Agenten unter Wasser: Schiffsziele im Visier deutscher Kampfschwimmer
Von Michael Jung
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Buchvorschau
Agenten unter Wasser - Michael Jung
2006
Schiffsabotage
im Ersten Weltkrieg
Einer der ersten Berichte von Sabotageangriffen mit Sprengstoff und Zeitzünder gegen Schiffsziele stammt aus dem 17. Jahrhundert. Hans Krevet aus Barth bei Stralsund versuchte sich damals erfolglos als Angreifer gegen zwei schwedische Schiffe.
Die Schweden hielten im 30-jährigen Krieg ab 1645 Wismar besetzt. Ihre Flotte lag dort im Hafen, und die beiden schwedischen Admiräle Wrangel und Blume, zwei von der dänisch gesinnten Bevölkerung Wismars bitter gehasste Persönlichkeiten, bereiteten sich gerade zur Rückkehr nach Stockholm vor. Ihre Schiffe LEJON (Löwe) und DRAKE (Drache) hatten bereits die Anker gelichtet und Ruderboote ausgesetzt, um sich aus dem Hafen schleppen zu lassen. Die Admiräle wollten den Schiffen in ihren Staatsbarken folgen und sie erst beim Auslaufen in die offene See besteigen.
Da nahte auf einer schnellen Jolle ein Mann zunächst dem Schiff Wrangels, bat, es besteigen zu dürfen und händigte dem erstaunten Steward des Admirals eine schwere Kiste aus. Diese habe, wie er sagte, einen sehr kostbaren Inhalt und solle laut Anweisung des Admirals sicher im Schiffsinneren untergebracht werden. Dann ruderte der Mann hinüber zur DRAKE, wo er eine zweite, ebenso große Kiste überreichte.
Admiral Wrangels guter Stern wollte, dass sein Steward ein neugieriger Mensch war, der die geheimnisvolle Kiste zunächst untersuchte, um eine Ahnung von dem kostbaren Inhalt zu bekommen. Dabei hörte er in der Kiste ganz deutlich eine große Uhr ticken.
Kaum war Admiral Wrangel an Bord, fragte ihn der Diener, wohin die Kiste mit der großen Uhr gestellt werden sollte. Wrangel, überrascht von dem Vorhandensein einer Uhr, von der er nichts wusste und die vielleicht ein kostbares Geschenk einer ihm zugeneigten Person Wismars war, ließ die Kiste öffnen. Nun stellte sich aber heraus, dass die Kiste in ihrer Mitte ein großes Uhrwerk enthielt, das nach der voreingestellten Zeit ein Flintenschloss auslöste. Dessen Funke entflammte eine Zündschnur, die in den großen Schwarz pulverbehälter führte, welche sich ebenfalls in der Kiste befand. Die Pulvermenge war groß genug, um das ganze Schiff zu sprengen oder zu entzünden. Der Anschlag war damit vereitelt. An Bord der LEJON fand man in der Kiste denselben Apparat, und die beiden Schiffe kehrten nach Wismar zurück. Hier wurde sehr schnell der Täter ermittelt. Hans Krevet schwieg zunächst gegen alle Vorwürfe, gestand dann aber unter Folter, im Auftrag dänischer Agenten aus Lübeck den Anschlag versucht zu haben. Krevet wurde am 5. Juli 1645 hingerichtet.¹
Die Vorgehensweise des Hans Krevet, für alle sichtbar getarnte Sprengladungen an Bord von Schiffen zu bringen, ist mehr als ungewöhnlich und blieb wohl eher ein Kuriosum. Es liegt auf der Hand, dass es wesentlich erfolgversprechender ist, Sprengstoffanschläge durch Saboteure ausführen zu lassen, die unbemerkt – am besten im Schutz der Nacht – ihr Werk verrichten, wie etwa durch Schwimmer und Taucher. Bei guter Vorausplanung konnten mit vergleichsweise geringem Aufwand und Risiko große Effekte erreicht werden. Einsätze von Schwimmern und Tauchern zu militärischen, offensiven Zwecken gibt es schon seit vielen hundert Jahren. Das antike Rom hatte beispielsweise eine Berufstauchergilde, die als Söldner kriegerische Funktionen übernahm. Das militärische Erfordernis, schwimmen zu können, hatten die Römer bei ihren Gegnern im heutigen Deutschland abgeschaut. In den zeitgenössischen Berichten von Tacitus liest man darüber: »Als nämlich der römische Feldherr Germanicus die Weser überschritt, schwamm Chariovalda, der Anführer der Bataver, dort durch den Fluss, wo er am reißendsten war.« Oder an anderer Stelle: »Als Germanicus eine Brücke über die Eder zu schlagen versuchte, sprangen Chatten in den Fluss, um die Römer daran zu hindern. Da sie dazu ihre Waffen gebrauchten, müssen sie über beträchtliche Schwimmfertigkeiten verfügt haben.«²
