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Trau deinem Zwilling nicht
Trau deinem Zwilling nicht
Trau deinem Zwilling nicht
eBook250 Seiten3 Stunden

Trau deinem Zwilling nicht

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Über dieses E-Book

Luise Wiese ist Kassels jüngste Kriminalhauptkommissarin. Als ein bekannter Kasseler Psychiater ermordet wird, hat sie den Fall schnell gelöst: Der Sohn ist der Mörder, denkt sie. Der entkommt jedoch der Polizei. Genau vor der Haustür ihrer Zwillingsschwester Xenia. Die impulsive Krimischriftstellerin gerät dadurch nicht nur an den Stoff für einen neuen Roman.

Mit viel Humor beschreibt die Autorin Klara G. Mini das Wettrennen der ungleichen Zwillingsschwestern, die beide mit sehr unterschiedlichen Zielen den Fall aufklären wollen.
SpracheDeutsch
HerausgeberProlibris Verlag
Erscheinungsdatum15. Jan. 2014
ISBN9783954750665
Trau deinem Zwilling nicht

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    Buchvorschau

    Trau deinem Zwilling nicht - Klara G. Mini

    Seelengefährten.

    Freitag, 24. Februar 2006

    Xenia Wiese

    Wenn Sie es für eine blöde Idee halten, mit Hausschuhen im Winter einkaufen zu gehen, kann ich Ihnen eigentlich nur Recht geben. Aber ich hatte es ja nicht weit – raus aus der Haustür und hinein zu Metzger Maier.

    Ich wurde nicht sofort bedient. An der »heißen Theke« standen zwei Polizisten in den üblichen schlammbraunen Hosen und jägergrünen Jacken und orderten ihr Mittagessen. Anni, die Fleischereifachverkäuferin, füllte großzügig Frikadellen mit Bratkartoffeln in eine Styroporverpackung.

    »Nicht so viel, junge Frau!« Der größere Ordnungshüter, ein etwas grobschlächtiger Typ, strich grinsend über seinen Bauch.

    »Halb so schlimm, da passt noch was rein.« Anni schaufelte unbeirrt weiter. »Darf’s denn sonst noch was sein?«

    »Können’se noch ein Mettbrötchen machen? Für den Knastbruder da draußen? Mit Zwiebeln«, sagte der kleine Dicke.

    »Das gibt aber ordentlich Blähungen!«

    »Egal. Machen Sie ruhig noch ein paar Zwiebeln mehr drauf. Der hat uns auch genug geärgert.«

    Während Anni das Brötchen aufschnitt, warf ich einen kurzen Blick nach draußen. Direkt vor der Schaufensterscheibe geparkt der weißgrüne Streifenwagen, auf dem Rücksitz ein Mann mit blondem Haarschopf.

    »Macht zusammen 7,80 €.«

    »Für das Brötchen bräuchten wir noch eine Quittung.«

    Anni suchte nach dem Quittungsblock. »Kein Problem. 1,80 €, ein Mettbrötchen.« Sie zwinkerte mir fröhlich zu, während der kleine dicke Ordnungshüter aus seiner Gesäßtasche eine Geldbörse zog und bezahlte.

    Ich sagte gerade: »Ich hätte gern 200g Rinderhack«, als der Grobschlächtige wieder in den Laden stürzte.

    »Ich muss mal telefonieren!«

    »Kein Handy, oder was?«, wollte Anni wissen, während sie auf den Apparat hinter sich deutete.

    »Akku leer.« Er hackte mit dicken Fingern eine Nummer in die Tasten.

    »Hat Schulze schon per Funk gemeldet? … Ja, der Typ ist weg … Ist mir schleierhaft. Der war doch mit Handschellen an die Kopfstützen gefesselt, sogar an jeder Hand eine … Was? Nein, hat er rausgerissen … Ja, ... Was jetzt?... In Ordnung!« Er schmiss den Hörer auf die Gabel.

