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Von Gott erzählen: Narrative Predigten - Erzählungen zur Bibel
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eBook306 Seiten4 Stunden

Von Gott erzählen: Narrative Predigten - Erzählungen zur Bibel

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Über dieses E-Book

Über Gott haben Menschen seit jeher nachgedacht und auch gestritten. Dennoch lässt sich ernsthaft Nachprüfbares nicht über ihn aussagen. Gott ist kein Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis. Angemessen von Gott reden, das heißt: Bilder gebrauchen, Geschichten erfinden. So wie Jesus es getan hat. Nur im Erfahrenen, Erlebten kommt Gott uns nahe. Und nur im Gleichnishaften lässt sich davon berichten. Man kann nicht "über" Gott reden. Aber man kann Geschichten von ihm erzählen. Alte Geschichten nacherzählen und neue hinzufügen. Und so wenigstens den Saum seines Gewandes entdecken, wie Jesaja einmal erzählt hat. Eckhard Lange, dreißig Jahre lang Gemeindepastor, hat das in vielen Predigten und manchen Erzählungen versucht.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. März 2020
ISBN9783750228283
Von Gott erzählen: Narrative Predigten - Erzählungen zur Bibel

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    Buchvorschau

    Von Gott erzählen - Eckhard Lange

    ZUR BEDEUTUNG DES NARRATIVEN - EINIGE ÜBERLEGUNGEN VORWEG

    Eckhard Lange: Von Gott erzählen - narrative Predigten + Erzählungen zur Bibel

    Erster Teil: Narrative Predigten

    Erzählen und Erfahrung

    Die älteste und elementarste Form, eigene Lebenserfahrungen an andere weiterzugeben, besteht darin, von ihnen zu erzählen.

    Fähigkeiten und Fertigkeiten lerne ich, indem ich anderen zuschaue, sie dabei nachahme. Wie Beute gejagt und gefangen, Nahrung gesucht und zubereitet, Werkzeug genutzt und gefertigt wird - das konnte der Mensch bei seinen älteren und erfahreneren Zeitgenossen miterleben, er konnte mitmachen und nachmachen. Und später konnte er das Erlebte vielleicht auch verbessern und selber den Jüngeren vormachen. Darin unterscheidet er sich nicht eigentlich vom Tier.

    Doch daneben gibt es andere, einmalige und unwiederholbare Lebenserfahrungen: Was ich erlebt, was ich erlitten oder errungen habe, was mich reifer und weiser werden ließ - diese Einsichten lassen sich nicht einfach wiederholen und anderen vorführen. Ich muß sie auf andere Art vermitteln. Das gleiche gilt für alle sinnstiftenden Erlebnisse in der Geschichte der Menschheit, für die Begegnungen mit dem Absoluten, Transzendenten - also für religiöse Erfahrungen, in welcher Form auch immer sie gewonnen wurden.

    Das alles ist nur durch Sprache möglich. Erst sie macht das Vergangene, das Einmalige wieder lebendig und vergegenwärtigt es, denn der Mensch kann davon erzählen: Er kann dem anderen ein lebendiges, begreifbares Bild davon vor das innere Auge zeichnen. So werde ich - trotz meiner Distanz zu dem Geschehenen - hineingenommen: Ich kann miterleben, was doch eigentlich Vergangenheit ist. Indem ich höre, was mir erzählt wird, fühle ich mit, fürchte oder freue mich mit, entdecke Unbekanntes - so, als wäre ich es selbst, der hier handelt oder leidet; so, als wäre das früher Geschehene, das Einmalige und Unwiederholbare gegenwärtige, zeitlose Wirklichkeit. Wer solche Erfahrungen weitergeben, überliefern will, muß davon erzählen.

    Erzählen bedeutet, Erfahrungen zu tradieren

    Stärker als alle abstrakt gewonnene Einsicht prägt es den Menschen, wenn er hineingenommen wird in diese eigentlich fremden Erfahrungen, wenn er sie noch einmal selbst in seiner Fantasie nachvollzieht und sich damit aneignet. Verändern kann mich nur, was mich wirklich ergreift, berührt, was ich selber erlebe. Erzählen erst, Erzählen allein macht das Erlebnis eines anderen ganz zu meinem eigenen.

