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Alles in Blut: Halls und Bruckners erster Fall
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Alles in Blut: Halls und Bruckners erster Fall
eBook326 Seiten4 Stunden

Alles in Blut: Halls und Bruckners erster Fall

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Über dieses E-Book

Er liegt auf dem Bett in einem Hotelzimmer. Er ist nackt und er ist tot. Es gibt keinen Namen, kein Motiv, keine Täter. Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner erhofft sich bei diesem acht Jahre alten Cold Case Hilfe vom ehemaligen US-Profiler Tillman Halls. Anstatt aber die Ermittlungen entscheidend weiterzubringen, beschert Halls der Hamburger Kriminalpolizei eine weitere Leiche, die zudem auch noch verschwunden ist. Können Bruckner und Halls das Rätsel dieses ungewöhnlichen Falles lösen?
Alle Tillman-Halls-Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Mai 2014
ISBN9783847634003
Alles in Blut: Halls und Bruckners erster Fall
Autor

Ole R. Börgdahl

Ole Roelof Börgdahl wurde am 23.05.1971 in Skellefteå, Schweden, geboren. Er wuchs in Skellefteå, Malmö und Lübeck auf. Das Lesen ist für Ole R. Börgdahl ein wichtiges Element des Schreibens. “Ich habe keine Lieblingsbücher, ich kann aber Bücher nennen, die mich beeindruckt haben. Hierzu gehört der Zyklus Rougon-Macquart von Émile Zola und Suite Francaise von Irène Némirovsky. Bei Zola gefällt mir die reiche Sprache, bei Suite Francaise hat mich das Schicksal von Irène Némirovsky bewegt.”

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    Buchvorschau

    Alles in Blut - Ole R. Börgdahl

    Das Buch

    Er liegt auf dem Bett in einem Hotelzimmer. Er ist nackt und er ist tot. Es gibt keinen Namen, kein Motiv, keine Täter. Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner erhofft sich bei diesem acht Jahre alten Cold Case Hilfe vom ehemaligen US-Profiler Tillman Halls. Anstatt aber die Ermittlungen entscheidend weiterzubringen, beschert Halls der Hamburger Kriminalpolizei eine weitere Leiche, die zudem auch noch verschwunden ist. Können Bruckner und Halls das Rätsel dieses ungewöhnlichen Falles lösen? Halls und Bruckners erster Fall.

    Die Tillman-Halls-Reihe:

    Ein neues Hamburger Ermittler-Duo betritt die Bühne. Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hat für seinen aktuellen Fall eigentlich nur einen Berater gesucht. In der Expertendatenbank des BKA stößt er dann auf einen Mann, der sofort sein Interesse weckt und seine Fantasie beflügelt.

    Der Amerikaner Tillman Halls lebt mit seiner Familie seit drei Jahren in Hamburg und arbeitet als Immobilienmakler.

    Doch was macht ihn für Bruckner interessant? Das ist ganz einfach: Tillman Halls ist ein ehemaliger US-Profiler!

    Bruckner muss ihn zur Mitarbeit überreden, denn Tillman Halls ist längst Immobilienprofi und hat Spaß an seinem neuen Beruf. Bruckner schafft es schließlich, die kriminalistische Flamme in Tillman Halls wieder zu entfachen.

    Alles in Blut - Halls erster Fall (2011) - 978-3-8476-3400-3

    Morgentod - Halls zweiter Fall (2012) - 978-3-8476-3727-1

    Pyjamamord - Halls dritter Fall (2013) - 978-3-8476-3816-2

    Die Schlangentrommel - Halls vierter Fall (2014) - 978-3-8476-1371-8

    Leiche an Bord - Halls fünfter Fall (2015) – 978-3-7380-4434-8

    Weitere Romane von Ole R. Börgdahl:

