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Mit Feuer und Geist: Ein Jens Jahnke Krimi
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eBook302 Seiten3 Stunden

Mit Feuer und Geist: Ein Jens Jahnke Krimi

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Über dieses E-Book

Jens Jahnke stimmt widerwillig zu, eine Reportage über Pfingstbräuche in der Heide zu schreiben.
Was er zunächst als langweiligen Traditionsjournalismus einordnet, entwickelt sich schnell zum heißen Eisen - im wahrsten Sinn des Wortes.
Zuerst brennt ein Schuppen, dann eine Werkstatt und kurz darauf ein Vereinsheim. Ein Feuerteufel geht um.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es den ersten Toten gibt.
Dank pfingstlicher Recherche kommt der Reporter nicht nur einer tragischen Geschichte auf die Spur sondern begibt sich auch in Gefahr um Leib und Leben.
Begleiten Sie Jens Jahnke nach Himmelstal, einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide, das es in sich hat und diesmal auch nach Amrum, für manche die schönste der nordfriesischen Inseln.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum7. Apr. 2021
ISBN9783753184401
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    Buchvorschau

    Mit Feuer und Geist - Hermann Brünjes

    Prolog

    Mit Feuer und Geist

    Ein Jens Jahnke-Krimi von Hermann Brünjes

    Gewidmet jenen Freiwilligen, die das »Tagungshaus mit Herz« beleben,

    den Feuerwehrleuten, die oft das Schlimmste verhindern,

    meinen Surf-Freunden auf der Insel

    und jenen Menschen, mit denen ich im Dorf zusammenlebe.

    Ihr seid mir Inspiration und Freude.

    Danke.

    Prolog

    Biikebrennen, er liebte es!

    Das Knistern, die Funken, das brennende Petermännchen im höllischen Inferno. Er liebte es, seinen Freund Ole neben sich zu wissen. Wenn sie durch die Dünen streiften und sich der Feuersbrunst vorsichtig näherten, wenn sie über betrunkene Halbstarke lästerten oder dem Fischmann eine kostenlose Portion frischen Kibbeling abschwatzten. Das liebte er.

    Nun jedoch gab es nichts mehr zu lieben.

    Wie gelähmt starrte er auf das riesige Feuer vor sich. Beißende Hitze brannte sich durch seine Kleidung. Sein T-Shirt und der Anorak glühten trocken, als stünden auch sie gleich in Flammen. Die Löcher mit den verkohlten Rändern darin nahm er nicht zur Kenntnis. Tränen liefen klebrig über seine Wangen. Sie schmeckten nach Meerwasser. Er registrierte es nicht. Das linke Hosenbein seiner Jeans war zerrissen und angekokelt. Nur ein Fetzen Stoff war noch übrig. Das blut- und dreckverschmierte Bein schmerzte stechend und pochend. Er ignorierte es.

    Er hockte wie gelähmt neben dem dicken Stamm einer knorrigen Kiefer und starrte auf das lichterloh brennende Wohnhaus. Viel mächtiger als das Biikefeuer am Strand jemals war, dachte er und schämte sich sofort für einen derart unpassenden Gedanken. Er hatte es nicht geschafft, sie zu retten. Er hatte versagt. Sie alle würden sagen, er sei ja noch ein Kind. Trotzdem hatte er versagt. So klein war er auch nicht mehr. Er hätte diesmal nicht gehen und sie nicht diesem Unhold überlassen dürfen. Immerhin hatte er es geschafft, sie bis in den Flur zu schleppen.

    Zusammen mit Ole und anderen Kindern hatte er den Erwachsenen geholfen, das Biikefeuer aufzuschichten. Dann war er nach Hause geradelt und hatte gehofft, dass seine Mutter nun endlich Zeit mit ihm verbrachte. Am Abend wollten sie dann wie jedes Jahr gemeinsam zum Strand gehen und mit dem ganzen Dorf das Biikefest feiern.

