Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mein schöner Mörder: Ein Fall für Lea Loos
Mein schöner Mörder: Ein Fall für Lea Loos
Mein schöner Mörder: Ein Fall für Lea Loos
eBook246 Seiten2 Stunden

Mein schöner Mörder: Ein Fall für Lea Loos

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Ermittlungsakte im »Fall Wilke« ist geschlossen. Keine Beweise, keine Leichen, kein Täter. Doch der Frankfurter Polizeipsychologe Max Singer ist überzeugt, dass der junge Jan Wilke für das mysteriöse Verschwinden seiner millionenschweren Eltern verantwortlich ist. Er hält ihn für einen skrupellosen Mörder und Psychopathen. Raffiniert genug, seine Mitmenschen immer wieder zu täuschen und in seinen Bann zu ziehen. Max bittet seine Studienfreundin Lea Loos um Hilfe. Die erfolgreiche Professorin für Verhaltenspsychologie soll sich den wundersamen Knaben näher ansehen.
Doch auch Lea ist von dem 19jährigen Schüler fasziniert. Es gelingt ihr nicht, in Jan Wilke einen gefährlichen Verbrecher und perfiden Psychopathen zu sehen. Sie beginnt im Umfeld des Jungen zu recherchieren.
SpracheDeutsch
HerausgeberConte Verlag
Erscheinungsdatum18. Mai 2017
ISBN9783956021251
Mein schöner Mörder: Ein Fall für Lea Loos

Ähnlich wie Mein schöner Mörder

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mein schöner Mörder

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mein schöner Mörder - Christa Jekoff

    Inhalt

    Cover

    Christa Jekoff - Mein schöner Mörder

    Du sollst …

    Prolog

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

    9

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    19

    20

    21

    22

    23

    24

    25

    26

    27

    28

    29

    30

    31

    32

    33

    34

    35

    36

    37

    38

    39

    40

    41

    42

    Epilog

    Die Autorin

    Impressum

    Du sollst deinen Vater

    und deine Mutter ehren.

    Das vierte Gebot

    Prolog (am Abend)

    Max: So, nun weißt du alles, was ich weiß. Was glaubst du: Hat der Junge etwas mit dem Verschwinden seiner Eltern zu tun? Wäre er fähig, einen Mord zu begehen?

    Lea: Bevor ich dazu etwas sagen kann, müsste ich ihn persönlich kennen lernen.

    Max: Darum wollte ich dich bitten. Du wirst überrascht sein. Ein solcher Junge ist mir noch nie begegnet. Er entzieht sich jeder Festlegung.

    Lea: In unserem Beruf kann mich so leicht nichts mehr überraschen.

    Max: Das dachte ich auch, aber warte, bis du Jan triffst. Meine Erfahrung sagt mir, dass er schuldig ist, doch die Ermittlungen gegen ihn sind eingestellt worden – ohne Beweise und ohne Leichen kein Täter. Aber es lässt mich nicht los. Ich werde ihm die Tat nachweisen, Mord verjährt nicht.

    1

    Max hatte mich neugierig gemacht. So ratlos hatte ich ihn noch nie erlebt. Wir kennen uns seit unserer Studienzeit und gelegentlich tauschen wir bei einem Glas Wein unsere beruflichen Erfahrungen aus. Daher weiß ich, dass ihm als langjährigem Polizeipsychologen in Frankfurt am Main nichts Menschliches fremd ist, eine Eigenschaft, dank derer er normalerweise zu den unzugänglichsten Seelen vordringen kann. Wenn er diesmal mit seinem Latein am Ende war, dann musste es sich tatsächlich um einen außergewöhnlichen Fall handeln. Ich sah ihm an, wie ihn seine Ohnmacht zermürbte. Er wirkte nervös und angespannt, und natürlich wollte ich ihm helfen. Zudem kam mir Max’ Bitte gelegen. Gerade war mir von der Universität ein Forschungssemester bewilligt worden, das ich dazu nutzen wollte, ein Buch über nicht alltägliche Fälle aus der verhaltenstherapeutischen Praxis zu schreiben. Also beschloss ich, mir den wundersamen Knaben gleich am nächsten Tag einmal anzusehen.