    Fälschung (2007) - 978-3-8476-2037-2

    Ströme meines Ozeans (2008) - 978-3-8476-2105-8

    Zwischen meinen Inseln (2010) - 978-3-8476-2104-1

    Faro (2011) - 978-3-8476-2103-4

    Die Marek-Quint-Trilogie:

    Tod und Schatten - Erster Fall (2016) - 978-3-7380-9059-8

    Blut und Scherben - Zweiter Fall (2017) - 978-3-7427-3866-0

    Kowalskis Mörder - Dritter Fall (2018) - 978-3-7427-3865-3

    Donnerstag, 3. November 2011

    Als ich aus dem Fahrstuhl stieg, wartete Kurt Bruckner bereits vor der verschlossenen Wohnungstür. Ich ahnte schon, was sich in dem breiten Umschlag befand, den er unter den linken Arm geklemmt hatte, aber dazu später. Bruckner hörte mich nicht gleichkommen und so konnte ich ihn ein paar Sekunden lang beobachten, wie er kaum merklich auf seinen Schuhspitzen wippte und konzentriert das weiße Plastikgehäuse der Türklingel betrachtete. Ich versuchte seine Gedanken zu erraten, einfach nur zu beobachten. Offenbar irritierten ihn die Reste des Papiers, die auf dem Klingelschild klebten. Ich hatte das Namensschild eigenhändig abgekratzt. Die blaue Farbe des Filzstiftes schimmerte durch. Der Name war noch zu entziffern. Bruckner strich sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Er dachte sich seinen Teil, das spürte ich. Dann hatte er es akzeptiert und sein Blick wanderte beinahe gelangweilt zu den weißen Kacheln, mit denen die Wände des Flures bis hinauf in Augenhöhe gefliest waren. Erst jetzt hörte er meine Schritte und wandte sich um. Er musterte mich und holte das nach, was ich schon längst getan hatte. Ich hatte mich verspätet und begann unser Kennenlernen mit einer Entschuldigung.

    »Sorry, sind Sie schon lange hier?«

    Bruckner atmete tief ein und gleich wieder aus. Er lächelte. »Nein, nein, kein Problem.«

    Erst jetzt streckte er mir seinen Arm entgegen. Sein Händedruck war kräftig und bestimmend, er beherrschte seine Lektion Körpersprache, was ich auch nicht anders erwartet hatte.

    »Ich habe mir gedacht, dass Sie schon hinaufgegangen sind. Sieht ja auch blöd aus, unten auf der Straße zu warten.«

    Bruckner nickte. »Ich hatte Glück, jemand hat mich hereingelassen.« Er lächelte wieder. »Sie sind also Herr Halls oder soll ich Mr. Halls sagen?«

    »Wie Sie mögen. Hier in Hamburg ist man ja recht international, oder?«

    »Ja, das stimmt wohl, Hamburg ist sehr international, das Tor zur Welt, wie man immer sagt.«

    Mit diesen einfachen Sätzen hatten wir das Terrain abgesteckt. Der Mann war mir durchaus sympathisch.

    »Aber vielleicht sollten wir reingehen«, schlug ich vor.

    Ich hatte noch etwas für ihn parat. Ich zog das Schlüsseletui aus meiner Hosentasche und klappte es auf. Ich wählte Hook und Spanner und brauchte nur Sekunden um die Stifte im Schließzylinder zu knacken. Mit dem Spanner drehte ich schließlich den Zylinder und die Tür sprang auf. Bruckner sah mich unbeeindruckt an, aber ich spürte die Frage hinter seinem Gesicht.

