Lamrim Delam
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Buchvorschau
Lamrim Delam - Losang Chökyi Gyältsen
Losang Chökyi Gyältsen
Lamrim Delam
Der angenehme Weg zur Erleuchtung
Übersetzt von
Dr. Cornelia Weishaar-Günter
4. überarbeitete Auflage 2010
© Tibethaus Deutschland e.V.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: C. Hackethal, E. Hessel, A. Ansmann
Titelphoto: E. Hessel (Wandmalerei aus Gyantse Kumbum, Tibet)
Satz: A. Ansmann
Bezugsadresse:
Tibethaus Deutschland e.V.
Kaufunger Str. 4, 60486 Frankfurt
www.tibethaus.com
ISBN 978-3-931442-79-8
ISBN (ebook) 978-3-931442-88-0
Inhalt
Einleitung
Anmerkungen zur Übersetzung
Lamrim Delam
Die Basis des Stufenweges
Wie man die Lehrer in Gedanken und Verhalten richtig annimmt
Die kostbare Menschenexistenz
Wegstufen, die mit den Wesen geringerer Motivation gemeinsam sind
Tod und Vergänglichkeit
Die Leiden der niederen Daseinsbereiche
Zuflucht zu den Drei Juwelen
Karma
Wegstufen, die mit den Wesen mittlerer Motivation gemeinsam sind
Die allgemeinen Leiden im Samsara
Die Leiden der höheren Daseinsbereiche
Der Weg zur Befreiung
Wegstufen der Wesen größerer Motivation
Das Entwickeln von Bodhicitta
Die Siebenfachen Unterweisungen
Gleichsetzen und Austauschen von sich selbst und anderen
Die Aktivitäten eines Bodhisattvas
Das Üben von Ruhigem Verweilen und Höherer Einsicht
Anhang
Glossar
Feststehende Zahlbegriffe
Die Gliederung des Lamrim Delam
Einleitung
Lamrim, „Der Stufenweg zur Erleuchtung", bezeichnet ein buddhistisches Meditationssystem, das der indische Pandita Atisha im elften Jahrhundert in Tibet eingeführt hat. Er fasste damit alle Lehren Buddhas kompakt und handlich zusammen, um den Tibetern, denen das alles oftmals noch recht neu war, den Zugang zu erleichtern.
In der Folgezeit haben dann viele tibetische Meditationsmeister Lamrim zu ihrer Hauptpraxis gewählt und konnten damit eine große innere Entwicklung erreichen. Schließlich wurde Atishas System so berühmt und einflussreich, dass wir es heute in allen Schulrichtungen des tibetischen Buddhismus integriert finden. Gelehrte haben zahlreiche Kommentare geschrieben, die Meditationsmethoden dazu diskutiert und immer wieder gezeigt, dass und wie auch wirklich alle Lehren Buddhas darin angelegt und enthalten sind.
Der vorliegende Text wird auf Tibetisch kurz als Delam, „Der angenehme Weg", bezeichnet und ist einer der berühmtesten und kürzesten seiner Art. Zugleich ist er ein wichtiger Wurzeltext für weitere, ausführlichere Lamrim–Meditationstexte. Er beschränkt sich auf nur wenige Erklärungen und Zitate, da er vor allem auf sogenanntes zhar-sgom, eine überblicksweise Meditation aller angeschnittenen Themen, ausgerichtet ist. Es war üblich, Delam für die Lamrim–Meditation auswendig zu lernen und ihn dann immer wieder einfach entsprechend durchzumeditieren. Ich habe diesen Text für die vorliegende Veröffentlichung ausgewählt, weil er westlichen Lesern gut als Beispiel oder, wenn man möchte, auch als Stütze für eigene Meditationen dieser Art dienen kann.
Autor ist der Erste Pänchen Rinpoche Losang Chökyi Gyältsen (Blo-bzang chos-kyi rgyal-mtshan, 1570–1662), der für seine überparteiliche Geisteshaltung besondere Berühmtheit erlangt hat. Obwohl er selbst einer der bedeutendsten Lehrer der Gelugpa–Tradition war, war er damit allein nicht zufrieden, sondern strebte danach, alle Schulrichtungen als unterschiedliche Methoden zum gleichen Ziel zu verstehen und eine entsprechend großzügig–umfassende Einstellung unter seinen Schülern zu verbreiten. Von ihm stammt der bei uns sehr bekannte Ausspruch: dpyad-na dgongs-pa gcig-tu ’bab — „Wenn man analysiert, ergibt sich derselbe Gedankengang"¹.
Schon früh wurde Losang Chökyi Gyältsen als Reinkarnation des Gyälwa Ensapa Losang Chödrub (rGyal-ba bBen-sa-pa Blo-bzang Chos-grub, 1445–?) erkannt, einer großen Persönlichkeit der Gelugpa–Tradition. Dennoch studierte er genauso wie die anderen Studenten in verschiedenen Klöstern Sutra und Tantra, ohne dabei besondere Privilegien zu beanspruchen. Unter anderem hörte er zahlreiche Überlieferungen zu Lamrim nach verschiedenen Darstellungsweisen sowohl der alten wie der neuen Kadam–Schulrichtung und begann, die Unterweisungen ganz besonders wertzuschätzen. Daneben hörte er von vielen Lehrern tantrische Einweihungen (dbang), Kommentare (khrid) und Wortübertragungen (lung) und hat immer gleich in Form verschiedener Meditationsklausuren in die Praxis umgesetzt, was er gehört hat.