    Er hieß Jan Wilke, war 19 Jahre alt und besuchte die zwölfte Klasse eines Gymnasiums. Ich würde ihn also kaum vor der Mittagszeit zu Hause antreffen. Der Information, dass die Eltern des Jungen reich waren, hätte es nicht bedurft. Die Wilkes wohnten in einer der Villen, die eine kleine Seitenstraße am Holzhausenpark säumten, eine stille, grüne Oase, die vergessen ließ, dass man sich inmitten der Metropole mit der höchsten Verbrechensquote des Landes befand. Es war ein feuchtkalter Tag im April, und ich war froh, einen Parkplatz nur wenige Schritte vom Haus des Jungen entfernt zu finden. Das schmiedeeiserne Tor zum Wilkeschen Grundstück war verschlossen. Um sicher zu gehen, dass niemand zu Hause war, drückte ich auf die Klingel unterhalb der Sprechanlage. Da keine Reaktion erfolgte, schlug ich den Kragen meines Trenchcoats hoch und begann langsam auf und ab zu gehen. Die Straße schien wie ausgestorben. Auch an den Fenstern der benachbarten Häuser war niemand zu sehen. In dieser Gegend war man wohl zu vornehm, um seine Neugier zu zeigen.

    Trotzdem hatten aber Nachbarn, nachdem sie die Eltern des Jungen über zwei Monate hinweg nicht gesehen hatten, die Polizei informiert. Sie gaben sich mit seiner Auskunft, seine Eltern befänden sich noch immer auf einer Kreuzfahrt, nicht länger zufrieden. Ermittlungen ergaben, dass die Jacht in ihrem Heimathafen in Südfrankreich lag, die Eltern jedoch verschwunden und vermutlich nie dort angekommen waren. Der Junge versicherte, über ihren Aufenthaltsort nicht im Bilde zu sein. Ein Verdachtsmoment gegen ihn war, dass er seine Eltern nicht als vermisst gemeldet hatte. Befremdlich war außerdem, dass er sich keinerlei Sorgen zu machen schien. Max fand, er wirkte sogar auffallend ungezwungen und entspannt. Umsichtig versorgte er Haus und Garten, ging zur Schule und schien mit seinem Leben rundum zufrieden zu sein. Ja, er machte auf Max den Eindruck, als rechne er fest mit der Rückkehr seiner Eltern.

    Endlich tauchte am Ende der Straße ein Junge auf, der bis auf den Umstand, dass er hinkte, Max’ Beschreibung entsprach. Ich wartete, bis er das Tor aufschloss und sprach ihn an.

    »Mein Name ist Lea Loos«, stellte ich mich vor, »ich hätte Sie gern gesprochen, Sie sind doch Jan Wilke?«

    Der Junge musterte mich interessiert und nickte.

    »Der bin ich, aber kommen Sie doch mit ins Haus, hier draußen ist es ungemütlich.«

    Damit hielt er mir das Tor auf, was ihm nicht leicht zu fallen schien, denn neben einer Umhängetasche trug er zwei volle Einkaufstüten. Offenbar bereitete es ihm Schwierigkeiten, sein Gewicht auf das gesunde Bein zu verlagern.

    Max hatte nicht übertrieben, als er ihn mir als einen »hübschen Jungen« schilderte, eher im Gegenteil. Ich sah mich einem ungewöhnlich gutaussehenden jungen Mann gegenüber, mit weichfallendem dunklen Haar, dunklen Augen mit langen Wimpern und ein wenig schweren Lidern. Die Augen eines Träumers, in einem schmalen Gesicht mit blassem Teint. Dazu war er groß und schlank, und wäre das Hinken nicht gewesen, ich hätte seine Erscheinung als vollkommen bezeichnet.

    »Kann ich Ihnen etwas abnehmen?«, fragte ich spontan und griff nach den Tüten.

    »Das geschieht selten«, murmelte er mit einem erfreuten, aber gleichzeitig wehmütigen Lächeln.

    Er humpelte die Sandsteinstufen zur Haustür hinauf, einer schweren Flügeltür mit Bleiverglasung. Ich folgte ihm in eine Eingangshalle, die von dicken Teppichen und einem großen antiken Schrank beherrscht wurde. Er nahm mir den Mantel ab.