    »Ein kleines Hobby«, gab ich zur Antwort. »Natürlich hätte ich auch einen Schlüssel für die Wohnung, aber dann würde ich ja nur noch mit Schlüsseln herumrennen.«

    Bruckner nahm die Erklärung hin. Ich ließ ihn vorangehen. Das Apartment war zum Glück möbliert, so würden wir bei unserer Unterhaltung sitzen können. Ich habe nicht immer im Kopf, welche Wohnungen möbliert sind und welche ganz leer stehen. Diese hier war zwar klein, aber recht gut ausgestattet. In eine Ecke des Raumes waren zwei Sessel und eine schmale Couch gequetscht, davor ein winziger Beistelltisch. Ein Futonbett stand quer an der gegenüberliegenden Wand und war mit zahlreichen Kissen zu einer Art Couch umfunktioniert. Die Küchenecke besaß eine Zweierkochplatte. Immerhin waren es Ceranfelder, über denen eine ausziehbare Dunstabzugshaube schwebte. Daneben war eine Mikrowelle in den offenen Hängeschrank eingelassen. Ein Dreiersatz Tassen und Teller sowie ein Besteckkasten standen auf den Regalbrettern und gehörten ebenfalls zum Inventar, genauso wie die formschöne blaue Kaffeemaschine, die die umfangreiche Ausstattung abrundete.

    »Einen Senseo?«, fragte ich.

    Bruckner überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. »Danke, jetzt bitte keinen Kaffee mehr.«

    Er holte ein Kaugummi hervor, packte es aus und schob es sich in den Mund.

    »Das ist der Bonus«, erklärte ich, während er zu kauen begann.

    Bruckner schluckte kurz und sah mich fragend an. »Bitte?«

    »Die Kaffeemaschine und achtzig von den Pads.«

    Ich öffnete den Unterschrank und zeigte auf die Tüten mit den Kaffeeportionen.

    »Wer die Wohnung nimmt, bekommt das alles als Bonus, aber bisher hat sich noch niemand überzeugen lassen.«

    »Die Gegend ist doch ganz nett«, bemerkte Bruckner. Er ging zum Fenster, schob die Gardine ein Stück zur Seite und sah hinunter auf die Straße. »Ist das ihr Wagen, der schwarze Beetle?«

    »Yes, jawohl«, sagte ich fröhlich.

    »Der stand vorhin noch nicht da«, meinte Bruckner, »obwohl ich eher getippt hätte, dass Sie eine Limousine fahren.«

    »Ich liebe es aber sportlich. Eine Limousine ist mir in Hamburg zu umständlich und so habe ich den genommen. Das ist ein 21th-Century-Beetle.«

    »Hab die Werbung gesehen. Dann ist der ganz neu?«

    »Nagelneu, den habe ich erst seit ein paar Tagen. Ist ein 2.0 TSI mit 200 PS. Den Vorgänger hätte ich nie genommen, war mir zu kugelig. Davor hatte ich einen TT, der ist mir aber geklaut worden.«

    »Hier in der Gegend?«

    »Nein, in Sternschanze.«

    »Wollte ich doch sagen, die Gegend hier hat sich doch in den letzten Jahren gemacht.«

    »Für Studenten ist die Lage aber wohl ein wenig zu ruhig. Das höre ich zumindest immer, wenn ich mal einen Interessenten hier habe. Einen Kaffee wollte bisher auch noch keiner von denen haben. Wir suchen jetzt schon seit fast einem Jahr nach einem neuen Mieter.«

    »Also ein Verlustgeschäft?« Bruckner zog die Gardine wieder vors Fenster und drehte sich zu mir um.

    Ich zuckte mit den Schultern. »Uns gehört die Wohnung ja nicht und bei der zu erwartenden Miete ist natürlich auch keine hohe Provision drin. Mein Schwiegervater wollte den Auftrag schon zurückgeben, aber mir gefällt das hier irgendwie.«

    Ich breitete die Arme aus, als wenn ich ein Riesenreich präsentieren würde. Bruckner begann heftiger zu kauen und sah sich noch einmal um. Die Tapete war vergilbt, und wenn ich ehrlich bin, sahen die Möbel auf den zweiten Blick schäbig aus. Bruckner zückte schließlich seinen Dienstausweis und fingerte die Polizeimarke aus der Hosentasche.

