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Künstlerdämmerung: Kassel-Krimi
Künstlerdämmerung: Kassel-Krimi
Künstlerdämmerung: Kassel-Krimi
eBook274 Seiten2 Stunden

Künstlerdämmerung: Kassel-Krimi

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Über dieses E-Book

Kunst und Natur – diesem Thema widmet sich eine Kasseler Weltkunstausstellung. Zum Programm gehört allerdings nicht, dass der Künstler Daniel M. Ritzelbeck mitten in der Natur erschossen aufgefunden wird. Seine Leiche liegt neben einem Basaltblock im Habichtswald. Ist er bei der Suche nach Materialien für seinen Beitrag zur Foruminarte jemandem auf die Füße getreten? Die Ermittlungen der Soko »Ruheeiche" unter Kriminalhauptkommissarin Luise Wiese gestalten sich beschwerlich. Zahlreiche ehemalige und gegenwärtige Weggenossen des Opfers haben handfeste Motive, Dani aus dem Weg zu räumen: Künstler, Jäger, vermeintliche Freunde und offensichtliche Feinde. Kein Wunder, dass Luises Zwillingsschwester Xenia sich berufen fühlt, den Dingen auf den Grund zu gehen, obwohl sie mit Krimischreiben und Kellnern schon genug zu tun hätte. Als Ordnerin hält sie bei der Foruminarte Augen und Ohren offen. Xenia und Luise Wiese arbeiten auch in diesem Fall heiter bis zickig mit- und gegeneinander.
SpracheDeutsch
HerausgeberProlibris Verlag
Erscheinungsdatum30. Juni 2017
ISBN9783954751594
Künstlerdämmerung: Kassel-Krimi

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    Buchvorschau

    Künstlerdämmerung - Klara G. Mini

    Danksagung

    Klara G. Mini

    Künstlerdämmerung

    Kassel-Krimi

    Prolibris Verlag

    Für meine Lieben und Liebsten,

    auf dass wir heiter und mit wilder Kraft

    unser Leben meistern.

    Besonders für meinen Bruder.

    Du weißt, warum.

    Alle Rechte vorbehalten,

    auch die des auszugsweisen Nachdrucks

    und der fotomechanischen Wiedergabe

    sowie der Einspeicherung und Verarbeitung

    in elektronischen Systemen.

    © Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2017

    Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29

    Titelfoto © Benjamin ['O°] Zweig, Fotolia.com

    und © alphaspirit - Fotolia.com

    E-Book: Prolibris Verlag

    ISBN E-Book: 978-3-95475-159-4

    Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.

    ISBN: 978-3-95475-149-5

    www.prolibris-verlag.de

    In Kassel hat Kunst Tradition. Und so könnte es eine Foruminarte geben, die Besucher aus aller Welt in die Fuldametropole locken würde. Die Abkürzung steht übrigens für »Forum animalium mundi in arte«. Laut Ausstellungskonzept will die Foruminarte der Natur, insbesondere den Tieren dieser Welt, einen Platz in der Kunst geben und ein Sprachrohr für sie sein.

    Kunstfreunde mögen mir eine laienhafte Schnodderigkeit nachsehen, wenn ich über den Kunstbetrieb schreibe. Die erwähnten Kunstwerke sind ebenso wie die Künstler und andere Personen dieser Geschichte erfunden, Ähnlichkeiten mit noch oder ehemals lebenden wären völlig zufällig und keineswegs beabsichtigt.

    Klara G. Mini

    »Als ich Kind war, hatte ich zwei verschiedene Teller. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell ich die Suppe ausgelöffelt habe, um herauszufinden, welches Bild jeweils zum Vorschein kam. Mit derselben Vorfreude gehe ich heute in Ausstellungen – besonders, wenn etwas von mir dabei ist.« – Daniel M. Ritzelbeck

    15. August

    Xenia:

    »Kein Blitz! No flash, please.« Ich fasste den japanischen Touristen am Arm und versuchte, meiner Bemerkung durch ein versöhnliches Lächeln die Schärfe zu nehmen.

    Weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hatte, mich als Aufsicht zu bewerben. »Die Abteilung Aufsichtsdienst der Foruminarte stellt für die Bewachung der Kunst weiterhin ein. Die Arbeitsstunde wird mit 8,50 Euro entlohnt. Gearbeitet wird in zwei Schichten von jeweils fünf Stunden. Absolut erforderlich ist die Bereitschaft, auch an Wochenenden zu arbeiten. Interessenten, die über Englischkenntnisse verfügen, richten ihre Bewerbung an: Foruminarte, Aufsichtsdienst, Friedrichsplatz 18b.« Falls Sie diese Adresse jemals suchen, das ist neben dem Sexshop. Hätte man mir das so erklärt, hätte ich gleich gewusst, wohin ich musste. So war ich etwas zu spät. Trotzdem wurde ich prompt genommen. Nur leicht eingestaubtes Schulenglisch, ein freundliches, zuvorkommendes Wesen. Meistens jedenfalls.

    Milan, mein Freund, arbeitet wie ein Wilder, auch an den Wochenenden. Der hat nämlich ein gut gehendes Restaurant am Königsplatz in Kassel Stadtmitte. Statt dauernd im »La Paloma« zu kellnern, bewachte ich nun Kunstwerke. Und recherchierte dabei. Ich war entschlossen, einen Krimi zu schreiben. Auf so einer Kunstausstellung bekommt man eine Menge interessanter Leute zu sehen und viele Buchideen frei Haus geliefert.

    »No flash, please.«

    »Why?«

    Warum wusste ich eigentlich auch nicht. Hier gab es ja nur wenige alte Meister, deren Farben unter Lichteinfluss leiden konnten. »It’s not allowed.«

    Farid trabte herüber. Er ist 1,85 Meter groß, und das Leibchen mit der Aufschrift »Guard« spannte sich über seinen imposanten Brustmuskeln. »Everything’s okay?«

    »Oh, yes.« Der Japaner packte schnell den Fotoapparat ein und ging weiter.

    »Thank you, ich meine, danke.« Ich schenkte Farid ein strahlendes Lächeln. Er ist ein Schatz. Intelligent (er hat gerade sein Abi mit 1,0 gemacht), aufmerksam und zudem noch eine echte Augenweide mit schwarzen Haaren, braunen Samtaugen und durchtrainiertem Body. Etliche Besucherinnen streckten den Busen heraus und zogen den Bauch ein, wenn sie an ihm vorbeigingen. Ich dachte, dass das nicht viel nutzte. Ich beobachtete nämlich immer wieder, wie er Männerpärchen beim Herumschlendern vor den Exponaten mit Blicken verfolgte. Irgendetwas zwischen Freude, Angst und Sehnsucht.

    Wir waren im ersten Raum links im Museum Fridericianum. Farid sollte »Hölle, Arsch und Hirn« bewachen, ein ziemlich wüstes Machwerk in Öl von einem Mann namens Nandor Schneider. Im Vorfeld hatte dieses Kunstwerk für großen Wirbel gesorgt. Besonders bei Fundamentalisten, die die Darstellung nackter Körper in nicht ästhetisierter Weise inmitten furchteinflößender Fabelwesen auf das Schärfste ablehnten. Gucken wollten trotzdem alle. Viele Leute standen mit blitzenden Augen davor und guckten still oder regten sich auf über den »Schweinkram«. Ich würde mir das nicht ins Wohnzimmer hängen. Aber malen konnte der Kerl.

    Eines meiner Lieblingsbilder hing auf der Rückseite dieser Wand. Von Che Rubino. »L’amore che cos’è?«, eine Frage, die ich mir mitunter auch stellte. Ein Mann und eine Frau waren darauf in einem etwas surrealen Wald in verschiedensten Grüntönen zu sehen. Je nachdem wie man gerade drauf war, konnte man unterschiedliche Stimmungen in dem Bild finden. Heute war ich geneigt, ein Liebespaar zu sehen, dass der Freude an- und übereinander Raum gab. Mit Entdeckerlust. Wie Milan und ich letzte Nacht. Wir waren jetzt schon längere Zeit zusammen und immer noch schwer verknallt.

