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Weltreligion: Das Bewusstsein bestimmt das gesellschaftliche Sein
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eBook314 Seiten4 Stunden

Weltreligion: Das Bewusstsein bestimmt das gesellschaftliche Sein

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Über dieses E-Book

„Weltreligion“ wird niemals eine Religion von Dogmen, Vorschriften oder verbindlichen Lehren sein. „Weltreligion“ wird die „Religion des Herzens“ sein, in der sich für jeden Einzelnen der Pfad, sein Pfad, erst beim Gehen erschließen wird. Aus dem Inhalt: Das Absolute – Schöpfung oder ewiges Sein – Die Entfaltung des Lebens – Das Leben nach dem Tod – Reinkarnation – Karma und Gnade – Der geistige Pfad – Erleuchtung – Ethik.
Dargestellt in Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam, klassischer Philosophie und esoterischer Philosophie.

SpracheDeutsch
HerausgeberAquamarin Verlag
Erscheinungsdatum3. März 2021
ISBN9783968612263
Weltreligion: Das Bewusstsein bestimmt das gesellschaftliche Sein

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    Buchvorschau

    Weltreligion - Peter Michel

    Sein

    Einleitung

    Das Motto dieses Buches wurde in der Mitternachtsstunde eines neuen Jahrtausends geschrieben. Es soll gleichsam als prophetische Verheißung in eine anbrechende Zeit weisen, die, so bleibt zu hoffen, eine „Kultur des Bewusstseins" sein wird.

    Das 20. Jahrhundert wurde weitgehend von der umgekehrten Fassung jenes Satzes geprägt, wonach „das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmte. In einer Lebensphilosophie, die sich aus der eigenen inneren Mitte heraus definiert, kann dieser Satz keine Gültigkeit mehr haben. Die Wirklichkeit der erfahrenen Innerlichkeit prägt das Selbstverständnis des Menschen und gibt ihm die Richtlinien für sein Denken vor. Nicht nur die Fähigkeit zur inneren Freiheit steht dabei im Mittelpunkt des Denkens und Handelns, sondern die aus einer transzendenten Realität geschöpfte Einsicht. Aus der Freiheit heraus erschließt sich der Zugang zu inneren Räumen, in denen die „Samen der Weisheit empfangen werden können, die dann reiche Saat erbringen, wenn sie der Empfänger nicht nur im eigenen Innenleben verwendet, sondern sie aussät, gleichsam einen „Welteninnenraum" schaffend.

    Nun kann es keinen Zweifel geben, dass die inneren, ewigen Räume in der Zeit vielfach berührt wurden und so in die Geschichte einflossen. Die Zeugnisse der großen Weltreligionen und die Schriften der Mystiker bilden ein reiches Erbe der Menschheit. Eine Philosophie, die neue Reiche der Innerlichkeit erschließen helfen will, muss sich daher auf den Traditionen und heiligen Überlieferungen der Menschheit gründen - aber sie darf dort nicht stehen bleiben.

    Die Religionen der Erde und die Werke der großen Philosophen sind der Torbogen, der am Ende eines wundervollen Parks aufragt. Nur wer den Park durchwandert hat, kann durch den Bogen schreiten. Dahinter erwartet den Wanderer ein unbekanntes Land.

    Krishnamurti, einer der großen Weg-Weiser des 20. Jahrhunderts, drückte dies gleichnishaft und unübertroffen aus, als er selbst das Tor durchschritt und den Park hinter sich ließ, der ihn in den frühen Jahren seines Lebens geprägt hatte. Er fasste seine Einsicht in den Satz: „Die Wahrheit ist ein pfadloses Land!"

