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Buddhas Tausend Gesichter: Legenden und Lehren Erleuchteter
Buddhas Tausend Gesichter: Legenden und Lehren Erleuchteter
Buddhas Tausend Gesichter: Legenden und Lehren Erleuchteter
eBook318 Seiten5 Stunden

Buddhas Tausend Gesichter: Legenden und Lehren Erleuchteter

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Über dieses E-Book

Buddhas tausend Gesichter schildert das Ringen um Erleuchtung und die Triumphe befreiender Erkenntnis großer buddhistischer Heiliger. Von Buddha und seinen bekanntesten Schülerinnen und Schülern bis zu den Gelehrten und Erleuchteten des Mahayana; von den Yoginis und Lamas der tibetischen Schulen bis zu Mönchen der thailändischen Waldklostertradition und burmesischen Vipassana-Meistern; von Königinnen bis zu Vagabunden ? gibt uns dieses Buch auch Einblicke in die Lehren der verschiedenen buddhistischen Traditionen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Sept. 2013
ISBN9783942085366
Buddhas Tausend Gesichter: Legenden und Lehren Erleuchteter

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    Buchvorschau

    Buddhas Tausend Gesichter - Fred von Allmen

    Dank

    Zur Entstehung dieses Buches war ich auf Hilfe, Unterstützung und Information mannigfacher Art angewiesen, wofür ich mich hier herzlich bedanken möchte.

    Großer Dank gebührt Horst Christoph, der über Jahre hinweg immer wieder bereit war, meine Texte zu lektorieren, der ausgezeichnete Vorschläge machte und hilfreiche Tipps gab, um die Geschichten lebendiger zu gestalten.

    Ursula Richard, meine wunderbare und verlässliche Literaturagentin und Verlegerin, half mir durch ihre umfangreiche Arbeit, den Text flüssiger und lesbarer zu machen, und ermunterte mich, auch die Dharma-Inhalte ausführlicher darzustellen. Auch für ihre Bereitschaft, dieses Buch herauszugeben, wissend, dass es in unserer vermehrt auf »Meditation für den Alltag« und »Buddha als praktischer Lebensratgeber« ausgerichteten Markt nicht mehr selbstverständlich ist, ein Buch dieser Art zu verlegen, möchte ich ihr einmal mehr herzlich danken.

    Meine Wertschätzung geht auch an Stephen Batchelor für das Vorwort. Ihm selbst ist ja sehr wichtig geworden, die Figuren aus Buddhas Zeiten zu geschichtlich und menschlich greifbaren Personen zu machen und sie somit aus dem Bereich der Mythen in die »reale Welt« zu holen. Von daher war es für mich spannend zu sehen, was er zu diesem Buch über Heilige und Erleuchtete schreiben würde.

    Besonderer Dank gebührt meiner Frau Ursula Flückiger für ihre liebenswürdige und unermüdliche Unterstützung aller Art, durch die meine Schreibarbeit überhaupt erst möglich wurde, sowie für ihre vielen nützlichen Hinweise und durchdachten Ideen und Vorschläge, die in dieses Buch eingeflossen sind und es bereichern.

    Große Dankbarkeit fühle ich auch für meine unübertrefflichen Dharma-Lehrer und -Lehrerinnen, die ihre Zuhörerschaft immer wieder mit Lebensgeschichten alter Meister und Meisterinnen zu inspirieren wussten: Geshe Rabten, Geshe Jampa Lodrö, Tsoknyi Rinpoche, S. N. Goenka, Jack Kornfield, Sharon Salzberg, Joseph Goldstein und andere.

    Für seine Vorschläge, die mich zum Titel dieses Buches inspiriert haben, geht mein Dank an Urs Haller, der auch maßgebend an meinen früheren Büchern mitgearbeitet hat.

    Für die Biografien und Geschichten habe ich mich auf zahllose Bücher und Internet-Hinweise gestützt. Ein Großteil davon wird in den Fußnoten aufgeführt. Viele nützliche Quellen von Detailinformationen können aber nicht speziell erwähnt werden. Doch auch diese weiß ich sehr zu schätzen.

