Lübeck - ausgeplaudert
Von Eckhard Lange
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Rezensionen für Lübeck - ausgeplaudert
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Buchvorschau
Lübeck - ausgeplaudert - Eckhard Lange
1. Der Anfang: Das deutsche Liubice
Der Anfang? Nun ja, das ist meist so eine Sache für die Historiker. Eigentlich hat ein Anfang stets zwei feste Größen: ein Datum und einen Ort. Dabei sind die Daten oft nur noch bloße Schätzungen beim Blick in das Dunkel vergangener Zeiten. Aber ein Ort sollte doch wenigstens lokalisierbar sein. Oder?
Lübeck jedoch hat gleich jeweils zwei davon, denn zwei Orte tragen diesen geschichtsträchtigen Namen: ein Hügel dort, wo die Schwartau in die Trave fließt. Und ein etwas größerer und höherer an jener Stelle, wo die Wakenitz dasselbe macht: in die Trave münden. Und die Daten? Wenigstens wissen wir das – nun, sagen wir etwas vereinfachend – das Sterbedatum des ersten, des alten Lübeck: 1138 nach Christi Geburt. Und wenn wir Helmhold von Bosau trauen dürfen, lautet das Geburtsjahr des zweiten, des neuen, des heutigen Lübeck 1143. Davon ist also zu berichten. Doch genau genommen ist das noch nicht alles. Denn eigentlich wurde Lübeck gleich viermal gegründet, und das an drei verschiedenen Plätzen. Das müssen wir noch erklären. Später!
Angefangen hat alles mit verwegenen Typen, Nobodys nach damaliger Rangordnung. Wagemutige Händler waren schon seit längerem über die Grenze des fränkischen Königreiches hinaus auf abenteuerliche Reisen gegangen. Auch wenn man im Reich weithin von dem lebte, was Ackerboden, Wald und eigene Geschicklichkeit erzeugten, es gab genug Herren im Land, die sich gerne mit exotischen Dingen schmückten. Und die galt es für die Kaufleute weiter im Norden zu erwerben. Schwert oder Spieß in der Hand und den Beutel mit den Silbermünzen am Gürtel, so zogen sie in verschworener Gemeinschaft über Land, Konkurrenten zwar, aber doch auf einander angewiesen in der Fremde. Das mit dem Schwören ist also durchaus wörtlich zu nehmen.
Ziel war die Ostsee, denn dort hausten nicht nur slawische Bauern und Fischer, sondern hier und da an der Küste hatten sich ebenso wagemutige Nordmänner niedergelassen, die mit ihren schlanken Schiffen allerlei Waren aus fernen Ländern herbeischafften – aus den Weiten Russlands, das damals noch nicht so hieß, aus dem reichen Konstantinopel, das heute Istanbul heißt, und sogar dem geheimnisvollen China. Rerik, irgendwo nahe der Insel Poel gelegen, war solch ein Hafen der Wikinger, ehe sie mit Hab und Gut nach Haithabu an der Schlei auswichen. Und vor allem auf Gotland lebten und handelten die Nordmänner. Da lohnte es sich, selber ein Schiff zu besteigen.
So war es ein Segen für die deutschen Kaufleute, dass ein mächtiger Slawenfürst, der eine Burg an der Trave bewohnte, dort, wo die Schwartau in den Fluß mündete, sich dem Christenglauben zugewandt hatte, vorsichtig genug angesichts seiner heidnischen Untertanen. Sogar eine steinerne Kirche stand nun im Ringwall seiner Burg, und nicht nur Priester, sondern auch deutsche Händler ließ er ins Land. Sie bauten ihre Hütten aus Holz, Lehm und Reetdächern am anderen Ufer, gegenüber der slawischen Siedlung, und beide pro-fitierten voneinander. Aber der ständige Streit zwischen den Sachsen und ihren slawischen Nachbarn, die Überfälle durch andere wendische Fürsten brachten ebenso Gefahren mit sich wie Stürme und Seeräuber auf der Ostsee. Und das Jahr 1138 wurde dann zur Katastrophe: Ranen überfielen diese Siedlung, die sich Liubice nannte, plünderten sie und brannten sie nieder. Burg und Kirche blieben als Trümmerhaufen zurück.
