Franziska und die Bürgerwehr
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Über dieses E-Book
Der Kleingartenverein ›Erntedank‹ steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Ein Flüchtlingsheim muss nebenan integriert werden, auch der Westernverein ›Bonanza‹ mit angeschlossener Kinderfarm trifft auf Vorbehalte. Franziska und Andreas, immer noch nicht verheiratet, müssen den Vereinsvorsitz abgeben.
Dann wird Josefine Feuerbach, ein beliebtes Original des Kleingartenvereins, erschlagen aufgefunden. Der kommissarische Vereinsvorsitzende gründet eine Bürgerwehr. Dennoch kommt es zu einer Brandserie im Parzellengebiet, die für zusätzliche Unruhe sorgt. Als ein Mitglied der Bürgerwehr auf dem Findorffer Wochenmarkt stirbt, suchen Kriminalrat Strelitz und sein Team nach den Zusammenhängen.
Währenddessen tobt im Kleingartenverein ein Richtungskampf, in den auch Franziskas ehemaliger Lebensgefährte verwickelt ist. Lassen sich alle Knoten dieses Falles lösen, wird der Kriminalrat ›abgesägt‹ – und wer ist der Mörder?
Nicht der Gärtner, sondern ...
Hans-Peter Mester
Hans-Peter Mester war von 1985 bis 2012 Leiter des Ortsamtes Bremen-West und begann anschließend, spannende Krimis mit ungewöhnlichem Umfeld zu schreiben. Dies ist der siebte von zehn.
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Franziska und die Bürgerwehr - Hans-Peter Mester
Franziska und die Bürgerwehr
Der Kleingartenverein. ›Erntedank‹ steht vor tiefgreifenden
Veränderungen. Ein Flüchtlingsheim muss integriert werden,
ster
und der Westernverein ›Bonanza‹ mit angeschlossener Kin-
Fran
derfarm trifft ebenfalls auf Vorbehalte.
ziska
Franziska und Andreas, immer noch nicht verheiratet,
und di
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verlieren darüber den Vorsitz im Vorstand.
-P
Dann wird Josefi ne Feuerbach, ein beliebtes Original des
Kleingartenvereins, erschlagen aufgefunden. Der kommis-
Hans
sarische Vorstandsvorsitzende gründet eine Bürgerwehr.
Dennoch kommt es zu einer Brandserie, die für zusätzliche
Bü
Unruhe sorgt.
rgerwehr
karus
Als ein Mitglied der Bürgerwehr auf dem Findorffer Wo-
chenmarkt ums Leben kommt, suchen Kriminalrat Strelitz
und sein Team nach den großen Zusammenhängen.
Währenddessen gibt es im Kleingartenverein einen Rich-
r Fall I
tungskampf, in den auch Franziskas früherer Lebensgefährte
verwickelt ist.
Lassen sich alle Knoten dieses Falles lösen, bevor Andreas
und de
und Franziska ihre Hochzeitsreise antreten? Und heiraten die
a
beiden überhaupt?
BremenKrimi
Franzisk
Hans-Peter Mester war von 1985 bis 2000
BremenKrimi
stellvertretender Leiter des Ortsamtes Bremen-West.
Von 2000 bis 2012 stand er an der Spitze dieses
Amtes und begann anschließend, spannende
Krimis mit ungewöhnlichem Umfeld zu schreiben.
Kellner Verlag
Kellner
Kellner Verlag
Bremen-Krimi
978-3-95651-122-6
B r e m e n B o s t o n
B r e m e n B o s t o n
Verlag
Band 7
Hans-Peter Mester
Franziska
und die Bürgerwehr
Findorff-Krimi
Band 7
Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek
registriert. Die bibliografischen Daten können online
angesehen werden:
http://dnb.d-nb.de
Der Autor:
Hans-Peter Mester, Jahrgang 1954, in
Bremen geboren und aufgewachsen, hat
große Teile seiner Kindheit »auf Parzelle«
verbringen dürfen. Für den langjährigen
Leiter des Ortsamtes Bremen-West ge-
hörte der lokale Blick auf die Stärken und
die Abgründe des Stadtteillebens fast drei
Foto: Walter Gerbracht
Jahrzehnte zu seinem Berufsalltag. Von
1985 bis 2000 war er stellvertretender Leiter, von 2000 bis 2012
Chef des Bremer Ortsamtes West.
