Meister Eckhart - der Gottsucher: Aus der Ewigkeit ins Jetzt
Von Alois M. Haas
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Buchvorschau
Meister Eckhart - der Gottsucher - Alois M. Haas
Alois M. Haas | Thomas Binotto
Meister Eckhart – der Gottsucher
Aus der Ewigkeit ins Jetzt
Impressum
© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Umschlaggestaltung: agentur IDee
Umschlagmotiv: © photocase
ISBN (E-Book) 978-3-451-80049-8
ISBN (Buch) 978-3-451-61230-5
Inhalt
Vorwort
Mystik im Mittelalter – aus der Gegenwart betrachtet
Meister Eckhart: Granum sinapis (Senfkorn)
Lesmeister Eckhart – in seine Zeit gestellt
Lesmeister Eckhart – beim Wort genommen
Lebmeister Eckhart – Maria und Martha
Gott zu Besuch bei Martha und Maria – Versuch, eine Predigt von Meister Eckhart zu vergegenwärtigen
Kommentierte Lesetipps
Vorwort
»Wisset, meine Seele ist so jung, wie da sie geschaffen ward, ja, noch viel jünger! Und wisset, es sollte mich nicht wundern, wenn meine Seele morgen noch jünger wäre als heute!«
Meister Eckhart
Es ist ein wahrer Gottesjubel, in den Eckhart mit diesen Worten ausbricht. Es ist aber ungewollt auch eine Beschreibung dessen, was mit Eckharts Werk in den vergangenen acht Jahrhunderten geschehen ist: Sie wirken heute noch genauso frisch wie damals, ja vielleicht sogar noch frischer.
Wenn wir Eckhart lesen, begreifen wir, weshalb sich Gott mehr für jeden einzelnen Menschen interessiert, als für sämtliche Kirchenstrukturen. Wir stellen fest, dass wir in unserem Alltag öfters beten, als wir vermuten. Wir werden uns bewusst, dass die Begegnung mit Gott ein Geschenk für sehnsüchtige Menschen ist und nicht der Lohn für Spitzensportler der Frömmigkeit. Und wir nehmen erleichtert zur Kenntnis, dass echte Mystik keine Gefühlsduselei ist.
Damit wir diesem immer wieder unerhört Neuen auf die Spur kommen, müssen wir uns allerdings auf eine Sprach- und Gedankenwelt einlassen, die uns heute zunächst fremd und schwer verständlich erscheint. Selbst wer Eckharts Predigten in ihrer deutschen Übersetzung liest, wird manches nicht auf Anhieb verstehen. Genau in dieser scheinbaren Verständnislosigkeit kann sich allerdings ein kleines Wunder ereignen, wenn wir nämlich mit dem Zerlesen aufhören. Wer Eckharts Texte zu sezieren versucht, wer jeden Satz intellektuell durchdringen will, der wird Eckharts Stimme nicht mehr hören. Wer jedoch eine Predigt ganz ohne intellektuellen Druck liest und sich nicht daran stört, dass er manches weder versteht noch begreift, der wird nach Eckharts abschließendem »Amen« die verblüffende Entdeckung machen, dass etwas Wesentliches in ihn eingedrungen ist, ohne dass er das bewusst bemerkt hätte. Man kann Eckhart tatsächlich verstehen, ohne ihn zu verstehen.
Eckhart würde es vielleicht ein »weiseloses Lesen« nennen, das wir dafür lernen müssen, ein Lesen, das nicht auf Verzweckung und Verwertung ausgerichtet ist. Ein Lesen vielmehr, dass sich einfach dem Fluss der Wörter und Gedanken hingibt, seinen eigenen Verstandeswillen aufgibt, das Zählen, Messen und Wiegen vergisst. Ein Lesen in größtmöglicher Offenheit – so offen, dass sich das Verstehen fast zwangsläufig in diese Offenheit hinein ergießen muss.
Bis uns der plötzlich der Atem stockt, weil wir realisieren, dass bei Eckhart Form und Inhalt zu einer einzigartigen Symbiose gefunden haben. Der ungeheure Schatz in Eckharts Gottes- und Menschenbild ist Einheit – und Einheit ist auch der Schlüssel dazu. Eckhart spricht wahrhaftig Wahres aus. Allerdings ist diese Einheit von Form und Inhalt auf keine Art und Weise statisch, sie ist nicht uniform und nicht eintönig. Sie ist eine Einheit von packender Vitaliät, vibrierend im Austausch, ein Dialog höchster Intensität.
Wen das Ereignis »Eckhart« einmal durchdrungen hat, der wird davon nicht mehr loskommen. Sei es als Professor für alte deutsche Literatur, der über fünfzig Jahre lang die Texte Eckharts immer wieder neu gelesen, neu erforscht, aber auch neu entdeckt hat. Sei es als Journalist, der auch nach seiner Studienzeit nicht aufhören mag, mit seinem Lehrer zusammen um dieses Ereignis zu kreisen.