    Als er ihre schrecklichen Schreie hörte, war er ohne zu Zögern ins Haus gerannt. Aus dem Reetdach neben der kleinen Gaube waren bereits erste Flammen gen Himmel gestiegen. Funken wirbelten wie kleine Glühwürmchen um sie herum. Drinnen krachte und knackte es. Wie flüssige Schmutzwatte quoll dicker grauer Qualm die Treppe hinunter. Sie schrie. Er war die Treppe hinaufgerannt. Seine Mutter fiel ihm entgegen. Er konnte sie nicht halten und rutschte mit ihr die Holzstufen hinab. Dann zog er sie an den Armen Richtung Ausgang. Vergebens. Er hatte nicht die Kraft, seine Mutter zu retten. Die Treppe stürzte ein, Balken krachten auf den Flur. Einer davon verpasste ihn um Haaresbreite und schlug seine Mutter zu Boden. Sie bewegte sich nicht mehr. Der Balken auf ihrer Brust brannte, ihre Kleider auch. Da war er mit letzter Luft und Kraft hinausgetaumelt. Er hatte seine Mutter zurückgelassen.

    Jetzt kamen die ersten Nachbarn, viel zu spät! Ihr kleines Haus lag jenseits der Ortschaften im Wald. Die Flammen sah man wegen der Bäume erst, wenn man fast da war. Jetzt hörte man auch Sirenen. Gleich würden sie ihn finden. Und sie würden ihn verarzten. Sie würden ihn fragen, wie es passiert ist und wer im Haus war und wer die Schuld hat ... Er barg sein Gesicht zwischen den Armen und umfasste seine blutigen Knie. Er kannte nur diese eine Antwort: Es war seine Schuld, dass er sie nicht retten konnte.

    Montag, 26. April

    »Das machst natürlich du, Jens!«

    Ich meine, nicht richtig zu hören. Mein Chef will mir einen religiösen Artikel aufdrücken. Mein fassungsloser Gesichtsausdruck ermuntert ihn zu weiteren Erklärungen.

    »Du wohnst in Himmelstal, du bist gewissermaßen Experte für religiöse Feste und du machst sogar aus solchem Quatsch noch eine brauchbare Story!«

    Er grinst in die Runde. Alle hier wissen, dass er auf die Sache mit der Auferstehung Benders und die weihnachtlichen Kindermorde anspielt. Zunächst als Story über Brauchtum im christlichen Abendland geplant, sind daraus überraschend brisante Polit- und Kriminalrecherchen geworden.

    Mein mir immer wohl gesonnener Online-Kollege nickt.

    »Ja Jens, den Artikel solltest du übernehmen.«

    »Ich finde auch, Jens. Du bist hier sogar der Einzige, der das richtig gut hinkriegt. Du verstehst am ehesten, worum es bei so etwas geht ...!«

    Auch Elske, unsere Öffentlichkeitsbeauftragte pflichtet ihm also bei. Die anderen Kollegen am Tisch schauen sie ein bisschen konsterniert an. Die blonde Ostfriesin, mit deutlich unter Dreißig die Jüngste am Tisch, kann nicht nur sensibel sein, sondern auch mit spitzen Bemerkungen glänzen.

    Unser Sport- und Politredakteur Stein reagiert entsprechend: »Nun mal langsam, Mädel, wir alle könnten das ja wohl machen. Jeder von uns kann über alles schreiben! Kennst ja unsere Devise.«

    Natürlich weiß jeder am Tisch, dass dies eigentlich nicht stimmt. Unser Chef jedoch schickt uns überall hin. Er meint, ein guter Reporter müsse über alles berichten können. Elske gibt sich aber noch längst nicht geschlagen.

    »Steini, zum einen bin ich nicht dein ›Mädel‹ und zum anderen habe ich recht! Jens macht aus solchen Geschichten immer etwas Besonderes. Er hat einfach ein Gespür für religiöse und kirchliche Themen und begegnet dem völlig offen und ohne Vorbehalte.«

    Dies ist nun ein Seitenhieb auf unseren Chef Florian Heitmann. Der hält von Religion und Kirche nämlich weniger als gar nichts. Deshalb bin ich ja so fassungslos. Nun kam dieser Vorschlag ausgerechnet von ihm! Gerade will ich in dem kleinen Rededuell zwischen Steini und Elske vermitteln, da fegt Florian alle Wortmeldungen mit einer Bewegung seiner fleischigen Hand vom Tisch:

    »Papperlapapp! Jens macht es. Er hat am meisten Zeit, wohnt im frömmsten Kaff unseres Landkreises und kann endlich wieder von seinem Jesus schreiben.« Jetzt sieht er mich an wie ein Kommandant seine Truppe: »Also Jens, eine ganze Doppelseite über Pfingsten und Pfingstbräuche erscheint von dir am Pfingstsamstag. Sogar vier bis sechs Fotos sind drin! Und vermeide frommes Geschwafel!«

    Ich gebe auf.

