WENN DIE TOTEN SPRECHEN: Der Krimi-Klassiker!
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Über dieses E-Book
Jonathan Blake pflegte stets seine Termine einzuhalten. Es gab schon viele Treffpunkte in seinem Leben, aber keiner war so ungewöhnlich wie das einsame englische Waldhaus.
Statt Tee und Kekse am offenen Kamin erwarteten ihn dort - zwei Tote!
»Ein Meister des Unheimlichen, Makabren, und zugleich ein moderner Autor.«
- Evening Standard
Der Roman Wenn die Toten sprechen von John Newton Chance (*1911; † 3. August 1983) erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1974.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Buchvorschau
WENN DIE TOTEN SPRECHEN - John Newton Chance
Das Buch
Jonathan Blake pflegte stets seine Termine einzuhalten. Es gab schon viele Treffpunkte in seinem Leben, aber keiner war so ungewöhnlich wie das einsame englische Waldhaus.
Statt Tee und Kekse am offenen Kamin erwarteten ihn dort - zwei Tote!
»Ein Meister des Unheimlichen, Makabren, und zugleich ein moderner Autor.«
- Evening Standard
Der Roman Wenn die Toten sprechen von John Newton Chance (*1911; † 3. August 1983) erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1974.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
WENN DIE TOTEN SPRECHEN
Erstes Kapitel
Der Nachmittagshimmel war grau und wolkenverhangen, die Bäume trugen buntes Herbstlaub. Die fast windstille Luft roch nach Holzrauch. Irgendwo vor mir hörte ich einen Fasan auffliegen. Unter den Bäumen standen einige luxuriöse Landhäuser im rustikalen Stil: Fensterrahmen und Fensterläden sehr weiß gestrichen, auf alt gemachte Dachziegel sehr braun und bemoost. Aus einigen Kaminen stieg Rauch auf.
Insgesamt standen fünf solcher Landhäuser in dem großen Park zwischen den Bäumen; die Lichtungen waren erst vor kurzem vergrößert worden, um hinter den Häusern Stellplätze für Autos zu schaffen. Die Grundstücke waren nicht durch Zäune abgetrennt. Diese wenigen Luxushäuser standen auf einem kleinen Stück des ehemaligen Rockingham-Besitzes, der von einer fünf Meilen langen Mauer umgeben war.
Auf dem Hügel in der Mitte stand noch immer das alte Herrenhaus mit seinen Nebengebäuden. Es war in teure Apartments aufgeteilt worden.
Als ich durchs Tor kam und die Häuser vor mir hatte, fuhr ich nur noch Schritttempo und achtete darauf, ob ich jemanden zu sehen bekam. Aber an diesem Oktobernachmittag schien niemand im Freien zu sein.
Ob jemand am Fenster eines der Häuser stand, war schwer zu erkennen, denn die Gebäude waren so im Park verteilt, dass sie ganz allein zu stehen schienen, und hatten alle etwas andere Giebelrichtungen. Hinter einigen standen Autos; ich zählte drei.
Ich bog zwischen Bäumen nach links ab, folgte dem Weg und kam zu dem letzten Haus. Auch hier viel weiße Farbe, efeubewachsene Mauern, kleine Fenster, Dachgauben des altmodischen Steildaches.
Ich hielt vor dem Eingang, blieb noch einen Augenblick sitzen und sah mich unauffällig um, während ich vorgab, etwas aus dem Handschuhfach zu holen. Ich überzeugte mich davon, dass ich meinen Revolver in der Manteltasche hatte, und öffnete dann die Autotür.
Während ich meinen Koffer aus dem Wagen nahm, hatte ich wieder Gelegenheit, mich umzusehen, aber der Park schien menschenleer zu sein. Es roch nach feuchtem Laub und Holzrauch, so dass ich mich plötzlich an eine friedlichere Jugendzeit erinnert fühlte.
Ich ging auf die weiße Eingangstür des Hauses Flavia zu. Ich hatte Herzklopfen, mein Magen rebellierte, und meine Knie zitterten etwas. Ich wäre am liebsten stehengeblieben und hätte rasch eine Zigarette geraucht, aber das hätte von einem der anderen Häuser aus beobachtet werden können.
An der Tür benützte ich meinen Schlüssel, der einwandfrei aufsperrte. Wegen des wolkenverhangenen Himmels und der Bäume war es im Haus düster, aber die ganze Atmosphäre war trotzdem behaglich und warm.
Ich schloss die Tür hinter mir, stellte meinen Koffer auf einen Stuhl – ein Sheraton-Stuhl, der zu dem Tisch in der Diele passte – und betrat das Wohnzimmer durch eine Glasschiebetür. Ich blieb unter der Tür stehen und sah zum Fenster hinüber.