    »Sie sehen ganz durchgefroren aus«, sagte er warmherzig, »mögen Sie eine Tasse Tee?«

    Ohne eine Antwort abzuwarten, bat er mich in eine geräumige Küche mit Blick in einen parkähnlichen Garten, stellte den Wasserkocher an, hinkte zu dem altmodischen Heizkörper unter dem Fenster und stellte die Temperatur höher.

    »Ich drehe sie immer herunter, wenn ich aus dem Haus gehe«, erklärte er, »ein völlig veraltetes Heizungssystem, man sollte es erneuern lassen. Schauen Sie sich nur die Raumhöhe an, die Heizkosten machen einen arm.«

    Angesichts des Stucks an der Zimmerdecke, der Tassen aus Meißener Porzellan und der silbernen Teekanne schien die Erwähnung drohender Armut ziemlich kokett, dennoch wirkte Jan Wilke trotz seiner Jugend als Hausherr seltsam authentisch.

    Er bot mir einen Stuhl an dem langen Eichentisch an. Auf dem Sitz hatte eine kleine Katze geschlafen. Jetzt gähnte sie und streckte sich.

    »Du schon wieder!«, rief er aus, nahm sie auf und sie begann laut zu schnurren.

    Einen Moment lang behielt er sie im Arm und streichelte sie. Fasziniert betrachtete ich seine Hände, schlank, gepflegt, zärtlich. Waren das die Hände eines Mörders? Ich rief mich zur Ordnung, gewiss waren die Hände eines Menschen kein Kriterium für das, wozu er fähig war.

    »Jetzt aber nach Hause«, sagte er und öffnete die Tür zum Garten. »Sie gehört der Nachbarin und findet immer einen Weg hier ins Haus.«

    Er schenkte Tee ein, nahm eine Tiefkühlpizza aus der Einkaufstüte und stellte den Backofen an.

    »Mögen Sie auch?«, fragte er.

    Dankend lehnte ich ab.

    »Ich habe nämlich noch nichts gegessen und gleich einen Termin«, erklärte er. »Worüber möchten Sie mit mir sprechen?«

    »Ich arbeite an einem Buch über Verhaltenspsychologie und interessiere mich für Ihre Geschichte. Max Singer hat mir von Ihnen erzählt«, antwortete ich so allgemein wie möglich, »aber wenn es Ihnen jetzt nicht passt …«

    Weder wirkte er beeindruckt, noch waren ihm Zeichen von Gereiztheit oder Ungeduld anzumerken. Wahrscheinlich hatte er schon mit so vielen Leuten über »seine Geschichte« reden müssen, dass es für ihn zur Routine geworden war. Er schaute auf seine Armbanduhr, ein teures mechanisches Werk.

    »Ich gebe gleich eine Nachhilfestunde in Mathematik«, sagte er entschuldigend.

    Ein Mathematiker also. Hatte ich ihn doch für einen Träumer gehalten. Er bemerkte mein Erstaunen, und zuckte lässig mit den Achseln.

    »Es ist lediglich eine Frage der Logik … Kommen Sie doch morgen um fünf Uhr zum Tee, dann können wir uns in Ruhe unterhalten.«

    Ich war einverstanden.

    Auf der Straße kam mir ein Mädchen in einem schwarzen Mantel entgegen. Auch die Haare waren schwarz, das Gesicht leuchtete dadurch fast weiß. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie das Mädchen das Grundstück der Wilkes betrat. An einem Fenster der Nachbarvilla bewegte sich jetzt ein Vorhang. Also doch jemand auf Beobachtungsposten!

    Am Abend rief Max an. Er wollte wissen, wie es gelaufen war. Ich sagte ihm lediglich, dass ich mit Jan Wilke einen Termin für den nächsten Tag vereinbart hatte. Ich mochte nicht zugeben, wie mühelos es dem Jungen gelungen war, mich für sich einzunehmen.