    Für das Kapitel über den ehrwürdigen Geshe Rabten und jenes über Sri Anagarika Munindra habe ich mich auf meine eigenen Erfahrungen gestützt, die ich während der langen Perioden, die ich in der Nähe der beiden Meister zubrachte, machen konnte sowie auf die vielen Geschichten und Informationen, die in ihrem jeweiligen Umfeld verbreitet wurden. Zusätzliche Quellen waren für mich Geshe Rabtens Autobiographie The Life and Teachings of Geshe Rabten, übersetzt und herausgegeben von B. Alan Wallace¹, und Mirka Knasters Buch Living this Life Fully, Stories and Teachings of Munindra². Für diese beiden wertvollen Quellen möchte ich meine besondere Wertschätzung bekunden.

    Meinem Lehrer Tsoknyi Rinpoche sowie Jack Kornfield danke ich für ihre empfehlenden Worte.

    Mögen die vorliegenden Legenden und Lehren eine Inspiration sein auf dem Dharma-Weg zur Befreiung.

    Schreibweise und Aussprache von Begriffen und Namen in Pali, Sanskrit und Tibetisch

    Für Pali und Sanskrit wird die international gebräuchliche Schreibweise verwendet.

    Die tibetischen Begriffe sind nach demselben Prinzip phonetisch dargestellt.

    Schreibweise und Aussprache spezifischer Namen:

    Dort wo Begriffe in Pali und Sanskrit erwähnt werden, gilt folgende Regel: (Pali/Sanskrit).

    EINFÜHRUNG:

    Buddhas tausend Gesichter – Legenden und Lehren Erleuchteter

    Die lebendige Essenz der Übertragungslinien,

    immer wieder entdeckt, verwirklicht und weitergegeben,

    ist mehr als das Wissen um die Lehre:

    Es ist das Feuer der Begeisterung

    für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit.

    Geschichten buddhistischer Heiliger – wozu?

    Als ich den Teilnehmenden meiner Meditationskurse erzählte, ich würde gern ein Buch über buddhistische Praxis schreiben, veranschaulicht am Beispiel des Lebens von »Heiligen«, waren die Reaktionen zurückhaltend bis skeptisch. Wozu sollten wir heute noch so etwas Anachronistisches wie alte Legenden und Geschichten brauchen? Was sollten wir daraus lernen können? In meinen Meditationskursen und Retreats fühlen sich viele Menschen gerade deshalb zuhause, weil keine Religion gelehrt wird, weil sie an keine Dogmen glauben müssen – weil nur das gelehrt wird, was sie direkt in ihr Leben umsetzen können: Das Kultivieren einer wachen und sanften Achtsamkeit, mit deren Hilfe sie die Gesetzmäßigkeiten des Daseins und der wahren Natur des Geistes ergründen können, wodurch befreiende Weisheit und tiefe Verbundenheit entstehen. Eine anspruchsvolle, aber auch sehr pragmatische Sache. Und nun diese alten Heiligengeschichten!

    Doch auch in diesen Legenden und Lehren geht es um den Weg zu Glück und innerer Befreiung – eine Praxis, wie sie der Buddha und die Meisterinnen und Meister der letzten Jahrtausende gelehrt und gelebt haben. Es geht in ihnen um das, was heute noch genauso wesentlich ist: die Erkenntnis der Vergänglichkeit aller Dinge des Daseins, das Verstehen des Leidens, das durch Festhalten an Vergänglichem entsteht und durch Verlangen nach immer Mehr, Höher, Besser und Schneller, nach immer mehr Gütern, mehr Spaß, mehr angenehmen Erfahrungen. Es geht um das Erkennen der inneren Dämonen – Ärger, Hass und Angst, Begehren, Neid und Arroganz – und um die Mittel, sich davon zu befreien. Und es geht darum, wie man heilsame, Glück schaffende Herzens- und Geistesqualitäten wie Großzügigkeit, Mitgefühl und Gelassenheit entwickeln und kultivieren kann.