    Wir sitzen bereits seit über zwei Stunden in der wöchentlichen Redaktionssitzung und niemand hat mehr Lust, alles auszudiskutieren. Die nächste Ausgabe ist geplant, die für das Wochenende auch und mit dem eben an mich vergebenen Pfingstartikel ist nun auch die längerfristige Planung beendet. Natürlich hätte ich gerne noch etwas zu »meinem Jesus« gesagt und mir solche Plattheit verbeten, aber es wäre ohnehin zwecklos. Florian muss als junger Mann einmal einen Kirchenschaden erlitten haben. Irgendwann auf einer Betriebsfeier hat er mal erzählt, dass er mit einem Studium der Theologie begonnen, dies jedoch dann abgebrochen hatte. Warum, weiß vermutlich nur er allein.

    *

    Es wird Frühling. Wie Schmetterlinge aus Raupen haben sich aus zarten Knospen samtweiche, hellgrüne Blätter entfaltet. Der Buchenwald zu Beginn meiner Heimfahrt lässt mir wieder und wieder das Herz aufgehen. Es scheint, als käme mit längeren Sonnentagen auch das Leben zurück. Schwarze, kahle Wälder werden zu Boten eines Kreislaufs, der niemals aufhört. Auch politische Erdbeben, Wahlniederlagen, Kriege, Corona, Brände und Flutkatastrophen sind nicht in der Lage, diesen Kreislauf des Lebens zu stoppen. Oder doch? Wenn sich das Klima weiter erwärmt, werden diese Buchen irgendwann sterben. Wenn sich hier in der Heide der Grundwasserspiegel weiter senkt, werden auch die Felder mit ihren saftig frischen Getreidehalmen, durch die ich jetzt fahre, keine Früchte mehr tragen ... Nein! Ich bin nicht bereit, in die Angst- und Pessimistenhaltung einzustimmen, wie sie uns heute so schnell umklammert, allemal nach mehr als einem Jahr Pandemie und diversen Lockdowns. Ich will atmen, will positiv denken, will Gott zutrauen, seine Schöpfung zu bewahren – wenn wir es schon nicht schaffen!

    Himmelstal verändert sich. An der Mühle haben sie zwei Häuser abgerissen. Neben der Feldsteinkirche steht fast immer ein großer grüner Lastwagen. Er beleidigt mein auf das Ensemble von Kirche und Fachwerkgiebel gerichtetes Fotografenauge. Der alte Dorfkrug wurde ebenfalls abgerissen. Am Ortsrand im Norden ist eine neue Siedlung im Werden. Ja, und Jens Jahnke wohnt nun auch hier.

    Es hat über ein Jahr gedauert. Maren und ich haben uns zunächst nur gelegentlich, dann fast jede Woche und bald sogar beinahe täglich getroffen. Um es schlicht auszudrücken: Es hat zwischen uns heftig gefunkt. Ich habe die Sechziger überschritten, sie ist acht Jahre jünger – da hat man keine Zeit für ein langes Techtelmechtel. Man entscheidet sich, wagt etwas und zieht zusammen. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt.

    Als ich in »unsere« Straße einbiege, überkommt mich wieder dieses Fremdheitsgefühl. Es war wirklich ein mutiger Schritt, meine wenigen Habseligkeiten zu verkaufen, meine Wohnung in der Kreisstadt aufzugeben und in Marens Haus zu ziehen. Irgendwie spukt der Geist von Oliver, ihrem verstorbenen Mann, dort noch herum, manchmal jedenfalls. Es ist ihr Haus, sind ihre Möbel, ist ihr Garten ... daran muss ich mich noch gewöhnen. Vermutlich dauert es, bis ich »unser« sagen kann, ohne dass komische Gefühle geweckt werden.

    Ich stelle meinen alten grauen Golf IV in den Carport. Ja, meiner alten Kiste bleibe ich treu! Maren ist aus Lüneburg zurück. Ihr schwarzer Golf glänzt im Abendlicht.

    »Hallo Jens!« Sie grüßt mich mit einem flüchtigen Kuss. »Ich muss die Wäsche noch eben fertigmachen. Kannst du schon mal den Tisch decken?«

    Klar, ich kann. Ich muss. Wir sind beide berufstätig und teilen uns die Hausarbeit, na ja, fast.

