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Wissen statt Glauben!: Das Weltbild des neuen Humanismus
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Wissen statt Glauben!: Das Weltbild des neuen Humanismus
eBook597 Seiten5 Stunden

Wissen statt Glauben!: Das Weltbild des neuen Humanismus

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Über dieses E-Book

Die großen Fortschritte der Naturwissenschaften während der letzten Jahrzehnte haben zu einem neuen, wissensbasierten Weltbild geführt. Selbst für die zentralen philosophischen Fragen wie die nach dem Menschenbild, der Ethik und dem Sinn unserer Existenz gibt es mittlerweile wissenschaftliche Ansätze. Sie ersetzen althergebrachte religiöse und metaphysische Deutungen. Der in diesem Buch vorgestellte "neue Humanismus" stützt sich im Wesentlichen auf den Naturalismus. Man könnte ihn daher auch als "naturalistischen Humanismus" bezeichnen. Als solcher kann er als Weiterentwicklung des von Julian Huxley begründeten "evolutionären Humanismus" verstanden werden, wobei die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und technischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und des Transhumanismus Berücksichtigung finden.
Das hier beschriebene Weltbild des neuen Humanismus ist keine weitere subjektive Weltanschauung, sondern der Versuch, die Welt mit den objektiven Methoden der Wissenschaft und basierend auf deren Fakten zu beschreiben. Ganz fundamentale Positionen sind hierbei der Respekt vor der Wirklichkeit und die kritische Einstellung gegenüber Dogmen und Autoritäten. Von Göttern und Dämonen hat sich der neue Humanismus endgültig verabschiedet. Neu steht die Zukunftsoffenheit des Menschen im Vordergrund. Das Bild des Menschen als "Krone der Schöpfung" hat ein für alle Mal ausgedient.
SpracheDeutsch
HerausgeberLola Books
Erscheinungsdatum26. Jan. 2018
ISBN9783944203348
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    Buchvorschau

    Wissen statt Glauben! - Bernd Vowinkel

    Zusammenarbeit.

    I

    DER HUMANISMUS

    Alles, was Mensch ist, ist bestimmt, in eigener, denkender Weltanschauung wahrhaftige Persönlichkeit zu werden.

    Albert Schweitzer, Humanist (1875–1965)

    Der Humanismus ist eine Weltanschauung, die das Glück und das Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft als den höchsten Wert ansieht und daraus seine ethischen Grundlagen ableitet. Da sich diese Werte auf das irdische Leben bzw. das Diesseits beziehen, lehnt der Humanismus religiöse Werte und Moralvorstellungen, die dem zuwiderlaufen, grundsätzlich ab. Zentrale Werte des Humanismus sind Freiheit, Toleranz, Gewaltfreiheit, Gewissensfreiheit und die Achtung der Würde des Menschen. Ein langfristiges Ziel des Humanismus ist die Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft zu mehr Lebensqualität und zur Förderung und Unterstützung benachteiligter und behinderter Menschen. Man kann folgende Grundüberzeugungen des Humanismus anführen:

    •Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll.

    •Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden.

    •Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln.

    •Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können.

    •Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten.

    Die Herleitung der ethischen Grundlagen des Humanismus erfolgt über die Vernunft des Menschen, sowie aus der empirischen Erfahrung über die Konsequenzen menschlichen Handelns (Konsequentialismus). Im althergebrachten Humanismus spielen allerdings auch metaphysische Ableitungen eine gewisse Rolle, wie z. B. bei der Definition der Menschenwürde.

    1952 fand in den Niederlanden der erste World Humanist Congress statt. Die Generalversammlung der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) beschloss dabei eine Deklaration der fundamentalen Prinzipien des modernen Humanismus. Diese wurde beim 15. World Humanist Congress noch einmal aktualisiert und als „Amsterdam-Deklaration 2002" einstimmig verabschiedet. Ihr Inhalt lautet:

    •Humanismus ist ethisch. Er bekräftigt den Wert, die Würde und die Autonomie des Individuums und das Recht jedes Menschen auf größtmögliche Freiheit, die mit den Rechten anderer kompatibel ist. Humanisten haben eine Fürsorgepflicht gegenüber der gesamten Menschheit, einschließlich der zukünftigen Generationen. Humanisten glauben, dass Moral der menschlichen Natur innewohnt und auf dem Verständnis und der Sorge für andere basiert, ohne externe Sanktionen zu benötigen.