Im ersten Augenblick wurde mir fast schlecht, und ich zuckte zusammen, als habe mich eine eisige Hand im Nacken gepackt. Ich ging wieder in die Diele hinaus und zündete mir eine Zigarette an. Nach den ersten Zügen machte ich mir Vorwürfe, weil ich so feig gewesen war. Meine Reaktion ließ sich nicht mit einem Schock entschuldigen, denn ich hatte gewusst, was mir bevorstand. Ich drückte die Zigarette in einem Aschenbecher aus und ging ins Wohnzimmer zurück.
Das Telefon lag umgekippt auf dem Teppich; die Schnur führte zur Wand hinüber, wo der Stecker aus der Dose gezogen war. Einige der großgeblümten Sessel standen merkwürdig zueinander, und die beiden Sofas am Kamin waren ebenfalls zur Seite geschoben worden. Ein Couchtisch war umgestürzt und lag zwischen zersplitterten Gläsern. Vor dem linken Sofa lagen ein Siphon und zwei Flaschen mit Scotch und Gin.
Ich sah wieder zu den durch Holzstege unterteilten Fenstern hinüber. Draußen war alles ruhig und friedlich.
Sir Stanislaus Kempinski lachte mich an. Er lag wie ein Seestern auf dem Rücken. Sein Hinterkopf fehlte.
Esmé Phillips, sein Diener, lag auf der anderen Seite des Raumes mit dem Gesicht nach unten. Seine weiße Jacke war zwischen den Schulterblättern dunkel verfärbt. Er hatte die Arme ausgestreckt, und die Hände lagen flach auf dem Teppich, als betete er zu dem umgekippten Telefon.
Im Haus war es totenstill. Ich ging zu Stan hinüber und bückte mich, um auf seine Armbanduhr zu sehen. Der Sekundenzeiger bewegte sich nicht mehr. Die Uhr stand.
In diesem Augenblick klingelte irgendwo in der Diele ein Telefon. Ich richtete mich auf, ging hinaus und entdeckte den Apparat in einer Nische unter der Treppe.
»Ja?«, sagte ich.
»Stan?«, fragte eine Frauenstimme.
»Nein. Stan ist noch nicht hier.«
»Oh! Mit wem spreche ich dann?«
»Ich heiße Blake. Ich bin mit Stan befreundet. Er hat mich für ein paar Tage eingeladen.«
»Aha.«
»Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Ach, das ist nicht weiter wichtig. Aber wann erwarten Sie ihn zurück?«
»Er hat gesagt, es könnte spät werden. Vielleicht sogar sehr spät.«
»Oh, die Sache mit der Fregatte, nehme ich an. Sagen Sie ihm bitte, dass Gloria angerufen hat?« ,
»Und was ist, wenn er in der Zwischenzeit anruft? Vielleicht wird er irgendwo aufgehalten. Geben Sie mir Ihre Nummer, dann rufe ich Sie an, sobald ich etwas höre.«
Sie zögerte.
»Ja, das wäre keine schlechte. Idee«, stimmte sie dann zu. »Die Nummer ist Worley Heath drei-zwo-eins.«
»Gut. Ich richte ihm jedenfalls aus, dass Sie angerufen haben.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Mr. Blake.«
Ich legte auf, las die Nummer, die ich mir notiert hatte, und verglich sie mit der am Telefon. Das Ortsnetz hieß in beiden Fällen Worley Heath, so dass der Anruf aus einem der Nachbarhäuser gekommen sein konnte.
Ich warf noch einen Blick ins Wohnzimmer, bevor ich in die supermoderne Küche ging. Ich erinnerte mich gut an Stans Gewohnheiten und fand Bier in dem großen Kühlschrank. Das kalte Bier brannte in meiner trockenen Kehle. Ich stellte das Glas ab und öffnete die ins Freie führende Küchentür. Draußen standen zwei Flaschen Milch, zwischen denen die Morgenzeitungen steckten. Ich holte alles herein und schloss die Tür.
Als ich die Zeitungen auf den Küchentisch legte, fielen einige Briefe heraus. Ich sah mir die Umschläge an. Eine Drucksache, drei Umschläge, die Rechnungen zu enthalten schienen, und zwei Privatbriefe.
Mir lief plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken, und ich sah aus dem Fenster zu den dunklen Bäumen hinüber. Rotgoldene Blätter segelten dort lautlos zu Boden.
Das Telefon klingelte wieder. Diesmal benützte ich den Apparat in der Küche.
»Kann ich bitte Mr. Phillips sprechen?«, fragte ein Mann.
»Mr. Phillips ist noch nicht hier. Soviel ich weiß, kommt er mit Sir Stanislaus.«
»Oh. Mit wem spreche ich, bitte?«
»Ich heiße Blake. Ich bin hier Gast. Kann ich etwas bestellen?«
»Danke, das ist nicht nötig. Richten Sie ihm bitte nur aus, dass ich später noch mal anrufe.«
»Wer ruft später wieder an?«
»Ich... oh, sagen Sie ihm einfach, dass Fred angerufen hat. Er weiß dann schon Bescheid.«
Ich legte den Hörer auf, trank noch einen Schluck Bier und merkte dann, dass ich noch immer meinen Mantel anhatte. Ich zog ihn aus und hörte ein dumpfes Poltern, als ich ihn auf einen Stuhl legte. Ich erinnerte mich an den Revolver und steckte ihn in die Jackentasche.
