff sie und lächelte auch.
„Also, diese Schule kann einen ganz schön nerven, wenn man neu ist, hab' ich recht? Hast du nicht Lust, dich zu uns nach vorne zu setzen? Hier so alleine neben Frank ist es doch tödlich langweilig. Wir haben vorne immer Spaß. Kommst du gleich mit? Barbara ist schon einen Platz weitergerückt. Du sitzt dann zwischen uns."
Uff, es war heraus. Franziska war mal wieder ihrer Gewohnheit verfallen, in aufregenden Situationen wie ein Wasserfall zu reden, ohne dem Gegenüber auch nur die Spur einer Chance zu lassen, zu antworten. Sie schaute Canan freundlich, aber etwas verlegen in die Augen. Die war schon dabei, ihre Sachen zusammenzupacken.
„Ja gerne, dankeschön!", sagte sie.
In der Stunde konnte sich Franziska überhaupt nicht auf Französisch konzentrieren. Sie kramte einen Zettel hervor, schrieb „Wo wohnst du?" und schob ihn zu Canan. „In Hensheim" lautete die Antwort. Franziska stutzte. Hensheim war 20 Kilometer von Warthaus entfernt und in der näheren Umgebung von