    Anni öffnete den Mund zu einer Frage, aber der Typ war schon wieder draußen. »Darf’s ein bisschen mehr sein? So 220g?«, fragte sie stattdessen mich.

    »Ja, ja, in Ordnung!« Durch die Schaufensterscheibe verfolgte ich gespannt das Geschehen. Der Blondschopf war verschwunden. Dafür zwei Polizisten in hektischer Betriebsamkeit. Der kleine Dicke – vermutete ich – am Funkgerät, der andere rannte die Straße rauf und runter.

    »Was ist hier eigentlich los?« Anni trat neben mich, um ebenfalls hinauszuschauen.

    »Hast Du doch gehört. Der Knasti ist getürmt!«

    »Na, weit kann der ja nicht sein!«

    Konnte er offensichtlich doch. Obwohl es sehr schnell von Polizeifahrzeugen nur so wimmelte. Blaulicht überall. Stellen Sie sich dazu jetzt noch den passenden dunstigen Kasseler Mittag im kalten Februar vor. Tatütata kündigte das Kommen eines weiteren Streifenwagens an, der bald darauf mit quietschenden Reifen hielt. Vier Männer in Uniform fielen fast aus dem Auto, bereit, die Verfolgung aufzunehmen.

    »Was hat der Typ wohl verbrochen? Wenn die so einen Aufriss machen!«, fragte Anni.

    »Bestimmt nicht nur ein Deo im Supermarkt geklaut«, vermutete ich. »Irgendwas Kapitaleres. Mord und Totschlag oder so.«

    Gewissermaßen fühlte ich mich vom Fach. Ich lese Krimis seit ungefähr zwanzig Jahren, also gut zwei Drittel meines Lebens, und habe enge Kontakte zu der jüngsten Kriminalhauptkommissarin in Kassel. Die ist zufällig meine Zwillingsschwester Luise. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Für diesen Namen ist sie entweder schon zu alt oder noch nicht alt genug. Aber es gibt eine einfache Erklärung: sie wurde nach der Oma mütterlicherseits benannt. Mir geht’s übrigens auch nicht besser. Getauft auf den Namen der Oma väterlicherseits. Unsere Eltern halten viel von Tradition.

    Xenia gefällt mir persönlich allerdings noch besser als Luise, aber das ist natürlich Geschmackssache. Ich weiche vom Thema ab. Also, meine literarischen Vorlieben. Weil ich seit mehr als zwanzig Jahren mit Begeisterung Kriminalromane lese, habe ich eine sehr breite Allgemeinbildung auf diesem Sektor. Und die feste Absicht, einen Krimi zu schreiben, der so richtig Furore macht. Wenn schon, denn schon.

    Am auflageträchtigsten scheinen mir die Romane zu sein, in denen die Heldin parallel zur Mordermittlung von einem breitschultrigen, schmalhüftigen, dreitagebärtigen Draufgänger überwältigt wird. Frühestens nach 150 Seiten. Aber die Spannung steigt bis dahin. Er legt ihr eine Hand auf den unteren Rücken, erkundet das Innenleben ihres Spitzen-BHs, während sie sich immer mehr für den Inhalt seiner Hose interessiert, und damit ist nicht nur sein knackiger Hintern gemeint. Wenn ich nicht gerade sexuell Not leidend bin, was zugegebenermaßen öfter der Fall ist, und ich mich voll auf die eigentliche Handlung konzentrieren kann, dann fühlt sich meine kriminelle Rätselfreude mitunter beleidigt. Denn meistens weiß ich ziemlich früh, wer’s war.

    Ich beobachtete mit Anni weiter das hektische Treiben, das jedoch keine Ergebnisse hervorbrachte. Lediglich Ideen und Satzfetzen.

    »Mit einem Auto vielleicht?« »Zur Straßenbahn oder zum Taxistand?« »Anwohner befragen!« Es wurde etwas langweilig und kalt. Ich zog meine Strickjacke enger um die Schultern, nahm mein Rinderhack und ging aus dem Laden.

