Die Segeberg-Connection, die Lübecker Marzipanleiche und der Harzer Roller
Von Helmut Exner
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Über dieses E-Book
Helmut Exner
Helmut Exner, Jahrgang 1953, ist im Harz geboren und aufgewachsen. Nach Wanderjahren lebt er heute wieder nahe seiner alten Heimat in Duderstadt im Harzvorland. „Zehn kleine Lehrerlein“ ist sein 16. Kriminalroman.
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Buchvorschau
Die Segeberg-Connection, die Lübecker Marzipanleiche und der Harzer Roller - Helmut Exner
Helmut Exner
Die Segeberg-Connection, die Lübecker Marzipanleiche und der Harzer Roller
Über dieses Buch
Die frisch verheiratete Kommissarin Gisela zieht vom Harz nach Schleswig-Holstein und freut sich über ihre neue Stelle beim LKA in Lübeck. Ihr Mann hat ein altes Haus in dem idyllischen Dorf Kleinbötelkamp geerbt. Seltsam kommen ihr allerdings ihre neuen Nachbarn vor. Ein Polizist, der von seiner Oma verprügelt wird, und dessen Bruder, der in allerlei krumme Geschäfte verwickelt ist. Gegenüber wohnen zwei Frauen, deren Männer plötzlich verschwinden. Und zu allem Überfluss kommt auch noch ihre Freundin Lilly Höschen, die skurrile alte Dame, aus dem Harz angereist, die um ihr Leben fürchtet. Sie bringt eine Serie von Verbrechen mit, die vor dreißig Jahren im Harz ihren Anfang genommen haben und nun im beschaulichen Ostholstein auf ihren Höhepunkt zusteuern.
Nach »Walpurgismord« und »Sauschlägers Paradies« ist dieses Buch die dritte Geschichte um Lilly, Gisela & Co. mit einer in sich abgeschlossenen Handlung.
Mit Ausnahme von Kleinbötelkamp sind alle genannten Orte im Harz und in Schleswig-Holstein authentisch. Die Handlung und die Personen sind frei erfunden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum
ISBN 978-3-943403-09-1
ePub Edition
Version 2.0 - September 2012
© 2012 by Helmut Exner
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto: Tina & Sascha Exner
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH
Postfach 1163, D-37104 Duderstadt
www.helmutexner.de
— 1 —
Kleinbötelkamp! Um Himmels Willen! Wie dieses Kaff schon heißt. Und wer weiß, was sich dahinter verbirgt. Wahrscheinlich leben dort die Nachkommen der Dänen, die vor Jahrhunderten zurückgelassen wurden, weil man sie in Dänemark nicht haben wollte. Und die Grundlage der Ernährung ist Hering. Vermutlich spricht man da noch nicht mal Deutsch. Das jedenfalls sagte Gisela ihrem damaligen Freund und jetzigen Mann Klaus, als er ihr eröffnete, dass er ein Traumhaus in Kleinbötelkamp geerbt habe. Ihm passte das hervorragend ins Konzept. Denn er wollte eigentlich schon immer in Ostseenähe wohnen. Außerdem bekam er einen hervorragenden Job in Lübeck. Und Gisela war im Grunde auch froh, endlich mal wegzukommen. Sie hatte immer im Harz gelebt. Das war so schön bequem. Sie kannte sich dort aus, hatte eine gute Stelle bei der Kripo in Goslar, Kollegen – naja, aber immerhin ein paar Freunde. Doch es war unbefriedigend auf die Dauer. Klaus wohnte in Hannover. Und diese ewige Hin- und Herfahrerei ging ihr allmählich auf die Nerven. Also setzte sie alles daran, eine Stelle bei der Kripo in Lübeck zu bekommen. Und es hatte geklappt.
Heute hatte sie einen Termin bei ihrem neuen Arbeitgeber, dem LKA in Lübeck. Klaus hatte keine Zeit, sie zu begleiten. Daher setzte sie sich ins Auto, absolvierte ihr Treffen beim LKA und machte sich dann auf den Weg nach Kleinbötelkamp, um das geerbte Haus zu besichtigen. Als sie nach dem Ort Ausschau hielt, fand sie ihn nicht. Dann merkte sie, dass sie ihn schon längst durchquert hatte. Also drehte sie um und stellte fest, dass das Kaff aus zweieinhalb Straßen bestand. Ihr Haus stand an der halben Straße. Es mochte vielleicht hundert Jahre alt sein, war aus rotem Backstein gebaut und groß. Der Garten rundherum war leicht verwildert, aber gerade deshalb traumhaft schön. Ansonsten Felder, Wald und Wiesen. Eine Idylle. Es gab rechts ein Nachbarhaus. Und gegenüber lag ein großes, ziemlich verwildertes Grundstück. Die beiden Häuser dort konnte man nur erahnen, weil sie von Büschen und Sträuchern verdeckt waren. Nur zwei Briefkästen an der Straße wiesen auf sie hin. Die schmale Straße war eine Sackgasse und führte weiter zu einem Bauernhaus in etwa fünfhundert Metern Entfernung.