Er quittierte den Dienst wegen seiner Parkinson-Erkrankung, die
ihm anschließend die Gelegenheit bot, zu Hause über kuriose
und alltägliche Besonderheiten zu schreiben. Zahlreiche Notizen
bildeten die Grundlage für die raffinierten Kriminalromane rund
um Stadtplanerin Franziska.
Ein besonderer, sozial engagierter Mensch ist nun nicht mehr mit
uns. Er starb am 8. April 2016 im 63. Lebensjahr. Er wusste um
seine radikal begrenzte Lebenszeit und schrieb die zehnbändige
Krimi-Reihe »Franziska und ...«. Diesem siebten Band werden
noch drei Ausgaben bis Ende 2018 folgen.
Verstorbene leben in den Gedanken der anderen Menschen
weiter, Hans-Peter Mester wird zusätzlich durch seine Bücher
präsent und noch sehr lange in Erinnerung bleiben.
Impressum
© 2017 KellnerVerlag, Bremen • Boston
St.-Pauli-Deich 3 • 28199 Bremen
Tel. 04 21 - 77 8 66 • Fax 04 21 - 70 40 58
sachbuch@kellnerverlag.de • www.kellnerverlag.de
Lektorat: Klaus Kellner, Madita Krügler, Manuel Dotzauer
Satz: Bernd Raatz
Umschlag: Designbüro Möhlenkamp & Schuldt, Bremen
ISBN 978-3-95651-138-7
2
Die Akteure
Im Kleingartenmilieu
Franziska Morgenstern
Stadtplanerin, Kleingärtnerin, ehemals Zweite Vorsitzende des
Kleingartenvereins ›Erntedank‹ und demnächst Ehefrau von
Andreas Klapphorn. Oder?
Andreas Klapphorn
Musikpädagoge, stellvertretender Schulleiter in Findorff, ehemals
Erster Vorsitzender des Kleingartenvereins und zukünftiger
Ehemann von Franziska, wenn nichts dazwischenkommt.
Julia und Johannes
Andreas’ Kinder aus erster Ehe, halten sich für erwachsen,
sind aber erst 14 und 16 Jahre alt.
Johanna
Schwester von Franziska, sehr geschwätzig, doch mit einem
Herz aus Gold.
Rudi Klingebiel
Wirt des Landheims, eine Seele von Mensch, mit ausgeprägtem
Gerechtigkeitssinn.
Maria Klingebiel
Rudis Ehefrau, Fels in der Brandung.
Tatjana Knispel-Klingebiel
Tochter des Landheim-Wirtes, neuerdings verheiratet mit
Olaf Knispel.
Hermann Schilling mit Dackel Friedhelm
Rechter Nachbar von Franziska, Urgestein und ältester Kleingärtner
im Verein. Von seinem neurotischen Dackel kaum zu trennen.
Bernhard und Gundi Markgraf
Linke Nachbarn von Franziska, haben vier Kinder und leben
in Dauerfehde mit Hermann Schilling und seinem Dackel.
3
Thomas Büssenschütt
Neuer Erster Vorsitzender, Gründer einer Bürgerwehr,
wertekonservativer Populist, Leiter einer Versicherungsagentur.
Müsste dringend in seinem Kopf aufräumen.
Werner Obermeyer
Mag keinen Lärm, ist in der Bürgerwehr aktiv.
Edgar »Eddie« Nesselkamp
Mag ebenfalls keinen Lärm und ist auch in der Bürgerwehr aktiv.
Reinhold Papendieck
Mag überhaupt keinen Lärm und ist in der Bürgerwehr aktiv.
Karl »Kalli« Schönfeld
Wird pensioniert und hat damit seine Schwierigkeiten.
Dr. Torsten Bollhagen
Neu im Kleingartenverein, neu im Vorstand, aber altbekannt für
Franziska.
Josefine Feuerbach
Ein Original des Kleingartenvereins. Ihr Ableben ist klärungs-
bedürftig.
Annabell Feuerbach
Die Tochter der Verstorbenen.
Von der Polizei
Kriminalrat Strelitz
Väterlicher Chefermittler. Neuerdings Großvater, manchmal
depressiv.
Oberkommissarin Konstanze Kannengießer
Karriere- und teamorientiert, neuerdings mit Kriminalrat
Schwalbach liiert.