    Krishnamurti wurde gerade bezüglich dieses für ihn so überaus markanten Satzes häufig missverstanden. Es wäre eine tragische Fehldeutung, wollte man aus diesen Worten schließen, es gäbe keinen Weg zur Wahrheit, der Mensch sei dazu verdammt, ewig in Unwissenheit zu verharren. Krishnamurtis eigenes Erleben und Lehren widerlegten bereits diese Interpretation. Der tiefere Sinn dieses Satzes liegt offensichtlich darin, dass der Weg zur Wahrheit kein vorgegebener Pfad ist - man kann ihm nicht gemäß Beschreibung, Lehre, Dogma oder Offenbarung folgen. Er wird erst offenbar, wenn der Mensch sich auf „seine Suche begibt. Der Pfad wird geboren, indem man ihn betritt! Diese Erkenntnis muss grundlegend sein, wenn ein inneres Mysterium wie „Weltreligion geboren werden soll. Denn „Weltreligion kann nur etwas Individuelles sein. Sie wird erschaffen aus der Innenwelt-Erfahrung jedes einzelnen Suchers. Insofern sie dieser inneren Wirklichkeit entspringt, ist sie neu, einzigartig und wahr; und dies obwohl ihr natürlich ein bestimmter Weg zugrunde liegt und obwohl sie in ihrer historischen Verankerung Teil der menschlichen Geschichte ist. Dieser Polarität oder Ambivalenz von geschichtlichem Gewach­sensein und neuer, einzigartiger Innerlichkeit entspringt so etwas Kostbares wie „Weltreligion. Sie ist das individuelle spirituelle Erleben, das die Einzigartigkeit, die (göttliche) IDEE eines göttlichen Geschöpfes ausdrückt. Niemals zuvor und niemals danach wird sich Wahrheit auf genau identische Weise offenbaren - denn die Wahrheit ist ein pfadloses Land.

    Die folgende Abhandlung wird diesem Gedanken insofern Rechnung zu tragen versuchen, als der Abschnitt „Weltreligion in jedem Kapitel in der „Ich-Form geschrieben ist. Erheben alle anderen Abschnitte den Anspruch von Objektivität und wissenschaftlicher Korrektheit, so bewegt sich der Abschnitt „Weltreligion" ausschließlich im Bereich des Subjektiven. Sein Anspruch ist nur bedingt überprüfbar und seine Botschaft ist eine ganz andere. Sie lautet in einem Wort - Inspiration. Jeder Sucher nach der Wahrheit kann aus den Erfahrungen eines Weg-Gefährten Anregung, Trost, Ermutigung und Hilfestellung empfangen. Den Weg ins pfadlose Land muss er selbst erbauen.

    Neujahr 2000

    I: Das Absolute

    „Das Tao, das benannt werden kann,

    ist nicht das wahre Tao."

    Der weise Laotse kannte zweifelsfrei die Würde des Schweigens, das ehrfürchtige, wortlose Verneigen vor dem Unsagbaren - und doch lehrte er den Weg des Tao. Es ist das vielleicht größte Paradox in der menschlichen Geistesgeschichte, dass jene Großen im Geiste, die wahrhaft geschaut hatten, erkannten, wie unfähig sie in ihrer Menschlichkeit waren, das Geschaute wahrhaft zu verkünden. Das „ganz Andere in die alltägliche Lebenswelt des Bekannten zu transformieren, war ein von Anbeginn an zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. So sprach Dietrich Bonhoeffer im 20. Jahrhundert nur eine Weisheit neu aus, die bereits den Weisen der Antike und den großen Sehern Asiens bewusst war: „Einen Gott, den es gibt, den gibt es überhaupt nicht.

    Mehr als zweieinhalb Jahrtausende zuvor war es der bedeutende Vorsokra­tiker Anaximander, der den Urgrund, den absoluten Anfang, als „Apeiron, als das „unbestimmte Unendliche bezeichnete. Nahezu zeitgleich wanderte der Buddha über die staubigen Wege Indiens, um auf die Frage nach dem Ursprung und dem Wesen des Nirvana - mit Schweigen zu antworten. Dieses Schweigen des Buddha führte den großen Religionsphilosophen Raimon Panikkar hin zu seinen Gedanken über das „Schweigen Gottes. Das Schweigen Gottes verweist für Panikkar auf sein ewig unergründliches Geheimnis. „Ein Gott, der nicht „geheimnisvoll ist, würde eo ipso aufhören, Gott zu sein."1

    Kann es eine Annäherung an diesen geheimnisvollen, schweigenden, im Unendlichen verborgenen Gott überhaupt geben? Die nachfolgenden Darlegungen werden ihre Begrenztheit nicht verbergen, obwohl sie aus der tiefsten Sehnsucht des Geistes nach seinem Ursprung entstanden sind. Sie können vielleicht nur eines leisten, nämlich den mitdenkenden, mitsuchenden Weggefährten auf dem „Pfad ins Licht" heranzuführen an jenes Schweigen, in dem allein - im Sinne von einzig und einsam - die Antwort gefunden werden kann. Allein um dieses ‘Ziel’, das in Wahrheit ein ewiges Beginnen ist, zu erreichen, lohnt es sich zu leben. Wer drückte es in seiner berührenden Einfachheit klarer aus als Mahatma Gandhi: „Kein Opfer ist mir zu groß, für mein Ziel, Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen."2

    So soll das nachstehende Kapitel weniger ein Beschreiben des Absoluten sein, als ein Zeugnis von Berührtheit und ein Einrücken in den Offenbarungshorizont dessen, das allein wirklich ist.