    Wie einige, zugegebenermaßen außergewöhnliche Menschen, diese Erkenntnisse erlangt haben, den Weg der Befreiung gegangen sind und ihn in ihrem Leben umgesetzt haben, davon möchte ich in den folgenden Geschichten erzählen. Dabei sind mir vor allem ihre vorgelebte Praxis und positive Lebensart ganz wichtig.

    Ich möchte mit diesen Erzählungen auch einige lebendige Einblicke in die buddhistische Geschichte geben. Für Menschen von heute, die viel Zeit und Energie investieren, um die Lehren und Praktiken aus fernen Kulturen ins eigene Leben zu integrieren, kann es interessant und aufschlussreich sein, zu verstehen, was die Menschen von damals bewegte, so zu handeln – und so zu praktizieren –, wie sie es taten. Manche Details in diesen Geschichten sind legendenhafte Ausschmückung, doch vielfach werden auch die Lebensumstände der damaligen Zeit erstaunlich wirklichkeitsnah wiedergegeben. Das ermöglicht uns, unterscheiden zu lernen, was uns diese Heiligen für unser eigenes Leben lehren und was wir als Bestandteil fremder Kulturen und ferner Zeiten erkennen und wertschätzen können, uns aber nicht zu eigen machen müssen.

    Und noch einen Grund gab es für mich, das Thema der »buddhistischen Erleuchteten« anzugehen. Ich stelle immer wieder fest, dass die Kursteilnehmenden und Meditierenden in meinem Umfeld zwar oft von den Methoden buddhistischer Praxis angetan sind, sich aber mit der dahinter stehenden zweieinhalbtausendjährigen Tradition keineswegs verbunden fühlen. Zuerst fand ich dies eher hilfreich und verstand es als Ausdruck innerer Unabhängigkeit und Freiheit von »Altlasten«, die Religionen ihren Anhängern oft mitzugeben scheinen: von nicht hinterfragten Dogmen und Ritualen bis hin zu fundamentalistischer Erstarrung.

    Aber ich musste dann erkennen, dass dieses fehlende Interesse an der Geschichte der eigenen Praxis-Tradition auch einen Mangel an Eingebundensein und Zugehörigkeit bedeuten kann. Doch ein spiritueller Weg, der unser Wesen zutiefst transformieren soll, kann nicht einfach auf die Anwendung einiger Methoden beschränkt sein. Auf diesem Weg, der unser ganzes Leben und unsere ganze Hingabe verlangt, ist es wesentlich, dass wir uns sowohl unserer Praxis wie auch der Tradition tief verbunden fühlen. Dieses Gefühl von Eingebundensein und Vertrauen gibt uns die Inspiration, die Kraft und die Ausdauer, die nötig sind, um die Schwierigkeiten und Durststrecken, wie sie uns immer wieder begegnen, überwinden oder auflösen zu können und uns langfristig in unserer Praxis zu verwurzeln.