    •Humanismus ist rational. Er versucht, Wissenschaft kreativ und nicht destruktiv zu nutzen. Humanisten glauben, dass die Lösungen zu den Problemen der Welt im menschlichen Denken und Handeln liegen, statt in göttlicher Intervention. Humanisten befürworten die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und freier Recherche auf die Probleme des menschlichen Wohlergehens. Humanisten glauben aber auch, dass die Anwendung von Wissenschaft und Technologie durch menschliche Werte gezügelt werden muss. Die Wissenschaft gibt uns die Mittel, aber menschliche Werte müssen die Ziele vorgeben.

    •Humanismus unterstützt Demokratie und Menschenrechte. Humanismus zielt auf die bestmögliche Entwicklung jedes Menschen. Er geht davon aus, dass Demokratie und menschliche Entwicklung eine Sache des Rechts sind. Die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte können auf viele menschliche Beziehungen angewendet werden und sind nicht auf Methoden des Regierens beschränkt.

    •Humanismus besteht darauf, dass persönliche Freiheit mit sozialer Verantwortung kombiniert werden muss. Humanismus wagt es, eine Welt auf der Idee des gesellschaftlich verantwortlichen freien Menschen zu bauen, und erkennt unsere Abhängigkeit und Verantwortung gegenüber der natürlichen Welt an. Humanismus ist undogmatisch und erlegt seinen Anhängern kein Glaubensbekenntnis auf. Er ist daher der Bildung und Erziehung frei von Indoktrination verpflichtet.

    •Humanismus ist eine Antwort auf die verbreitete Nachfrage nach einer Alternative zu dogmatischer Religion. Die großen Weltreligionen behaupten, sie basierten auf Offenbarungen, die für die Ewigkeit feststünden, und viele trachten danach, der gesamten Menschheit ihre Weltsicht aufzuerlegen. Humanismus erkennt an, dass verlässliches Wissen über die Welt und uns selbst über einen fortgesetzten Prozess der Beobachtung, Evaluation und Überprüfung erwächst.

    •Humanismus befürwortet künstlerische Kreativität und Imagination und erkennt die transformative Macht der Kunst an. Humanismus bekräftigt die Wichtigkeit von Literatur, Musik sowie der visuellen und darstellenden Künste für die persönliche Entwicklung und Erfüllung.

    •Humanismus ist eine Lebenseinstellung, die auf die größtmögliche Erfüllung durch die Kultivierung eines ethischen und kreativen Lebens zielt und eine ethische und rationale Methode bietet, die Herausforderungen unserer Zeit anzugehen. Humanismus kann für jeden überall eine Lebensweise darstellen.

    Was soll nun das Neue am neuen Humanismus sein? Der Humanismus erkennt grundlegende Menschenrechte an, die als kulturunabhängig, also universal gesehen werden. Beim neuen Humanismus wird zusätzlich gefordert, dass diese Rechte in Einklang mit dem aktuellen Stand der Wissenschaften sein müssen. Metaphysische und religiöse Herleitungen werden weitestgehend abgelehnt, dagegen wird anerkannt, dass mittlerweile zum Teil sogar Herleitungen von Werten über die Wissenschaften selbst erfolgen können. Die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrzehnte haben zu einem erheblich verbesserten, naturwissenschaftlich fundierten Weltbild und Menschenbild geführt. Der neue Humanismus trägt dem Rechnung, indem er die Prämissen der Naturwissenschaften anerkennt und übernimmt. Es sind dies:

    •Realismus: Die Welt ist real vorhanden.

    •Rationalismus: Wir können die Welt mit unserem Verstand erfassen.

    •Naturalismus: Es geht in der Welt mit „rechten" Dingen zu, d. h. es läuft alles im Rahmen der Naturgesetze ab. Es gibt keine Wunder, Götter oder Dämonen.