    »Entschuldigen Sie«, sagte er, »ich habe mich noch gar nicht legitimiert.«

    Die Polizeimarke glänzte, als wäre sie poliert worden. Ich warf aus Höflichkeit einen Blick auf den Dienstausweis. Das Foto war gar nicht einmal so schlecht. Bruckner hatte darauf aber längere Haare und einen Dreitagebart. Ich musste etwas dagegenhalten und so durchsuchte ich die Innentasche meines Jacketts nach einer Visitenkarte. Ich benutze die Visitenkarten sonst nur, wenn ein Kunde unentschlossen ist. Dann beende ich ein zähes Gespräch mit meiner Visitenkarte und den Worten, dass man es sich ja noch überlegen könnte. Ich hasse Unentschlossenheit und liebe darum Menschen, die sich schnell entscheiden können und dabei noch alles Wesentliche geklärt haben. Ich händigte Bruckner meine Karte aus. Er überlegte, betrachtete sie ausgiebig.

    »Gustav-Schmidt-Immobilien!«, las er von der Karte ab. »Gustav Schmidt?«

    »Das ist mein Schwiegervater, ihm gehört das Maklerbüro. Meine Frau ist waschechte Hamburgerin. Sie war zum Studieren in New York, als wir uns kennengelernt haben.«

    »Interessant!« Bruckner widmete sich wieder der Karte. »Sie nennen sich Objektberater!«

    »Das stimmt nicht ganz«, erklärte ich. »Ich bin schon auch der Geschäftsführer, aber so sieht es für den normalen Kunden besser aus. Ich habe noch andere Karten, die benutze ich aber nur, wenn es um richtig wichtige Verhandlungen und Geschäfte geht, dann muss man zeigen, dass man das Sagen hat.«

    Bruckner sah weiter auf die Karte. »Ihren Vornamen, wie spricht man den eigentlich aus?«

    Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und darum stutzte ich einen Moment und dachte über Lautschrift nach. »Die erste Silbe kurz und dazu das englische Wort für Mann«, antwortete ich.

    Bruckner versuchte es. »Tillman!«

    »Richtig!«, bestätigte ich ihm.

    Er nickte. »Mr. Tillman Halls«, wiederholte er meinen vollständigen Namen. Er sah mich an. »Sie sprechen sehr gut Deutsch, ich meine Ihren Akzent, man hört nicht gleich, dass Sie Amerikaner sind.«

    Ich lächelte. »So gut ist es auch wieder nicht, ich habe immer noch Schwierigkeiten mit einigen Begriffen und ich verwende viele alte deutsche Wörter. Zum Beispiel ist das Wohnzimmer für mich immer die Stube und das Schlafzimmer die Kammer. Das bekomme ich auch nicht mehr raus.«

    Bruckner lachte. »Meine Großmutter hat das auch immer so gesagt.«

    »Ja, sehen Sie, genau das ist es«, erklärte ich. »Ich habe die Sprache nicht von meiner Frau gelernt, sondern von meiner Großmutter. Meine Großeltern waren Deutsche.«

    »Daher also«, sagte Bruckner nickend.

    »Nur, meine Großeltern sprachen das Deutsch der Zwanziger- und Dreißigerjahre.«

    »Wirklich interessant«, meinte Bruckner. »Ich habe bestimmt auch irgendwelche entfernten Verwandten in den Staaten.«

    »Die United Staates waren und sind eben ein Einwandererland, auch wenn es mal, wie in meinem Fall in die andere Richtung geht.«

    Bruckner nickte zustimmend, dann wurde ihm offenbar wieder bewusst, warum er mich aufgesucht hatte.

    Ich kam ihm zuvor. »Aber lassen wir die alten Geschichten. Wollen wir uns setzen?«

    Ich zeigte auf die beiden Sessel. Bruckner stimmte mir zu, wir nahmen Platz. Er zog jetzt den Umschlag hervor und legte ihn auf den Beistelltisch.