Kommissar Olaf Knispel
Jüngster Mitarbeiter im Ermittlungstrio, inzwischen gefestigt,
aber immer noch für einen Ausrutscher zu haben.
4
Kriminalrat Christian Schwalbach
Multifunktional unterwegs: Leiter des Drogen-Dezernats,
Lebensgefährte von Konstanze Kannengießer, Vorsitzender
des Westernvereins ›Bonanza‹, einschließlich Kinderfarm.
… und außerdem
Sebastian Olmütz
Freier Reporter, gut für Enthüllungsreportagen, schlecht für den
Blutdruck von Strelitz.
Dr. Klaus Klüngel
Unternehmensberater, soll Polizeistrukturen verschlanken.
Belastet ebenfalls das Nervenkostüm von Strelitz.
Brunhilde Stumpe
Leiterin des Flüchtlingslagers, kernige Führungspersönlichkeit mit
Courage und sozialem Engagement. Geht für »ihre Leute« durchs
Feuer.
5
Prolog 1
»So, Josefine, jetzt bist du wieder eine Stufe tiefer ge-
rutscht!« Frau Feuerbach hielt in ihrer Wohnung, die
zur Räumung anstand, Selbstgespräche. »Arbeitslos, woh-
nungslos. Ganz großes Kino. Jetzt bleibt nur noch die Par-
zelle.« Sie packte einen Umzugskarton. »Einen Vorteil hat
das Ganze – bei jedem Umzug habe ich weniger mitzuneh-
men.«
Sie räumte einen alten Bücherschrank aus. Ein paar Bü-
cher fielen um und gaben den Blick auf ein Päckchen frei,
das hinter einige Werke von Brecht, Heine und Tucholsky
gerutscht war. Sie nahm es heraus und hielt es gegen das
Licht, als sei es durchsichtig. »Dich habe ich eigentlich nie
öffnen wollen«, murmelte sie. »Aber vielleicht ist es jetzt an
der Zeit.«
6
Prolog 2
Seitdem Franziska Morgenstern entschieden hat, sich dem
»Leben auf Parzelle« zu verschreiben, hat sich viel getan.
Der Mikrokosmos des Kleingartenvereins »Erntedank« wird
regelmäßig durch kleine und große Verwerfungen erschüt-
tert. Morde, Brandstiftungen, Entführungen und Betrug ha-
ben die Kripo zum regelmäßigen Gast in den Schrebergärten
und im Landheim werden lassen. Motive und Tatverdächtige
gibt es im Überfluss.
Die jüngsten Ereignisse führten dazu, dass Franziska und
ihr Lebensgefährte Andreas Betrügern auf den Leim gin-
gen. Das Betrügerduo ist flüchtig, aber dem Verein entstand
kein Schaden. Dennoch wollen Andreas und Franziska im
Vorstand die Vertrauensfrage stellen. Die steht nun in einer
Sondersitzung auf der Tagesordnung.
7
Kapitel 1
Liebe Gartenfreunde, ich eröffne die Sondersitzung des
Vorstandes für … von … also, ihr wisst schon, vom
Kleingartenverein ›Erntedank e. V.!‹« Andreas, Erster Vor-
sitzender, hauptberuflich Musikpädagoge und stellvertre-
tender Leiter einer Findorffer Schule, fühlte sich, wie es
seinen Schülern beim Zensurensingen ergehen musste. Die
Tür schwang auf. Rudi Klingebiel, Wirt des Landheims
»Erntedank«, kam herein, um Bestellungen entgegenzuneh-
men – er meinte, dass seine Zapfhähne dringend Bewegung
brauchten. Ein denkbar schlechter Moment.
»Jetzt nicht!«, herrschte ihn einer der Beisitzer an. Rudi
zog erschrocken den Kopf zurück und schloss die Tür. Nor-
malerweise war er selten um ein Wort verlegen, insbeson-
dere, wenn sich die Gelegenheit bot, einen kernigen Spruch
anzubringen, aber hier schien ihm ein Rückzug das Klügste
zu sein. Zumindest für die nächste Viertelstunde. Er posi-
tionierte sich wieder hinter seiner Theke und versorgte die
beiden dort sitzenden Gäste mit zwei frischen Bieren.
Im Hinterzimmer hatte Andreas weiterhin Mühe, seine
Gedanken zu ordnen. Verdammt, was machst du gerade?