    Beim schlichten Abendessen erzählen wir uns dies und jenes. Sie hat einen stressigen Tag im Krankenhaus hinter sich und hat sich über einen Oberarzt geärgert. Dann berichtet sie von einem Telefonat mit ihrer Tochter in Berlin und einem mit Miriam. Die ehemalige Untermieterin Marens wohnt mit ihrem kleinen Sohn Jeschu nun bei ihrem Verlobten Peter auf dem Eichenhof südlich von Unterlüß und ist richtig glücklich. Im nächsten Jahr wollen die beiden heiraten. Ich erzähle Maren von meinen Frühlingsgefühlen auf der Herfahrt und dann vom Artikel, zu dem Florian mich verdonnert hat.

    »Oh Jens, das ist doch prima! Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Ist doch spannend!«

    Ich weiß nicht, ob das spannend ist. Und auch nicht, ob es ein fröhlicher Anlass ist, den Geburtstag der Kirche zu feiern. Immerhin hat die nicht nur Gutes gebracht, sondern auch viel Unglück. Nicht nur die Blutspur im Mittelalter mit Inquisition und Hexenverbrennung oder die kolonialistische Missionsgeschichte, auch die seit vielen Jahren unter den Tisch gekehrten Fälle von Kindesmissbrauch lassen die Kirche nicht gerade gut dastehen. Aber Maren scheint an so etwas nicht zu denken.

    »Da kannst du was über das erste Pfingsterlebnis der Jünger Jesu schreiben«, meint sie und ihre braunen Augen strahlen, als wäre sie dabei gewesen, »und wie sie gepredigt haben und von allen verstanden wurden. Und dass der Geist Gottes wie in Feuerflammen auf sie kam.«

    Ich staune über die Naivität meiner geliebten und sonst so klugen Partnerin.

    »Und wie stellst du dir das vor? In Feuerflammen?«

    »Na, weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es ja nur ein Bildvergleich, eine Metapher. Die Jünger waren derart begeistert und hatten eine solche Ausstrahlung, dass man meinte, es schweben feurige Flammen über ihren Köpfen.«

    »Wie so vieles in der Bibel also nicht wirklich, nicht tatsächlich passiert, sondern nur in bildhafter Sprache beschrieben ist?«

    Maren schaut mich missbilligend an.

    »Natürlich nicht. Auch wenn Metaphern gebraucht werden, ist es doch ganz genau so geschehen!«

    Soll einer die Frauenlogik verstehen. Ich habe längst gelernt, nicht weiter zu bohren und auf meine »Wahrheit« zu pochen. Also lenke ich das Thema in eine andere Richtung.

    »Ich soll auch über Pfingstbräuche schreiben. Kennst du welche?«

    Maren schiebt sich ihre braunen Locken über die Ohren. Ich liebe diese Bewegung, wenn sie nachdenkt. Sie lacht.

    »Pfingstochse?«

    »Das ist ja wohl kein Brauchtum, oder?«

    Wieder lacht sie.

    »Ich glaube doch! Jedenfalls weiß ich, dass man in manchen Regionen im Süden zu Pfingsten die Tiere auf die Weiden treibt. Die Rinder werden geschmückt und man macht eine festliche Prozession aus dem ersten Auftrieb. Der stattlichste Ochse geht dann am prächtigsten geschmückt vorweg.«

    Ihr Allgemeinwissen ist wirklich beachtlich. Ich bin beeindruckt und nehme mir vor, dazu mehr zu recherchieren.

    »Aber hier in der Heide gibt es das nicht. Oder gibt es hier Pfingstschnucken?«

    Sie lacht – und ich mag es sehr, wenn sie lacht!

    »Witzbold. Nee, hier gibt es zwar manche Ochsen, aber nicht nur zu Pfingsten, sondern ganzjährig. Dafür haben wir den Pfingstbaum.«

    »Ich denke, das ist der Maibaum? Der wird am 1. Mai aufgestellt und dann wird kräftig gesoffen.«

    Wieder lacht Maren schallend.