    »Vielleicht jetzt doch einen Senseo?«

    Er schüttelte den Kopf. »Nein danke, wirklich nicht. Ich habe eigentlich nicht viel Zeit.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Wir haben in einer guten Stunde unser Briefing und ich muss noch ganz ins Präsidium zurück.«

    Er tippte mit dem Finger auf den Umschlag. »Ich habe Ihnen ja schon am Telefon gesagt, dass ich Ihre Meinung zu einer ganz bestimmten Sache hören möch ...«

    Das ging mir zu schnell. »Ja, unser Telefonat«, unterbrach ich ihn. »Bevor Sie loslegen, entschuldigen Sie, ich habe mich natürlich gefragt, wie Sie auf mich gekommen sind.«

    Bruckner lächelte. »Das wissen Sie nicht?«

    »Nein!« Ich wusste es in diesem Moment wirklich nicht, auch wenn die Antwort denkbar einfach war.

    »Experten- und Spezialistendatei«, sagte Bruckner. »Die ESPE des BKA, des Bundeskriminalamtes. Ich bin dort auf Ihren Namen gestoßen. Ihr Eintrag hat mich interessiert und veranlasst, Sie zurate zu ziehen, oder sind Sie der Falsche Tillman Halls?«

    Jetzt dämmerte es mir, die Sache war mir ganz entfallen. »Ich bin der Richtige«, bestätigte ich Bruckner zunächst einmal, bevor ich begann, ihn zu enttäuschen. »Es stimmt, ich habe mich dort mal eintragen lassen, als ich vor drei Jahren von Amerika hierhergezogen bin. Ich weiß auch nicht, warum ich es gemacht habe. Vielleicht konnte ich damals noch nicht gleich loslassen. Das hat sich jetzt aber geändert, eigentlich stehe ich nicht mehr zur Verfügung und außerdem hat sich in den ganzen drei Jahren nie jemand bei mir gemeldet. Niemand, Sie sind der Erste, wirklich.« Ich griff in meine Jacketttasche. »Warten Sie.« Ich holte mein Smartphone hervor und aktivierte die Diktierfunktion. »Einen Moment!« Ich startete die Aufnahme und hielt mir das Smartphone vor den Mund. »Memo! Eintrag in E-S-P-E löschen lassen, sofort, dringend!«

    Ich lächelte Bruckner an. »Feine Sache, was? Und so praktisch für unterwegs, man darf nur nicht vergessen, die Memos später auch abzuhören.«

    Bruckner schien nicht beeindruckt zu sein. »Aber Sie haben in Amerika als Profiler gearbeitet, das stimmt doch?«

    Ich nickte. Ja, ich musste es zugeben, ich hatte alles in diese Datenbank eingegeben, alles. Meine Zeit in New York, eine schöne Zeit. Die drei Jahre in Quantico, für mich eine Erfahrung und genau diese Erfahrung war es, auf die es dieser Bruckner anscheinend abgesehen hatte.

    »Waren Sie bei der Polizei oder beim FBI?«

    Bruckners zweite Frage konnte ich nicht so lässig beantworten. Ich war ja auch selbst schuld. Als ich nach Hamburg kam, hatte ich irgendwie gehofft, meinen alten Beruf nicht ganz so aufgeben zu müssen. Doch dann hatte ich Arbeit, sehr viel Arbeit. Evas Vater ging es damals nicht gut und so bin ich eingestiegen und mit der Zeit hat es mir auch richtig Freude gemacht. Ich taugte zu dem Job. Wir haben gut verdient, und nachdem Gustav wieder voll da war, blieb nicht mehr alles an mir hängen. Eigentlich war dieser Bruckner zu spät gekommen, dachte ich.