Wieso lässt du die Dinge so dicht an dich heran?‚ schalt er
sich. Sollen die anderen sich doch einen neuen Ersten Vor-
sitzenden suchen. Laut sagte er: »Thomas Büssenschütt, es
besteht kein Anlass, unseren Wirt derart oberlehrerhaft an-
zuherrschen. Außerdem würde ich gern wissen, was dich
in unsere Mitte treibt. Soweit ich mich erinnere, bist du im
Rahmen unseres letzten Beisammenseins aus dem Vorstand
ausgeschieden. Und die Vereinsvollversammlung hast du
auch vorzeitig verlassen. Weißt du noch? Wenig später hat
übrigens jemand eine Scheibe dieser Gaststube eingewor-
fen!«
8
Thomas Büssenschütt sprang auf. »Willst du etwa be-
haupten, ich hätte etwas damit zu tun?«
»Nicht doch.« Andreas lächelte freundlich. Er merkte,
wie er langsam ruhiger wurde. »Ich wollte dich nur auf dem
Laufenden halten. Schließlich warst du ja nicht mehr im
Raum, als der Stein durch die Fensterscheibe flog.«
Büssenschütt winkte ab. »Was meine Mitarbeit im Vor-
stand angeht, bedauere ich, wenn möglicherweise der Ein-
druck entstanden ist, dass ich diesem Gremium den Rücken
kehren wollte. Zugegeben, ich befand mich in einem ... emo-
tionalen Ausnahmezustand, weil ich provoziert worden war.
Daraufhin habe ich diesen Raum verlassen, um die Situati-
on nicht weiter eskalieren zu lassen. Ich habe aber zu kei-
nem Zeitpunkt beabsichtigt, mich von der Vorstandsarbeit
zurückzuziehen.« Büssenschütt breitete generös die Arme
aus, als wolle er alle Anwesenden gleichzeitig segnen. »Mit
anderen Worten, ich stehe dem Vorstand selbstverständlich
weiterhin zur Verfügung.«
»Na, da haben wir ja Glück gehabt«, stellte Franziska
Morgenstern fest. Sie war nicht nur die Zweite Vorsitzen-
de, sondern auch die Lebensgefährtin von Andreas. In dieser
Funktion hatte sie jetzt seine rechte Hand ergriffen und sie
bestärkend gedrückt.
Büssenschütt war diese kleine Geste der Solidarität nicht
entgangen.
»Bevor es noch zum Austausch von Zärtlichkeiten
kommt, sollten wir mit der Tagesordnung fortfahren«, ätzte
er. »Und das Protokoll der letzten Sitzung bitte ich hinsicht-
lich meines irrtümlich dokumentierten Ausscheidens aus
dem Vorstand zu korrigieren. Der Schriftführerin ist da eine
Fehldeutung unterlaufen.«
Franziska dämmerte, worauf Büssenschütts Auftritt hi-
nauslaufen sollte. Wenn sie nicht alles täuschte, befand sich
hier eine feindliche Übernahme in Vorbereitung, ein Putsch
auf Kleingartenvorstandsebene. Mit einem Seitenblick auf
9
Andreas stellte sie fest, dass er das drohende Szenario eben-
falls erkannt hatte. Beiden war klar, dass eine solche Wach-
ablösung fatal sein konnte. Büssenschütt hatte sich bei sei-
nen letzten Auftritten als Demagoge erwiesen, der massiv ge-
gen jeden Integrationsversuch zugewanderter Ethnien Front
bezog.
Statt differenzierter Auseinandersetzung hatte er polemi-
siert. Konkret war es um die Einrichtung eines Flüchtlings-
wohnheims im Randbereich des Kleingartenvereins gegangen.
In Anwesenheit der Sozialsenatorin hatte er derbe Sprüche ge-
klopft – immerhin ohne großen Erfolg. Die überwältigende
Mehrheit der Vereinsmitglieder hatte dem Anliegen der Sena-
torin zugestimmt. Dieses Votum war mit der Forderung ein-
hergegangen, dass es für die Betreuung der Flüchtlinge einen
angemessenen Personalschlüssel geben müsse.
Büssenschütt war daraufhin verbal entgleist, hatte von
»Endlösungen« gesprochen und war von Andreas und der
Senatorin deutlich zurechtgewiesen worden. Büssenschütt
hatte anschließend bei knallender Tür den Saal verlassen.