Gemeinsam haben wir uns nun daran gemacht, aus den Erkenntnissen eines langen Forscherlebens und den Fragen und Überlegungen eines neugierigen Schülers eine Einführung für Einsteiger zu machen. Uns lag viel daran, dafür eine Form zu finden, die uns passend zu Eckharts Methode erschien. So ist daraus ein Dialog geworden, ein suchendes Kreisen um dieses wundersame Geheimnis Meister Eckhart. Manche Dinge werden erst klarer, wenn man all unsere Kreise mitgeht. Deshalb laden wir unsere Leserinnen und Leser zu einer Begegnung zwischen Schüler, Lehrer und Meister ein.
Wenn es uns gelingt, unsere Leserinnen und Leser in diese Begegnung hinein zu ziehen, so dass Eckhart auch für sie zum Ereignis wird, dann haben wir unsere Mission erfüllt, denn wer sich einmal an den »Umkreis der Ewigkeit« gewagt hat, der wird sich davon nicht mehr trennen wollen.
Alois M. Haas & Thomas Binotto
Am 22. Juli 2013, dem Gedenktag von Maria Magdalena
Mystik im Mittelalter –
aus der Gegenwart betrachtet
Im Zusammenhang mit Religiosität wird oft von mystischen Erfahrungen gesprochen. Was leistet eigentlich die Mystik für unseren Glauben?
Der Witz ist gerade, dass sie nichts leisten muss. Es geht in der Mystik unter anderem um das Üben in Gelassenheit – das zentrale Wort von Meister Eckhart – und diese Gelassenheit besteht darin, sämtliche Zielvorstellungen und Absichten aufzugeben, damit man aus einer möglichst großen Spontaneität heraus leben kann, um dann in der dadurch gewonnenen Freiheit im richtigen Augenblick das Richtige zu tun.
Das klingt abstrakt. Und es kursieren ja auch viele Vorstellungen von Mystik als einer abgehobenen religiösen »Spezialdisziplin«.
Wer Mystik als einen Lebensbereich versteht, der im Gegensatz zum aktiven Leben steht, der hat eine vollkommen falsche Vorstellung, weil die mystische Haltung gerade die Versöhnung von Aktion und Kontemplation anstrebt. Der Mensch soll aus einer ganz starken inneren Konzentration heraus in christlicher Nächstenliebe sein Leben tatkräftig gestalten.
Nun sind die meisten theologischen Strömungen Antworten auf Herausforderungen ihrer Zeit. Worin bestand die Herausforderung des 14. Jahrhunderts?
Es ist in einem ganz extremen Sinn eine Zeit der Aufbrüche. Es herrscht Chaos im kirchlichen Bereich und auch in der politischen Landschaft. Es gibt laufend Gegenpäpste, der Papst zieht ins Exil nach Avignon. Eine eigene Stadtkultur entwickelt sich, im sozialen Bereich entstehen ganz neue Berufe. Dann die Pestseuchen in den 1340er Jahren. Und nicht zuletzt Extremisten wie die Geißler. Das 14. Jahrhundert ist zudem eine Zeit der Laien, in der diese sich zum Teil sehr prononciert gegenüber der Hierarchie äußern und ihr Mitspracherecht einfordern, und zwar – was für die Mystik ganz wichtig wird – in einer Sprache, die nicht kirchlich geprägt ist, sondern in der Sprache der Laien, in der Volkssprache.
Das klingt nach ungeheurer Dynamik. Wurde die Kirche von dieser Dynamik mitgerissen?
Die Kirche musste sich in Neuland vorwagen. Und sie tat es vor allem durch die Bettelorden, die Franziskaner, die Dominikaner, die Augustiner und die Karmeliter. Diese gingen dorthin, wo – ganz nüchtern betrachtet – am meisten gesündigt wurde. Die Dominikaner haben praktisch soziologische Erhebungen durchgeführt, um diese Orte zu bestimmen. Schließlich sind sie mitten in den Städten gelandet und haben dort ihre kleinen Klöster gegründet. Von dort aus haben sie die großen Bedürfnisse ihrer Zeit aufgenommen und ein völlig neues spirituelles Programm entwickelt.
Und was war daran so neu?
Ein Christ definiert sich für sie dadurch, dass er gleichzeitig kontemplativ und aktiv ist – nach innen orientiert und der Welt zugewandt – ebenso im Gebet versunken wie im Alltag wirkend. Diesen Alltag nehmen die Bettelorden sehr ernst und gestalten ihn auch mit. Sie sind beispielsweise die ersten, die mit Uhren das Alltagsleben strukturieren.