    »N-Y-P-D«, antwortete ich auf seine Frage, »aber ich war meistens abgestellt, habe viel mit den Agents vom Federal Bureau of Investigation zusammengearbeitet und dann haben sie mich nach Quantico eingeladen.«

    »Die FBI Academy?«

    »Ganz richtig Quantico, auf der dortigen Militärbasis. Waren Sie schon einmal in Virginia?«

    Jetzt hatte ich eine Frage gestellt, eine sinnlose Frage. Bruckner schüttelte den Kopf.

    »Ich war noch nie in den Staaten. New York würde mich mal interessieren.«

    Ich nickte. »New York kann toll sein. Quantico ist nicht so toll. Wir haben damals in Fredericksburg gewohnt, das ist noch weniger toll, tiefste Provinz. Gut, wenn man den ganzen Tag arbeitet, dann geht es, aber für meine Frau war es schwer, sie ist ohnehin nie ganz zur Amerikanerin geworden und da kann die Provinz schrecklich sein. Wenn wir damals in New York geblieben wären, dann wäre ich vielleicht heute nicht hier in Hamburg.«

    »Und in Quantico hat es Ihrer Frau nicht gefallen?«, fragte Bruckner.

    »Fredericksburg, wir hatten ein schönes Haus in Fredericksburg. Nach Quantico bin ich nur morgens hingefahren und abends wieder zurück nach Fredericksburg. Quantico, das ist nur Militär und Academy und ein Haufen Marines.«

    »Und Sie haben an der Academy unterrichtet?«

    »Crime Scene Investigation, Criminal Profiling, ich habe meine Erfahrungen weitergegen, aufgepeppt mit ein bisschen Psychologie und angewandter Wissenschaft. Ich habe mal ein paar Semester Physik studiert. Für den Nobelpreis hat es nicht gereicht und da bin ich eben zum New York City Police Department gegangen.«

    Bruckner nickte anerkennend, obwohl ich ihn gar nicht beeindrucken wollte.

    »Ich bin auch Profiler«, sagte er nach kurzem Zögern. »Hier bei der deutschen Polizei nennt es sich aber Fallanalytiker, Operative Fallanalyse. Obwohl es einen deutschen Namen hat, kommt alles aus den Staaten, aber ich glaube, das wissen Sie besser als ich.«

    Jetzt musste ich aufpassen, nicht zu weit zu gehen. Es war wichtig, eine Grenze zu ziehen und zu sehen, was Bruckner unternahm. Meine nächsten Worte waren wohl überlegt.

    »Herr Kommissar, ich will nicht unhöflich sein, aber wenn ich ehrlich bin, dann ist es mir nicht sehr genehm.«

    Das hatte gesessen. Bruckner war überrascht. Er fuhr sich wieder mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. Er brauchte einige Sekunden für eine Antwort.

    »Entschuldigung, ich dachte ...« Er räusperte sich. »Ich konnte am Telefon nicht so deutlich werden ...« Er stockte, überlegte kurz, dann wurde seine Stimme wieder fester. »Ich kann auch gehen, so ist das nicht. Ich hatte nur gedacht, es würde Sie vielleicht interessieren und Sie würden mir, also Sie würden der deutschen Polizei gerne helfen, ich meine, Sie waren doch selbst einmal ...« Bruckner beendete den Satz nicht, sondern strich mit der flachen Hand über den Umschlag, ohne ihn vom Tisch aufzunehmen.

    »Nein!« Ich schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass Sie sich Hoffnung gemacht haben?«

    »Aber am Telefon ...«

    Ich merkte, dass Bruckner sich bremsen musste, um nicht ärgerlich zu klingen. Es war ihm bewusst, dass er etwas von mir wollte und es war nicht nett von mir, ihn so hinzuhalten. Dann aber lächelte er.

    »Warum sind Sie eigentlich nicht bei der Polizei geblieben, ich meine bei Ihrer Karriere? Sie hätten doch wieder nach New York gehen können.«

    Jetzt versuchte er es auf diese Weise. Ich hatte ihm schon zu viel erzählt, er durchschaute mich. Er spürte, dass da etwas war. Ich wollte natürlich sehen, was er aus der Situation machte.

