Wolken klingen rosa
Von Katrin Meyer
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Über dieses E-Book
Das Buch wurde für Menschen geschrieben, die sich fühlen wie Luftballons in einer Welt voller Nadeln. Die anderen Leserinnen und Leser erhalten ein kurzweiliges Lesevergnügen mit Stimmungen von heiter über tiefgründig bis zynisch und bekommen zudem einen Einblick in die Welt hochsensibler Menschen.
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Buchvorschau
Wolken klingen rosa - Katrin Meyer
All you can feel
chapter1Image1.pngWolken klingen rosa
Katrin Meyer
Sie hat mich angelächelt. Die Kassiererin an der Tankstelle hat mir heute den Tag gerettet. Viel Freundlichkeit bin ich bisher noch nicht begegnet. Üblicherweise wird an der grünen Ampel aggressiv gehupt, wenn man sich nicht innerhalb der nächsten zehntel Sekunde auflöst um den schnellen Porschefahrer vorbei zu lassen. Wahrscheinlich bekommt man dann noch den Stinkefinger gezeigt. Wenn nicht, hatte man entweder Glück – oder der Porschefahrer einen guten Tag.
Der Klügere gibt nach, heißt es. Ich mache grundsätzlich jedem heranrasenden Fahrzeug Platz, wenn der vorhanden ist, manchmal fahre ich auch gerne ein paar Meter rückwärts um es meinen gehetzten Mitmenschen so bequem wie möglich zu machen und deute freundlich mit der Hand. Oft bräuchte es nur ein paar Zentimeter um in die nächste Parklücke einzuscheren… egal! Ein kurzes dankbares Erwidern meiner Handbewegung wäre natürlich zu viel verlangt. Ein Lächeln erst recht. Stur wird geradeaus gefahren – ein Toastbrot hat meines Erachtens mehr Charme.
Mann, sieh´ zu!
, echauffiert sich ein Mann mittleren Alters, weil eine Radfahrerin, vollbepackt mit Einkaufskörben, ein wenig vom Fahrradweg abweicht und sichtlich geschockt dreinblickt, weil sie gerade noch einen Sturz abwenden konnte. Ich überlege kurz, ob es Menschen auch in nett
gibt, dann muss ich mich selber in Sicherheit bringen. Eine wild gewordene Halbwüchsige mit Stöpseln in den Ohren und Handy vor der Nase scheint derart erbost über ihren Gesprächspartner zu sein, dass sie gar nicht mitbekommt, dass hier auch noch andere Leute unterwegs sind. Energisch steuert sie auf mich zu.
In was für Zeiten leben wir eigentlich? Muss man sich heutzutage mit dem Lächeln der Kassiererin an der Tankstelle zufriedengeben? Oder mache ich mir nur wieder zu viele Gedanken? In der Regel mache ich mir über alles und jeden Gedanken. Aber bevor ich mich wieder vollständig in dem Wirrwarr meines Kopfes verliere, holt mich ein Polizeiwagen wieder ins Hier und Jetzt zurück. Selbstverständlich brüllt das Martinshorn genau in dem Moment los, als das Fahrzeug nur wenige Meter von mir entfernt in die nächste Seitenstraße abbiegt. Mein Herz schlägt einen Salto, meine Beine werden weich wie gut durchgegarte Spaghetti und der Aggregatzustand meines Blutes wird kaum mehr messbar sein.
Ich muss nach Hause. Sofort! Das alles überfordert mich derart und was ich nun brauche, sind erst einmal ein paar Stunden absolute Ruhe
Das Telefon klingelt: Hi Alex, hier ist Merle! Hast du Lust auf einen kleinen Abendspaziergang?
Merle, Liebes! Sei mir nicht böse. Ich hatte einen anstrengenden Tag,
sage ich.
Aber ich meine: Lass´ mich bloß in Ruhe!!! Es ist bereits neunzehn Uhr durch und ich will heute niemanden mehr hören und sehen!!! Dann knalle ich in Gedanken den Telefonhörer auf.