    Insbesondere die Prämisse des Naturalismus steht in eklatantem Widerspruch zu den monotheistischen Religionen. Insofern kann es keine Versöhnung zwischen neuem Humanismus und diesen Religionen geben. Arthur Schopenhauer schreibt zu diesem Thema: „Der religiöse Glaubensakt ist eine Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne gute Gründe. Denn gäbe es gute Gründe für die christliche Lehre, dann wüssten wir sie und brauchten sie nicht zu glauben. Der berühmte Physiker Albert Einstein formulierte es so: „Wer von der ursächlichen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens überzeugt ist, für den ist die Idee eines Wesens, das in den Gang allen Weltgeschehens eingreift, eine Unmöglichkeit. Religionsvertreter werfen im Gegenzug den Vertretern des neuen Humanismus vor, dass auch ihre Position reine Glaubenssache sei und dass auch sie nicht ohne Dogmen auskommen. In der Tat könnte man die oben erwähnten Prämissen als Dogmen sehen. Genau genommen sind der Realismus und der Rationalismus die Prämissen des Naturalismus. Auf der anderen Seite wird zumindest die erste Prämisse auch von den Religionsvertretern weitgehend anerkannt. Man kann sich gar die Frage stellen, ob es überhaupt eine vernünftige Weltanschauung geben kann ohne diese Prämissen.

    Die Erforschung der Materie hat allerdings in den letzten Jahrzehnten Zweifel an einem strengen Realismus aufkommen lassen. Zumindest der althergebrachte primitive Materialismus muss als überholt angesehen werden. Die Quantenphysik scheint zu zeigen, dass die Erfahrung der Wirklichkeit nicht ohne verändernde Eingriffe möglich ist. Hinter dem Schleier, auf den die Quantentheorie gestoßen ist, könnte völlige Unbestimmtheit oder aber eine höhere Ebene der Wirklichkeit liegen. Unsere erfahrbare Welt ist womöglich nur eine virtuelle Welt, die nicht wirklich aus Elementarteilchen zusammengesetzt ist, die so etwas wie letzte unzerlegbare Bausteine bilden. Materie, Raum und Zeit sind nicht länger als absoluter Stoff der Wirklichkeit anzusehen. Müssen wir deshalb den Realismus restlos aufgeben? Nun ist allerdings der Teil der erfahrbaren Wirklichkeit erfahrungsgemäß recht stabil und er ist mit den Mitteln einer objektiven Wissenschaft erforschbar. Wir sollten vielleicht den Realismus neu und präziser definieren. Darin sollten wir den Realitätsbegriff auch verstärkt an dem Begriff der Information festmachen und uns von der absoluten Existenz der Materie, des Raumes und der Zeit verabschieden.

    1.1GESCHICHTE DES HUMANISMUS

    Die Grundlagen des Humanismus lassen sich bis ins alte Griechenland zurückverfolgen.¹ So vertraten bereits die Philosophen Heraklit (ca. 520–460 v. Chr.) und Protagoras (ca. 490–411 v. Chr.) den Lehrsatz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Es gibt keine moralischen oder gesetzlichen Absolutheiten und der Mensch als schöpferisches Wesen ist die höchste Autorität im Universum. Platon (ca. 428–348 v. Chr.) war entgegengesetzter Meinung und vertrat die Position „Das Maß aller Dinge ist Gott und erst an diesem Maßstab werde der Mensch bescheiden und human. In der griechischen Antike wurde auch schon die Idee von der Gleichheit der Menschen diskutiert. Xenophanes (ca. 577–485 v. Chr.) kritisierte den Götterglauben und die Vermenschlichung der Götter. Erste philosophische Positionen in Richtung naturalistischer Materialismus gab es bei den Philosophen Heraklit und Demokrit (ca. 460–371 v. Chr.). Sie sahen die Entwicklung der Welt nicht als Ergebnis des Wirkens von Göttern, dennoch stellten sie die Existenz eines göttlichen Prinzips nicht in Frage. Sokrates (470–399 v. Chr.) betont die Autonomie des Individuums und dessen Selbstbestimmung und tritt für Geistesfreiheit ein.

    Die Philosophie Epikurs (341–270 v. Chr.) befasste sich verstärkt mit dem Diesseits. Er war der Ansicht, dass die Religion mehr auf Furcht denn auf Einsicht beruht. Er erkannte das Theodizee-Problem, indem er angesichts des Elends auf der Welt keine Rechtfertigung für die Existenz von Göttern feststellen konnte. Entgegen dem Moraldenken der Religionen sah er den Sinn des Daseins in der Vergrößerung und Verstetigung der Lebensfreude. Im christlichen Abendland galt seine Philosophie als Symbol der Zügel- und Gottlosigkeit und wurde dementsprechend unterdrückt und diffamiert. Vor allem die Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) entwickelten später seine Ideen weiter zu der pragmatischen Ethiklehre des sogenannten Utilitarismus, der sich insbesondere in den angelsächsischen Ländern als Alternative zu religiösen Ethiklehren durchgesetzt hat.