    »Sie wissen anscheinend gut über mich Bescheid«, warf ich ein.

    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, entgegnete er sofort.

    Er wagte sich jetzt etwas vor. Er spürte irgendwie, dass mein Widerstand nur gespielt war. Ich lehnte mich erst einmal in meinen Sessel zurück und schwieg noch einige Sekunden, bis ich schließlich antwortete.

    »Sie sind also an meiner Lebensgeschichte interessiert?«

    Bruckner zuckte mit den Schultern. »Ich habe in der ESPE nach einem Experten gesucht und da hat das Programm Ihren Namen ausgespuckt.«

    »Nur meinen Namen?«, entgegnete ich. »Es muss doch hier in Hamburg auch andere Experten geben.«

    »Mag sein, aber die anderen haben mich nicht interessiert.« Bruckner hielt kurz inne, sein Blick veränderte sich. »Sie haben Dinge gesehen, die wir normalerweise nicht zu sehen bekommen. Ich würde eine Menge dafür geben, Ihre Erfahrung zu besitzen und dabei bin ich auch schon fast zwanzig Jahre im Dienst.«

    »Mir haben acht Jahre auf der Straße gereicht und meiner Frau ebenfalls.«

    »Ihrer Frau?« Bruckner runzelte die Stirn.

    »Natürlich, ich liebe meine Frau und meine drei Kinder und ich liebe mein Familienleben. Eigentlich wollte ich mich mit dem Schritt nach Quantico aus dem aktiven Dienst verabschieden, aber wenn man der Branche treu bleibt, gelingt das nicht, das war, zumindest meine Erkenntnis. Dann kam natürlich noch hinzu, dass meine Frau nicht für dieses Landleben geeignet war. Sie können mir glauben, Virginia ist schön, aber es war nicht das Richtige und so haben wir eben etwas ganz anderes versucht. Das kann ich nur jedem empfehlen.«

    Bruckner hatte meinem Vortrag unruhig zugehört. Es interessierte ihn nicht. Es gab nur eines, das ihn interessierte.

    »Ich verlange ja gar nichts von Ihnen«, begann er wieder. »Ich habe ein paar Fotografien, die sollen Sie sich ansehen und mir Ihre Meinung sagen. In fünf Minuten bin ich wieder verschwunden. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen ...« Er zögerte. »... auch nicht vor Ihrer Frau.«

    Ich reagierte nicht. Ich hatte Bruckners Provokation verstanden und er wollte, dass ich darauf einging. Jetzt war es tatsächlich ein Spiel.

    »Sind Sie verheiratet?«, fragte ich.

    Bruckner wusste, dass er noch nicht am Ziel war. »Ja, glücklich, keine Kinder, Reihenhaus in der Vorstadt. Meine Frau liebt den Garten und ich meine Ruhe, wenn ich vom Dienst komme.« Er ratterte die Worte wie auswendig gelernt herunter. Schließlich grinste er.

    »Reihenhaus!«, entgegnete ich. »Sind Sie an etwas Neuem interessiert, vielleicht freistehend, mit einem größeren Garten, ruhig gelegen, aber dennoch zentral? Wir haben gerade neue Objekte hereinbekommen. Ich wohne in Osdorf, dort ist es auch sehr schön.«

    Bruckner richtete sich in seinem Sessel auf. Er musste jetzt zeigen, dass er auch noch eine Alternative hatte und die hieß, auf meine Mitarbeit zu verzichten. Er sah wieder auf seine Armbanduhr. Das Gespräch dauerte schon zehn Minuten. Er strich noch einmal über den Umschlag.