    Die Haustür war zu. Hatte irgendjemand zwischenzeitlich zugeschmissen. Muss ich Ihnen kurz erklären. Ich wohne in der Pestalozzistraße im Vorderen Westen. Oberhalb des Goethesterns. Altes Haus, Jugendstil. Geerbt von Oma Xenia. Die hatte ganz schön Schotter und hat die Bude topp in Schuss gehalten. Oma Xenia war wild und zänkisch, das schwarze Schaf der Familie, ein Job, den ich jetzt ebenfalls von ihr geerbt habe. Der Verlust von Oma Xenia sitzt noch immer tief, und oft führe ich stille Zwiegespräche mit ihr. Für mich ist sie eben noch ganz präsent, ich wohne in ihren alten Lebensräumen, in ihren alten Möbeln. Den Rest vom Haus habe ich vermietet. Hoffentlich war einer der Mieter jetzt zu Hause. Grete nicht, ich klingelte bei Pünktchen. Der Türdrücker summte leise, die Tür gab nach, als ich mich dagegenlehnte.

    »Danke, Pünktchen!«, rief ich durch das weißschwarz geflieste Treppenhaus.

    »Gerne«, brüllte Pünktchen zurück, »aber stör mich nicht noch mal! Ich habe hier ein Problem.«

    Probleme hatte Pünktchen weiß Gott mehr als genug, aber er meinte wahrscheinlich eins mit dem Computer. Er ist Spezialist für solche Sachen. Viele Leute, deren Rechner abstürzt, rufen Pünktchen, der dann mit Enthusiasmus daran herumbastelt. Für mich ein Buch mit sieben Siegeln!

    Ich stiefelte in den dritten Stock hinauf. Hoffentlich war wenigstens meine Wohnungstür noch offen. Ich hatte Glück. Trotzdem sollte ich nachher unbedingt meinen Schlüssel suchen. Ich schloss die Tür hinter mir und ging in die Küche. Ein Geräusch. Was war das? Ich drehte den Kopf und sah eine schwarze Pistole – und darüber einen blonden Haarschopf.

    Luise Wiese

    Schon lange lauere ich auf den Moment, endlich die Leitung einer Soko übernehmen zu können. Freundlich bestimmt, effizient, motivierend. Als Möllkamp mir gestern Abend den Fall übertrug, zum Missfallen von Lewinsky, war die Freude allerdings getrübt. Prominentes Opfer. Mutmaßlicher Täter auf der Flucht. Was gab es da schon groß zu ermitteln? Der Fall war gelöst, wir mussten nur noch den Aufenthaltsort des Mörders herausfinden. Reine Fleißarbeit, bar jeder Herausforderung und jeden Ruhms. Ein echter Frauenjob eben.

    Heute Morgen hatte ich Gerlinde Kröger zur Befragung ins Präsidium geladen. Ich hoffte, das würde mich weiterbringen. Immerhin war sie seit ungefähr 37 Jahren als Haushälterin beim Mordopfer beschäftigt.

    Es klopfte. Gerlinde war die Mutlosigkeit in Person. So kannte ich sie bisher gar nicht. Normalerweise erschien sie mir stark und klar. Ich hatte erlebt, wie sie dem Alpha-Männchen einer jugendlichen Gang eine schallende Ohrfeige verpasste, weil es sie auf dem Bürgersteig angerempelt hatte. Und sie ist auch dazwischengegangen, als drei Jugendliche einen indischen Jungen verprügeln wollten. Für meinen Geschmack grenzte das an Tollkühnheit. Ich hätte mindestens meinen Dienstrevolver gezogen und »Polizei« gebrüllt.

    »Gerlinde, setz dich. Möchtest du einen Tee? Ich kann dir auch einen Kaffee aus der Kantine kommen lassen.«

    »Tee ist schon okay, danke.«

    »Wie geht es dir?«

    Gerlinde ruckte auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr Mund verzog sich, aber dann schluckte sie nur und sagte nichts. Nur ihre Hände öffneten und schlossen sich um ihren Schal, den sie auf dem Schoß hielt.