    Marcus Tullius Cicero hat den Begriff Humanitas geprägt, der erstmals 80 v. Chr. in einer Schrift erwähnt wurde. Er war der Meinung, dass die Humanität dem Menschen nicht angeboren ist, sondern dass die Jugend erst durch die Erziehung in den Künsten zur Humanitas gebildet wird. Die Anregung zum selbstständigen Denken, so wie sie in der griechischen Philosophie kultiviert wurde, hielten die frühen christlichen Kirchenväter für gefährlich. Unter dem römischen Kaiser Theodosius wurde 391 das Christentum zur Staatsreligion erklärt. Als Konsequenz daraus wurden Andersdenkende systematisch verfolgt und getötet. Die anerkannte Philosophin und Mathematikerin Hypatia (ca. 370–415) aus Alexandria wurde wegen ihrer Lehre von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen grausam in einer Kirche ermordet. Die Bibliothek von Alexandria wurde mit ihren 200.000 Schriftrollen verbrannt. Von da an lag das Erstellen und Kopieren von Schriften in der Hand des Klerus. Es kam damit zu einem weitgehenden Stillstand von Forschung und Wissenschaft, der etwa 1.000 Jahre anhielt. Man spricht hier auch vom dunklen Zeitalter.

    Mit dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert etablierte sich der Humanismus als Gegenbewegung zur Scholastik. Man bezeichnet dies als Renaissance-Humanismus. Mit ihm ging ein kultureller und sozialer Wandel einher. Wichtige Vertreter bzw. Begründer und Ideenstifter waren Francesco Petrarca (1304–1374), Dante Alighieri (1265–1321), Giovanni Boccaccio (1313–1375), Leonardo Bruni (1369–1444) und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494). Der Autoritätsglaube machte einer kritischen Forschung Platz. Den Naturwissenschaften gelangen bemerkenswerte Fortschritte. Nikolaus Kopernikus (1473–1543) erklärte, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum des Universums steht. Damit wurde eine essentielle Grundlage des christlichen Weltbildes in Frage gestellt. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg verhalf kritischen Schriften zur schnellen Verbreitung. Als Reaktion darauf entsteht 1557 der vatikanische Index, der die verbotenen Bücher auflistete. Er wurde erst 1965 wieder abgeschafft. Der berühmteste Vertreter des Renaissance-Humanismus ist Erasmus von Rotterdam (1469–1536). Sein Eintreten für religiöse Toleranz und seine Ablehnung jeglichen Dogmatismus machten ihn zum Gegner des Christentums. Soweit es in der Macht der katholischen Kirche stand, verfolgte und bestrafte sie ihre Gegner. Eines von vielen Opfern war der unabhängige Denker Giordano Bruno (1548–1600). Er versuchte Wissenschaft und Glaube in Einklang zu bringen. Er wurde dafür im Jahr 1600 verbrannt. Der Verfechter des kopernikanischen Weltbildes Galileo Galilei (1564–1642) widerrief 1633 unter dem Druck der Inquisition seine Lehre, wurde aber lebenslang unter Hausarrest gestellt. Erst 1992 wurde er von der katholischen Kirche rehabilitiert. Obwohl einige Grundsätze des Humanismus in Konflikt mit der christlichen Lehre stehen, gab es dennoch eine Zeit, in der die katholische Kirche den Humanismus gefördert hat. So gilt Papst Pius II. (1405–1464) selbst als bedeutender Humanist. Trotzdem hat der Vatikan den Humanismus nie als eine dem Glauben übergeordnete Idee akzeptiert.

    René Descartes (1596–1650) begründete den modernen Rationalismus. Dabei wird rationales Denken beim Erwerb von Kenntnissen gegenüber Offenbarung und Überlieferung als vorrangig eingestuft. Daneben ist er Vertreter des sogenannten cartesianischen Dualismus, welcher zwischen Geist und Materie unterscheidet. Seine naturwissenschaftlichen Arbeiten sind allerdings schon früh widerlegt worden und auch sein Dualismus gilt heute als überholt.