    Hinduismus

    Die Mannigfaltigkeit der verschiedenen religiösen Schulen und Traditionen ist im Hinduismus so groß, dass sich keine verbindliche und schon gar keine dogmatische Festlegung in der Frage nach Gott oder dem Absoluten nachweisen lässt. Schon die in der klassischen Zeit entstandenen sechs großen Systeme des Hinduismus weisen signifikante Unterschiede auf. Vertritt die Mimansa-Tradition stark atheistische Züge, so begegnet man im Vedanta einer Bandbreite möglicher Vorstellungen und Verwirklichungen. Selbst bei einem der größten Vertreter der indischen Metaphysik, dem „Begründer des absoluten Monismus, Shankara, lassen sich theistische Züge nachweisen. Rudolf Otto geht in seinem epochalen Vergleich zwischen Shankara und Meister Eckhart auf Shankaras Einleitung zu seinem Kommentar der Bhagavad Gita ein, wo dieser darlegt: „Om. Narayana ist erhaben über das Unentfaltete (die unentfaltete Natur). Aus dem Unentfalteten ist entstanden das Weltenei.3

    Otto zeigt in seiner Analyse zweifelsfrei auf, dass der göttliche Herr der Welten ungeboren, unvergänglich und ewig ist. Es bedarf daher eines gewissen ‘Sprunges’, um den Atman, die individuelle Geistseele, als eines mit dem ewigen Brahman anzusehen. Da Brahman das Seiende selbst (Sat) ist, steht der überzeugte hinduistische Monist vor dem Dilemma, erklären zu müssen, wie das Absolute, das ja auch absolutes, göttliches, vollkommenes Bewusstsein sein muss, sich selbst unbewusst werden konnte - mittels Maya, der großen Täuschung - und in die real existierende Unwissenheit der Einzelseele (Atman) absinken konnte. Entweder ist das Absolute (Brahman) ewig absolutes Bewusstsein, dann kann kein des Göttlichen unbewusstes Selbst (Atman) ‘neben’ ihm existieren; oder das Selbst (Atman) ist nur ein relativ göttliches Wesen, das sich in Unendlichkeit dem absoluten Göttlichen annähert, ohne es je zu erreichen.

    In diese Richtung würden auch die alten Hymnen des Rig-Veda verweisen (10.81 und 10.82), wo es heißt:

    „Der (Allschöpfer) Visvakarman ist von besonderem Verstand und auch von besonderer Kraft; er ist der Schöpfer und Ordner und die höchste Erscheinung." (10.82.2)

    „Der unser Vater, der Erzeuger ist, der der Ordner, der alle Arten und Geschöpfe kennt, der der alleinige Namengeber der Götter ist, zu ihm kommen die anderen Geschöpfe, um ihn zu befragen." (10.82.3)4

    Die nachvedische Epoche entfaltete dann in der Bhagavad Gita, den Upanishaden und den Puranas eine Theologie, in der Brahman, der eine Gott, das Absolute, der Welt sowohl immanent als auch transzendent ist. In seiner immanenten, in Erscheinung tretenden, offenbarten Form wird er zu Ishvara, dem göttlichen Herrn.

    Sarvepalli Radhakrishnan, der überzeugte indische Theist, sah dies in klarer Form in den Upanishaden verankert. „Die Mandukya-Upanishade vertritt die Ansicht, dass, während das Absolute unbeschreibbar, eigenschaftslos sei, der lebendige Gott der Lenker der Welt und der innewohnenden Seele sei. Der Unterschied zwischen Gottheit und Gott, absolutem und persönlichem Gott, Brahman und Ishvara, ist in dieser Upanishade klar ausgesprochen. Der persönliche Gott ist der Herr des Alls, während Brahman die überkosmische Wirklichkeit ist."5

    Auch die Bhagavad Gita vertritt im IX. Kapitel eine Auffassung, die der Transzendenz der höchsten Wirklichkeit Rechnung trägt:

    „Dieses ganze All ist von mir in meiner unentfalteten Gestalt durchdrungen. Alle Wesen wohnen in mir, aber ich wohne nicht in ihnen." (IX,4)

    „Und (doch) wohnen die Wesen nicht in mir; siehe mein göttliches Geheimnis. Mein Geist, der der Ursprung aller Wesen ist, erhält die Wesen, wohnt aber nicht in ihnen." (IX,5)6

    In seinem Kommentar zu diesen beiden Versen der Bhagavad Gita hebt Radhakrishnan den Unterschied zwischen einer pantheistischen und einer pan-entheistischen Auffassung hervor. „Der Lehrer der Gita neigt nicht zum Pantheismus, welcher behauptet, alles sei Gott, sondern zum Panentheismus, der Anschauung also, dass alles in Gott existiere. Der kosmische Entwicklungsablauf ist keine vollkommene Offenbarung des Absoluten. Obwohl diese Welt eine lebendige Manifestation Gottes ist, kann kein endliches Geschehen jemals das Absolute voll und endgültig ausdrücken."7

    Auch unter den großen indischen Yoga-Meistern des 20. Jahrhunderts rückt eher ein die Transzendenz des Absoluten betonendes Erleben in den Vordergrund als ein vedantischer Monismus. So heißt es etwa bei Swami Sivananda: „Gott oder das Absolute ... ist jenseits von Wissen und Unwissenheit. - Gott ist die höchste Vollkommenheit."8

    Die philosophisch durchdachtesten und in ihrer inneren Eindrücklichkeit tiefsten Gedanken zur Gottesfrage finden sich dann bei Sri Aurobindo, dem bedeutendsten Yogi des modernen Indien. Er hatte sich schon sehr früh der Suche nach Gott, Brahman, dem Absoluten, dem Einen zugewandt; und immer wieder kreiste sein Denken und später sein mystisches Suchen um die direkte Erfahrung dieser einen Wirklichkeit. Er hegte niemals einen Zweifel daran, dass eine unmittelbare Schau des Göttlichen im Erfahrungsbereich des Menschen lag. Als dann seine eigene Verwirklichung eine völlig neue, tiefere Grundlage für sein Denken und Lehren schuf, versuchte er in vielen Darlegungen die Transzendenz und Immanenz des Göttlichen, die Absolutheit des trans­zendenten, „suprakosmischen Parabrahman" und die verborgene Gegenwart des persönlichen Gottes zu beschreiben. In einigen Werkpassagen geht er dabei direkt auf den Vergleich des westlichen und östlichen Denkansatzes ein.

    „Das Höchste brahman ist das, was man in westlicher Metaphysik das Absolute nennt. Aber brahman ist zugleich die allgegenwärtige Wirklichkeit, in der alles, was relativ ist, als Formen und Bewegungen dieser Wirklichkeit existiert. Das ist ein Absolutes, das alle Relativitäten in sich umschließt. Die Upanishaden versichern, dass alles dies brahman ist. Mental ist brahman, Leben ist brahman, Materie ist brahman ... Brahman ist die Kraft, die die Macht eines Gottes, Titanen, Dämonen versorgt, die Kraft, die in Mensch, Tier und in den Gestaltungen und Energien der Natur wirkt. Brahman ist das ananda, die geheime Wonne des Daseins, die der Äther unseres Wesens ist, ohne den niemand atmen oder leben könnte. Brahman ist die innere Seele in allen."9

    In dieser Passage dominiert eindeutig der Gedanke der verborgenen Gegenwart des Absoluten in allem Seienden. Die unpersönliche Gottheit ist anwesend in allem, was ist. Mit dieser Vorstellung bewegte sich Aurobindo in enger Nähe zu einer Einheitsmystik, wie sie Ramakrishna vertreten hatte. Sri Aurobindo präzisierte seine Ideen jedoch und widmete der Betrachtung ausführlichen Raum, in welcher Form die Immanenz des Göttlichen zu denken ist.