Später am Abend flog ein Wurfgeschoss durch eines der
Landheimfenster. Ein Stein, eingewickelt in einem DIN
A4-Bogen, auf dem zu lesen stand, dass man »die Kanaken«
hier nicht haben wolle. Es lag nahe, diesen Vorfall Thomas
Büssenschütt anzulasten. Nachweisen konnte man ihm diese
hässliche Tat jedoch nicht.
Und nun, nachdem Andreas und Franziska schon auf sein
Ausscheiden aus dem Vorstand angestoßen hatten, kam er
wie ein Phönix aus der Asche zurück.
Andreas schaute in die Runde, aber es regte sich kein Wi-
derspruch. Niemand monierte die zweifellos satzungswid-
rige Rückkehr nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand.
Büssenschütt musste gut vorgearbeitet haben.
»Also weiter im Text«, seufzte er und nahm die Ver-
sammlungsleitung wieder auf. »Ich habe euch eingeladen,
um ein offenes Wort über die sogenannte Bildungsoffensive
10
2025 zu reden. Ich war der irrigen Auffassung gewesen, dass
wir für dieses Landheim und den Verein insgesamt eine inte-
ressante Perspektive gehabt hätten.«
Franziska unterbrach ihn. »Nicht du, sondern wir! Wir
sind beide auf die Betrüger reingefallen!« Und sie schilderte
ausführlich, wie es zu der Fehleinschätzung kommen konn-
te, die mit einer ziemlichen Ernüchterung geendet hatte.
Nach dem Ende des Berichtes herrschte Schweigen im
Hinterzimmer des Landheims. Genau in diesem Moment
ging die Tür auf, Rudi unternahm einen zweiten Anlauf, den
Getränkeumsatz anzukurbeln.
»Jetzt nicht!«, riefen Thomas Büssenschütt und zwei
andere Sitzungsteilnehmer im Chor.
Rudi zog sich brummelnd zurück, und wer ihn kannte,
dem musste klar sein, dass dies die letzte Abfuhr war, die er
widerspruchslos hinnehmen würde.
Büssenschütt lehnte sich zurück und schlug einen gön-
nerhaften Ton an. »Freunde«, ließ er sich vernehmen, »ich
denke, ein solcher Lapsus – ich vermeide jetzt mal einen
stärkeren Ausdruck – kann schon mal passieren. Insbeson-
dere dann, wenn man, so wie ihr, viel Engagement in dieses
Ehrenamt gesteckt hat.«
Andreas und Franziska glaubten, sich zu verhören.
Büssenschütt beugte sich vor, und aus dem verständnis-
vollen Wegbegleiter wurde ein Chefankläger, der es verstand
seinen Tatvorwurf mit schneidender Stimme vorzutragen.
»Was uns interessiert, ist die Tatsache, dass ihr die alte Gärt-
nerei an den Westernverein ›Bonanza‹ verpachtet habt – ei-
nen Verein, der zudem noch eine Kinderfarm im Gepäck hat.
Darüber hinaus habt ihr mit dem Senat eine Verabredung,
dass planungsrechtliche Bedenken zurückgestellt werden,
wenn wir im Gegenzug dem Standort des Flüchtlingsheims
zustimmen! Und das alles ohne Rücksprache mit dem Ge-
samtvorstand, geschweige denn mit der Vollversammlung!
Ist das zutreffend?«
11
Büssenschütt sah in die Runde, als wolle er sich verge-
wissern, dass ihn auch jeder verstanden habe.
Andreas sagte trocken: »Ja.«
Büssenschütt geriet kurz ins Schlingern. »Willst du damit
sagen, dass … also … dass ihr geständig seid?«
»Der Terminus ist verfehlt, denn wir sind hier nicht vor Ge-
richt«, bemerkte Franziska mit einem feinen Lächeln. »Und ja,
wir hielten es für richtig, den Westernverein an uns zu binden,
weil er in Kombination mit der Kinderfarm unser kleingärt-
nerisches Gemeinwesen aufwertet. Und da der Westernverein
eine schnelle Lösung benötigte, haben wir keine Zeit verloren.
Natürlich hätten wir darüber berichtet und unsere Entschei-
dung begründet. Wir waren aber davon ausgegangen, ein ent-
sprechendes Maß an Vertrauensvorschuss zu besitzen.«
»Nachdem ihr schon zweimal die falschen Pächter auf
dem Gelände hattet, und nach der Nummer mit der Bil-
dungsoffensive?« Büssenschütts Stimme schnappte jetzt
über. »Wisst ihr, wie viele fremde Personen, Fahrzeugver-
kehr und sonstigen Lärm ihr damit ins Gelände geholt habt?