    Zur Erklärung der Welt und des Menschen gab es bis etwa gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu den Religionen keine wirklich überzeugenden Alternativen. Die Naturwissenschaften hatten kaum brauchbare Erklärungen zur Hand. Selbst Naturerscheinungen wie Blitz und Donner wurden als mystisch empfunden. Weitere wissenschaftliche Fortschritte stellten nun aber zunehmend die christlichen Glaubensgrundsätze in Frage. So legte 1687 Isaac Newton (1642–1727) mit der Philosophiae Naturalis Principia Mathematica den Grundstein für die klassische Mechanik. Fast gleichzeitig entwickelte der deutsche Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) die Infinitesimalrechnung, die das mathematische Rüstzeug der klassischen Mechanik darstellt. Im Rahmen der klassischen Mechanik stellt sich die Welt als völlig deterministisch dar, was im Widerspruch zur Kirchenlehre stand. In der Zeit von 1861 bis 1864 gelang es dann James Clerk Maxwell, die Phänomene der Elektrodynamik in Form von Differentialgleichungen zu beschreiben. Diese Maxwellschen Gleichungen sind die Grundlage der Optik und der Elektrotechnik. Mit diesen zwei grundlegenden Theorien der klassischen Physik sah man sich zum ersten Mal in der Lage, einen großen Teil der Naturerscheinungen rational zu erklären. Die zugrundeliegenden mathematischen Gleichungen haben dabei einen deterministischen Charakter. Sind die Kräfte und die Ausgangsbedingungen bekannt, so lässt sich z. B. die Bewegung eines Masseteilchens bis in alle Ewigkeit vorausberechnen. Das Gleiche gilt für die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen. In diesem Weltbild, das auch die Himmelsmechanik einschloss, war ein lenkender Gott überflüssig geworden. Die Theologie kämpfte dagegen an, musste aber diesen Einbruch in ihren Deutungsbereich letztlich hinnehmen.

    Im Bereich der Philosophie und der Politik war in dieser Zeit der englische Philosoph John Locke (1632–1704) besonders einflussreich. Zusammen mit Isaac Newton und David Hume war er einer der wichtigsten Vertreter des Empirismus und gilt als Vordenker der Aufklärung. Er forderte die Gewaltenteilung in der Monarchie, bürgerliche Freiheiten und die Trennung von Staat und Kirche. Seine philosophischen Grundeinstellungen beeinflussten die Verfassungen der Vereinigten Staaten und Frankreichs. Ein weiterer wichtiger Vordenker der Aufklärung war der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire (1694–1778). Er verfasste eine Vielzahl von Schriften und Büchern, die zu einem großen Teil auch in andere europäische Sprachen übersetzt wurden. Darin kritisierte er die Missstände des Absolutismus und der Feudalherrschaft. Damit war er geistiger Wegbereiter der Französischen Revolution.

    Mit seinem Buch Der Gesellschaftsvertrag legte der französische Philosoph und Schriftsteller Jean Jacques Rousseau (1712–1778) die theoretischen Grundlagen für die Französische Revolution. Er stellte den christlichen Glauben infrage und forderte eine staatsbürgerliche Religion. Sie sollte bewirken, dass die Menschen moralische und staatsbürgerliche Pflichten zum Wohl der Allgemeinheit beachten. Weitere geistige Wegbereiter der Französischen Revolution waren die Philosophen und Schriftsteller im Umkreis von Paul Thiry d’Holbach (1723–1789) und Denis Diderot (1713–1784). Im Haus von d’Holbach in Paris traf man sich regelmäßig bei gutem Essen und Wein zum Gedankenaustausch.² Dabei wurden das bestehende absolutistische Regime und die christliche Religion kritisiert. Ein gemeinsames Hauptwerk war die Erstellung einer umfangreichen Enzyklopädie in französischer Sprache, die insgesamt 72.000 Artikel enthielt, darunter auch zahlreiche naturwissenschaftliche und technische Artikel. In seinem unter Pseudonym veröffentlichten Werk System der Natur trat d’Holbach ausdrücklich für den Atheismus ein und sah die Natur als materialistisch und damit auch als deterministisch an. In seinen Spätwerken unterstützte Diderot ebenfalls diese Positionen.

    In der Französischen Revolution fanden die Ideen der Aufklärer erstmals politische Wirksamkeit. Sie gipfelt in der Erklärung der Menschenrechte im August 1789 durch die französische Nationalversammlung. Darin werden unter anderem Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltenteilung und Demokratie festgeschrieben. Papst Pius VI. (1717–1799) lässt die Erklärung der Menschenrechte auf den Index der „gottlosen Schriften" setzen. Diese Maßnahme wurde erst 1963 durch Johannes XXIII. revidiert.