    Ja, mehr: Indem ich so hineinschlüpfe in diese fremden Erfahrungen, indem ich sie so nachvollziehe, als wären es meine eigenen, mache ich zugleich neue, nur mich betreffende Erfahrungen: Ich entdecke an mir und in mir Dinge, Einsichten, Erkenntnisse, die dem Erzählenden selbst verschlossen geblieben sind. Erzählen nimmt also nicht nur hinein in die Vergangenheit und vergegenwärtigt sie, es verändert auch den, der zuhört, und eröffnet ihm so eine neue Zukunft.

    Darum ist Erzählen nicht einfach Wiedergabe tatsächlicher Ereignisse: Wer sie erzählt, verdichtet sie zugleich. In jedem Akt des Weitererzählens sammelt sich neue Erfahrung an, er verändert die Geschichte, indem er sie bereichert und vertieft. Und: Jeder weitere Erzähler fordert seine Zuhörer heraus, ebenfalls eigene Erfahrungen mit dieser Geschichte zu machen.

    Erzählen bedeutet, Erfahrungen zu provozieren

    Jede Erzählung ist also nicht bloß Berichterstattung von früheren Geschehnissen, sie ist zugleich auch deren Verarbeitung:

    Erzählen bedeutet, Erfahrungen zu reflektieren

    So entstanden die Sagen und Sagenkreise früher Gesellschaften. Sie sind durch Generationen hindurch angereicherte Erfahrungen, sie sind Dichtungen - durch Reflexion verdichtetes Erleben: Was ganze Gruppen - Familienverbände, Sippen, Volksstämme - an geschichtlichen Einsichten gewonnen haben, wird nicht einfach weitererzählt; es wird verdichtet auf beispielhafte Schicksale. Erst und gerade im scheinbar Einfachen, in der Personifizierung von gesellschaftlich gewonnener Erfahrung, wird diese nachvollziehbar und damit zum Lernstück für kommende Generationen.

    Aber diese Form geschichtlicher Überlieferung beschränkt sich nicht auf frühe, vorwissenschaftliche Gesellschaften, sie ist eine grundsätzliche Möglichkeit der Kommunikation. Eine eigene Erfahrung mag dies verdeutlichen:

    Zurückgekehrt von einem Besuch unterschiedlicher amerikanischer Kirchengemeinden, begann ich, das Erlebte zu erzählen - einzelne, letztlich zufällige Begebenheiten aus dem Gemeindealltag wurden als Beispiele berichtet. Bald aber setzte eine Reflexionsphase ein. Um grundsätzliche Auskünfte gebeten, die als Modell für die eigene Praxis dienen konnten, wurden die unterschiedlichen Beobachtungen zusammen-gefaßt zu abstrakten Erkenntnissen, zu theoretischen Überlegungen.

    Dabei wäre es wohl geblieben, hätte nicht ein Verlag mich aufgefordert, für einen Berichtsband einen kurzen Beitrag zu schreiben, der möglichst anschaulich meine Erkenntnisse über die lutherische Gemeinde in den USA wiedergibt. So entstand eine Geschichte, ein in Ich-Form geschildertes Wochenende in St. Anna: eine Geschichte, die ich nie erlebt hatte, verdichtet aus vielen Einzelzügen unterschiedlicher Gemeinden - eine erfundene Handlung mit erfundenen Personen, in denen sich an verschiedenen Stellen Erlebtes widerspiegelte und konzentrierte. Und doch glaube ich: Diese erdachte Geschichte ist wahrer als all die vielen, die ich zunächst erzählt hatte.

    Erzählen bedeutet, Erfahrungen zu komprimieren

    Ganz ähnliches gilt vom Mythos: Was Menschen jeweils neu und doch oft vergleichbar erlebt haben in der Begegnung mit den Ur- gründen des Seins, mit dem Jenseitigen, was sie aber eben auch bedacht und gedeutet und verarbeitet haben, das wird in der Bildersprache einer Erzählung zur Grundlage dessen, worauf man vertrauen, wodurch man Leben deuten und begründen kann. Mythen sind erzählte Transzendenz - oder umgekehrt: Erst die Erzählung macht das religiöse Erlebnis tradierbar, eröffnet dem Einzelnen die Möglichkeit, seine eigenen, begrenzten Lebenserfahrungen zu hinterfragen und zu überschreiten:

    Erzählen bedeutet, Erfahrungen zu transzendieren

    Erzählen als Predigt

    Ich erzähle eine Geschichte nicht deshalb, weil sie in der Bibel steht, obwohl es seinen Grund hat, daß die Bibel voll von Geschichten ist. Ich erzähle sie auch nicht, weil ich damit etwas von Gott erklären möchte. Ich erzähle sie,

     weil Gott mir begegnet ist in dieser Geschichte,

     weil ich darum anderen Menschen ebenso von Gott erzählen möchte, damit er auch ihnen begegnet in meiner Geschichte.