Die Deutschen dort waren also wieder einmal auf der Flucht, die Mutigsten ließen sich weiter flussaufwärts nieder, da, wo statt der sumpfigen Uferzonen ein lehmiger Hügel ans Wasser stieß und der feste Strand es erlaubte, die Boote an Land zu ziehen. Zu den slawischen Fischern, die in der Nachbarschaft lebten, hielt man eher Abstand. Als Kunden kamen sie eh nicht in Frage, und das mühselige Missionieren sollten lieber fremde Priester übernehmen. Ihr eigener hatte sein hölzernes Kirchlein, dem heiligen Nikolaus geweiht, oben am Rande des Steilhangs gezimmert. Holz bot der Hügel genug, nicht umsonst hatten die Slawen ihn Bucu – also Buchenwald - genannt. Und der Priester las die Messe ebenfalls lieber seinen deutschen Schäflein als den unverständigen Heiden mit ihren Götzen.
Aber auch hier war wenig Frieden, so wie ihn doch ein Kaufmann braucht, um seinen Handel zu treiben. Zwar hatte schon der große Kaiser Karl einen weiten, unbewohnten Landstrich entlang der oberen Trave zur Grenze erklärt, und sowohl die Sächsischen als die Slawischen hatten jeweils Ringwälle aufgeworfen zum Schutz gegen die Nachbarn, doch Ruhe gab es selten an diesem Limes Saxoniae, wie ihn die Chronisten gerne nannten. Mal zogen die Deutschen gen Osten, um slawische Dörfer niederzubrennen, mal waren es die Slawen, die plündernd und mordend ins Reich eindrangen. Alle Vereinbarungen hielten nicht lange, und die Versuche, den heidnischen Nachbarn den wahren Glauben - und damit auch den Gehorsam gegen die christlichen Herrscher – beizubringen, scheiterten am Starrsinn der Götzendiener. Und wohl auch an ihrer Freiheitsliebe. Und nicht zuletzt daran, dass sie nicht begreifen wollten, dass diese Herrscher von ihnen Abgaben verlangten. Und ihre Priester ebenfalls. Wer teilt schon gerne!
Da erschien eines Tages ein junger Adliger im Grenzland: Adolf von Schauenburg, seines Zeichens Lehnsmann des ebenso jungen, aber energischen Sachsenherzogs Heinrich, der sich stolz 'der Löwe' nannte. Der hatte dem Schauenburger nicht nur die Grafschaft im Gau der Holsten und der Stormarner bestätigt, sondern ihm auch die slawischen Gebiete jenseits der alten Grenze übertragen, damit er endlich dort Ordnung schaffen sollte. Und Adolf erkannte, es würde nicht reichen, ständig Strafexpeditionen auszurichten, befriedet wäre dieses Land erst, wenn es auch von Siedlern aus dem Reich unter den Pflug genommen würde. Platz für beide, Deutsche und Slawen, gab es genug.
So kam der junge Graf an einem schönen Sommertag Anno Domini 1143 hoch zu Roß von Segeberg herüber, um das Slawenland zu erkunden. Und als er den Hügel Bucu entlang ritt, erkannte sein scharfer Blick, dass er einen strategisch hervorragenden Platz vor sich hatte. Denn der Höhenzug war eine langgestreckte Halbinsel, im Osten von der Wakenitz umflossen, ehe sie sich an seiner Südspitze in die Trave ergoß. Sumpfgebiete an beiden Seiten boten weiteren Schutz, und dort, wo eine schmale Landzunge den Zugang von Norden her ermöglichte, hatten ihn schon slawische Herrscher mit einer Burg gesichert. Allerdings: der ringförmige Erdwall bot kaum noch Schutz, die hölzernen Palisaden darauf waren längst vermodert. Aber der Platz war gut gewählt. Denn hier mußte der alte Handelsweg vorbei, der aus Bardowiek kam, der letzten Stadt auf dem Boden des Reiches südlich der Elbe. Von einer Furt über die Wakenitz führte er den Höhenrücken entlang nordwärts, war also an dieser Landenge leicht zu überwachen. Und auch die kleine Siedlung der deutschen Kaufleute bot einen besseren Hafenplatz als im alten Liubice, das dem Grafen wenig ausbaufähig erschien.