    „Die Unbestimmbarkeit aber ist zugleich in unserer Auffassung des Absoluten und in unserer spirituellen Erfahrung ein notwendiges Element. Das ist die andere Seite der supramentalen Betrachtung des Seins und der Dinge. Durch keine einzige Bestimmung oder Summe von Bestimmungen ist das Absolute begrenzbar oder definierbar. Andererseits ist es auch nicht nach unten festgelegt auf eine undefinierbare Leere reinen Seins. Es ist, im Gegenteil, der Ursprung aller Bestimmungen. Seine Unbestimmbarkeit ist die natürliche, die notwendige Vorbedingung für seine Unendlichkeit an Sein ebenso wie für seine Unendlichkeit an Macht des Seins. Das Absolute kann alle Dinge in unendlicher Weise sein, weil es selbst kein Ding im besonderen ist und über jede definierbare Totalität hinausreicht. Gerade diese wesenhafte Unbestimmbarkeit des Absoluten macht sich in unserem Bewusstsein verständlich durch die grundlegenden verneinenden Positiva unserer spirituellen Erfahrung, durch das unveränderliche, unbewegliche Selbst, nirguna brahman, den Ewigen ohne Eigenschaften, das reine qualitätslose Eine Sein, das Apersonale, das von allen Aktivitäten entleerte Schweigen, das Nichtsein, das Unaussprechliche und Unerkennbare. Andererseits ist es der Inbegriff und Ursprung aller Bestimmungen, und dieser dynamische essenzielle Charakter offenbart sich uns durch die grundlegenden bejahenden Positiva, in denen uns das Absolute in gleicher Weise begegnet: Denn das Selbst wird zu allen Dingen, saguna brahman, der Ewige mit unendlichen Eigenschaften, der Eine, der die Vielen ist, die unendliche Person als Ursprung und Grundlage aller Personalitäten, der Herr der Schöpfung, das Wort, der Meister aller Werke und alles Wirkens."10

    Mit den letzten Worten wird schon der Übergang vom unpersönlichen zum persönlichen Gott angedeutet, wobei Aurobindo in beiden Definitionen nicht weit von der abendländischen Metaphysik entfernt ist. Entscheidend ist in seinem Werk die Unterscheidung zwischen dem nirguna brahman, dem Brahman ohne Eigenschaften, und dem saguna brahman, dem Brahman mit Eigenschaften. In diesem Doppelaspekt liegt Aurobindos Ansatz zur Lösung der Frage von Transzendenz und Immanenz des Göttlichen verborgen.

    Im Vordergrund dieser Passage aus Sri Aurobindos Hauptwerk „Das Göttliche Leben steht die Definition Brahmans als das „Nicht-Bestimmbare. Brahman, als das Absolute, wird in seinem unpersönlichen Aspekt als das gänzlich andere, das Undefinierbare, das unerkennbare Sein bezeichnet. Noch deutlicher arbeitet Sri Aurobindo die Transzendenz Gottes in einigen Passagen seiner „Essays zur Gita" heraus.

    „Es gibt einen, oder es existiert etwas, das anders ist als das Weltall, unausdrückbar, unvorstellbar, eine unaussprechlich unendliche Gottheit jenseits von allem, was unsere umfassendsten und subtilsten Begriffe von Unendlichkeit auch nur ahnen können. Dieses ganze Gewebe der Dinge, dem wir den Namen Weltall beilegen, diese ganze ungeheure Summe von Bewegung, für die wir keine Begrenzung festlegen können, all das, in dessen Formen und Bewegungen wir vergeblich nach einer dauerhaften Wirklichkeit, einem Zustand, einer Norm, einem festen Punkt für einen kosmischen Hebel suchen, ist von diesem höchsten Unendlichen ersonnen, gestaltet und ausgebreitet und auf dieses unaussprechliche Mysterium gegründet worden. Seine Fundamente liegen in einer Selbst-Formulierung, die sich nicht manifestiert und unausdenkbar ist. Ihn können diese Massen von immer wechselnden, in Bewegung befindlichen Werde-Formen, alle diese Geschöpfe, Existenzen, Dinge, atmenden und lebendigen Gestaltungen weder in ihrer Gesamtsumme noch in ihrem gesonderten Dasein erhalten. Er ist nicht in ihnen. Nicht in ihnen oder durch sie lebt er, bewegt er sich oder hat er sein Wesen - Gott ist nicht das Werden. Vielmehr sind sie in ihm, leben und bewegen sich in ihm und beziehen ihre Wahrheit aus ihm. Sie sind seine Werdeformen, er ist ihr Seiendes. In der unausdenkbaren, zeitlosen und raumlosen Unendlichkeit des Seins hat er das untergeordnete Phänomen eines grenzenlosen Weltalls in einem endlosen Raum und einer endlosen Zeit ausgebreitet."11