    »Gesoffen wird hier auch sonst recht kräftig, jedenfalls die jüngeren Leute. Uns älteren wird ja meistens schneller schlecht.«

    »Na, das sah aber beim Feuerwehrball etwas anders aus. Da haben die Alten ganz schön mitgehalten.«

    »Stimmt. Aber du hast recht. Pfingstbaum und Maibaum sind im Grunde dasselbe. Nur die Traditionen unterscheiden sich. Meist sind es Birken. Ein langer, schlanker Birkenstamm wird auf einem zentralen Platz aufgestellt. Die frühlingsfrisch belaubte Krone wird mit bunten Bändern geschmückt und in manchen Orten klettern die jungen Männer auch hinauf.«

    »Und wieso Pfingsten? Das ist doch eher Ende Mai, jedenfalls in diesem Jahr.«

    »Stimmt. Pfingsten ist jedenfalls immer fünfzig Tage nach Ostern. Daher kommt der Name. ›Penta‹ ist das griechische Wort für fünfzig. Da Ostern wechselt, ändert sich auch das Datum für Pfingsten.«

    »Dann steht der Maibaum also schon.«

    »Ja. Aber in vielen Orten bei uns im Norden werden zu Pfingsten kleine Birken vor die Häuser gestellt. Manchmal suchen junge Männer auch besonders die Häuser heraus, in denen junge Mädchen wohnen ... und dann wird Spiegelei gegessen und Schnaps getrunken. Kennst du den Spruch dazu?« Bevor ich antworten kann, redet sie schon weiter: »Der Maibusch ist genagelt, nun will er auch begossen sein. Es können ein paar Eier sein oder eine Flasche Wein.«

    Nun lache ich. »Na, das hört sich eher nach Süddeutschland an, das mit dem Wein jedenfalls.«

    »Stimmt, kann sein. Hier müsste irgendwas mit Bier und Korn kommen.«

    »Und was ist die Bedeutung dieser Bäume?«

    »Das kommt irgendwie von den Germanen und hat mit Fruchtbarkeit zu tun.«

    Was mir sofort einleuchtet. Diese Jahreszeit strotzt nur so vor Fruchtbarkeit. Kein Wunder, dass auch Jungs und Mädels ihre Kraft und Zuneigung unter Beweis stellen.

    Maren spielt an ihrem Handy herum. So macht sie es immer. Wenn sie etwas wissen will, googelt sie. Und sie will viel wissen und interessiert sich für alles Mögliche.

    »Schau hier. Früher gab es noch viel mehr Pfingstbräuche. Die waren überall verschieden. Jedenfalls galt Pfingsten auf dem Land als schönstes Fest des Jahres. Die Mägde haben am frühen Morgen noch vor dem Melken einen geschmückten Pfingstbusch ans Fenster genagelt bekommen. Oh!« sie lacht laut auf. »Wenn sie faul waren, bekamen sie statt des frischen Baumes einen trockenen Besen!«

    Ich nehme mir vor, meiner Liebsten am Pfingstsamstag einen frischen Maibaum vor die Tür zu stellen. Einen Besen haben wir schon und sie verdient ihn nicht! Hoffentlich vergesse ich meinen Vorsatz nicht ...

    Mittwoch, 28. April

    Plötzlich und schrill heult die Sirene.

    Ist heute Montag? Am Montagmittag gibt es jeweils einen Probealarm, wohl damit die Sirene nicht einrostet. Jedes Mal zucke ich zusammen und der Warnton zieht wie ein stechender Schmerz durch alle meine Glieder. Nein, heute ist Mittwoch, abends gegen neun.

    Ich arbeite gerade in meinem Kellerbüro an einem Artikel über ein Konzert im Alten Lichtspielhaus. Ein engagierter Zahnarzt hat eine Initiative gegründet und im ehemaligen Kinosaal des Nachbarortes einen Kulturtreff eingerichtet. Die »Line Walkers«, eine Cover-Band, imitiert Johnny Cash und hat den wegen Corona etwas reduziert im Saal verteilten Zuschauern gestern unglaublich eingeheizt. Obwohl Tanzen, Mitsingen und Jubelstürme nicht erlaubt waren, fühlte man sich zurückversetzt in die sechziger oder siebziger Jahre. Auch ich war fasziniert. Es war überraschend, wie viele der Hits des »King of Country« ich bereits kannte. »Wenn ich die Augen schließe, meine ich, Jonny Cash sei auferstanden«. So sagte es mein ebenfalls begeisterter Sitznachbar, ein Jungsenior, vermutlich wie ich Anfang der Sechziger. Richtig gut, diese Truppe! Gerade tippe ich den Titel eines der Hits des »Man in Black« in meine Tastatur: »Ring of fire«.

    Da heult also die Sirene auf dem Dach des Tagungshauses gegenüber der Kirche los. Feuer!