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Ein Trupp Reiter nähert sich von Norden her. Hinter dem jungen Mann an der Spitze trägt ein Knappe das Fähnlein mit dem Wappen des Grafen von Schauenburg, seit kurzem zum Grafen von Holstein ernannt. Eben hebt Graf Adolf die Hand, zügelt sein Pferd und schaut sich um. Der Hügel hat sich zu einem schmalen Grat verengt, zu beiden Seiten schimmert Waser herauf.
„Wo sind wir? fragt er einen seiner Begleiter. „Vor dem Hügel, den die Slawen hier Buku nennen, Herr.
- „Und dort vorne, ist das ein Burgwall? - „Ja, Herr, dort herrschte einst Fürst Kruto, der Feind Gottes. Er strafe seine Seele im ewigen Feuer.
Der junge Graf lächelt: „Aber ein gutes Auge hatte dieser Kruto, mein Lieber. Wenn dieser Weg hier geradewegs über den Hügel hinweg nach Bardowiek führt, kommt niemand ungesehen vorbei. Und wohl auch ungeschoren. Ich will mir diesen Hügel einmal genauer anschauen."
Der Trupp setzt sich in Bewegung, der kaum noch erkennbare Weg führt durch lichten Wald auf die Höhe des Hügels, dann zweigt ein Pfad zur Rechten ab. Der Graf schwenkt ein, reitet den Hang hinunter. Und stutzt: einige Holzhäuser stehen dort, und dahinter liegen Langschiffe, auf einen schmalen Strand gezogen.
Die Reiter haben das Ufer der Trave erreicht. Ein Mann in den Kleidern der Sachsen tritt aus einer Tür, schaut auf den Wimpel und zieht dann ehrerbietig die Kappe: „Seid uns willkommen, Graf Adolf! Der Graf springt vom Pferd: „Wer begrüßt mich hier so freundlich?
will er wissen.
„Wir sind Kaufleute aus dem Reich, antwortet der Sachse, „wir hatten Siedlung und Hafen in Lubice, weiter flußabwärts, bis es überfallen und zerstört wurde. Nun haben wir uns hier niedergelassen. Und es ist ein viel besserer Hafen, wie Ihr seht, auch bietet der Hügel uns Schutz, wird er doch fast ganz von Wasser umflossen und von sumpfigen Ufern gesäumt. Ihr müßtet nur die Burg wieder aufbauen und mit Euren Mannen besetzen. Wenn es erlaubt ist, Euch einen Ratschlag zu geben.
Adolf blickt ihn nachdenklich an: „Du hast recht, Freund. Und der Hügel ist groß, dorthin könnten wir Siedler holen aus dem Reich, Händler, Handwerker. Dann wird hier dein altes Lubice neu entstehen, größer und schöner - als Stadt des Reiches unter meinem Schutz. Und ihr Kaufleute werdet die ersten sein in dieser neuen Stadt!"
War es so? Oder war es so ähnlich? Vielleicht.
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Adolf beschloß also, nicht nur bäuerliche Siedler ins Land zu rufen, sondern auch Stadtgründer zu werden. Einen Namen gab es ja schon: Die Händler hatten ihn gleich mitgenommen: Liubice. Das neue, das deutsche Liubice war geboren, zunächst nur im Kopf des jungen Grafen, aber bald auch auf dem buchenbestandenen Hügel.