    Ich schlenderte zurück zu meinem eigentlichen Standort. Vorbei an den filigranen Webarbeiten, die eine Künstlerin aus den Haaren ihrer Maine Coon Katzen in zahlreichen Naturtönen gefertigt hatte, zum Eingang. Dort stutzte ich. In der überdimensionierten »Mausefalle« saß ein Löwe, ein Plüschtier unten auf dem Metallgerüst, das in eine der leeren Bierflaschen linste, die überall herumlagen und soweit ich wusste, zur Installation gehörten. In einer befand sich tatsächlich ein Mäuseskelett und wurde in der Beschreibung des Werkes als Fundsache des Künstlers auf einem Kalkhalbtrockenrasen ausgewiesen. Den Todeskampf der armen Kreatur mochte ich mir gar nicht vorstellen und hoffte, dass ein gnädiger Herzinfarkt sie dahingerafft hatte.

    »Guck mal, wie süß.« Ein kleines Mädchen zupfte seine Mutter am Ärmel und zeigte auf das Stofftier, dem man in der Tat am liebsten über die Mähne streicheln wollte. »Den würde ich gerne mitnehmen.«

    »Das geht nicht, Emily.«

    »Warum nicht?«

    »Das ist Kunst und gehört zur Ausstellung.«

    »Sieht aber genauso aus wie der von Sophie.«

    »Es gibt Alarm, wenn du den wegnimmst.« Das überzeugte Emily endlich.

    Als Mädel und Mutter sich den Katzenhaarstoffen zuwandten, bückte ich mich und hob den Plüschlöwen auf. Der stand definitiv nicht im Foruminarte-Katalog. Er sah billig und niedlich aus, der Typ, der mitunter in Discountern massenweise angeboten wird. Aus China, wie auf dem Streifen zu lesen war, der aus dem Ohr heraushing. Hatte ihn einer der tausendeins Landsleute von Ai Weiwei seinerzeit hier vergessen? Wohin damit? Ich konnte meinen Posten nicht verlassen. Ich beschloss, das Entsorgungsproblem zu verschieben und lagerte das Objekt hinter der Gardine auf der Fensterbank. Was kümmerte mich eigentlich die »Werktreue« der Installation? Mir sagte das Ganze mit oder ohne Kuscheltier herzlich wenig. Die Mausefalle war ein originalgetreues, allerdings etwas größeres Modell als man es im Baumarkt kaufen kann. Vielleicht zwei mal vier Meter. Innendrin hingen Fotos an durchsichtigen Fäden. Touristenhotels in der Steppe, vermutlich irgendwo in Afrika. Grinsende weiße Jäger mit ihren Trophäen, Holzfäller im Regenwald bei der Arbeit und solche Sachen. Ich hatte mir als Interpretation zusammengereimt, dass die Menschen durch ihre Eingriffe nicht nur den Löwen und Antilopen ihren Lebensraum klauten, sondern auch sich selbst. Keine Ahnung, ob das der Intention des Künstlers entsprach. Was wohl die anderen Besucher davon hielten? Gerade rollte eine Busladung an.

    »Kein Blitz! No flash, please.«

    Einer der Kunstbegeisterten stellte sich flink in die Installation.

    »He, das geht nicht. Raus da! Würden Sie bitte aus dem Gerüst klettern!«

    »Schon gut, schon gut.« Ein Kumpel hatte das Bild bereits im Kasten. Mit Blitz natürlich. Ich knirschte mit den Zähnen.

    »Wissen Sie, der ist etwas impulsiv, Sternzeichen Löwe«, erklärte der Fotograf.

    »Ich auch«, entfuhr es mir, »aber das ist noch lange kein Grund …«

    »Henner, mach doch ein Foto von zwei Löwen vor der Mausefalle.«

    Flugs hatte der Typ seinen Arm um mich gelegt und Henner die Digitalkamera im Anschlag.

    »Ohne Blitz, bitte!«

    Bis zum Abend blieb es turbulent. Als die letzten Besucher den Raum verließen, kam Farid herüber.