    Gegenwärtig wächst das Interesse an Meditation und der Erforschung der Achtsamkeit, und sie scheinen zunehmend in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und Anwendung zu finden in den Bereichen der Psychotherapie, Gesundheit und Wellness. Das ist sehr begrüßenswert und – wenn ernsthaft angewendet – für viele Menschen hilfreich und heilend. Damit einher geht zugleich die Tendenz, Meditation zu säkularisieren. Auch dies ist wünschenswert, befreit es doch die zentralen Anliegen und die wertvollen Mittel der Praxis von einem religiösen Überbau, der über die Jahrhunderte bis heute Menschen oft mehr geschadet als genützt hat. Leider scheint dadurch aber auch das Wissen um die Wichtigkeit tiefer Praxis mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Selbst Dharma-Lehrer und -Lehrerinnen können sich von dieser Tendenz verführen lassen, nicht nur weil die Leiden mancher Menschen auch durch rein säkular verstandene Methoden geheilt werden können, sondern möglicherweise auch, weil sich so ein größeres Publikum finden lässt. Wenn wir aber den Pfad und die Praxis zum vollständigen Erwachen, zur Befreiung von den »täuschenden und quälenden Eigenschaften von Herz und Geist« (kilesa/klesha) wie Verblendung, Verlangen und Ablehnung und ihre weitreichenden leidvollen Auswirkungen, lebendig erhalten wollen, dann brauchen wir auch Menschen, die ihr ganzes Leben in diese Praxis investieren – bis zum Erreichen der vollständigen Befreiung. In diesem Buch finden sich Geschichten über Menschen, deren Leben wir nicht unbedingt in dieser Konsequenz nachahmen können oder wollen, Geschichten, die uns aber daran erinnern, dass es immer wieder Individuen gab – und hoffentlich weiter geben wird –, die den Weg des Erwachens bis zur Vervollkommnung gegangen sind.

    Vertrauen – Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten

    Vertrauen zählt zu den stärksten Kräften auf dem Weg. Vertrauen – nicht zu verwechseln mit blindem Glauben – gilt als ein Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten. Vertrauen öffnet Herz und Geist, es macht uns berührbar und inspiriert uns, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional, ja, noch tiefer gehend erreicht Vertrauen die Schichten unseres Unterbewusstseins! Vertrauen (saddha/shraddha) ist die erste der Fünf Spirituellen Fähigkeiten, die wir kultivieren müssen, um den Pfad zu betreten und ihn stetig weitergehen zu können. Es ist dieser Prozess des Vertrauens, des Sich-Öffnens, der Inspiration und Hingabe, der einen Fluss spiritueller Energie, einen Strom des Segens in uns zum Fließen bringt.

    Oft erlebe ich, wie Teilnehmende, selbst wenn sie in Meditationsretreats angenehme Erfahrungen machen, unvermittelt wieder von der Praxis ablassen, während andere, selbst wenn sie mit großen Hindernissen konfrontiert sind, konsequent dabei bleiben, bis die Schwierigkeiten geklärt sind. Dieses Plus an Beständigkeit und Zielbewusstsein entsteht durch die Wirkung einer Kraft: der Kraft des Vertrauens.

    Lama Tsoknyi Rinpoche illustriert die Funktionsweise dieses »Segensstroms« mit einem zeitgemäßen, sehr treffenden Bild: »Die Buddhas und Bodhisattvas stehen mit ihren Handys permanent in Verbindung zu uns. Das Problem ist, dass wir nicht rangehen, weil wir es gar nicht klingeln hören und – noch öfter – das Besetztzeichen ertönt: Wir sind zu beschäftigt, um die Verbindung zuzulassen.« Diese Verbindung können wir aufnehmen – durch Vertrauen!

    In der buddhistischen Praxis sind Vertrauen und Hingabe unverzichtbar. Vertrauen in die Belehrungen, in die Methoden der Praxis und in die Lehrenden. Unter Letzteren kann der Buddha als der ursprüngliche Lehrer und Archetyp des Erwachens zu Weisheit und Mitgefühl verstanden werden – oder auch die eigenen Lehrer, Lehrerinnen, die Lamas, Sayadaws, Ajahns, Shifus oder Roshis – oder die gesamte Übertragungslinie großer Meister und Meisterinnen, von Buddha bis zu uns heute.

    Der bekannte amerikanische spirituelle Lehrer Ram Dass wurde einmal gefragt, was für ihn beim Übermitteln der Lehre das Wichtigste sei. Er antwortete, es sei die in der eigenen Erfahrung wurzelnde Überzeugung und das daraus entstandene Vertrauen, das in den Schülern und Schülerinnen große Inspiration und Hingabe wecke.