Dazu jeden Tag Muhen, Mähen und Wiehern?« Büssen-
schütt wurde kurzatmig.
»Auf wie viel Dezibel bringt es denn ein Hahn?«, fragte
Helga, die Schriftführerin.
Die Runde blickte sie verblüfft an. Sie war noch nicht
lange im Vorstand, und dies war bis dahin ihr längster Re-
debeitrag.
»Und darf ich fragen, was ihr jetzt von uns erwartet?«,
erkundigte sich Andreas.
»Na, ich denke, das Mindeste ist doch wohl, dass ihr den
Vorsitz niederlegt«, erklärte Büssenschütt und blickte selbst-
gefällig in die Runde.
»Und dann?«
»Dann bestimmt diese Runde einen kommissarischen
Vorstand, und auf einer außerordentlichen Vorstandssitzung
gibt es schließlich Neuwahlen.«
12
Büssenschütt schaute Andreas zufrieden an.
Andreas beugte sich vor, und Franziska hatte einen Mo-
ment die Sorge, dass er gleich über den Tisch flanken wür-
de. »Lass mich raten: Nach langem Zögern bist du dann der
Vereinsmärtyrer, der alle Bedenken beiseite räumt und sich
opfert.«
»Oh.« Büssenschütt machte eine abwehrende Hand-
bewegung. »Nicht doch. Glaub mir, ich reiße mich nicht
darum, Vorsitzender zu werden. Andererseits – wenn sich
kein anderer Kandidat meldet, kann ich mich dieser Aufgabe
sicher nicht entziehen. Man hat ja doch so etwas wie Verant-
wortungsbewusstsein!«
13
Kapitel 2
Während im Hinterzimmer die Luft brannte, saßen in
der Gaststube Hermann Schilling samt seinem ewig
schlecht gelaunten Dackel Friedhelm und Karl Schönfeld.
Rudi leistete den beiden Gesellschaft.
Hermann hatte gerade von der Kur erzählt, die er am
nächsten Morgen antreten wollte. »Drei Wochen Bad Fal-
lingbostel«, brummte er. »Um acht Uhr kommt das Taxi.
Vielen Dank nochmal, dass ich meinen Friedhelm so lange
bei dir lassen kann.«
Rudi nickte. »Kein Problem. Das hat ja schon mal ge-
klappt. Freust dich schon auf die Kur?«
»Ich weiß nich, aber egal, ich sitz das auf einer Backe ab.«
»Hermann, das ist doch kein Gefängnis. Du wirst da ver-
wöhnt, brauchst dich um nix zu kümmern und lernst viel-
leicht noch ’ne flotte Dame kennen!«
»Von wegen«, muffelte Hermann. »Von morgens bis
abends Anwendungen, immer mit ’nem Zettel in der Hand
unterwegs, von Termin zu Termin, dann das fettreduzierte
Essen und natürlich kein Bier.«
Er wandte sich seinem Thekennachbarn zu.
»Kalli, du guckst, als hätte deine Erbtante gerade ihr ge-
samtes Vermögen verspielt«, stellte Hermann fest. »Komm,
erzähl, was liegt dir auf der Leber? Musst du auch zur Kur?«
Kalli Schönfeld druckste herum. »Erbtante is nich«,
murmelte er verdrossen. »Und Vermögen auch nich. Aber
ich werd meinen Job los.«
»Deinen Job?« Hermann sah ihn misstrauisch an. »Das
geht doch gar nicht. Du bist doch Schulhausmeister. Oder
hast du silberne Löffel geklaut?«
»Unser Kalli doch nicht!«, mischte sich Rudi ein
und schob den beiden zwei kleine Biere über die Theke.
14
»Der würde doch nicht mal Werbe-Kugelschreiber annehmen.
Is doch so, nich, Kalli?«
»Ich werd verrentet«, sagte Kalli leise.
Rudi und Hermann beugten sich beide ein Stück vor.
»Was sachst du?«
»Ich werde verrentet. Feierabend! Schluss, aus!«
»Wieso das denn?« Rudi konnte manchmal begriffsstut-
zig sein.