Denn nicht nur die Fernkaufleute aus dem Reich ließen sich hier nieder, ebenso strömten Handwerker aus Sachsen und Westfalen, selbst aus dem fernen Flandern und Friesland in die neue Stadt, und die gräflichen Ministerialen steckten Straßenzüge und Grundstücke ab, verteilten Genehmigungen zum Holzeinschlag, ließen einen großzügigen Markt anlegen dort, wo der Hügel die größte Höhe erreichte, teilten dem Bischof aus dem entlegenen Oldenburg Land zu, damit neben dem Markt eine dem heiligen Petrus gewidmete Kirche errichtet werden konnte und bald auch auf dem Markt selbst eine zweite, die den Namen der Gottesmutter tragen sollte.
Die verfallene Burg wurde für den vom Grafen eingesetzten Stadtvogt ebenfalls wieder hergerichtet, die Wälle erhöht, neue Palisaden eingerammt, und ein Tor sperrte den Zugang über die schmale Landzunge. Noch aber war längst nicht der ganze Hügel bebaut, zwischen Burg und Siedlung dehnten sich Wald und Heideflächen, ebenso lag das alte Kirchlein des Heiligen Johannes einsam am Südende auf der Höhe.
2. Zu Besuch in Lubeke
Schauen wir uns im Geiste ein wenig um in dieser neuen Stadt. Nein – dabei nur nicht an das heutige Lübeck denken! Backsteingiebel? Fehlanzeige! Aus gebrannten Ziegeln hat man bislang nur ein paar Treppenstufen, die außen zu einem hölzernen Keller führten, gefunden aus diesen Anfangsjahren. Und letztens auch das Fundament eines Hauses, tief unten am Fußes des Hügels, auf dem die Petrikirche steht. Dennoch: Da stehen keine steinernen Häuser dicht gedrängt, sondern hier ein Gebäude aus Bohlen, dort eines mit hölzernen Ständern und Wänden aus lehmbeworfenem Weidengeflecht. Geflochten auch die Zäune, die die weitläufigen Grundstücke voneinander trennten, damit die Schweine und Ziegen nicht zum Nachbarn entliefen.
Die Straßen, die vom Hügel herab schnurgerade zum Hafen führten, waren meist schlammig und unangenehm riechend, weil allerlei Unrat dorthin entsorgt wurde, denn nicht jeder Neusiedler hatte sich eine Kloake auf dem Hof gegraben, mit Balken oder Feldsteinen versteift und sorgsam abgedeckt, damit niemand in der Dunkelheit hineinstürzen konnte. Ställe und Werkstätten auf den Gehöften ergänzten das Bild – und an manchen Stellen turmartige hölzerne Gebäude, die keine Wohnung enthielten, sondern gut gesicherte Speicher waren für die wertvollen Handelswaren, die nun aus aller Herren Ländern hierher gelangten.
Jenseits der hölzernen Palisade, die die neue Stadt schon bald umschließt, zur Trave hin, liegen auf das Ufer gezogen vor den Hütten der Schiffsleute: Langschiffe nach Wikingerart, aber breitbauchiger für den Transport der Güter, daneben sind Riemen und Masten sorgsam gelagert. Träger eilen hin und her, schleppen Stoffballen, vor allem aber unzählige Tonnen, jene Allzweck-Container des Mittelalters. Hier und dort auch ein Haus, in dem für die Hungrigen und Durstigen Bier oder Brei in hölzernen Gefäßen angeboten wird – und gelegentlich auch andere Dienste, begehrt nach Tagen der Enthaltsamkeit auf der See. Davor hocken Schifferknechte beim Spiel und verwürfeln ihren bescheidenen Lohn, statt ihn zu vertrinken.
Aber auch Kaufleute gehen gemessenen Schrittes zum Tor in der Palisade, vielleicht in eifrigem Gespräch mit einem Schiffsführer oder einem anderen Händler.