    »Ich könnte Ihnen das hier einfach dalassen. Entweder schauen Sie es sich an, wenn ich gegangen bin, oder Sie lassen es. Wir könnten es so machen, aber dann verliere ich kostbare Zeit. Ich hoffe nicht, dass ich jetzt schon kostbare Zeit verloren habe.«

    Wir schwiegen einige Sekunden. Ich holte meine Brieftasche hervor, zog das Foto heraus, dass ich immer bei mir trage und dass ich alle paar Monate durch ein Neues ersetze. Ich zeigte es Bruckner.

    »Das sind meine Kinder. Zwei Jungs und ein Mädchen. Bert ist der Älteste, er ist elf. Ben ist neun und Beth fünf.«

    »Sehr nett, Bert, Ben, Beth«, sagte Bruckner nickend.

    Ich lächelte. »Wir haben es auch erst gemerkt, als es sich schon etabliert hatte. Die Kinder heißen mit vollem Namen Robert, Benjamin und Elizabeth. Beth ist eine waschechte Südstaatlerin. Ich arbeitete schon in Quantico, als sie zur Welt kam. Die Jungs sind beide in New York geboren. Ich habe in einem Keller gehockt, als Ben zur Welt kam. Ohne die Weste hätte ich den Abend nicht überlebt und mein Kind niemals gesehen. Meine Frau hat erst drei Tage später davon erfahren, vorher hatte ich keine Gelegenheit zu meiner Familie zu kommen. Die Ermittlungen standen an einem kritischen Punkt. Wir mussten weitermachen, Familie hin, Familie her.«

    »Ihre Arbeit bei NYPD?«, fragte Bruckner.

    Ich nickte. »Es war natürlich nicht immer so, eigentlich waren solche Momente in all den Jahren eher selten, aber es gab sie und jeder dieser Momente hätte mein Letzter sein können.«

    »Und da haben Sie sich entschieden, aufzuhören?« Bruckner klang jetzt amüsiert.

    »Wir haben einen Kompromiss gefunden: Quantico. Ich war dort natürlich nicht mehr in der Schusslinie.«

    »Also Aufhören in Raten«, folgerte Bruckner.

    Ich lächelte ihn an. »Alles hat seine Zeit. Was glauben Sie, was es für eine Befriedigung ist, wenn man eine Vorortvilla oder ein Innenstadtpenthouse für ein oder zwei Millionen Euro verkauft, wenn beide Seiten zufrieden sind. Selbst wenn ich mal eine Studentenbude wie diese hier losschlagen kann, habe ich hinterher ein richtig gutes Gefühl. Nein, ich habe meine Entscheidung bisher wirklich nicht bereut. Meine Frau ist glücklich, meine Kinder auch. Ich bin glücklich und jeden Abend pünktlich um halb sechs zu Hause.«

    »Bravo, Bravo! Dann will ich Sie auch nicht aus Ihrem neuen Leben reißen. Ich freue mich, dass es Ihnen so gut geht.«

    Bruckner meinte nicht, was er sagte und es brauchte auch nur ein paar Sekunden, bis es aus ihm herauskam. Er schüttelte den Kopf und setzte noch einmal an.

    »Sie können mir nichts erzählen. Ich glaube Ihnen schon, dass Sie keinen Drang mehr verspüren, irgendwelche Ermittlungen an vorderster Front zu leiten, das sicherlich nicht, aber die Flamme ist noch nicht erloschen, das kann ich mir nicht vorstellen.« Bruckner erhob sich aus seinem Sessel. »Ich bin jetzt wirklich spät dran. Ich werde dies hier wieder einstecken.«

    Er nahm den Umschlag vom Tisch und klemmte ihn sich unter den Arm. Er trat einen Schritt zur Seite und wollte mir die Hand reichen. Ich blieb sitzen, rührte mich nicht. Wir blickten uns eine Zeit lang an. Ich nickte schließlich.

    »Und Sie arbeiten bei der Mordkommission hier in Hamburg?«, fragte ich ihn in einem gelangweilten Ton.

    *

    Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner hatte sich längst wieder gesetzt. Seine Dienststelle war das Landeskriminalamt

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