»Weil ich nächste Woche 65 werde. Ende des Monats
läuft meine Berufszeit ab. Meine Wohnung verliere ich
auch. Ich hatte ja ’ne Dienstwohnung in der Schule. Wegen
der Residenzpflicht.«
»Was für ’ne Präsidenten-Pflicht?« Hermann hantierte an
seinem Hörgerät.
»Residenzpflicht! Wenn du da wohnen musst, wo du ar-
beitest«, erklärte Rudi und war offensichtlich stolz, solche
schwierigen Fremdwörter erklären zu können.
»Also so wie bei dir?«, fragte Hermann.
»Donnerwetter!« Rudi kratzte sich am Hinterkopf. »Da-
rüber hab ich noch gar nicht nachgedacht. Aber stimmt, ich
habe auch eine Residenzpflicht – Maria und ich wohnen ja
da oben!« Er zeigte die Treppe hinauf, die aus einem Winkel
der Gaststube nach oben führte.
»Und deine Tochter und dein Schwiegersohn auch«,
ergänzte Kalli.
»Ja, aber die beiden haben keine Residenzpflicht, und
beide suchen schon nach was Eigenem«, erwiderte Rudi.
»Obwohl – noch ein paar Straftaten in unserem Verein, und
hier entsteht vielleicht ein Polizei-Außenposten.«
Kalli seufzte. »Vielleicht brauchen die dann stundenwei-
se einen Hausmeister.«
Rudi war mit dieser depressiven Grundstimmung nicht ein-
verstanden. »Kalli, ich versteh dich nicht. Ich kenn ’ne Menge
Leute, die gar nicht abwarten können, Rentner zu werden. Was
ist denn so schlimm daran, jeden Tag ausschlafen zu können?«
15
Hermann mischte sich ein. »Ich weiß noch, als es bei mir
so weit war. Das muss jetzt so rund zehn, elf Jahre her sein.«
Hermann war Mitte 70 und der älteste Gartenfreund im »Ern-
tedank« e. V. »Ich bin damals in ein mentales Loch gefallen.
Keine Pflichten mehr, ich wurde nicht mehr gebraucht. Erst
war das wie Urlaub. Aber dieser Urlaub ging nicht zu Ende.
Ich dachte, ich wäre aus einem fahrenden Zug gesprungen.
Die Tage liefen irgendwie anders ab, keiner wollte mehr was
von mir ...« Hermanns Gedanken begannen, sich im Kreis
zu drehen. Er hatte feuchte Augen bekommen. »Jedenfalls
musst du gewaltig aufpassen, dass du nicht plötzlich an der
Flasche hängst!«
Rudi knallte sein Poliertuch entschlossen auf die The-
ke. »Kalli, was du brauchst, ist ein Plan. Du musst wissen,
wie es weitergeht. Erst mal musst du das Wohnungsproblem
wuppen!«
»Hab ich schon«, meinte Kalli. »Ich bin anerkannter Kai-
sen-Hausbewohner. Ich zieh auf meine Parzelle. Die hatte
ich immer als ersten Wohnsitz gemeldet.«
»Schön, dann wäre das schon mal geklärt. Aber was ist
mit Hobbys? Reisen?«
»Nee, ich schlaf abends gern in meinem eigenen Bett
ein.«
»Oder angeln?«, fragte Hermann.
»Warum nicht. Aber was mach ich, wenn einer anbeißt?
Ich kann doch kein Lebewesen töten.«
»Ach, Kalli, du bist aber auch ein schwieriger Mensch!«,
stöhnte Rudi.
»Nur, weil ich nicht verreisen oder Fische totschlagen
will?« Kalli guckte verdrossen auf das Sortiment an Spiritu-
osenflaschen, das hinter Rudis Rücken auf Endverbraucher
wartete. »Und zum Saufen hab ich auch keine Lust.«
Dann präsentierte er seinen Lebenslauf – seit zehn Jah-
ren Witwer. Die beiden Kinder wohnten nicht in Bremen.
Vierzig Jahre Hausmeister, immer an derselben Schule.
16
Da sei er mit jeder Schraube und jeder Glühbirne per du, und
eigentlich gehöre er zum Inventar, sinnierte er.
Rudi füllte schweigend drei Korngläser.
Kalli setzte seinen Gedankengang fort: »Nach einer neu-
en Partnerschaft ist mir auch nicht.