Zehn kleine Lehrerlein
Von Helmut Exner und Jens Heye
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Über dieses E-Book
Helmut Exner
Helmut Exner, Jahrgang 1953, ist im Harz geboren und aufgewachsen. Nach Wanderjahren lebt er heute wieder nahe seiner alten Heimat in Duderstadt im Harzvorland. „Zehn kleine Lehrerlein“ ist sein 16. Kriminalroman.
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Buchvorschau
Zehn kleine Lehrerlein - Helmut Exner
Helmut Exner / Jens Heye
Impressum
Zehn kleine Lehrerlein
ISBN 978-3-947167-34-0
ePub Edition
V1.0 (02/2019)
© 2019 by Helmut Exner / Jens Heye
Abbildungsnachweise:
Karikaturen (Umschlag) © subari40
fiverr.com/subari40
Porträt Jens Heye © Florian Funck Fotografie
blende64-funck.de
Porträt Helmut Exner © Ania Schulz
as-fotografie.com
Lektorat:
Sascha Exner
Druck:
TZ-Verlag & Print GmbH, Roßbach
Verlag:
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH
Postfach 1163 · 37104 Duderstadt · Deutschland
Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21
E-Mail: mail@harzkrimis.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Pius
Inhalt
TITELSEITE
IMPRESSUM
KAPITEL 1: LUTHER TRIFFT LUTHER
KAPITEL 2: JANS GESCHICHTE
KAPITEL 3: HENNINGS GESCHICHTE
KAPITEL 4: BUNTENBOCK, DIE ERSTE
KAPITEL 5: ZEHN KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 6: NEUN KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 7: BUNTENBOCK, DIE ZWEITE
KAPITEL 8: ACHT KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 9: SIEBEN KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 10: LILLY
KAPITEL 11: BUNTENBOCK, DIE DRITTE
KAPITEL 12: SECHS KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 13: FÜNF KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 14: BUNTENBOCK, DIE VIERTE
KAPITEL 15: VIER KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 16: DREI KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 17: BUNTENBOCK, DIE FÜNFTE
KAPITEL 18: WIEDER LILLY
KAPITEL 19: ZWEI KLEINE LEHRERLEIN...
KAPITEL 20: EIN KLEINES LEHRERLEIN...
KAPITEL 21: BUNTENBOCK, DIE SECHSTE (TEIL1)
KAPITEL 22: DER DETEKTIV
KAPITEL 23: FREYBIER
KAPITEL 24: AMADEUS
KAPITEL 25: BUNTENBOCK, DIE SECHSTE (TEIL 2)
KAPITEL 26: DER RUNDE TISCH
KAPITEL 27: DER GROßE KNALL
KAPITEL 28: DIE RUHE NACH DEM KNALL
EIN PAAR WORTE ZUM SCHLUSS
DIE AUTOREN
MEHR KRIMINELLES AUS DEM HARZ
Kapitel 1
Luther trifft Luther
»Wer bist du denn? Luther für Arme?«
»Ich bin Doktor Martinus Luther aus Wittenberg«, bekam er zur Antwort.
»Luther war wohlgenährt, zumindest seit seiner Wittenberger Zeit. Du siehst eher aus wie ein abgemagerter Bettelmönch.«
Die beiden Männer begegneten sich auf einer Faschingsparty in Clausthal-Zellerfeld. Sowohl der eine als auch der andere waren als Martin Luther verkleidet. Offenbar hatten sie ihre Kostüme sogar im selben Laden erstanden. Nur die Konfektionsgröße war unterschiedlich. Der Ältere hatte wahrscheinlich zwanzig Kilo mehr zu tragen. Man kam ins Gespräch, fand heraus, dass beide in diesem Doppelstädtchen aufgewachsen und dann weggezogen waren. Jan war fünfunddreißig, Henning neunundvierzig. Beide waren zurzeit solo und hier auch allein aufgekreuzt. In dem großen verdunkelten Raum schallte laute Diskomusik aus den Lautsprechern, während eine Lichtorgel die Beats effektvoll umsetzte. Die ungleichen Männer hatten gehofft, bei dieser Veranstaltung vielleicht auf alte Bekannte zu stoßen. Dies war aber nicht der Fall, was der Laune der beiden nicht unbedingt zuträglich war. Vermutlich hatten die meisten Kumpels von einst ihrer Heimat längst Ade gesagt, so wie dies bei ihnen ja auch der Fall gewesen war. Das war normal hier. Sehr viele berufliche Perspektiven gab es nicht im Oberharz. Ebenso typisch war der chronische Männerüberschuss, was man auch bei der heutigen Veranstaltung wieder feststellen konnte. An die achtzig Prozent der ca. fünftausend Studenten der TU waren Männer. Irgendwie hatten sich beide mehr erhofft von dieser Faschingsparty. Als sie feststellten, dass es interessanter war, sich zu unterhalten, dies aber wegen der Beschallung schwer möglich war, entschlossen sie sich, woanders hinzugehen.