    Mir fiel das Stofftier wieder ein. »Ich muss dir was zeigen.«

    Als ich die Gardine zur Seite zog, war der Löwe weg. »Merkwürdig.«

    Farid runzelte seine schöne Stirn, als ich ihm die Geschichte erzählte. »Kann ich mir keinen Reim drauf machen. Vielleicht wollte jemand das Kunstwerk etwas aufpeppen.«

    »Es geht doch immer um die Frage: Was ist das Leben, wenn man es freilegt von allen Konventionen und Verpflichtungen?« – Daniel M. Ritzelbeck

    17. August

    Luise:

    Von Osten her kroch ein zartoranges Licht über den Berg. Ein Versprechen für Sonnenschein? Es wurde Zeit. Die letzten Tage hatten uns nicht gerade mit sommerlichen Temperaturen verwöhnt. Ich fröstelte in meiner Leinenjacke bei gefühlten zehn Grad Celsius und hoffte das Beste.

    »Komm! Wir müssen zur Arbeit.« Fricko hob die Nase vom Boden und legte den Kopf schief. Ich habe stark den Verdacht, dass er das von Kommissar Rex abgeguckt hat, dem er ohnehin ähnelt.

    »Jetzt komm endlich! Wir latschen seit einer Stunde durch den Wald. Mir ist kalt.« Fricko stupste kurz die Schnauze an meine Hand und tapperte brav los. Er ist ein Drogensuchhund und bestens erzogen. Von Ferdi, meinem Lieblingskollegen. Der war jetzt schon fünf Wochen in einem Undercover-Einsatz und hatte mich gebeten, den Vierbeiner währenddessen zu betreuen. »Er kennt dich, und ich finde, es ist sowieso an der Zeit, dass er sich noch mehr an dich gewöhnt.« Wie sollte ich das denn wohl verstehen?

    Von Ferdi hatte ich bisher nichts gehört. Ich hoffte, dass es ihm gutging. Seitdem ich die Verantwortung für den Hund übernommen hatte, spazierte ich viel öfter und ausgedehnter draußen herum. Ich genoss das und fuhr meist mit dem Auto ein Stück raus. Heute war ich im Habichtswald unterwegs. Als ich den Corsa aufschloss, sprang Fricko gleich auf den Beifahrersitz. Sein Lieblingsplatz. Es gibt weiß Gott sicherere Plätze für Tiere, aber da muss man die erst mal draufkriegen. Ich gab klein bei – schließlich sah Ferdi das auch locker –, schnallte den Hund an, so gut es ging.

    Ein Blick auf die Uhr. Recht spät. Ich startete zügig, musste jedoch nach der nächsten Kehre wieder bremsen. Ein LKW zog mit etwa siebzig Stundenkilometern eine Kolonne hinter sich her. Natürlich konnte man auf der kurvenreichen Piste nicht überholen. Ich schaltete einen Gang zurück und fügte mich in das Unvermeidliche. Der alte braune Mercedes vor mir spuckte eine schwarze Rauchwolke aus dem Auspuff. Stinker. KS-VM-irgendwas.

    Fricko neben mir bellte aufgeregt. Sekundenbruchteile später wusste ich warum. Instinktiv bremste ich etwas. Ein dackelgroßes rotbraunes Tier lief, von rechts aus dem Graben kommend, in das Vorderrad des Mercedes. Tock. Es prallte ab und fiel am Straßenrand nieder. Armer Fuchs. Nach circa zehn Metern schaltete der Fahrer die Warnblinkanlage ein, fuhr an den Rand und rollte langsam aus. Kurz spielte ich mit dem Gedanken anzuhalten. Vielleicht brauchte der Mann Hilfe. Ich sah ihn im Rückspiegel aussteigen. Aber ich war sowieso schon zu spät. Sollten doch die Kollegen vom Streifendienst übernehmen.

    Als Polizistin hatte ich eine Menge gesehen. Trotzdem ließ mich das Bild von dem hübschen Tier, das sich in Sekundenbruchteilen von einem springlebendigen in ein totes Wesen verwandelt hatte, eine ganze Weile nicht los. Mittags in unserem »Betriebsrestaurant« wurde ich wieder daran erinnert.