    Ich gab ihr eine Tasse Tee, die sie sofort umklammerte. Ein Rettungsanker aus Fenchel und Kamille.

    »Erzähl mir von gestern. Wann hast du mit dem Orgelüben aufgehört?«

    »Ich weiß es nicht so genau, es wird so gegen 18:00 Uhr gewesen sein. Hannelore kam noch in die Kirche und hat die vertrockneten Blumen weggeschmissen.«

    »Ja, das hat sie mir auch erzählt. Sie hat dir noch ein Weilchen beim Spielen zugehört.«

    »Und als ich dann nach Hause kam, so um viertel nach sechs … lag er da. Tot. Um ihn herum lauter Menschen mit Plastikhandschuhen, grelle Scheinwerfer.« Ihre Stimme verlor sich.

    »Wann bist du an dem Nachmittag weggegangen?«

    »Das haben mich deine Kollegen gestern auch schon gefragt. Ich weiß es nicht genau. Es muss so gegen drei gewesen sein. Sie haben mir gestern auch gesagt, ich solle Beweise erbringen, wann ich am Nachmittag was mit wem gemacht habe.« Sie lächelte freudlos. »Hier. Der Kassenzettel. Ich war einkaufen. Neben der Kirche. Du kennst das Geschäft ja.«

    Ich faltete das Papier auseinander. Servietten, Kaffee, Plätzchen, für das Seniorenkaffeetrinken: 17,98 € um 16:06 Uhr. »Du hast doch sicher jemanden getroffen?«

    »Ich kann mich an niemanden erinnern. Olga saß halt an der Kasse. Wir haben noch ein Schwätzchen gehalten. Danach war ich Orgelspielen.«

    »Ich denke, der Bon wird reichen. Bist du mit Telau gut ausgekommen?«

    »Ja.«

    »Ich habe keine Vorstellung von einem Haushälterinnenjob.«

    »Einkaufen, kochen, putzen, Mädchen für alles. Wenn Gäste kommen, das Tafelsilber putzen. Betten abziehen, Wäsche waschen. Nicht besonders spektakulär. Und ich helfe ihm ein wenig in der Praxis, vor allem bei den Abrechnungen.«

    »Als alleinstehender Mann brauchte er eine Haushälterin?«

    »Er war immer sehr beschäftigt. Und in Haushaltsdingen auch eher unstrukturiert.«

    »Also einer, der seine Socken herumschmeißt und leere Weingläser im ganzen Haus stehen lässt?«

    »So ungefähr.«

    »Die Frau lebt getrennt?«

    »Ja.«

    »Und der Sohn?«

    »Der ist ja schon lange erwachsen, hat eine eigene Wohnung in Wehlheiden und war nur manchmal zu Besuch da.«

    »Wie war die Beziehung der Familienmitglieder untereinander?«

    »Okay. Die Telaus redeten miteinander.«

    »Reden oder streiten?«

    »Manchmal gab es natürlich auch Meinungsverschiedenheiten, das ist doch ganz normal.«

    »Vor seinem Tod?«

    »Nicht, dass ich wüsste.«

    »Warum war der Sohn …«

    »Denkt die Polizei wirklich, dass Milan seinen Vater getötet hat, wie es in der Zeitung stand? Das ist absurd. Völlig ausgeschlossen!«

    »Warum?«

    »Ich kenne Milan seit seiner Geburt. Das würde er niemals tun!«

    »Hat Milan Telau sich bei dir gemeldet?«

    »Nein. Wohl eher bei seiner Mutter, vermute ich.«

    »Hast du eine Idee, wohin er gegangen sein könnte?«

    »Nein.«

    Es war 12:10 Uhr, als das Telefon auf meinem Schreibtisch schrillte.

    »Chefin«, meldete Schulze, »wir haben den Jungen!«

    Adrenalin schoss in meine Adern.