    Ich ahne, was jetzt an unserer kleinen Feuerwehrstation neben dem Friedhof los ist. Vermutlich ist Gerd Meyer, ein Mittvierziger aus der Nachbarschaft, wieder als erster bei den Fahrzeugen. Er ist Truppführer bei der freiwilligen Feuerwehr von Himmelstal. Sein Chef, Ortsbrandmeister Enno Dieckmann hat mir erzählt, dass Gerd manchmal sogar auf Socken und in Boxershorts angelaufen kommt, direkt in die Ausrüstung steigt und dann sein Fahrzeug schon mal vor die Halle fährt. Ein Pfundskerl, dieser Gerd, und zuverlässig dazu. Kurz nach ihm werden auch die anderen da sein, sich umziehen, noch Reste an Ausrüstung einpacken und los geht‹s.

    Kurz nachdem ich Anfang des Jahres nach Himmelstal gezogen war, brannte es das erste Mal. Ich glaube, es war in der zweiten Februarhälfte. Es war ein alter Bootsschuppen neben einem Teich. Als die Feuerwehr eingetroffen war, gab es nichts mehr zu retten. »Vermutlich Brandstiftung«, informierte mich der Ortsbrandmeister. Ich habe nur eine winzige Meldung geschrieben, nicht einmal ein Foto gemacht. Da gab es auch nichts mehr zu fotografieren. Der morsche Schuppen mit einem löchrigen Ruderboot darin war nur noch ein Haufen Asche. Zum Glück hatten sie eine große, knorrige Trauerweide daneben gerettet und damit auch das Wohnhaus abgesichert. Wenn man den Qualm erst später entdeckt hätte, wäre ein viel schlimmerer Ausgang möglich gewesen. Etwa eine Woche danach habe ich noch mal nachgefragt. »Na ja, die Polizei war da und hat im Schutt herumgestochert«, meinte Enno, der mir, wie in diesem himmlischen Dorf offenbar üblich, gleich bei der ersten Begegnung das Du angeboten hatte, »aber die haben auch keine Spur gefunden. Und niemand hat etwas gesehen.« Damit war die Sache damals zunächst erledigt gewesen.

    Ich höre jetzt weitere Sirenen, zuerst aus dem Nachbarort, dann von Feuerwehrfahrzeugen. Der Kampf um Ruhm und Ehre hat begonnen. Ich weiß, dass nun mindestens drei Dörfer darum ringen, als erste am Brandort zu sein. Es ist der ganze Stolz freiwilliger Feuerwehren, schnell und konsequent ganz vorne mitzumischen ... Man kann das kritisch sehen, sich aber auch darüber freuen. Sie beeilen sich definitiv.

    Ich greife zum Telefon. Enno hat mir seine Mobilnummer gegeben. Er nimmt sofort ab. Im Hintergrund höre ich die Sirene des Fahrzeuges, in dem er vermutlich gerade sitzt, gleichzeitig höre ich sie durchs gekippte Fenster meines Büros. Sie sind also ganz in der Nähe.

    »Jens, ich kann jetzt nicht! Wir sind im Einsatz!«

    »Ja, ich weiß«, sage ich und hoffe, dass er nicht auflegt. »Ich würde gerne wissen, wohin ihr fahrt. Vielleicht kann ich diesmal einen Artikel machen. Bitte. Ich bin immer fair, das weißt du!«

    Ein kurzes Zögern, dann atme ich auf.

    »Es ist ganz bei dir in der Nähe, hinten am Bauhof am Ortsausgang. Komm hin, und sag’ den Kameraden an der Absperrung, du willst zu mir.« Dann legt er auf.

    »Jens, pass auf dich auf!« ruft Maren mir noch hinterher, als ich die Haustür öffne. Es klingt schon wie bei einem alten Ehepaar. Dabei ist noch alles ganz neu für mich.

    Drei Minuten später sitze ich auf meinem Stevens-Rad. Auch das habe ich natürlich aus der Kreisstadt mitgenommen. Ein besseres kriege ich nie im Leben!

    *

    Wieder brennt ein Schuppen. Was darin aufbewahrt wird, kann man nicht erkennen. Vermutlich wird es enden wie bei dem Bootsschuppen von damals: Mit einem verkohlten Holz-, Metall- und Aschehaufen. Drei Feuerwehren sind bereits dabei, ihre Schläuche auszurollen. Zwei von ihnen haben eigene Tanks im Fahrzeug. An der Hauptstraße gibt es einen Hydranten. In der langsam immer schwärzer werdenden Dunkelheit sich drehende gelbe und blaue Lichter verstärken die

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