    Ein schmaler, von Kunstlicht beschienener Gang führt dorthin. Unser Küchenmeister und Diätkoch bietet ab sechs Uhr morgens verschiedene Köstlichkeiten an, auch einen durchaus trinkbaren Cappuccino aus einem neuen Kaffeeautomaten. Mir war gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass die Kantine freitags eine Stunde früher als sonst schließt. Und so stellte ich mich um zehn vor zwei in die Schlange. Etwas weiter vor mir unterhielten sich lautstark Schulze, Krause und ein anderer Streifenbeamter.

    »Da kam dieser Spinner aufs Revier. Wollte eine Bescheinigung wegen ’nem Wildschaden an seinem alten Porsche nachts auf der Rasenallee. Die Kollegen, die vor Ort der Sache nachgegangen waren, hatten aber kein Wild gefunden, auch keine Spuren und keine Haare. Also habe ich ihm erklärt, die Versicherung würde einen Gutachter bestellen, der ermittelt, ob er mit seinem Auto auf einen harten oder weichen Gegenstand geknallt ist. Da wurde der Typ fuchsteufelswild. Wollte Anzeige erstatten, gegen unbekannt. Ein Mercedesfahrer hätte angehalten und das tote Tier einfach geklaut, während er geguckt hat, was am Porsche kaputt war.«

    »Jemand hat das Vieh aufgelesen? Na ja, wundert mich nicht. Wisst ihr, was man hinlegen muss für ein anständiges Wildschweingulasch?«

    »Hör uff! Nahezu unbezahlbar. In diesem Fall war es aber wohl kein Sonntagsbraten, sondern ein Waschbär. Der Porschefahrer hat das ganze Revier zusammengebrüllt. Den Mercedesfahrer würde er zusammenschlagen. Der sei schuld, wenn er auf seinem Schaden sitzen bliebe, weil er das Beweisstück geklaut hat. Und uns, die Bullen, wollte er versohlen, weil wir die Bescheinigung nicht so einfach ausstellen würden. Dabei hatte ich einen Moment lang überlegt, ob ich ihm den Zettel gebe – die Spuren am Auto sahen ziemlich typisch aus –, aber als der so anfing, habe ich natürlich auf stur geschaltet. Nun hat er eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung am Hals.«

    »Die Wilderei haben wir auch zu den Akten genommen. Rauskriegen können wir da nichts. Die Angaben zum Täter waren zu vage. Ein älterer Mann. Ein dunkler Mercedes mit Kasseler Kennzeichen. Da müsste er uns schon etwas mehr bieten.«

    »Und jetzt?«

    »In ein paar Wochen kriegt der Porschefahrer einen Brief, dass die Ermittlungen eingestellt sind, und fertig.«

    Die drei lachten herzlich und trugen ihre Brötchen mit Rührei und Räucherlachs zu einem Tisch.

    Ich drückte gedankenverloren auf den Knopf und beobachtete, wie zuerst Milch und dann eine verschwindend kleine Menge starker Kaffee in den Becher lief.

    »Alles ändert sich immerzu, so einfach ist das. Manche nennen das den Fluss des Lebens und behaupten, sich nicht hineinzutrauen, weil sie das Wasser zu kalt finden. Dabei merken sie nicht, dass sie eigentlich schon drin sind und ständig gegen die Strömung schwimmen.« – Daniel M. Ritzelbeck

    23. August

    Xenia:

    Kurz vor der Schließung des Museums saß der Löwe wieder da. Elektrisiert musterte ich die Leute. Zur Bewachung der Kunstwerke im hinteren Teil des Raumes war heute Moritz eingeteilt, ein schlaksiger Kerl, der Mathe und Physik auf Lehramt studierte und von einer etwas weltfremden Aura umgeben war. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten. Eine Horde Senioren lauschte andächtig den Ausführungen einer Kunststudentin über die verwobenen Katzenhaare. Es habe bei einer der letzten Weltkunstausstellungen eine Künstlerin gegeben, berichtete die Expertin, die die eigenen Haare zu Stickgarn umfunktioniert habe. Ungläubig schüttelte die ein oder andere Frau den silbergrauen Kopf, auch eine sehr junge ihren hellbraunen. Sie hörte heimlich zu, führte ihre Hand nach oben, vielleicht um zu sehen, ob die Frisur noch komplett war. Ein Mann machte ein Foto von »L’amore che cos’è?«, sogar ohne Blitz. Die Familie stand daneben und wartete geduldig. Ein älterer Herr wäre beinahe über die auf dem Boden stehenden niedrigen Skulpturen »Traumtiere« von Grace Collister gestolpert, wurde aber in letzter Sekunde von seiner Begleiterin am Arm zurückgehalten. Der tönerne Lindwurm mit außenkiemenartigen Ausbuchtungen und einem weit aufgerissenen Schlund konnte unversehrt weiterschlängeln, ebenso wie verschiedene andere Wesen, die allesamt einem Albtraum entsprungen zu sein schienen.