    Darum erzähle ich in meiner Geschichte von mir und von dem anderen, der mir zuhört, und er wird in meiner Geschichte ebenso drin sein wie ich selbst. Und darum wird am Ende diese Geschichte seine Geschichte sein, seine ganz eigene Geschichte - so, wie meine Geschichte einmal die eines anderen gewesen ist: die von Jesus und danach die von Markus und dann die von Lukas oder Matthäus. Immer aber ist es eine Geschichte, in der Gott den Menschen begegnen will.

    Ich predige ja nicht über eine Geschichte, sondern ich predige, indem ich eine Geschichte erzähle. Es läßt sich auch umgekehrt sagen: Wenn ich erzähle, dann illustriere ich damit nicht meine Predigt, sondern dann predige ich.

    Erzählen ist also eine Form von Verkündigung, nicht die einzige, aber sie steht zumindest gleichberechtigt neben den anderen. Und es ist, wie wir sahen, eine sehr elementare Form, weil sie Erfahrungen - auch und gerade Erfahrungen mit Gott - weitervermittelt.

    Eine narrative Predigt hat in meinen Augen darum ganz wesentliche Vorteile:

    • Sie gibt ganz unmittelbar solche Erfahrungen weiter und ermöglichst es dem Zuhörenden, ebenso unmittelbar eigene Erfahrungen zu machen. Erzählung zieht ihn gleichsam hinein in das Leben und in die Deutung des Lebens. Darum ist Erzählung auch eine sachgemäße Form, Glauben zu wecken: weil Glaube auf Erfahrungen beruht und neue Erfahrungen ermöglichen will.

    • Die narrative Predigt bietet so dem Zuhörer Möglichkeiten der Identifikation. Sie ist eindringlicher als jede Argumentation, aber sie läßt ihm die Freiheit, ob er sich diese fremden Erfahrungen zueigen machen will oder nicht. Sie will seine Zustimmung nicht erzwingen wie eine logische Beweiskette. Wo dagegen erzählt wird, ist der Hörer eingeladen, sich seinen eigenen Ort in der Geschichte zu suchen. Geschichten erlauben Distanz, aber sie überwinden zugleich Distanz.

    • Narrative Predigten können durchaus auch verschiedene Möglichkeiten der Identifikation anbieten, statt in eine dogmatische Engführung zu verfallen: Menschen können im gleichen Geschehen durchaus unterschiedliche Erfahrungen machen. Ihnen bleibt die Freiheit, sich das an Erfahrung anzueignen, was ihrem eigenen Lebensschicksal nahekommt, was auf ihre eigenen Fragen eine Antwort bietet.

    • Narrative Predigten müssen also keinen Skopus haben, auch wenn sie eine Sache auf den Punkt bringen wollen: Es ist ja allzuoft eine intellektuelle Überheblichkeit, von einem normalen (nicht akademisch trainierten) Zuhörer die Konzentration zu verlangen, einem Gedankengang über vielleicht zwanzig Minuten hinweg auf ein einziges Ziel hin zu folgen. Eine Erzählpredigt dagegen bietet viel eher eine Mehrzahl von Einsichten und erlaubt es so dem Gemeindeglied, assoziativ zu hören, das auszuwählen und mitzunehmen, was ihm jeweils bedeutsam ist.

    Zu den folgenden Predigten

    • Alle diese Beispiele sind nicht nach langer Reflexion und mit Blick auf eine spätere Veröffentlichung entstanden, sondern unter den Alltagsbedingungen des Pfarramtes für den Gottesdienst am kommenden Sonntag geschrieben - also unter dem üblichen Zeitdruck, aber auch unter dem Einfluß bestimmter Geschehnisse in der eigenen Gemeinde. Benutzt wurden dabei die gerade zugänglichen exegetischen Hilfsmittel, vor allem die schnell lesbaren Predigthilfen. Das alles kann im Nachhinein meist nicht mehr dokumentiert werden.