Obwohl der Einsatz von Schwimmern für militärische Zwecke auf eine lange Tradition zurückblicken kann, wurde das Schwimmen als fester Bestandteil der Grundausbildung im preußischen Militär erst sehr viel später eingeführt. Nachdem 1811 das preußische Militär einen Erlass verhängte, wonach das Schwimmen zur Grundausbildung gehörte, baute 1817 der preußische General Ernst von Pfuel in Berlin-Oberschöneweide an der Oberspree die erste deutsche Militär-Schwimmschule. Er plante, 30.000 Soldaten im Schwimmen »abzurichten«, wie er es formulierte. Zu den einzuübenden Fertigkeiten gehörte unter anderem eine Flussüberquerung mit kompletter Ausrüstung, Waffen und Gepäck. Die Soldaten sollten beim Schwimmen ihre normale Uniform anbehalten und die Stiefel zusammen mit ihrem Gepäck auf einem kleinen Floß vor sich her schieben.
Deutsche Pioniere erproben den neuartigen Schwimmanzug, 1915.
Besondere Hilfsausrüstungen gab es damals noch keine. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis spezielle Schwimmanzüge gebaut werden konnten, die einen längeren Aufenthalt auch in kaltem Gewässer möglich machten. Eine grundlegende Entdeckung dafür war die Erfindung des Vulkanisierens im Jahre 1839 durch C. Goodyear. Zunächst nutzte man das Vulkanisieren zur Herstellung von Luftgummireifen für Automobile und Motorräder – bis dahin gab es nur Holzräder – und zum wasserdichten Versiegeln der Außenhaut von Stoffgeweben. Leichte, dünne Schwimmanzüge konnten erst produziert werden, nachdem man die Kautschukherstellung, die oft respektvoll als »Schwarze Magie« bezeichnet wird, immer mehr verbesserte.
Der Amerikaner Paul Boynton baute 1874 als erster einen speziellen aufblasbaren Gummischwimmanzug mit Handpaddel. So ausgerüstet überquerte er den Ärmelkanal und schwamm für Werbezwecke in vielen Flüssen Europas. Später ließ er den Anzug patentieren und verkaufte ihn an Männer, die sich für den Wassersport begeisterten.
Das preußische Militär führte zu Beginn des Ersten Weltkrieges, also rund 100 Jahre nach Beginn der Schwimmausbildung, bei ihren technischen Truppen Schwimmanzüge ein.³ Für Arbeiten im Wasser hatte die Pionier-Versuchs-Kompanie des Garde-Pionier-Bataillons leichte Schwimmanzüge erprobt, die im Herbst 1914 allgemein zur Ausgabe kamen. Die Schwimmanzüge bedeckten, wie Taucheranzüge, den ganzen Körper und hatten einen luftgefüllten Schwimmgürtel in Bauchhöhe. Außerdem stand für Arbeiten im Wasser bis zur Brusthöhe ein schwerer Hosenanzug aus derbem Gummistoff der Hanseatischen Apparatebau-Gesellschaft HAG in Hamburg bereit. Am 3.11.1914 befahl auch das bayerische Kriegsministerium die Ausstattung jeder Pionier-Kompanie mit je vier Schwimm- und Hosenanzügen, während jeder Korpsbrückentrain je zwei derartige Schutzanzüge erhalten sollte.
In dem dazugehörigen Erlass des bayerischen Kriegsministeriums lautet es: »Wasserdichte Anzüge haben sich im jetzigen Kriege wiederholt als dringend notwendig erwiesen und sind bis jetzt weder bei den Pionierkompanien noch auf den Korpsbrückentrains vorhanden; die Beschaffung solcher Anzüge (Raschke-Gassmann) ist daher notwendig. Der Anzug besteht aus metallisiertem Metzeler Ballonstoff, der fest, dicht und leicht ist und ganz besonders geeignet erscheint, als Schutz gegen die Einwirkungen der Kälte zu dienen in den Fällen, wo eiskalte Gewässer durchschwommen werden müssen oder wo Pionierarbeiten von einzelnen Mannschaften im eisigen Wasser auszuführen sind. Ein Anzug kostet 100 Mark und wiegt mit Hülle etwa 8 Kilogramm.«⁴ Die Metzeler Kautschuk AG aus München gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den Pionieren in Entwicklung und Herstellung von Ballon- und Aeroplanstoffen.