Die Kontemplation, die geistige Beschäftigung mit dem Glauben, war bis dahin ein Privileg der reichen Leute und der Mönche. Nun werden dank den Bettelorden auch die einfachen Leute kontemplativ. Und vor allem die Frauen melden sich zu Wort. Die Bewegung der Beginen sorgt für einen sozial wie spirituell vollkommen neuen Aufbruch in der Kirche. Sie leben ohne Klausur, also mitten in der Stadtkultur, in kleinen Gemeinschaften. Damit gehören sie sowohl spirituell zur Avantgarde, wie sie auch wirtschaftlich und sozial bahnbrechend wirken.
Diese neue Form des geistlichen Lebens inmitten einer lauten, sehr weltlichen Stadt zu entwickeln, ist bestimmt nicht leicht.
Hier herrscht tatsächlich eine Spannung, die sich im Leben von Heinrich Seuse (1295–1366) besonders eindrücklich zeigt. Er nimmt sich als Ordensmann vor, mitten in der Stadt Konstanz ein Leben nach dem Vorbild der ägyptischen Wüstenmönche zu führen. Also sondert er sich als Individualist in seinem Kloster ab, lässt sich eine eigene Kapelle einrichten und führt ein Leben in extremer Askese. Bis er eines Tages feststellt, dass diese Inszenierung in einer Stadt keinen Sinn ergibt.
Diese Einsicht kommt ihm an einem Sonntag, als er einen Hund mit einem Fußtuch spielen sieht und eine Stimme hört, die ihm sagt, dass sie mit ihm, Heinrich Seuse, so spielen werde wie der Hund mit seinem Fußtuch. Das ist die entscheidende Wende in seinem Leben. Seuse wird wieder zu einem sozialen Wesen und wendet sich der Welt zu. Er gibt es auf, selbst der Dirigent seines Lebens und seines Glaubens sein zu wollen und überlässt Gott die Regie. Er wendet sich in mystischer Gelassenheit dem Stadtleben zu.
Bei diesen Beschreibungen gerät mehr und mehr die Gegenwart ins Blickfeld, die ganz ähnliche Herausforderungen an die Kirche stellt.
Wenn wir diesen Vergleich zur Gegenwart weiterziehen wollen, spielt der Umgang mit Geld eine wichtige Rolle, denn er wandelt sich im 13./14. Jahrhundert massiv. Papst Johannes XXII. (1245/49–1334) war mehr Banker als geistlicher Führer und ein eigentliches Finanzgenie. Ihm gelang es, für die Kirche Geld zu organisieren, indem er die Konkubinate von Priestern besteuern ließ. Er hat also die massenhaften Verstöße gegen den Zölibat genutzt, um seine Kassen zu füllen.
Offiziell bleibt das Konkubinat zwar verboten, durch die Besteuerung wird es aber praktisch legalisiert. Das Geld wird zu einer Macht, der man die bisherige Überzeugung und Praxis des Christentums opfert. In Italien und Frankreich entstehen die ersten Geldinstitute. Geld wird zum Mammon, zum neuen Gott, dem man – auch mit viel krimineller Energie – huldigt. Und schließlich wird die Macht des Geldes so stark, dass von der Reformation und später auch von der katholischen Kirche das Zinsverbot aufgehoben wird.
Vor diesem Hintergrund werden Franz von Assisi (1181/82– 1226) und die Bettelorden erst verständlich. Wusste Franz überhaupt, was er mit seiner frei gewählten Armut anrichtete?
Was Franz tat, war zunächst einfach ein ungeheuer provokativer Akt, ein Affront. Er empfindet seinen Vater als widerwärtigen Geldscheffler, zieht sich auf dem Marktplatz nackt aus und macht von nun an genau das Gegenteil von dem, wofür sein Vater steht. Die Armut von Franz ist zunächst ein impulsiver Protest. Erst danach findet er seinen weiteren Weg.
Franz von Assisi konnte nicht ahnen, dass er damit eine neue Bewegung anstoßen würde.
Die Dialektik von Armut und Reichtum respektive Erfolg ist sehr interessant, weil die Wahl der absoluten Armut ein Weg zum Reichtum ist – nicht unbedingt für das Individuum, aber für eine Gemeinschaft. Das lässt sich immer wieder in den Ordensgeschichten verfolgen. Da haben sich Ordensgemeinschaften ins ökonomische Niemandsland hineinbegeben, weil sie dort in Armut leben konnten. Aber sie mussten dennoch irgendwie über die Runden kommen, was wieder eine ökonomische Dynamik auslöste. Sie entwickeln also aus dem absoluten Mangel heraus neue wirtschaftliche Überlebensmodelle, die so interessant waren, dass sie schließlich von der Gesellschaft übernommen wurden.
Auch unsere Zeitstruktur verdanken wir den