    Die tibetischen Praktiken der »Hingabe an die Lehrenden«, das sogenannte Guru-Yoga, betonen, diese Hingabe ermögliche den schnellsten und mühelosesten Zugang zu den Verwirklichungen. Sie öffne einen Kanal für Segensströme, die durch die Übertragungslinie der Meister und Meisterinnen in unseren Geist und unser Herz fließen. Hingabe sehen sie als das Herzstück der Methoden zur eigenen Verwirklichung.

    Weises Vertrauen

    Wir brauchen auf unserem Weg tiefes Vertrauen und Hingabe, aber natürlich brauchen wir auch Weisheit, eine Art von gesundem Menschenverstand, mit dem wir die Dinge unvoreingenommen und mit Scharfsinn überprüfen.

    In den Anfängen meiner Praxis besuchte ich ein Meditationszentrum, in dem zwei Retreats in zwei unterschiedlichen buddhistischen Traditionen stattfanden. Beide Traditionen lehrten die Hingabe an den Meister, die Meisterin als wichtigen Verstärker für die eigene Praxis. Als die Teilnehmenden Gelegenheit hatten, den beiden Retreat-Leitern Fragen zu stellen, war ihre brennendste Frage die nach der Hingabe an die Lehrenden. Worauf der aus der einen Tradition stammende Lehrer betonte: »Wenn dein Meister sagt, Schwarz ist Weiß, dann ist Schwarz für dich Weiß!« Der zweite, einer anderen Tradition angehörende Lehrer unterstrich hingegen: »Leute, überprüft es besser selbst!«

    In seiner berühmten Lehrrede an die Kalamer ermutigt der Buddha seine Zuhörerschaft, selbst herauszufinden, was für ihr Leben und ihre spirituelle Praxis wertvoll und hilfreich sei:

    Aus diesem Grunde eben, Kalamer, haben wir es gesagt: Geht nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters. Wenn ihr aber, Kalamer, selbst erkennt: »Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl«, dann oh Kalamer, möget ihr sie euch zu eigen machen.³

    Wir sind auf dem Weg zur Befreiung voll und ganz auf authentische Belehrungen und weise Unterstützung durch erfahrene und qualifizierte Lehrende angewiesen, wollen wir uns nicht auf endlosen Umwegen oder gar in Sackgassen wiederfinden. Dazu brauchen wir nicht nur irgendwelche guten Ratschläge, sondern die über Jahrhunderte erprobten Belehrungen von Menschen, die in einer ungebrochenen Übertragungslinie stehen.

    Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die – ohne in eine Übertragungslinie eingebunden zu sein – echte befreiende Erfahrungen gemacht haben. Sie können oft auch mit großer Überzeugungskraft ihre Erkenntnisse weitergeben. In der Regel genügt dies den Ansprüchen der Mehrzahl ihrer Schülerinnen und Schüler. Es besteht aber die Gefahr, dass die so Erleuchteten auf die von ihnen gemachten Erfahrungen beschränkt bleiben und den meist noch viel weiter führenden Weg nicht sehen, der in einer authentischen Übertragungslinie klar dargelegt würde – selbst von Lehrenden die weniger »erleuchtet« sind.

    Die authentischen Belehrungen sollten wir mit wacher Hingabe aufnehmen, kontemplieren und in die Meditation und den Alltag integrieren. Andererseits müssen wir die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und die Natur unseres Geistes aber auch selbst erforschen, um schließlich zu erkennen, was zu mehr Leiden führt und was befreiend ist. Beides ist also wichtig: Vertrauen und Weisheit.

    Übertragungslinien

    Die Dharma-Lehre beinhaltet im Wesentlichen achtsames Gewahrsein, gepaart mit einer inneren Haltung der liebevollen Gelassenheit; ein Gewahrsein, in dem wir mehr und mehr verweilen und das Erkenntnis und befreiende Weisheit ermöglicht. Zugleich sind es Qualitäten wie Güte, Mitfreude und Großzügigkeit, die uns zu einer Lebenshaltung der mitfühlenden Verbundenheit führen. Befreiende Weisheit und Großes Mitgefühl, das ist und bleibt die Essenz der Lehre des Buddha seit zweieinhalbtausend Jahren.