Sie schloss die Haustür auf und machte einen Rundgang. Es roch muffig. Die Einrichtung war äußerst behaglich. Offenbar hatte die alte Großtante von Klaus, die hier ihr ganzes Leben verbracht hatte, einen Sinn für Ästhetik und bodenständige Kultur. Etliche Antiquitäten, darunter eine alte Standuhr, gaben dem Haus etwas Altehrwürdiges. Ein schöner Kachelofen tat sein übriges. Gut, die Teppiche mussten sicherlich gereinigt oder teilweise ersetzt werden. Und eine neue Küche wäre nicht schlecht. Trotzdem: Kleinbötelkamp hin oder her, das war ein tolles Haus. Die Kreisstadt Bad Segeberg war nur zehn Minuten entfernt, und nach Lübeck zu ihrem neuen Arbeitsplatz war es auch nicht allzu weit.
»Gut. Hier bleibe ich. Das ist Gemütlichkeit pur. Und Ruhe«, sagte Gisela zu sich selbst.
Im selben Moment hörte sie von draußen ein fürchterliches Geschrei. Eine kreischende Frauenstimme. Dann einen Mann, der versuchte, etwas dagegen zu setzen. Soviel also zum Thema Ruhe. Sie stürmte hinaus. Etwa zwanzig Meter entfernt, im Garten des Nachbarhauses, schlug eine alte Frau mit einem Krückstock auf einen Polizisten ein. Gisela rannte an den Gartenzaun und beobachtete das Schauspiel. Schließlich zog sich die alte Dame ins Haus zurück und der Polizist, der vielleicht Mitte dreißig sein mochte, sah jetzt Gisela. Peinlich berührt ging er ein paar Schritte auf sie zu und sagte:
»Tja, es ist schon ein Kreuz mit der Oma. Sie tickt ja schon lange nicht mehr ganz richtig. Aber in letzter Zeit wird sie zunehmend handgreiflich. Fiete. Fiete Behrens ist mein Name. Sind Sie die neue Besitzerin?«
»Gisela Berger. Ach Quatsch, Gisela Weniger. Ich kann mich immer noch nicht an den neuen Namen gewöhnen. Ich habe erst letzte Woche geheiratet. Ja, ich ziehe hier in Kürze mit meinem Mann ein.«
»Na, dann haben Sie ja schon mal einen Eindruck von Ihren neuen Nachbarn gekriegt. Aber keine Angst, an sich sind wir hier ganz friedliche Leute.«
»Sind Sie hier der Dorfsherrif?«
»Nee, hier gibt´s schon lange keine Polizeistationen mehr auf den Dörfern. Ich arbeite in Bad Segeberg. Wir sind für die ganze Gegend hier mit zuständig. Aber hier passiert ja sowieso nichts. Außer, dass die Oma ab und zu ihre Familie verprügelt.«
»Na, das ist ja beruhigend«, gab Gisela schmunzelnd zurück.
»Und Sie, Sie sind dann wohl die Frau von Klaus?«
»Sie kennen Klaus?«
»Ja sicher. Er hat doch als Kind manchmal seine Großtante besucht. Er ist ja ein paar Jahre jünger als ich. Deshalb haben wir nie viel miteinander zu tun gehabt. Außer, dass wir uns manchmal gegenseitig mit der Zwille mit Kirschen beschossen haben.«
»Gibt es sonst noch irgendwelche Schandtaten über meinen Mann zu berichten?«
»Nö, wir sind ja hier alles ganz anständige Leute.«
Und das war nun ihre erste Begegnung mit den Eingeborenen von Kleinbötelkamp. Als sie Klaus am Abend von dem Polizisten erzählte, der von seiner Oma verprügelt worden war, konnten sie sich vor Lachen kaum halten.