Merle scheint tiefenentspannt zu sein und gerade Lust auf Smalltalk zu haben.
Magst du reden?
NEIN!!! Absolut nicht!!!
Ach, das ist lieb gemeint. Geht schon,
flöte ich ins Telefon und hoffe, dass sie mir weitere Fragen erspart. Warum habe ich das Gespräch bloß angenommen? Eigentlich bin ich doch ein erwachsener mündiger Bürger, der die Freiheit hat zu entscheiden, ob er gerade gesprächsbereit ist oder nicht.
Zum Glück erkennt Merle, dass ich es gerade nicht bin und wünscht mir noch einen erholsamen Abend. Mit Mühe schaffe ich es, das Gespräch respektvoll zu beenden.
Ich lebe nach dem Motto all you can feel
. Mir ist alles zu laut oder zu leise, zu schnell oder zu langsam, zu hoch oder zu tief, zu aufregend oder zu trist. Ein gesundes Mittelmaß gibt es für mich nicht. Mein Kopf ist ein mentaler Spaghetti-Teller und der Kellner in meinem Oberstübchen hat gerade eine besonders große Portion serviert. Danke dafür!
Ich überlege, ob ich Merle nicht eben zu unfreundlich abgewürgt habe. Bestimmt hätte sie gerne noch eine Weile mit mir geplaudert und nun ist sie beleidigt, dass ich nicht darauf eingegangen bin. Ich stelle mir vor, wie sie jetzt ganz traurig auf dem Sofa sitzt und sich fragt, ob diese Freundschaft überhaupt noch einen Sinn macht. Ich könnte das sogar verstehen, denn wirklich einfach ist es nicht mit mir. Vielleicht sollte ich sie noch einmal zurückrufen und mich entschuldigen. Aber dazu fehlt mir jetzt die Kraft und sicher werde ich nicht die richtigen Worte finden.
Mit der ersehnten Ruhe, die ich mir eigentlich gönnen wollte, ist es nun vorbei. Ich verliere mich nahezu in der Vorstellung, wie es meiner Freundin jetzt wohl geht und ich fühle mich erbärmlich. Unfähig, überhaupt eine zwischenmenschliche Beziehung einzugehen.
Eine ganze Weile schreien sich die Hauptdarsteller in meinem selbst inszenierten Drama noch an, dann muss ich wohl doch eingeschlafen sein. Mein Freund Sascha weckt mich mit einem sanften Kuss.
Für dich eine Brise, für mich ein Orkan
Wann es anfing mit dem Gefühl in jeder Brise des Lebens einen Orkan zu sehen, weiß ich nicht. Schon früh gehörten Stille und Rückzug zu meinen essenziellen Grundbedürfnissen und ich brauchte immer viel Zeit um Situationen zu bewerten, Erlebnisse zu verarbeiten und Zusammenhänge in Dingen zu erkennen. Meine Mitschüler habe ich als zu wild und zu laut empfunden und in den Pausen habe ich mir immer eine ruhige Ecke gesucht, in die ich mich zurückziehen konnte, um alleine zu sein. Ich machte den Fehler zu glauben, dass die breite Masse so dachte, wie ich.
Mit der stimmt was nicht...
Die ist aber empfindlich...
Spielverderber!
All das waren noch harmlose Angriffe auf meine Dünnhäutigkeit.
Ich habe es mitbekommen, was hinter meinem Rücken getuschelt wurde, wie sie gelacht haben über mich.
Dass es mir weh tat und ich langsam anfing an mir zu zweifeln hat aber niemand bemerkt. Ich habe immer viel gespürt aber nie was gesagt. Ich war schon früh eine Meisterin des Aushaltens.
Und nun, viele Jahre später, liege ich hier auf dem Sofa, und kann nicht aufhören daran zu denken, wie es meiner Freundin wohl gerade geht. Dass ich überhaupt eine Freundin gefunden habe und so einen liebevollen Partner.