    Eben diese Essenz und die Methoden, sie im eigenen Leben zu verwirklichen, haben zahllose Menschen in den verschiedensten Kulturkreisen über Jahrtausende praktiziert, verkörpert und weitergegeben. Ob in der indischen Antike, im tibetischen Mittelalter, im modernen China, in Japan oder im heutigen Westen – die äußere Form hat sich immer wieder gewandelt. Und die lebendige Essenz der Übertragungslinie wurde immer wieder neu entdeckt, verwirklicht und weitervermittelt. Was auf diese Weise weitergegeben wird, ist aber stets mehr als die Lehren und das Wissen: Es sind auch Inspiration, Vertrauen und Hingabe, die der gelebten Praxis und Verwirklichung entspringen. Es ist das Feuer der Begeisterung für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit. Ich empfinde es als ein großes Privileg, als einen Glücksfall und eine tiefe Inspiration, Empfänger zu sein, Teil zu sein dieser befreienden Lehren und dieser segensreichen Energien, hier und heute.

    Lebensläufe buddhistischer Erwachter

    Um diese Übertragungslinien für uns lebendig werden zu lassen, ist es hilfreich, einzelne, außergewöhnliche Menschen aus diesen Linien oder Begründer neuer Äste und Zweige dieses großen Baumes kennenzulernen. In vielen asiatischen Traditionen ist dies ein wichtiger Aspekt der Belehrungen: Biografisches dieser Meister und Meisterinnen wird vermittelt, Geschichten über sie werden erzählt und markante Zitate vorgetragen. Diese Erzählungen und Legenden sind dabei auch stets ein Anlass, Dharma-Belehrungen darin einzuflechten. Genau dies ist auch mein Bestreben in diesem Buch.

    Anders als in unserer westlichen Kultur, in der man von Biografien erwartet, dass sie spannend, persönlich und möglichst intim sind, enthalten diese Geschichten meist wenig genaue Lebensdaten oder Charakterschilderungen. Es sind vielmehr Legenden, die in ihrer archetypischen Darstellung auf unseren Geist, unser Herz und unsere Praxis bis hinein in unseren Alltag wirken, indem sie uns durch symbolische und urbildliche Begebenheiten berühren.⁴ Sind wir bereit, uns diesen Geschichten zu öffnen, können wir daraus großen Nutzen ziehen.

    Auch wenn die meisten von uns nicht in Höhlen leben oder einen Großteil ihres Lebens im Kloster verbringen – die Leid schaffenden Emotionen wie Hass, Begehren oder Verblendung und die daraus entstehenden Probleme (Frustration, Einsamkeit, Suchtverhalten, Stress, Ängste, Sorgen, Depression) sind die Gleichen geblieben. Und auch der Weg, der aus diesem Leiden heraus zu Freiheit, Freude und Gelassenheit führt, ist heute genauso begehbar wie in alten Zeiten.

    Die Menschen, deren Leben hier erzählt wird, kommen aus dem indischen, südostasiatischen und tibetischen buddhistischen Kulturkreis. Obwohl die meisten von ihnen in fernen Zeiten lebten, obwohl sie manchmal durch die Lüfte fliegen oder Dämonen begegnen, sind sie in ihrem Menschsein nicht so sehr anders als wir, im Gegenteil: Vieles verbindet uns mit ihnen. In diesem Sinne habe ich diese Sammlung außergewöhnlicher Lebensläufe, Geschichten und Zitate – eine Auslese aus der Fülle der überlieferten Legenden – zusammengestellt.