    Ich kann hier nur all denen danken, die jeweils exegetische Kenntnisse geliefert und homiletische Hilfestellung gegeben - und manches Mal auch Anregungen zur narrativen Gestaltung der Predigt geboten haben. Und ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich die Urheber vieler übernommener Ideen nicht mehr benennen kann.

    • Einige Leserinnen und Leser werden bei diesen Predigten auch kritische Einwände haben. Manches ist sicherlich exegetisch angreifbar, anderes mag theologisch nicht genügen - ganz abgesehen von der jeweils eigenen theologischen Existenz des Predigers. Aber darum sind diese Beispiele ja auch nicht veröffentlicht. Sie sollen nur zeigen, wie aus einer Perikope eine narrative Predigt erwachsen kann.

    • Die folgende Gliederung in unterschiedliche Formen des Narrativen ist ebenfalls erst der nachträgliche Versuch einer Systematisierung. Ich will damit keine literarischen Gattungen einführen, sondern auf - wie ich meine - recht unterschiedliche Möglichkeiten hinweisen, erzählend zu predigen. Die Beispiele belegen selbst, daß sich diese Formen nicht schematisch eingrenzen lassen. Sie gehen immer wieder ineinander über und ergänzen sich. Ich kann zum Beispiel eine Wirkungsgeschichte einfach entfaltend, aber auch perspektivisch oder diskursiv erzählen.

    • Unterschiedlich ist auch, wie ich mit solchen Erzählpredigten auf die Gemeinde zugehe. Teils habe ich ganz ohne jede Hinführung einfach erzählt - vor allem in der eigenen Gemeinde, die an diese Form gewöhnt war und sie oft regelrecht erwartete. Teils habe ich eine Erklärung vorweggeschickt, warum ich jetzt erzählend predigen möchte, und/oder eine Schlußbemerkung angefügt, die aus der Erzählung wieder herausführte. Das lag auch an der jeweiligen Perikope, oder daran, ob eine Lesung des Textes vorausgegangen war oder nicht.

    • Zu jedem Predigtbeispiel möchte ich im Nachtrag - und auch wirklich erst nachträglich - Rechenschaft geben über die gewählte Form, über den Zielgedanken und dessen inhaltliche Gestaltung. Ich möchte die Leserin und den Leser dieses Buches teilhaben lassen am Werkstattgeschehen, soweit dies noch möglich ist, und damit Mut machen zu eigenen Versuchen mit dieser besonderen Form des Predigens.

    1. DIE ENTFALTENDE ERZÄHLUNG

    Zur Form:

    Sozusagen die klassische Form des Erzählens ist, daß die Handlung von einem allwissenden Erzähler berichtet wird. Jenseits von Raum und Zeit des Geschehens beobachten wir, was sich abspielt, welche Gefühle die Akteure bewegen, welchen Gedanken sie nachhängen. Wir können zurückspringen in die Vergangenheit, Zukunft vorwegnehmen, Orte wechseln, Blickpunkte verändern.

    Für die Predigt bedeutet das: Die biblische Geschichte mit ihrem Inhalt, mit Anfang und Ende bleibt vorgegeben.

    Wir entfalten sie, gliedern sie in Szenen, beschreiben Orte und Personen. Dieses Ausmalen des vorhandenen Bildes ist nicht Selbstzweck, sondern soll die Hörenden hineinnehmen in das, was damals geschehen ist oder was doch von damals erzählt wird: Es soll Imagination wecken und damit Identifikation ermöglichen.

    Wir vertiefen sie, indem wir die Empfindungen - Hoffnungen und Wünsche, Ängste und Nüte - aussprechen, die die Personen unserer Geschichte bewegt haben mögen. Wir nehmen an den Gedanken teil, die hinter dem ausgesprochenen Wort stehen, und machen so Konflikte, Ansichten, theologische und existentielle Fragen deutlich.

    Wir deuten sie aber auch, indem wir unsere exegetischen und systematischen Überlegungen (die ja keinesfalls überflüssig geworden sind mit der Entscheidung, narrativ an einen Text heranzugehen) zurückprojizieren auf die Ebene des Geschehens: Die Erzählung selbst ist zugleich Deutung des Erzählstoffes. Wir legen also - simpel ausgedrückt - unsere Fragen und unsere Antworten den Personen der Geschichte in den Mund.