    2

    Gut gewappnet stand ich am nächsten Tag pünktlich um 17 Uhr wieder vor der Villa am Holzhausenpark. Ich hatte mir eine Gesprächsstrategie zurechtgelegt und war entschlossen, mich durch keinerlei Charmeoffensive davon abbringen zu lassen. Seltsamerweise öffnete auf mein Klingeln hin niemand. Ich probierte es noch einmal erfolglos. Jan konnte unsere Verabredung unmöglich vergessen haben. Versuchsweise drückte ich die Klinke des Tores herunter. Es war tatsächlich unverschlossen. Ebenso die Haustür. Möglicherweise hatte er ja die Klingel nicht gehört. Zögernd trat ich ein und rief seinen Namen, doch er antwortete nicht. Ich fühlte mich unbehaglich in der Rolle eines Eindringlings und wollte gerade wieder gehen, da hörte ich plötzlich über mir ein Geräusch.

    In die erste Etage führte eine breite Marmortreppe. Noch einmal rief ich den Namen des Jungen, doch alles war wieder gespenstisch still. Trotzdem sagte mir mein Gefühl, dass außer mir noch jemand im Haus war. Um mir Gewissheit zu verschaffen, stieg ich die Treppe hinauf.

    Auch auf dem oberen Flur war jetzt kein Laut zu hören, und es widerstrebte mir, noch weiter vorzudringen. Vielleicht hatte ich mich ja verhört. Gerade wollte ich meine Expedition in dem fremden Haus abbrechen, da sah ich, dass eine der Türen einen Spalt breit offenstand. Ich konnte nicht widerstehen, klopfte und nachdem keine Antwort erfolgte, öffnete ich die Tür ganz. Aus dem Zimmer herausgeschossen kam das Kätzchen, das ich bereits von meinem ersten Besuch her kannte, und raste die Treppe hinunter. Sonst war niemand im Raum. Vermutlich hatte ich das Rumoren der Katze gehört. Auf dem Teppich lag eine kleine ramponierte Strohpuppe.

    Auf den ersten Blick war es das ganz normale Zimmer eines Schülers mit Bett, Bücherregal, Schreibtisch, PC und Poster. Da man einiges über die Persönlichkeit eines Menschen erfahren kann, wenn man weiß, was er liest, richtete sich mein Interesse zunächst auf das Regal. Zu meiner Verwunderung standen dort, von diversen Gedichtsammlungen abgesehen, hauptsächlich Kinderbücher, die Jugendliche in Jans Alter normalerweise längst aussortiert haben.

    Auffällig waren außerdem Lesezeichen aus schwarzem Lackleder zwischen etlichen Seiten der Gedichtbände. Ihr makabrer Sinn erschloss sich mir, als ich in den Büchern blätterte: Sie kennzeichneten ausschließlich Gedichte, die mit dem Tod zu tun hatten. Die Neugier führte mich an den Schreibtisch. Hier stapelten sich Bücher über Informatik und Mathematik, die mir weit über den Schulstoff hinaus zu gehen schienen.

    Da stand ich nun in diesem Zimmer und fragte mich, wer dieser Jan Wilke eigentlich war. Ein infantiles Genie mit Todessehnsucht? Ein Psychopath, der seine Eltern umgebracht hatte und jetzt ein perverses Vergnügen daran fand, sich im Haus zu verstecken, um zu testen, wie ich mich verhielt? Es gelang mir einfach nicht, dieses Gefühl, nicht allein zu sein, abzuschütteln. Nein, der umsichtige junge Mann, den ich am Tag zuvor kennen gelernt hatte, würde niemals das Haus verlassen, ohne abzuschließen! Dessen jedenfalls war ich mir sicher.

    Verärgert wandte ich mich diesmal endgültig zum Gehen. Auf dem oberen Treppenabsatz jedoch erfasste mich ein derart heftiger Schwindel, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.

    Das war das Letzte, woran ich mich erinnerte, bevor ich mich irgendwann in meinem parkenden Wagen wiederfand, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war.

    »Versuchen wir, die Ereignisse noch einmal zu rekapitulieren«, sagte Max, der sich wegen meines Schweigens Sorgen gemacht hatte und am nächsten Morgen mit Brötchen zum Frühstück erschienen war. »Du bist also in der Villa gewesen und hast dich umgesehen.«

    Er sprach mit der ruhigen Beiläufigkeit, mit der man die haarstäubende Geschichte eines verstörten Kindes auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen möchte. So verfuhr er vermutlich mit seinen Verdächtigen. Ich sog hörbar Luft ein.