Im Laufe der Zeit wurde er als großer Gelehrter bekannt, was sich schließlich in dem Titel niederschlug, der seiner Reinkarnationsreihe zuteil wurde: „Pänchen Rinpoche", der kostbare große Gelehrte.
Im Jahre 1600, im Alter von 30 Jahren, wurde er dann gebeten, den Thron des Klosters Tashi Lhünpo (bKrashis lhun-po) einzunehmen. Von nun an musste er selbst viele Belehrungen geben und zahlreiche Reisen unternehmen, die ihn vor allem durch Süd- und Westtibet bis hin zum Berg Kailash führten. Besonders viele Belehrungen gab er dem 4. Dalai Lama Yöntan Gyatso (Yon-tan rgya-mtsho, 1589–1616), der aus einer mongolischen Königsfamilie stammte und erst im Jahre 1601 zum Studium in Tibet eingetroffen war. Leider starb der 4. Dalai Lama schon mit 27 Jahren, und Losang Chökyi Gyältsen suchte und identifizierte mit großer Mühe seine Reinkarnation Ngawang Losang Gyatso (Nga-dbang blo-bzang-rgya-mtsho, 1617–1682), dem er dann schließlich alle Belehrungen weitergeben konnte, die er selbst besaß. Er starb mit 93 Jahren.
Bereits zur Zeit des Ersten Pänchen Rinpoche waren in Tibet — genauso wie heute — neben Sutra auch tantrische Meditationstechniken überall verbreitet. Ganz grob kann man sagen, dass Sutra jene Aspekte von Buddhas Lehre bezeichnet, die sich mit unserer normalen Realitätsebene und unserem Umgang mit ihr befassen. Das ist für jeden zugänglich und verständlich. Die Tantra–Lehren hingegen betreffen Meditationsformen, bei denen man ganz andere Welten, ganz andere Realitätsebenen miteinbezieht. Die dafür notwendige Denkweise will gelernt sein und setzt vor allem eine echte Zuneigung dazu voraus.
Lamrim bewegt sich normalerweise auf der Sutra- Ebene und endet mit einem Ausblick auf Tantra. Eine Besonderheit des vorliegenden Textes ist nun, dass von vorneherein mit tantrischen Vorstellungen gearbeitet wird, mit ausgedehnten Visualisierungen von Licht, Nektar und Segen. Für uns Tibeter war eine solche Verbindung von Sutra und Tantra — bedingt durch unsere historische Entwicklung — nach einiger Zeit selbstverständlich.
Westliche Menschen, denen das alles fremd ist, die noch keine Erfahrungen mit der tantrischen Denkweise haben, reagieren jedoch nach meinen Erfahrungen sehr unterschiedlich darauf. Manche sind sehr skeptisch und suchen nach einem nüchterneren Ansatz mit vielen rationalen Erklärungen. Diesen Menschen würde ich empfehlen, die Vorgehensweise in Delam nur zur Kenntnis zu nehmen und nach ausführlicheren, argumentativeren Texten Ausschau zu halten.
Andere haben gleich große Freude an so farbenfrohen Visualisierungen und möchten am liebsten gleich anfangen — bitte schön! Wenn man von Herzen bei der Sache sein kann, ist das auch sehr zu empfehlen, weil durch die besondere Verbindung von Sutra und Tantra eine sehr kraftvolle Wirkung entsteht. Wir sprechen davon, dass das innere Verständnis durch den Nektar der Inspiration so zum Gedeihen gebracht wird wie eine Pflanze durch Feuchtigkeit.
Wenn man wirklich Delam zur täglichen Meditationsstütze wählen möchte, wäre es in diesem Zusammenhang auch schön — aber nicht unbedingt erforderlich — von einem Lehrer die traditionelle Wortübertragung (Lung) und einen Kommentar dazu zu hören. Ein Kommentar, den S.H. der 14. Dalai Lama 1988 in Dharamsala, Indien, gegeben hat, ist vor kurzem unter dem Titel: Path to Bliss bei Snow Lion, Ithaca, New York 1991, auf Englisch erschienen.
Beim Lung ist Voraussetzung, dass der Lehrer ihn selbst von seinem eigenen Lehrer schon einmal bekommen hat. Um ihn nun weiterzugeben, macht er besondere Wunschgebete und liest den Text einfach vor. Nicht einmal wir Tibeter können das verstehen, in so einem Expresstempo geht das. Nicht mehr viel hätte gefehlt, und die tibetischen Lamas hätten Wettbewerbe veranstaltet, wer am schnellsten lesen kann! Wir hören einfach respektvoll zu und denken daran, dass dieses Vorlese–Ritual beim Autor des Textes selbst seinen Ursprung genommen hat, und dass der Eindruck, der davon in unserem Bewusstseinsstrom entsteht, uns eines Tages helfen kann, die nötige Inspiration zu finden, um den Inhalt nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern wirklich auch