    Das alles vollzieht sich in der Geschichte, und es muß damit im historischen Umfeld dieser Geschichte bleiben. Ohne daß ich jedes einzelne Detail forschungsgeschichtlich absichern muß (unsere Predigtgemeinde erwartet schließlich keinen Fachvortrag über archäologische oder historische Befunde) - genauere Kenntnis dieses geschichtlichen Umfeldes sind notwendige Voraussetzung für das Erzählen.

    Der garstige Graben zwischen damals und heute muß und kann innerhalb der Geschichte überbrückt werden; denn das ist ja gerade der Sinn des Narrativen: den unmittelbaren Zugang zurückzugewinnen, die Erfahrung anderer zu meiner eigenen zu machen.

    Beispiel 1: Matthäus 13, 44 - 46

    Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

    Wie an jedem Abend haben sich die Männer auf dem Dorfplatz zusammengefunden, während die Sonne langsam hinter den Bergen Galiläas versinkt. Sie hocken in einer großen Runde auf dem Boden, sprechen über dieses und jenes - all die kleinen Ereignisse des Tages - schweigen dann wieder und beobachten, wie die Schatten der Feigenbäume länger werden.

    Eben hatte Jizchak, der alte Schuster, davon erzählt, daß unten am See in Kapernaum ein Kaufmann mit einer besonders wertvollen Perle vom Basar in Bagdad zurückgekehrt war. So sprechen sie eine Weile vom unverhofften Reichtum, von geheimnisvollen Schätzen, bis Josafat, ein Kleinbauer, sie unterbricht: Ihr könnt alle nur träumen, sagt er abschätzig. Aber - nicht wahr, unser Leben sieht anders aus: Den ganzen Tag habe ich auf dem Feld gearbeitet, mir Schwielen geholt unter der heißen Sonne. Stein für Stein habe ich wieder zur Seite geräumt, damit der Pflug überhaupt durch den harten Boden gehen kann. Das sind die Schätze, die wir finden! Und die finden wir Tag für Tag - mehr, als uns lieb ist.

    Du hast recht, Freund! Aus dem Schatten des Feigenbaumes ist ein Mann hervorgetreten. Sie kennen ihn nicht. Er sieht aus wie einer jener Rabbis, die mit ihren Schülern gelegentlich durchs Land ziehen und predigen. Er saß dort mit seinen Freunden und hatte ihnen zugehört. Nun ist er aufgestanden und setzt sich zu ihnen. Du hast recht, Freund, wiederholt er. Der Acker ist oft steinig und hart. Er ist ein gutes Bild für unser Leben: Viele mühen sich ab, aber sie werden nur enttäuscht.

    Richtig, sagt ein Bauer in einem braunen Wollrock. Die ganze Welt kommt mir manchmal vor wie solch ein Acker. Jeden Morgen beginnst du dein Tagwerk, du tust deine Pflicht nach den guten Geboten des Ewigen - gelobt sei sein Name! - aber was bringt es dir ein? Irgendwann kommt der Abend, und du bist müde geworden, alt und verbraucht und einsam. Und dann fragst du dich: Wozu nur all diese Plage? Was habe ich schon erreicht im Leben? Wofür überhaupt leben, wenn es doch nur auf das Ende, das Abschiednehmen zugeht... Seine Stimme war leise geworden. Nun verstummt sie ganz. Auch die anderen schweigen. Der Rabbi hat sie nachdenklich gemacht.

    Die ganze Welt ist wie solch ein Acker, nimmt schließlich der alte Jizchak den Faden wieder auf. Du säst und pflanzt, aber was geht schon auf und bringt Frucht? Der Acker ist ungerecht - wie diese Welt. Der fremde Wanderprediger blickt den Sprecher an und nickt ihm zu, daß er weiterrede. Da fährt er fort: Seht ihr, als ich jung war, da habe ich mich aufgelehnt gegen die Ungerechtigkeit: Ich war in den Bergen beim Widerstand gegen die Römer. Aber das ist lange her. Und was hat es gebracht? Die Mächtigen sind an der Macht geblieben - wie immer. Wir aber hatten von Gottes Reich geträumt, von Gerechtigkeit auf Erden. Wir wollten den Acker umpflügen und der Erde ein neues Antlitz geben. Er ist voller Steine geblieben.