    »Nur in Jan Wilkes Zimmer.«

    »Und du weißt nicht, ob Wilke im Haus war?«

    »Ich habe ihn jedenfalls nicht gesehen, auch nicht, wenn du mich noch einmal fragst.«

    Doch Max ging darüber hinweg. »Aber sicher bist du nicht. Vielleicht bist du ihm in die Falle gegangen. Er hat dich erst heimtückisch ins Haus gelockt und dann hat er dich die Treppe hinuntergestoßen.«

    »Unsinn, warum hätte er das tun sollen? Am Tag zuvor hat er sich ausgesprochen zuvorkommend verhalten.«

    »Das gehörte zum Plan. Vielleicht denkt er, du könntest ihm gefährlich werden.«

    »Ach, hör doch auf! Du bist voreingenommen. Außerdem hat mich niemand gestoßen, mir war schwindlig!«

    »Hattest du solche Schwindelanfälle schon öfter?«

    »Nein.«

    »Hm. Und was passierte dann? Bist du gestürzt? An irgendetwas musst du dich doch erinnern.«

    Ich schwieg.

    »Und wie fühlst du dich jetzt?«

    »Etwas Kopfschmerzen, nicht der Rede wert. Alles in allem hatte ich wohl Glück.«

    Max sah mich prüfend an und schaute dann bekümmert auf das unberührte Brötchen auf meinem Teller.

    »Bist du vielleicht mit dem Kopf aufgeschlagen? Wenn du wirklich nicht mehr weißt, wie du zu deinem Auto gekommen bist, musst du unbedingt sofort zu einem Arzt gehen, versprich mir das!«

    »Hältst du mich jetzt für unzurechnungsfähig?«, brauste ich auf, wohl um meine eigenen Ängste diesbezüglich zu überspielen.

    »Nein, aber ich fühle mich verantwortlich«, sprach Max schnell weiter, »immerhin habe ich dich zu dem vielleicht raffiniertesten und gefährlichsten Psychopathen geschickt, der mir in meiner beruflichen Laufbahn begegnet ist.«

    »Du übertreibst.«

    »Ach ja? Und wie ist deine Einschätzung?«

    »Ich hatte zwar noch keine Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch, aber auf mich hat der junge Mann einen ausgeglichenen und kultivierten Eindruck gemacht.«

    Meine Zweifel verschwieg ich. Sie wären Wasser auf Max’ Mühle gewesen. Stattdessen machte ich ihm Vorwürfe.

    »Ich habe das Gefühl, ich soll mir keine Meinung bilden, sondern dir helfen, deine zu rechtfertigen. Aber bisher konnte ich den Mörder in ihm nicht erkennen.«

    »Sondern? Was hast du erkennen können?«

    »Er scheint ein junger Mann mit vielseitigen Interessen zu sein, der sich mit Mathematik beschäftigt und Gedichte liest«, sagte ich vorsichtig. »In ihm vereinen sich logisches Denken und Sensibilität. Das zeugt zumindest von einem interessanten Charakter.«

    »Na ja, Logik ist die Voraussetzung für ein perfektes Verbrechen, und die Kriminalgeschichte strotzt geradezu vor feinsinnigen Mördern mit einem Hang zu den schönen Künsten. Das eine schließt das andere also nicht aus, und für den Psychologen sind die meisten Verbrecher interessante Charaktere.«

    Ich ärgerte mich, Max diese Argumente geliefert zu haben. Dabei hatte ich die brisanten Details noch verschwiegen.

    »Kann es sein, dass du es nicht erwarten kannst, Jan Wilke vor Gericht zu sehen?«, griff ich ihn an.

    Das machte meinen Freund wütend: »Ich verstehe nicht, wie dieser Kerl es schafft, jeden für sich zu gewinnen. Liegt es an seinem hübschen Gesicht? Sag du es mir!«

    Fast fürchtete ich, rot zu werden, denn in diesem Punkt hatte Max nicht ganz unrecht.

    »Du hast seine Behinderung vergessen«, sagte ich kühl, »vielleicht haben alle bloß Mitleid mit ihm.«

    Max runzelte die Stirn. »Von welcher Behinderung sprichst du?«

    »Ich vermute, er hatte früher einmal Kinderlähmung. Oder

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1