Dein Tag scheint ja ganz schön anstrengend gewesen zu sein, du schläfst doch sonst nicht um diese Zeit hier ein,
flüstert mir Sascha behutsam ins Ohr.
Ach,
seufze ich, ich bin einfach nur müde.
Am nächsten Tag reihe ich mich wieder ein in das Verkehrschaos der Großstadt. Einer Stadt, in der die Menschen hart arbeiten, viel Geld für andere machen, in eine Welt des Konsums und der ewig im Vordergrund stehenden Gewinnmaximierung. So zermürbend alltäglich, dass sich mein Kopf anfühlt wie aus Watte. Ich bin ein Teil von ihnen. Und ich habe doch gar nicht das Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Ich befinde mich auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und dem dringenden Wunsch ein Individuum zu sein. Ich möchte nicht überschüttet werden mit Meinungen und Ratschlägen von Menschen die ich nicht darum gebeten habe. Sie denken doch sowieso von mir was sie denken wollen. Sie hören doch sowieso nur das was sie hören wollen. Warum bin ich so besessen von dem Gedanken, es jedem recht machen zu wollen? Ich kann manchmal gar nicht mehr zwischen ihnen und mir unterscheiden. Ihre Emotionen sind auch meine, ihr Druck ist auch meiner, ihre Ansprüche sind auch meine. Ich verschwinde regelrecht in ihnen.
Und heute Abend wird es das gleiche sein. Alle Ameisen krabbeln zurück in ihren Bau, nur um am nächsten Tag wieder die gleiche harte Arbeit zu tun.
`Du wolltest noch Merle zurückrufen und denk´ dran heute noch ein Geburtstagsgeschenk für sie zu kaufen. Wie lange weißt du eigentlich schon, dass sie am Samstag Geburtstag hat??? Es ist wie Weihnachten! Weihnachten kommt ja auch immer ganz plötzlich! ´
Ich bin noch keine zwei Minuten wach, bekomme kaum die Augen auf, aber mein innerer Antreiber hat den Dienst schon längst wieder aufgenommen. Er scheint mal wieder richtig gut in Form zu sein.
`Halt´ die Klappe´, denke ich und schleppe mich ins Bad wie jeden Morgen. Und doch fühlt es sich heute befremdlicher an. Dunkler, enger. Als würde sich eine Veränderung in meinem Leben anbahnen.
Sascha hat sich, wie jeden Morgen, schon einen Kaffee aufgebrüht und mir meinen Lieblingstee in meiner Lieblingstasse in den dezenten Farben bereitgestellt. Es ist ein liebgewonnenes Ritual geworden, auf das ich nicht mehr verzichten möchte. An frisch gemahlenem Kaffee riechen zu dürfen, ist für mich immer eine ganz besondere Freude, aber nachdem ich einmal davon gekostet hatte, bin ich doch lieber auf Tee umgestiegen. Ich lief den ganzen Tag auf Hochtouren und auch mein Magen nahm mir diesen Fauxpas, im wahrsten Sinne des Wortes, übel.
Die eiskalte Morgenluft veranlasst mich, meine Jacke noch fester zu schließen und mir meinen kuschelig orangefarbenen Schal über die Nase zu ziehen. Der Winter und ich sind keine Freunde.
WUMMS! Der Dauerfrost hat der Straße übel zugesetzt. Das wird im nächsten Jahr wieder für viele Baustellen sorgen und noch mehr Arbeit für überforderte Mitarbeiter in den Autowerkstätten. Im Prinzip müsste man Slalom fahren um den vielen, teilweise sehr tiefen Schlaglöchern auszuweichen. Ich konnte so schnell nicht reagieren. Geblendet vom Licht des Gegenverkehrs und abgelenkt durch die aufdringliche Werbung im Radio ist mein Stresslevel schon wieder so hoch wie die chinesische Mauer lang ist.