    Aber du hattest ein Ziel, eine Hoffnung, sagt ein junger Mann. Ja, antwortet der Alte, aber sie ist längst vergessen. Was läßt sich schon ändern! Wenn man so oft enttäuscht wird, dann verliert man die Hoffnung - und den Glauben. Und es bleiben nur die Steine auf dem Acker deines Lebens. Es bleibt der Alltag mit seiner Mühe, es bleibt der Schmerz und das Leid... Ja, so ist es mit dem Acker des Lebens. - Und wieder liegt Schweigen über der Runde. Da ergreift auf einmal der Rabbi das Wort. Ich will euch eine Geschichte erzählen, beginnt er, "eine Geschichte vom Acker, der ein Bild des Lebens ist:

    Da lebt in einem Nachbardorf ein Mann. Er ist Tagelöhner, und ihr wißt, was das bedeutet. Er besitzt noch nicht einmal den Boden, den er bearbeitet - so wie du es doch von dir sagen kannst, Josafat. Was hat er schon für eine Chance im Leben! Eines Tages nun kommt ein Fremder ins Dorf und sucht nach einem Arbeiter. Er sieht den Tagelöhner auf dem Platz am Brunnen sitzen und gibt ihm einen Auftrag: „Ich habe da ein Stück Land geerbt, draußen bei den beiden Eichen. Das möchte ich gerne wieder herrichten lassen als Ackerland. Vielleicht läßt es sich dann besser verkaufen."

    Der Tagelöhner nickt. Er kennt das Stück: Nichts als Disteln und Dorngestrüpp wächst dort. Aber er macht sich an die Arbeit, reißt die Dornen heraus und verbrennt sie, und dann beginnt er den Boden umzupflügen. Bei der sechsten oder siebenten Furche stößt sein Pflug gegen etwas Hartes, knirscht über Widerstand hinweg. „Wieder einer von diesen verdammten Steinen," denkt er bloß. Aber als er wendet und an die Stelle zurückkommt, da spiegelt etwas das Licht der Sonne zurück: Ein glasierter Tonscherben liegt vor ihm. Neugierig schaut er näher hin, und da sieht er es: Ein großer Krug steckt dort im Boden; und da, wo die Pflugschar den Hals zerbrochen hat, leuchtet es metallen aus der dunklen Höhlung: Silberstücke! Hundert, hundertzwanzig vielleicht und noch mehr.

    Blitzschnell durchfährt es ihn: Wem dieser Acker gehört, der ist ein reicher Mann, der besitzt einen Schatz, ein Vermögen! Mitten zwischen den Steinen des Ackers liegt er. „Wie oft mag hier schon jemand gepflügt haben, denkt er, „ohne etwas davon zu ahnen - so wie ich. Aber nun ist er sichtbar. Ich habe ihn entdeckt. Er schaut sich um, er bückt sich. Rasch scharren seine Hände den Boden über die Öffnung: „Ein Schatz im Acker, und niemand weiß es."

    Der Rabbi macht eine Pause. Seine Jünger blicken sich an: Ja, das ist wieder einmal eine seiner Geschichten, die er da so plötzlich herbeizaubert. Ob die Leute merken, was er damit sagen will?

    Der alte Jizchak schaut nachdenklich auf den Lehmboden zu seinen Füßen: Du willst also behaupten, Meister, daß es wirklich Schätze gibt im Acker unseres Lebens - und daß wir sie nur nicht entdecken? Der Rabbi lächelt, aber er antwortet nicht. Mitten zwischen den Steinen, die uns Tag für Tag das Leben schwermachen; mitten auf dem Acker, den wir Tag für Tag bestellen und der uns nichts Neues, nichts Besonderes mehr schenken kann; mitten in unserm Alltag mit seiner Mühe, seinen Enttäuschungen, seinem Leid - sollen wir... das Unerwartete finden? Jizchak schüttelt zweifelnd den Kopf.

    Der Bauer im braunen Rock ist aufgestanden und geht auf und ab, als wollte er seinen Gedanken nachlaufen: Das große Geheimnis Gottes - es ist in unserem eigenen Leben verborgen? Seine Liebe - wir können sie in unserem Alltag, ja sogar in unserem Leiden, unseren ungelösten Fragen entdecken? ER ist uns... so nahe, daß er uns auch in Schmerz und Tod nahe ist - willst du das sagen?