Im Haus war es totenstill. Ich ging ins Wohnzimmer zurück. Es wurde allmählich dunkel. Ich würde bald Licht machen müssen, aber ich zögerte noch, weil Licht die ganze grässliche Szene wie in einer Nahaufnahme zeigen würde.
Das Telefon klingelte zum drittenmal. Ich benützte wieder den Apparat in der Diele.
»Störungsdienst«, meldete sich eine Männerstimme. »Ist die Leitung jetzt wieder in Ordnung?«
»Scheint so«, antwortete ich. »Ich bin allerdings eben erst angekommen. Hat sich jemand bei Ihnen beschwert?«
»Diese Nummer war anscheinend stundenlang besetzt. Heute Morgen hat ein Anrufer pausenlos versucht, Sie zu erreichen, und uns schließlich verständigt. Anscheinend war die Nummer blockiert, weil jemand vergessen hatte, den Hörer aufzulegen.«
»Oh... Und Sie waren dann hier?«, fragte ich gespannt.
»Nein. Kurze Zeit später hieß es, jetzt sei die Nummer wieder frei, aber der Teilnehmer melde sich nicht. Ich habe gesagt, ich würde mich darum kümmern.«
»Wann war das? Ich meine, wann hat das Telefon wieder funktioniert?«
»Hmmm, um Viertel nach zehn, glaube ich. Wir haben uns leider erst jetzt darum kümmern können.«
»Danke«, sagte ich.
Als ich auflegte, war mir klar, dass die Mörder an dieser Störung schuld gewesen waren: das Telefon im Wohnzimmer war nicht aufgelegt gewesen. Aber kurz nach zehn hatte jemand den Stecker herausgezogen und damit erreicht, dass jetzt die übrigen Telefone klingelten.
Es wurde Zeit, dass ich mir das Haus ansah. Ich hatte den Eindruck, schon Stunden hier zu sein, aber als ich auf meine Uhr sah, stellte ich fest, dass es nur knapp fünfzehn Minuten waren. Und in dieser Viertelstunde war dreimal angerufen worden.
Ein Anrufer war der Fernmeldemonteur gewesen – ein Mann, der jede beliebige Leitung anzapfen konnte, indem er vorgab, sie zu prüfen oder zu reparieren.
Ich hatte das Gefühl, hier im Haus völlig abgeschnitten zu sein. Einen Augenblick lang spürte ich die kindliche Angst in mir aufsteigen, die Bäume und sogar die halb unter ihnen versteckten Häuser rückten von allen Seiten lautlos und bedrohlich näher.
Rechts neben dem Wohnraum lag ein kleines Speisezimmer: Mahagonitisch, vier Stühle, Sideboard und Besteckschrank. Der Tisch war für drei gedeckt – zum Frühstück. Das überraschte mich, und ich drehte mich an der Tür nochmals um, weil ich mich davon überzeugen wollte, dass ich richtig gesehen hatte.
Oben waren vier Schlafzimmer, zwei große und zwei sehr kleine, alle luxuriös eingerichtet, um ein Maximum an Komfort und den Schlaflosen Unterhaltung zu bieten. In Stans Zimmer lagen seine Sachen und ließen es bewohnt wirken. Zwei weitere Räume, ein großer und ein kleiner, waren Gästezimmer: charakterlos, bis jemand ihnen durch seine Sachen eine persönliche Note gab. Das letzte kleine Zimmer gehörte Phillips. Auf seinem Bücherregal sah ich, was er als Bettlektüre bevorzugte: Horror-Geschichten, Alles über Horror-Geschichten, Gespenster-Geschichten, Play girls, Tom Jones, Sakis beste Stories, Chinesische Küche, Ming-Porzellan und Pariser Akte. In dem Raum verteilt waren ,seine Dienerlivree, eine schwere Luftpistole, ein Kleinkalibergewehr, ein Expander, der an der Tür hing, eine Fechtmaske und zwei Florette und eine kleine Statue der Venus von Milo, auf deren Kopf ein kleiner Zylinder saß.
Auf dem Tisch am Fenster lag ein aufgeschlagener Vormerkkalender, in den er für diesen Tag gekritzelt hatte: Maurice – 10.30.
Die Tür zwischen den beiden großen Schlafzimmern führte ins Bad.
Auf dem Spiegel über dem Waschbecken stand mit Zahncreme geschrieben: Maurice 8.30.
Ich setzte mich auf den Wannenrand und zündete mir