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Hinrich, seines Zeichens lübischer Kaufmann, trat aus seinem breiten Hallenhaus, oben gleich unterhalb der hölzernen Kirche, die der Heiligen Jungfrau geweiht war. Es hatte wieder einmal tagelang geregnet, und der Weg hinab zum Hafen war schlammig. Da nützten auch die hölzernen Trippen mit ihren Stelzen nicht viel, die er unter seine Lederschuhe gebunden hatte.
Doch als er seinen Nachbarn Johann von Soest traf, der ebenfalls zu den Schiffen hinab wollte, hatte er andere Sorgen: „Dieser Morast hier ist höchst unerfreulich, sagte er, kaum dass die beiden einen Gruß gewechselt hatten. „Es ist schon bei trockenem Wetter mühevoll genug, wenn unsere Männer die Waren mit dem vollbeladenen Karren den Weg hinaufziehen müssen. Aber heute scheint es ganz unmöglich zu sein.
„Ja, Hinrich, das mag wohl sein. Doch muß es so bleiben? Der Kaufmann blickte den anderen fragend an. „In meiner Heimat Soest gibt es viele Moore rings herum, und dennoch kann man sie überqueren. Die Leute dort haben mit Stämmen und Knüppeln einen festen Damm errichtet und etwas Erde darauf geschüttet. Da kannst du trockenen Fußes den Morast überqueren. Sollte das nicht auch auf unseren Straßen möglich sein?
Hinrich schlug dem Freund kräftig auf die Schulter. „Du hast recht. Doch das geht nur, wenn alle hier in der Straße mitmachen. Ich werde deinen Vorschlag gleich in der nächsten Versammlung der Verschworenen vortragen. Sie haben das Recht, solche Arbeiten anzuordnen, wenn sie dem Wohl der ganzen Gemeinde dienen." Und so geschah es auch.
War es so? Oder war es so ähnlich? Vielleicht.
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Sie haben dafür gesorgt, dass statt des schlammigen Weges ein fester Knüppeldamm hergerichtet wurde, um darauf bis zum Markt zu gelangen mit den zweirädrigen Karren. Angeboten wurden dort oben all die Dinge des täglichen Bedarfs, weil die Stadt inzwischen Marktrecht hatte, die kostbaren Waren der Fernhändler dagegen lagerten sicher verwahrt in den Kellern, Speichern und auf den Böden.
Noch fuhren die meisten Kaufleute selber hinaus auf den Schiffen, an deren Besitz sie beteiligt waren, die aber auch Waren anderer Händler beförderten. So teilte man das Risiko; denn die Gewinnspannen waren zwar gewaltig, aber die Gefahren, Schiff und Ladung zu verlieren, nicht minder.
Besonders die Tuche mussten in einer besonderen Halle neben dem offenen Markt angeboten werden, zu kostbar waren die Stoffe, und vor allem brachte ihr Handel Steuern ein, die es zu kontrollieren galt. Zugleich aber treffen sich in dieser Halle jene Männer, die vom Stadtvogt ausgewählt waren, all das zu kontrollieren: die Ordnung auf dem Markt, den Einzug der Abgaben, den Zustand der Palisaden und Tore, die Ausstattung der Kirchen. Noch gilt diesseits und jenseits der Stadtgrenzen das gleiche Landrecht des Fürsten, aber bald ringen jene ersten Vertreter der Bürgerschaft ihrem Stadtherrn, zunächst Graf Adolf und dann Herzog Heinrich, mancherlei Befugnisse ab, um selbst über die Stadt zu bestimmen. Und im Jahre 1160 verleiht der Herzog seiner Stadt Lubeke auch ganz offiziell das Stadtrecht, wie es in Soest schon galt und den Bürgern Selbstverwaltung zugestand. Aus den beauftragten Bürgern, Fernhändler zumal, waren jetzt Ratmänner geworden: Männer, die für die Geschicke der Stadt im Inneren wie im Äußeren Verantwortung trugen, auch wenn der Herzog Stadtherr blieb und allerlei Abgaben verlangte. Aber die Mitglieder des Rats wählten sich nun ihre Bürgermeister selbst, und aus der Tuchhalle wurde so etwas wie ein erstes Rathaus, wo sich ein ehrbarer Rat versammelte.