    Diese Menschen können Vorbild für uns sein:

    Wir begegnen Siddhartha Gautama, wie er mutig und unbeirrt auf seinem Weg zum vollständigen Erwachen voranschreitet und weise und mitfühlend in den darauffolgenden Jahrzehnten seines Lebens agiert. Wir lernen die Hauptschüler des Buddha kennen: Sariputta, den gelehrten Weisen, und Mogallana, den tiefgründigen Mystiker. Wir begegnen Mahakassapa, dem strengen Asketen, und Ananda, dem liebenswürdigen und selbstlosen Diener Buddhas. Wir vernehmen von Pajapati, der mutigen und entschlossenen Anführerin der Frauen, die Nonnen werden wollen, von Khema, der schönen Weisen, und wir hören, wie Uppalavanna, die Erniedrigte, und Ambapali, die Kurtisane, vollständige Befreiung erlangen. Wir erfahren von den gelehrten Meistern des großen Mitgefühls: Asanga, Shantideva und Atisha. Wir begegnen Mandarava und Yeshe Tsogyal, den faszinierenden Prinzessinnen-Dakinis⁵, und der kühnen, furchtlosen Ma-chig Labdrön. Wir können uns inspirieren lassen von der Radikalität, mit der Meister wie Patrul Rinpoche oder Ajahn Mun die Praxis in ihr Leben umsetzen. Und wir hören von Je Tsongkhapa, dem einflussreichen Gelehrten und Erneuerer, und von dem hochgebildeten Geshe Rabten, dem weisen Mönch und gütigen Vater. Und wir begegnen dem indischen Meister Munindra, welcher die Erkenntnis-Meditation den Menschen aus dem Westen nahe bringt.

    Doch was ist es, das diese Menschen bewegte, aus ihrem gewohnten, nicht selten wohlbehüteten Alltag auszubrechen, auf allen Komfort zu verzichten und außergewöhnliche Risiken und Herausforderungen auf sich zu nehmen? Es ist die drängende Frage nach dem Sinn dieses Daseins, eines vergänglichen, oftmals ungerechten, oft auch leidvollen Lebens. Und es ist – viel mehr noch – die tiefe Ahnung, dass eine ganz andere Art von Sein möglich ist: ein Leben in innerer Verbundenheit, in Freiheit und Glück. Ein Leben, wie es jedem und jeder von uns, ohne Ausnahme, möglich ist, das aber erst verwirklicht oder wiederentdeckt werden muss.

    Warum aber habe ich Lebensläufe aus so vielen verschiedenen Traditionen gewählt? Geht es in dieser spirituellen Praxis denn nicht darum, Vertrauen in die eigene Übertragungslinie, die Quelle des eigenen Weges zu kultivieren? Studiert man ausschließlich die eigene Tradition, besteht eine Gefahr, die vielen meist noch nicht einmal bewusst ist: Die anderen Übertragungslinien und Traditionen werden nicht selten als weniger gut, oft auch als minderwertig oder gar irrig angesehen. Damit entsteht die leider auch im Buddhismus verbreitete Neigung zum Sektierertum. Durch die Auswahl an Lebensgeschichten und Legenden aus verschiedenen buddhistischen Traditionen möchte ich dieser bedauernswerten Tendenz etwas entgegenwirken. Allerdings enthält dieses Buch keine Geschichten aus dem Kulturkreis Ostasiens, was nicht an meiner mangelnden Wertschätzung liegt, sondern an meinen beschränkten Kenntnissen von diesen Traditionen. Das biographische Material, das uns aus den ersten zwei Jahrtausenden buddhistischer Geschichte zur Verfügung steht, ist oft recht spärlich. Ich wollte aber Menschen – Männer wie Frauen – aus den verschiedenen Epochen des Buddhismus vorstellen, um deutlich zu machen, auf welch reiches Erbe wir heute zurückblicken können: auf eine lange Kette von Menschen, die den Dharma (die Lehre) durch ihre eigene Praxis zum Leben erweckt und weitervermittelt haben.

    Was heißt erwacht oder erleuchtet?

    »Erleuchtung« oder »Erwachen« ist in spirituellen Kreisen ein vieldeutig verwendeter, schillernder Begriff, und gar manche bezeichnen sich heute öffentlich als erleuchtet. Dort, wo dann aber das Verhalten des oder der

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