`Das musst du heute Abend Sascha zeigen, vielleicht ist eine Achse gebrochen, katastrophisiert mein Kopf und mahnt mich zur Eile, weil ich schon spät dran bin.
`Dann könnte ich wohl kaum noch fahren´, mutmaße ich, aber ich habe jetzt keine Lust in einen Dialog zu treten, bei dem ich nicht das letzte Wort haben werde.
Am nächsten Tag betrete ich erneut die Showbühne des Berufsalltags. Willkommen beim Festival der Stimmungen! Patricia begrüßt mich stürmisch und scheint mal wieder übereifrig, Jonas ist gereizt, Holger betrübt, Larissa unternehmungslustig, Sebastian möchte wieder witzig sein und Claudia versucht ihre Unsicherheit durch ein Dauerlächeln zu überspielen. Marco scheint gar nicht da zu sein. Er sitzt an seinem Schreibtisch und versteckt sich hinter einem Stapel von Akten. Und ich? Fühle mich für alles und jeden verantwortlich.
Irgendwie gelingt es mir dann doch, den Arbeitstag mit all seinen Anforderungen durchzustehen. Mich auf ein neues Computerprogramm einzustellen, nachdem ich mich gerade an das alte gewöhnt hatte, am Telefon freundlich zu lächeln, obwohl mir gar nicht danach zumute ist und im Meeting eine professionelle Haltung einzunehmen, wobei ich schon das Wort Meeting
zutiefst verabscheue. Diese blöden Anglizismen!
In der Pause versuche ich Smalltalk mit den Kollegen zu halten, was ich außerordentlich anstrengend finde und um siebzehn Uhr lasse ich alles fallen. Nur nicht mich. Ich muss ja noch ein Geschenk für Merle besorgen. So hat es der innere Antreiber mir heute morgen befohlen. Jetzt aber noch in ein Einkaufszentrum zu gehen, unter Menschen, die nicht zur Ruhe kommen, an Geschäften vorbei, aus denen die unterschiedlichsten Gerüche dringen, beschallt von Musik, die mir ein leichtes Lebensgefühl und Spaß am Kaufen vermitteln soll, erscheint mir als eine so maßlose Herausforderung, die ich heute nicht mehr würde bewältigen können. Ein kleines Geschäft mit einer netten Beratung könnte ich vielleicht noch akzeptieren, aber die gibt es ja kaum noch. Ich habe nicht mal mehr die Kraft, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. In meinem Körper herrscht eine solche Schwere und Antriebslosigkeit, wie ich sie noch nie empfunden habe. Wie ferngesteuert begebe ich mich ins Parkhaus, finde mein Auto intuitiv und fahre sicher nach Hause, ohne jedoch konzentriert und aufmerksam an diesem Vorgang beteiligt zu sein. Ohne jede Mimik oder eine freundliche Geste begrüße ich meinen Freund und verschwinde im Badezimmer. Ruhe, einfach nur Ruhe. Atmen, einfach nur Atmen und langsam wieder bei mir ankommen. Ich lasse angenehm kühles Leitungswasser über mein Handgelenk fließen um mich wieder zu spüren und alles Belastende von mir abzuwaschen.
Allmählich bemerke ich, dass ich wieder bereit bin, mich auf meinen Freund einzulassen. Ihn in den Arm zu nehmen und für einen Augenblick nur die Berührung zu genießen. Nicht zu sprechen, einfach nur da zu sein. Sonst nichts.
Ist das die Veränderung, die sich gestern so verheißungsvoll ankündigte? Ich könnte im Moment nichts dagegensetzen, aber es fühlt sich beunruhigend an.
In dieser Nacht finde ich keinen erholsamen Schlaf. Ich schrecke immer wieder hoch, mit dem Gedanken, noch kein Geburtstagsgeschenk für Merle zu haben. Ich würde ihr Zeit schenken. Nichts Materielles, was vielleicht für ein paar Tage Freude bereitet um dann langsam, immer blasser werdend aus der Erinnerung und schließlich zwischen dem ganzen