Im Steakhaus, das nur ein paar Gehminuten entfernt lag, kamen sie sich zwar zunächst etwas blöd vor in ihrer Luther-Kluft. Aber außer dem einen oder anderen Lächeln gab es keine Reaktionen. Die Speisen waren gut, der Wein auch. Das Lokal war etwa zur Hälfte besetzt, die Atmosphäre angenehm. Wenn man an den Ort zurückkommt, wo man aufgewachsen ist, spielen im Grunde nur Kindheit und Jugend eine Rolle, weil dies die Zeitspanne ist, an die es tief greifende Erinnerungen gibt. Sie fingen an, aus eben diesen prägenden Jahren zu erzählen.
»Und was hast du so in deiner Jugend getrieben im beschaulichen Oberharz?«, fragte Henning.
»Ich erinnere mich vor allem an die herrlichen Sommer hier, obwohl immer gesagt wird, es gäbe hier kaum einen richtigen Sommer. Floß bauen und über die Teiche paddeln, schwimmen, Bude im Wald bauen ...«
»Genau daran erinnere ich mich auch am liebsten«, unterbrach ihn Henning. »Und im Herbst dann Pilze sammeln. Im Winter große Skiwanderungen durch den Wald. Ich glaube, ich bin geradezu im Wald aufgewachsen. Heute schreien die Leute, man soll doch mehr für die Jugend anbieten. Ich war froh, dass mir keine solchen organisierten Freizeitaktivitäten angeboten wurden. Es gab nichts Schöneres, als nach der Schule abzuhauen und zu tun, was mir Spaß machte. Und da gab es eine ganze Menge.«
»Tja, Schule ist das nächste Thema. Meine Erinnerungen daran sind eher gespalten. Wenn ich an so manche Lehrer denke. Die könnte ich heute noch umbringen.«
»Du auch?«
Beide fingen an zu lachen.
Kapitel 2
Jans Geschichte
Jan hatte eigentlich eine wunderbare Kindheit. Sein Vater wurde früh Professor und brachte somit einen gewissen Wohlstand in die Familie. Seine Mutter – die in ihrer Jugend mehrere Jahre Hauswirtschaft in einem bayerischen Töchterpensionat lernte – kochte fantastisch. Und Jan aß gern. So gern, dass er im Prinzip hätte dick und kugelrund sein müssen. Das Gegenteil war jedoch der Fall: Jan war eine sprichwörtliche Bohnenstange, wenn auch etwas kurz geraten. Im Kindergarten war er immer der Kleinste.
Als er schließlich eingeschult wurde, sah er immer noch aus wie ein Kindergartenkind. Und weckte Mutterinstinkte bei seiner ersten Klassenlehrerin, Frau Senner. So durfte Jan, den es selten auf dem Stuhl hielt, dem Unterricht gerne auch auf dem Fußboden rekelnd folgen. Genau zwei Schuljahre wurde er von Frau Senner verhätschelt und verwöhnt, brachte aber als kleiner charmanter Schüler auch immer seine Leistung.
Leider fand die schöne Zeit dann in Gestalt des neuen Klassenlehrers, Herrn Buddelthal, ihr Ende. Ein humorloser, alter, sadistischer Kauz. Jan durfte plötzlich nicht mehr während des Unterrichts auf dem Boden verweilen und sollte jedes Mal den Finger heben, bevor er sich zu Wort meldete.
Als Buddelthal Jan eines Tages dabei erwischte, die Erdkunde-Hausaufgaben erst in der großen Pause vor dem Unterricht zu machen, zerriss er kurzerhand das gesamte Hausaufgabenheft, schmiss es in den Papierkorb und grinste ihn hämisch an.
»Typisch Professorensohn. Faul und nichtsnutzig!«
»Wären Sie etwas fleißiger gewesen, hätte es wohl auch zu mehr als einem kleinen Dorfschullehrer gereicht«, entgegnete Jan.