— 2 —
Fiete lebte mit seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Manfred, genannt Freddy, und seiner Oma in dem alten Backsteinhaus. Hannelore Behrens, geborene Keifer, war inzwischen Mitte achtzig und von Jugend an berühmt-berüchtigt für ihre Ausbrüche, ihre schlechte Laune und verbalen Attacken, was ihr den Spitznamen Keiferlore eingebracht hatte. Der Name Keifer passte erheblich besser zu ihr als das unverfängliche Behrens. Mit ihrer Nachbarin, der kürzlich verstorbenen Renate Weniger, hatte sie die letzten vierzig Jahre kein Wort mehr gewechselt. Der Versuch ihrer beiden Großkinder, sie von der Hausarbeit zu entlasten, war immer wieder gescheitert. Das längste Arbeitsverhältnis einer Putzfrau im Hause Behrens betrug zwei Stunden, das kürzeste endete an der Türschwelle, weil die alte Dame die neue Haushaltshilfe gar nicht erst herein ließ. Trotz ihres hohen Alters gelang es Keiferlore, das Haus einigermaßen in Ordnung zu halten, zu kochen und zu waschen. Mit ihrem Jähzorn schien sie auch die Schwächen des Alters erfolgreich bekämpfen zu können. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter waren schon lange tot, was sie damit erklärte, dass die jungen Leute offenbar zu faul zum Leben seien. Ihre beiden Enkel waren da schon von einem anderen Kaliber. Die gingen ihrer Arbeit nach und waren im Großen und Ganzen auch gehorsam. Und notfalls gab es halt ein paar hinter die Löffel. Dass ihre Enkel mittlerweile erwachsen waren, schien sie dabei nicht zu stören.
Fiete war Polizist. Und er machte seine Arbeit gern. Er galt als gutaussehender junger Mann, dunkelhaarig, kein Gramm Fett zu viel. Vielleicht wirkte er etwas zu konservativ mit seinem ordentlichen, kurzen Haarschnitt. Und er war sich auch nicht bewusst, dass es eine ganze Menge Frauen gab, die ihn ausgesprochen sexy fanden. Freddy war eher ein Luftikus. Er war einen halben Kopf kleiner als sein Bruder und kleidete sich eher schnodderig. Zum Friseur ging er nur, wenn er nicht mehr aus den Augen gucken konnte oder ihm zu warm am Kopf wurde. Er selbst empfand sich als lässig und souverän. Und so war auch sein Umgangston. Wenn er allerdings ein Geschäft machen wollte, redete er wie ein Kühlschrankverkäufer in Grönland. Er empfand sich als großer Rhetoriker, seine Mitmenschen hielten ihn eher für einen Schaumschläger. Ein potentieller Kunde hat ihn mal als »lästig wie eine Scheißhausfliege« bezeichnet. Aber über sowas musste man einfach stehen. Der Erfolg würde ihm letztendlich Recht geben. Er war ständig mit irgendwelchen Geschäften zugange, die gelegentlich über die Grenze des Legalen hinausgingen. Zusammen mit zwei Freunden aus der Kreisstadt Bad Segeberg, die schon von Jugend an das eine oder andere krumme Ding gedreht hatten, nannten sie sich selbst die Segeberg-Connection. Zurzeit waren sie mit einem neuen Konzept für Kaffeefahrten beschäftigt. Sie hatten ergründet, dass Menschen alles kaufen, wenn sie nur in der richtigen Stimmung sind. Um die Leute in die richtige Kaufstimmung zu bringen, hatte Freddy es schon mit Alkohol versucht, wobei der Erfolg eher mäßig war. Die einen wurden aggressiv, die anderen schliefen ein. Dann mit rührseliger Musik, naja. Aber jetzt würde er den großen Durchbruch erzielen. Sein Erfolgsrezept hieß Haschisch. Natürlich war das eine riskante Angelegenheit. Erst mal musste man an den Stoff rankommen, und dann war das auch eine kostspielige Sache. Aber der Einsatz würde sich lohnen, davon war er überzeugt. Er würde die Leute mit selbstgemachtem Marzipan zum Kauf von allem animieren, was nicht niet- und nagelfest war. Denn dieses Marzipan, versetzt mit einer Prise Haschisch, würde bei den Teilnehmern der Kaffeefahrten für die Ausschüttung von Glückshormonen sorgen.
Freddy saß in seinem Minibüro und studierte Rezepte zur Marzipanherstellung. Da klingelte das Telefon. Ein neuer Kaffeefahrtenveranstalter war dran. Er hatte mit diesem vereinbart, dass er die Raumkosten für die Veranstaltung, dazu Kaffee und Kuchen bezahlt. Im Gegenzug war er dann mit zehn Prozent am Verkaufserlös beteiligt.
»Ja, mein Lieber, die Räumlichkeiten habe ich schon reserviert. Jetzt müssen Sie nur noch die Leute ankarren... Wo? In Kaltenkirchen... Sie kennen Kaltenkirchen nicht? Naja, das ist auch eher ein Geheimtipp. Kaltenkirchen ist so zusagen die Perle des Nordens. Florenz ist ein Dreck dagegen, das kann ich Ihnen sagen. Auf jeden Fall