    »Per Zufall auf der Straße aufgelesen. Am Auestadion. Sitzt jetzt bei uns im Streifenwagen. Sieht ziemlich fertig aus. Was sollen wir machen?«

    »Behandelt ihn gut und bringt ihn zur Wache!«

    Immerhin hatte Telau Schulzes Partner auf die Bretter geschickt, als er geflüchtet war. Und ich hatte Krauses Temperament schon einmal erlebt und wollte vorbeugen. Man kennt ja die Anwälte. Wenn da irgendwas läuft bei der Verhaftung, bringen die die präziseste Anklage ins Wackeln. Dann heißt es plötzlich: Die Bullen prügeln und foltern. Und schon ist die öffentliche Meinung gegen uns, und keiner interessiert sich mehr dafür, dass der junge Mann schließlich seinen Vater umgebracht hat. Wenn man mich so richtig in Fahrt bringen will, ist dieses Thema sehr geeignet dazu.

    Keine halbe Stunde später düdelte mein Telefon wieder. Krauses Stimme klang deutlich weniger enthusiastisch: »Er ist weg! Dabei waren wir nur kurz Brötchen holen.«

    Das war einfach unfassbar! Als ich sagte, Schulze und Krause sollten Telau gut behandeln, meinte ich damit selbstverständlich nicht einen kostenlosen Imbiss. Aber ich fürchte, dass Schulzes intellektuelle Fähigkeiten weniger ausgeprägt sind als seine Liebe zum Essen. Wenn irgendwo ein Magen knurrt, kann er nicht widerstehen. Und bietet mindestens einen Schokoriegel an!

    Wie bescheuert muss man eigentlich sein, einen Mörder auf dem Rücksitz eines Autos, angebunden an Kopfstützen sitzen zu lassen, um Mettbrötchen kaufen zu gehen?

    Xenia Wiese

    Mein Herz legte einen Sprint hin, während meine Beine wie gelähmt waren.

    »Leg die Tüte auf den Tisch und setz dich!«

    Offensichtlich hatte er nicht vor, mich gleich zu erschießen.

    »Das ist Rinderhack, das wird schlecht in der Wärme«, wagte ich einen zaghaften Protest.

    Mit der Knarre winkte er zu meinem Küchensofa hinüber. »Setzen und Klappe halten.«

    Folgsam setzte ich mich. Und starrte in die Mündung der Pistole und auf die Hand, die sie hielt. Kräftig, mit sehnigen Fingern und vielen blonden Härchen. Um das Handgelenk schlackernd eine Handschelle. Mein Blick wanderte weiter über einen ramponierten, matschfarbenen Lederjackenärmel. Der Arm darin schien erstaunlich lang. Irgendwie der ganze Kerl. Und erschreckend muskulös und kräftig. Jeans, Sweatshirt, Dreitagebart. Blaue kalt blickende Augen. Die Nase sah aus, als sei sie irgendwann mal gebrochen gewesen. Das Kinn kantig, die Zähne fest aufeinander gebissen. Blonde, dichte und wirre Haare, die er mit der freien Hand, ebenfalls mit einer Handschelle geschmückt, durchwuschelte.

    Nanu, eine Verlegenheitsgeste?

    »Was soll der Scheiß?«, entrüstete ich mich, »platzt hier rein, fuchtelst mit einer Knarre rum. Zieh wenigstens die Schuhe aus, du saust mir die Bude ein.«

    Einer der schon erwähnten Krimiheldinnen war es auf diese Weise gelungen, den Bösewicht für einen Moment abzulenken. Der reichte, um den Küchenstuhl hochzuheben, auszuholen und ihn auf dem Arm des Mannes niedergehen zu lassen. Diesen Krimi hatte aber mein Gegenüber wohl auch gelesen.

    Er fixierte mich kalt: »Du bist ja selber mit Hausschuhen raus gewesen und läufst jetzt hier rum.« Die Hand mit der Knarre schwankte nicht.