    Ich nahm das Plüschtier heraus und erschrak. Jemand hatte mit Nadel, Faden, Schere und Farbe das Maul verändert.

    »Das sieht ziemlich echt aus, so als hätte der Löwe gerade was gefressen«, befand Grete, als wir in meiner Küche bei einem Tee zusammensaßen. Sie ist meine beste Freundin, Geigenlehrerin und wohnt in der Etage über mir. Uneingeweihte halten sie oft für meine Mutter. Seelenverwandt sind wir auf alle Fälle. Und sehen uns auch etwas ähnlich. Beide haben wir braune Augen und Haare, Grete kurze und ich lange. Das Jugendstilhaus in der Pestalozzistraße, in dem wir leben, habe ich von meiner Oma Xenia geerbt. Außer uns wohnen hier noch mein Freund Pünktchen, ein Computerspezialist, und Familie Maier, die zudem die Metzgerei im Erdgeschoss betreibt.

    »Vielleicht wäre es besser gewesen, das Tierchen deinem Chef zu übergeben.«

    »Und was soll der dann damit machen?«

    Kasimir, mein weißpfotiger schwarzer Kater, sprang auf den Tisch und wollte erkunden, was wir für Pralinen aßen. Ich nahm ihn auf den Schoß und streichelte ihn. Er leckte meine Hand.

    »Ich frage mich, welchem Zweck das Ganze überhaupt dient. Anfangs ein niedliches Tierchen und heute ein blutrünstiger Jäger? Was kommt als Nächstes?«

    Ich verschluckte mich fast am Tee. »Als Nächstes?«

    »Das sieht verdammt nach Progression aus. Erst ein scheinbar harmloses Wesen, das sich dann als reißende Bestie entpuppt.«

    »Gegen die Bilder von Nandor Schneider ist das gar nichts.«

    »Mag sein, aber der hat im Gegensatz zu dem Stofftierliebhaber die Erlaubnis, seine Ölschinken auf der Foruminarte auszustellen. Was, wenn hier jemand unter Einbeziehung der vorhandenen Kunstwerke eine nicht genehmigte Performance durchzieht, die sich sukzessive steigern wird?«

    »Meinst du nicht, dass du etwas übertreibst? Vielleicht will irgendwer die Mausefalle beleben. Und Löwen fressen nun mal andere Geschöpfe.«

    »Hoffen wir, dass du Recht hast. Aber ich habe da meine Zweifel, denn warum stellt er ihn dann nicht sofort als blutrünstigen Jäger dar? Ich glaube, dahinter ist eine Botschaft verborgen. Der Löwe, König der Tiere.«

    »Dieser nicht«, meinte ich, »vor so einem Plüschteil hat doch niemand Respekt.«

    »Stimmt, aber warte mal ab, was noch kommt. Allerdings, fällt mir gerade ein, jagen Löwenmännchen überhaupt? Lassen die nicht die ganze Arbeit von den Frauen machen?«

    »Manche Leute behaupten ja, jedes noch so banale Bildchen der zeitgenössischen Kunst würde stets von Kritikern hochgelobt. Also, mit meinen Erfahrungen deckt sich das meist leider nicht.« – Daniel M. Ritzelbeck

    1. September

    Xenia:

    »Due Cafe latte.« Antonio grinste, als er uns die zwei Tassen über den Tresen reichte. »Die Brote kommen gleich.«

    Wir balancierten unseren Kaffee zu

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