Lubeke – so nannte man übrigens die Stadt an der Trave inzwischen im Reich. Wer will schon gerne einen slawischen Namen tragen, der für die deutsche Zunge zudem nur schwer auszusprechen war!
3. Lübeck und die hohe Politik
Neben all den Luxuswaren gab es seit langem ein Handelsgut, das nicht nur bei den Reichen begehrt war im Reich: Getrockneter oder gesalzener Fisch. Denn er konnte jene Nahrungsmittel aus dem Fleisch von Tieren ersetzen, deren Genuß allen Christenmenschen an den Fastentagen untersagt war – und davon gab es viele, nicht nur die vierzig Tagen vor dem Osterfest, sondern auch zu anderen Zeiten und an jedem Freitag ohnehin, weil er an die Kreuzigung des Herrn erinnerte. Schon lange war auf dem Handelsweg von Bardowiek, der letzten großen Stadt des Frankenreiches, über Liubice und die Ostsee Hering in großen Mengen nach Süden verbracht worden. Aber er wollte zunächst einmal gesalzen werden, und dieses wichtige Produkt mussten die Skandinavier aus dem Reich, genauer: aus Lüneburg einführen. So wanderten tausende Salztonnen hin und her – mit dem weißen Gold nach Norden und den gut gesalzenen Fischen zurück nach Süden. Und bald lief Lübeck dem sächsischen Bardowiek den Rang ab: Denn hier trafen nun Land- und Seeweg zusammen, hier wurde umgeschlagen und entsprechend Gewinn gemacht.
Herzog Heinrich sah es mit wachsendem Unmut, denn die entsprechenden Steuern kassierte jetzt nicht mehr der herzogliche Vogt in Bardowiek, sondern Graf Adolf als Stadtherr von Lübeck. Nun war der Schauenburger zwar Lehnsmann des Herzogs, doch teilen wollte er den Gewinn nicht, im Gegenteil: Im nahen Oldesloe fanden sich Salzquellen, so wurde auch Lüneburg und damit wiederum der Herzog geschädigt. Aber Heinrich hatte ein wirksames Mittel in der Hand, ohne dass er zur Waffe greifen mußte: die Privilegien Lübecks. Er hatte sie ausgestellt in Vertretung des Kaisers, also konnte er sie auch wieder zurücknehmen. So verbot er 1156 der Stadt den Fernhandel, ob auf dem Markt oder am Hafen. Der Graf verlor viel Geld, die Lübecker aber noch mehr: nämlich die Grundlage ihrer Existenz. Als dann im Jahr darauf eine gewaltige Feuersbrunst die gesamte Stadt niederbrannte, schien ihr Ende nach nur wenigen Jahren besiegelt.
Die Häuser hätte man wieder aufbauen können, aber was ist ein Kaufmann, wenn er nicht handeln darf? Also schickten die Lübischen zum Herzog: Wenn er etwas gegen den Grafen habe, dann würden sie ja bitte schön auch da ihre Stadt anlegen, wo er das Sagen habe. Heinrich wies ihnen einen Platz an der Wakenitz zu, dort, wo ihre Schiffe allerdings nicht mehr hin segeln konnten angesichts der Wasserstände, und wir dürfen vermuten, genau das war auch gewollt.
Denn weder Herzog noch Graf hätten dabei letztlich etwas gewonnen. Verhandlungen folgten, die beiden feilschten, aber endlich trat Graf Adolf seine Rechte an Lübeck, jetzt nur noch ein wertloser Trümmerhaufen, an seinen Herzog ab,