    »Dann hau ab und lass mich in Frieden!«

    »Das habe ich auch vor, wenn der Betrieb da draußen etwas nachlässt!«

    Es klang immerhin so, als würde ich dieses Abenteuer überleben. Was angesichts der Lage schon sehr viel war! Das Telefon klingelte.

    »Du gehst nicht dran!«

    »Und ob ich drangehe! Ich bin um diese Zeit am Telefon verabredet.« Ich reckte meinen Arm Richtung schnurloses Gerät auf dem Küchentisch. Einer der schon erwähnten Krimiheldinnen war es gelungen, dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung eine kryptische, aber lösbare Geheiminformation zukommen zu lassen, und eine Weile später war die Bude umstellt, und der Typ wurde gefasst.

    »Wenn du ein falsches Wort sagst, schieße ich«, warnte Blondschopf.

    Ich drückte auf den grünen Knopf: »Wiese!« So melde ich mich sonst nie! Und schon gar nicht so amtlich! Meist sage ich »Hallo« oder »Hier ist die Xenia.«

    »Xenia, bist du’s?« Meine Schwester. »Pass mal auf, Chaos. Bei dir um die Ecke ist ein gefährlicher Straftäter ausgebrochen. Mach bloß nicht die Tür auf, wenn’s klingelt.«

    »Ihr wolltet doch zu mir kommen!« Nicht besonders kryptisch, ich weiß. Normalerweise bin ich nicht auf den Kopf gefallen. Aber mit der auf mich gerichteten Knarre hatte ich gewissermaßen kreative Ladehemmung. Genutzt hätte es aber sowieso nichts. Meine Schwester hatte den Hörer schon wieder auf die Gabel geschmissen. Eines ihrer berüchtigten Kurztelefonate. Schade!

    »Wann?«

    Ich guckte irritiert.

    »Wann wollen die kommen?«

    »Oh, jetzt gleich. So in drei Minuten«, probierte ich mein Glück.

    »Und wer?«

    »Freunde.«

    »Wenn du die Tür aufmachst, bist du tot!«

    Drei angespannte Minuten und noch mal ungefähr zwei mal drei Minuten vergingen.

    »Du willst mich verarschen!«

    »Quatsch! Wahrscheinlich etwas schwierig, im Moment einen Parkplatz zu finden. Tee?«

    »Was?«

    »Ob du einen Tee willst? Ich habe jedenfalls Durst!«

    Unschlüssig zuckte die Pistole.

    Ich stand auf und ging zum Wasserkocher. Füllte Wasser ein. Einer Krimiheldin war es gelungen, den Täter mit kochendem Wasser zu übergießen. Ich wusste nicht, ob ich dazu in der Lage wäre. Vielleicht, wenn ich mich extrem bedroht fühlen würde. Das war aber eigentlich nicht mehr der Fall. Irgendwie erschien mir der Blondschopf immer harmloser. Vielleicht ein wenig auf den Arm mit der Knarre schütten. Nur, dass er sie fallen lässt. Dann schnell rauslaufen.

    »Wie heißt du denn eigentlich?«, machte ich Konversation. Reden ist in solchen Fällen immer gut, denn Männer können nur eine Sache gleichzeitig. Denken oder sprechen oder sich auf die Knarre konzentrieren. Da sind Frauen mit ihren multi-tasking-Fähigkeiten klar im Vorteil. Ich traute es mir jedenfalls durchaus zu, zu reden und Teewasser zu verschütten, wenn ich mich denn traute. Für christlich sozialisierte Menschen ist so was eine echte Hürde! Wenn dich einer auf die linke Wange haut, dann halt ihm noch die rechte hin! Auch wenn ich in der Grundschule Paulchen, weil er mich geschubst hat, zwei Milchzähne ausgeschlagen habe, ist das noch kein Beweis dafür, dass ich gegen diese Botschaft resistent wäre. So etwas sitzt tief!

    »Wenn du mit dem Wasser rumplanschst, schieße ich«, warnte Blondschopf.

    Okay, also alles in die

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