    In dieser Radikalität ist von indischer Seite der Transzendenz-Gedanke vor Sri Aurobindo kaum formuliert worden; und nicht zufällig bedient er sich bei seiner Wortwahl neutestamentlicher Bezüge. Von daher sind die Parallelen zu einem Gottesbegriff, wie er in allen theistischen Traditionen ausgeprägt ist, unübersehbar. In seiner Philosophie des SEINS, die ein „Werden" für den absoluten Geist verneint, wird sich die Nähe zur abendländischen Metaphysik aufzeigen lassen. Das Brahman von Sri Aurobindo ist ewig, unveränderlich, die Vollkommenheit des absoluten Seins.

    In seinem Kommentar zu den Upanishaden vertieft Sri Aurobindo diese Gedanken weiter.

    „Das Höchste ist reines Sein, absolute Existenz, sat. Er ist Existenz, weil er allein Ist, es ist nichts anderes seiend, das irgendeine höchste Wirklichkeit besitzt oder irgendein Sein unabhängig von seiner Selbst-Manifestation. Er ist absolute Existenz, weil er allein Ist und nichts anderes in Wirklichkeit existiert; er muss notwendigerweise durch sich selbst, in sich selbst und für sich selbst existieren. Es kann keine Ursache für seine Existenz geben, wie es auch kein Ziel für seine Existenz geben kann; es kann auch keine Zunahme in ihm geben, noch eine Verminderung, denn Zunahme könnte nur durch Hinzufügung von irgendetwas ihm Äußerlichen und Verminderung durch Verlust an etwas ihm Äußerlichen entstehen, aber für Brahman existiert nichts Äußerliches. Er kann sich nicht verändern, denn geschähe es in irgendeiner Weise, würde er Gegenstand von Zeit und Kausalität werden; er kann auch keine Teile besitzen, denn dann würde er Gegenstand des Raumgesetzes. Er ist jenseits der Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität, die er als phänomenale Bedingungen der Manifestation erschafft, die aber nicht ihren Ursprung bestimmen können. Daher ist er Parabrahman, ist absolute Existenz."12

    Sri Aurobindo schuf mit einer bestimmten Absicht den Ausdruck „Para­brahman". Dieser Begriff, der eine Übersteigerung der Brahman-Idee verbalisieren soll, hebt die absolute Transzendenz Gottes auch sprachlich hervor. Er soll das Über-Sein, die transzendente Ewigkeit Gottes verdeutlichen.

    Es kann, bei einem sorgfältigen Studium der hinduistischen Quellen, kein Zweifel bestehen, dass seine größten Repräsentanten von der absoluten Trans­zendenz des EINEN ausgingen. In welcher Relation der Atman auch zu Brahman stehen mochte, niemals war er imstande, den unerschaffenen Urgrund zu umfassen. Auch in der Einung mit Brahman blieb dessen absolute Majestät in ihrer ewigen Andersheit in vollkommener Reinheit erhalten.

    Buddhismus

    Gemeinhin gilt der Buddhismus als nicht-theistische Religion, was häufig sogar nur eine wohlwollende Umschreibung des westlichen Kulturkreises für eine als atheistisch eingestufte Philosophie (Weltanschauung) darstellt. Vielfach fehlt selbst eine Grundkenntnis der Lehren Buddhas, der es schlichtweg abgelehnt hat, über metaphysische Fragen zu spekulieren. Statt über einen Gott, den Gott oder das Absolute zu reflektieren, stellte der Buddha andere Themen in den Mittelpunkt - Selbsterkenntnis, Mitgefühl oder Nächstenliebe. Den Ursprung allen Seins deutete der Buddhismus eher durch das Symbol des „Klaren Lichtes" an, das vor allem in den Darlegungen des XIV. Dalai Lama wieder in den Vordergrund rückte.

    Die grundsätzliche Ausrichtung auf den Menschen, die Zielsetzung der Befreiung vom Leid und vom Rad der Wiedergeburt, sollte jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass vereinzelt auch der Buddha über das Wesen des Nirvana meditierte. Sein in der Sammlung „Udana" überlieferter Text gibt vielleicht die tiefsinnigsten Gedanken des Buddhismus über das Absolute wieder.

    „Es besteht, Mönche,

    das Ungeborene, Ungewordene,

    Ungeschaffene, Unzusammengesetzte.