    Auch der junge Mann springt nun auf: Also gibt es eine Hoffnung auf eine gerechtere Welt - gibt es ein Ziel für unser Leben? Noch immer schweigt der Rabbi. Ich beginne zu begreifen, sagt nun Josafat leise. Gott ist da, aber wir sehen ihn nicht. Wir zögern, wir wagen es nicht, den Schatz zu heben. Wieviel Vertrauen könnten wir haben, wieviel Liebe - wenn wir wirklich ernst damit machen würden! Dann wären unsere Träume doch keine Träume - wir könnten wieder hoffen auf... das Leben. Nicht nur im Sterben, aber auch da. Gottes Gabe, dieser Schatz, ist größer als alles, was wir selber zusammenbringen an Leistung. Und doch gehört er uns! Und wir könnten selber leben... Leben bringen, andern... vielleicht... Er gerät ins Stocken. Er schaut den Fremden an, der diese merkwürdige Geschichte erzählt hat, fragend und doch zugleich immer sicherer. Der läßt ihm Zeit, ihm und den anderen. Dann streckt er die Hand aus.

    Seht, meine Geschichte ist noch nicht zuende. Laßt mich erzählen: Der Tagelöhner läuft zurück ins Dorf, in seine armselige Hütte. Er zerrt die Ziege aus dem Stall, steckt die Hühner in einen Korb und läuft auf den Markt. „Was gebt ihr dafür, ruft er. „Ich will es verkaufen! Verstört eilt seine Frau ihm nach: „Was tust du, ruft sie. Aber er läßt sich nicht beirren. „Rasch, hol auch die Schlafmatten, die Töpfe! Verkaufe alles! Sie zögert. Doch sie sieht, wie seine Augen leuchten vor Freude. Da gehorcht sie. Dann ist alles verkauft. Er eilt ins Gasthaus, trifft auf den Fremden, der ihm den Auftrag gegeben hat: „Du wolltest den Acker doch verkaufen, fragt er. „Ich könnte ihn gebrauchen. Hier - soviel könnte ich dir geben. Erstaunt blickt der Fremde auf das Geld. Ein guter Preis, denkt er. Er hält die Hand hin, und der andere schlägt ein. Nun ist der Acker sein Eigentum. Der Acker - und der Schatz darin.

    Der alte Jizchak lächelt verschmitzt: Ganz schön schlau, dieser Mann in deiner Geschichte. Aber es war doch ein Risiko.

    Da fällt ihm Josafat ins Wort: Ja, er war klug. Aber er wußte, was er tat. Dieser Schatz war es wert. - Ein solcher Schatz ist es allemal wert, fügt er leise hinzu. Nicht wahr, Meister, das meinst du doch? Wenn wir Gott entdecken - da, wo wir ihn gar nicht erwarten, mitten in unserem Alltag; wenn wir plötzlich eine Hoffnung spüren, die uns durchdringt - dann wird alles andere unwichtig. Der Tagelöhner konnte von diesem Schatz leben - ja, er konnte abgeben, seine Freude teilen. So ist es doch: Plötzlich ist mein Leben etwas wert. Nein - nicht ich habe ihm diesen Wert gegeben, sondern er ist ein Geschenk. - Das ist stärker als alle Enttäuschungen, als meine Verzweiflung. Plötzlich gibt es eine Hoffnung: Wir können etwas ändern, auch in dieser Welt, denn der Schatz und der Acker... Gott und die Welt gehören zusammen. Gott gehört in unsere Welt.

    Er hält einen Augenblick inne, selbst erstaunt über das, was er sagt. Doch dann fährt er fort: Die Steine im Acker bleiben, und der Boden bleibt oft hart. Das ist wahr. Aber es gibt da nun etwas, was mir Mut machen kann. Das habe ich verstanden: Ich kann mich offenhalten für das Unerwartete, und das ist kein Traum. Ich kann sogar mittun bei dem, was erst noch Hoffnung ist. Willst du das sagen, Meister? Wir haben Gott nicht. Aber wir können ihn immer neu entdecken - denn er ist uns ganz nahe.

    Der Rabbi ist aufgestanden. Ich habe euch nur eine Geschichte erzählt, sagt er. "Aber ihr habt recht: Es ist eine Geschichte von Gott. Nun ist es

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