Taucherausbildung im Rhein bei Wiesbaden, 1915.
Schon bald wurden Schwimmer nicht nur für Arbeiten, sondern auch für offensive Kampfaufträge eingesetzt. Im Allgemeinen herrscht die weit verbreitete Ansicht, der erste kriegerische Einsatz von Kampfschwimmern der Neuzeit hätte 1918 im Hafen von Pola stattgefunden. Die beiden italienischen Marineoffiziere Raffaele Rossetti und Raffaele Paolucci versenkten dort am 1. November 1918 das 21.000 BRT schwere Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS. Mit dem Schiff versanken etwa 300 Mann Besatzung. Die beiden Italiener hatten sich, auf einem modifizierten Torpedo reitend, im Dunkeln an das Schiff herangeschlichen und dort ihre Sprengladungen angebracht. Der Einsatz ist gut dokumentiert und wird immer wieder erwähnt, wenn es um die Schilderung der Entwicklungsgeschichte des Kampfschwimmens geht. Tatsächlich fand aber der erste Kampfschwimmereinsatz der Neuzeit nicht im Hafen von Pola, sondern bereits drei Jahre früher in einem nordosteuropäischen Binnengewässer statt: im Fluss Memel, nahe der Festung Kauen.
Dieser Anzug wurde beim Angriff nahe Kauen eingesetzt.
Die Idee, einen mit Sprengkörpern ausgerüsteten Schwimmer gegen Schiffsziele einzusetzen, wurde erstmals 1915 vom deutschen Militär verwirklicht. Die ersten deutschen Kampfschwimmer stammten aus der 2. Reserve-Pionier-kompanie des in Stettin stationierten Königlich-Preußischen Pommerschen Pionierbataillons 2. Ihre Ausbildung erfolgte im Rhein bei Biebrich, also am Flussbogen zwischen Mainz und Wiesbaden. Sie trugen den wasserdichten Anzug, den die Versuchskompanie des Potsdamer Garde-Pionier-Bataillons entwickelt hatte. Dabei handelte es sich um einen eng anliegenden, einteiligen Anzug aus imprägniertem Spezialgewebe, zu dem ein Tragegestell mit Gurt samt eingearbeiteten Taschen gehörte.⁵ In diesen Taschen konnten Spreng- und Zündmittel mitgeführt werden. Der Kampfschwimmer verwandte außerdem ein Atemgerät auf Sauerstoff-Kreislaufbasis und trug an den Füßen Lederstiefel. Schwimmflossen kannte man damals noch nicht. Einige Bleigewichte an den Unterschenkeln und dem Bauchgurt sorgten dafür, dass er in einer vertikalen Lage im Wasser trieb, gerade hoch genug, um mit dem Kopf ein wenig über die Oberfläche herauszuragen. Vor dem Gesicht wurde eine Vollgesichtsmaske getragen, die mit dem Sauerstoffgerät verbunden war. Daraus atmete der Kampfschwimmer während des gesamten Einsatzes, also auch beim Anschwimmen zum und Abschwimmen vom Zielobjekt.⁶ Aufgrund der damals noch geringen Kapazität der Sauerstoffflaschen und der Absorberpatronen konnte ein Einsatz maximal etwa eine Stunde betragen.
Im Sommer 1915 tobte die Schlacht um die Festung Kauen, die von den russischen Truppen hartnäckig verteidigt wurde. Kauen (litauisch Kaunas, polnisch Kowno) liegt im Baltikum (heute Litauen) und ist mit etwa 360.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens. Sie liegt am Zusammenfluss von Memel (Njemen) und Neris (Wilija), in der Mitte des Landes, etwa 100 km westlich der Hauptstadt Wilna (Vilnius). Die Stadt ist auch ein Eisenbahnknotenpunkt und galt als strategisch besonders wichtig.
Am 6. August 1915 hatte der deutsche Angriff auf die Festung Kaunen begonnen. 10 Tage bereits tobte die Schlacht, als die deutschen Truppen zum entscheidenden Angriff ansetzten. Neben der Zerstörung der Festungswerke und