    Wenn dieses Ungeborene, Ungeschaffene,

    Unzusammengesetzte nicht bestünde,

    - nicht wäre dann ein Entrinnen

    aus dem Geborenen, Gewordenen,

    Geschaffenen, Zusammengesetzten

    zu erkennen.

    Weil aber dieses Ungeborene,

    Ungewordene, Ungeschaffene,

    Unzusammengesetzte besteht, Mönche,

    deshalb ist ein Entrinnen für das

    Geborene, Gewordene, Geschaffene,

    Zusammengesetzte zu erkennen."13

    Mit diesen Gedanken und auf dieser Grundlage kann der Buddhismus auf gleichgestellter Ebene mit den anderen Weltreligionen oder der Philosophie in einen Dialog über den Ursprung des Seins treten.

    Der moderne Buddhismus richtet sein Augenmerk stärker auf die Dynamik eines unaufhörlichen Transformationsprozesses denn auf das „Unge­wor­dene", den ewigen Ursprung.

    Der große Brückenbauer zwischen Ost und West, Lama Anagarika Govinda, beschrieb diese Orientierung präzise in einem Vergleich zwischen Buddhismus und Taoismus: „Im Taoismus wie im Buddhismus gibt es keine Idee eines Gottes oder eines Schöpfers. Warum? Weil das ganze große Universum selbst eine Art des Fließens ist - eine ewige Transformation, die jene innere Gesetzmäßigkeit enthält, welche der Buddha ‘Dharma’ nannte und welche die Taoisten ‘Tao’ nennen. Die Idee des Tao bzw. die Idee des Dharma vermitteln uns den Gedanken einer göttlichen Harmonie in diesem unendlichen All, in dem wir leben und von dem wir nur ein winziger Teil sind und das sich in unserem eigenen Körper und in allen unseren Lebensformen darstellt. So kamen Buddhismus und Taoismus zur Einsicht, dass man, statt einen Gegensatz zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen dem Menschen und dem Universum, zwischen Gutem und Schlechtem und allen diesen Dualitäten zu postulieren, erkennen muss, dass es sich hier um Polaritäten handelt, die keine unversöhnlichen Gegensätze sind, da jeder Polarität eine Einheit zugrunde liegt."14

    Der zweifelsfrei bedeutendste Repräsentant des Buddhismus der Gegenwart ist der XIV. Dalai Lama. Er knüpft in seinen zahllosen Gesprächen und Vorträgen wieder an die Wurzeln der buddhistischen Tradition an, wenn er das Konzept vom „Klaren Licht erläutert. „Das Klare Licht des Subjektes ist der natürlich anwesende, angeborene Geist. Dieser Geist hat keinen Anfang und kein Ende und wird der „All-Gute genannt. Weil der Geist in diesem Aspekt ohne Anfang und ohne Ende ist, gehört zu seiner Natur nichts Flüchtiges, Zeitweiliges, das durch Ursachen und Bedingungen erst neu hervorgebracht werden müsste. Aus diesem Grund ist dieser Geist ungeboren. ... Dieser innerste, äußerst feine Geist, das Klare Licht, ist der subtilste Zustand des Bewusst­seins.15 Ersetzt man den Ausdruck „Klares Licht durch Gottheit und den „subtilsten Zustand durch die „Gottesgeburt in der Seele, dann steht man mitten in der Mystik Meister Eckharts. Der einzige Unterschied könnte noch in der Vorstellung eines persönlichen Gegenübers bestehen, doch in der „Einung löst sich auch dies bei Meister Eckhart auf, wenngleich die Gottheit natürlich nicht in der Schöpfung aufgeht. Dieser kleine vorgreifende Vergleich mag andeuten, inwiefern in einer „Weltreligion dem Verständnis des Wortes immense Bedeutung zukommt.

    Für den Buddhisten scheint die entscheidende Komponente beim Begriff des „Klaren Lichtes jene der Individualität zu sein, was bei der so deutlich vertretenen „Nicht-Selbst-Lehre verwundern mag. Aber „was wir als Klares Licht bezeichnen, ist stets etwas Individuelles, nicht eine Art universeller Seele oder ein universelles Klares Licht. Doch weil gleichzeitig die Zukunft eines jeden Individuums auf diesem Geist des Klaren Lichtes beruht, sagen wir von diesem Gesichtspunkt her,

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