»Du kannst froh sein, wenn du später mal genug Groschen in deinen Hut bekommst, wenn du auf der Straße hockst«, ließ Buddelthal ihn wissen.
Dies war der Moment, der eine Veränderung in Jan erzeugte. Bislang war alles schön, bunt, herzlich und warm – nun zerstörte Buddelthal sein Bild von der Welt. Jan nahm ein frisches Schulheft, beschriftete es mit ‚Feinde‘ und zeichnete darunter ein Kreuz. Die Umrisse mit einem Bleistift, danach malte er es mit dem schwarzen Filzstift aus seinem Federmäppchen aus. Auf die erste Seite schrieb er: Nr. 1: Herr Buddelthal.
Dieses Heft sollte Jan seine gesamte Schul- und Ausbildungszeit begleiten.
Trotz Buddelthal schaffte es Jan letztendlich, das Gymnasium zu besuchen. Natürlich gab es für ihn keine entsprechende Empfehlung, er absolvierte den Aufnahmetest jedoch mit Bravour. Eigentlich hätte Jan nun eine beschauliche Schulzeit genießen können. Wären da nicht die Mädchen gewesen. Anstatt dem Unterricht zu folgen, schrieb er Gedichte auf Zettelchen an Katja, Anja oder Sara. So faltete er in einer langweiligen Physikstunde gerade künstlerisch einen mit seinem ‚Cool Water‘ benetzten Gedichtszettel, als Lehrer Schluwetz ihn dabei erwischte und das Resultat Jans zweifelhafter Dichtkunst öffentlich vor der Klasse rezitierte:
»Oh Anja, du niedliches Häschen,
würd’ so gerne küssen dein Näschen,
würd’ gern mit dir gehn,
Du auch mit mir? Wir wollen mal sehn.«
Wie erwartet brach in der Klasse ein ohrenbetäubendes Gelächter los. Hatte Anja schon die Gesichtsfarbe einer Tomate, so steigerte Jan dies noch um einige Nuancen. Zu einer Beziehung kam es in der Folge nicht. Jan aber holte sein ‚gewisses‘ Schulheft heraus und schrieb in geschwungenen Lettern auf Seite zwei: Nr. 2: Herr Schluwetz.
Von nun an verlegte Jan seine Aktivitäten zur Familienplanung in die Freizeit. Unfallchirurg wollte er werden. Während eines Schulpraktikums im Clausthaler Krankenhaus durfte er im OP zuschauen. Er war völlig fasziniert von der Arbeit des Chefarztes Dr. Haferkorn. Dies – und nur dies war fortan sein Lebensziel.
Sein Abitur machte Jan mit recht geringem Einsatz. Es hätte sogar eine ‚2 vor dem Komma‘ stehen können, wäre es nicht zu einem Zwischenfall während seiner mündlichen Abiturprüfung im Fach Gemeinschaftskunde gekommen. Prüfungsfrage: »Jan, haben wir in Deutschland eine Demokratie, eine Oligarchie oder welches andere System?«
Jan war erleichtert. So eine leichte Frage hatte er nicht erwartet. »Eine Oligarchie«, sprudelte es aus ihm heraus. »Die zwar offiziell vorhandene Demokratie wird durch den Fraktionszwang unterwandert. Der gewählte Abgeordnete stimmt nicht dafür, was er seinem Wähler versprochen hat, oder gar, was seiner eigenen Meinung entspricht, sondern dafür, was die Parteispitze vorgibt.« Mehrere Beispiele nennend, schloss er seinen Exkurs mit den Worten: »Erst wenn der Fraktionszwang als verfassungswidriges Merkmal aus dem Bundestag verbannt wird, leben wir in Deutschland in einer echten Demokratie.«
Lehrer Katzinger vergab für diese »völlig an der Realität vorbeigehenden« mündlichen Ausführungen 4 Punkte.
»Sie sollten vielleicht in die DDR übersiedeln, mitsamt Ihrem kommunistischen Gedankengut«, ätzte Katzinger, seines Zeichens braves Mitglied einer großen christlichen Partei.
Damit verschaffte er Jan nicht nur ein unschönes Abiturzeugnis, sondern sich selbst einen Eintrag in einem gewissen Schulheft auf Seite drei: 3. Herr Katzinger.
Jan unterstrich den Namen mehrmals, kringelte ihn ein und versah ihn mit drei Ausrufungszeichen – hatte Katzinger ihm doch den sofortigen Antritt des Medizinstudiums versaut.
Erstmals keimte in Jan der Gedanke auf,