    In Deutschland verlief die Durchsetzung humanistischer Ideen weniger stürmisch. Gegen 1750 erfolgte eine Erneuerung der humanistischen Bewegung. Das Individuum wurde stärker in den Vordergrund gestellt. Friedrich Schiller (1759–1805) und Johann Gottfried Herder (1744–1803) verstanden unter Humanität die Menschlichkeit an sich. Für Herder war Humanität mit einem Fortschritt in der Geschichte verbunden. Kunst und Wissenschaft helfen dabei, das wahre Wesen des Menschen zu verwirklichen und zu vervollkommnen. Der menschliche Geist ist in der Lage, einen sinnvollen Zusammenhang der Dinge zu erkennen und mit dem Willen zu bejahen. Damit wurden erstmals auch die Ideen des Naturalismus mit dem Humanismus verbunden. Bildung und Erziehung wurden als wichtiges Mittel zur Durchsetzung des Humanismus angesehen. Immanuel Kant (1724–1804) meinte dazu: „Der Mensch soll lernen, gute Zwecke zu wählen. Gute Zwecke sind solche, die von jedermann gebilligt werden und gleichzeitig jedermanns Zwecke sein können." Er verband damit die Idee eines Fortschreitens der Menschheit zum Besseren. In Bezug auf die Religion stellte er in seiner Kritik der reinen Vernunft³ fest, dass man auf einen Gott nicht aus Gründen der Vernunft schließen kann. Dennoch definierte er einen Gott als das höchste moralische Gut. Er begründet eine Ethik auf der Basis der praktischen Vernunft.⁴ Das wichtigste Resultat ist der Kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Dieses Ergebnis entspricht weitgehend der sogenannten goldenen Regel, die in vielen Kulturen schon lange Zeit vorher zu Geltung kam: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Kant schreibt zur Humanität: „[…] den Sinn für das Gute in Gemeinschaft mit anderen überhaupt; einerseits das allgemeine Teilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mitteilen zu können, welche Eigenschaften zusammen verbunden die der Menschheit angemessene Geselligkeit ausmachen".

    Einige Jahrzehnte später formulierten Ludwig Feuerbach (1804–1872) und Karl Marx (1818–1883) ihre philosophischen Standpunkte aus einer atheistischen Grundhaltung heraus. Marx sah in dem von ihm begründeten Kommunismus die gesellschaftspolitische Verwirklichung des wahren naturalistischen Humanismus. Insgesamt führte die Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse erstmals auch in Deutschland zu einer verstärkten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Eine besondere Rolle spielten dabei auch die Forschungsergebnisse von Charles Darwin (1809–1882), der 1859 sein Hauptwerk On the Origin of Species (Die Entstehung der Arten) veröffentlichte. Hier wurde zum ersten Mal eine Theorie über die Entstehung des Menschen diskutiert, die ohne einen Schöpfer auskam. Gerade im Christentum ist aber die Erschaffung des Menschen durch Gott ein wesentlicher Bestandteil der Heilslehre. Julian Huxley (1887–1975), der erste Generalsekretär der UNESCO, prägte die Idee des evolutionären Humanismus:

    Der evolutionär denkende Mensch kann nicht mehr Schutz vor der Einsamkeit suchen, indem er sich in die Arme einer zum Gott erhobenen – von ihm selbst geschaffenen – Vatergestalt flüchtet; nichts entbindet ihn von der mühevollen Aufgabe, sich den Problemen der Gegenwart zu stellen. Wir müssen aufgeben, uns in intellektueller wie ethischer Hinsicht wie Strauße zu verhalten, wir dürfen unseren Kopf nicht mehr in gewollter Blindheit in den Sand stecken.

    Er sprach sich damit erstmals für eine Weltanschauung aus, die mit der Wissenschaft kompatibel ist. Ethische Grundlage des evolutionären Humanismus ist das „Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen". Daher sind diskriminierende Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Ethnozentrismus oder Speziesismus sowie sozialdarwinistische oder eugenische Konzepte, die mitunter auch von Evolutionstheoretikern (eine Zeitlang sogar von Julian Huxley!) vertreten wurden, mit dem evolutionären Humanismus unvereinbar.

    Neben dem evolutionären Humanismus legte Julian Huxley auch den Grundstein für den Transhumanismus. In seinem 1957 veröffentlichten WerkNew Bottles for new Wine definiert er den Transhumanismus als „Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet." Allerdings hatte seine Vision stark ideologische Züge, was zu heftiger Kritik und in weiten Kreisen zu einer Aversion gegen den Transhumanismus geführt hat. Insbesondere in den angelsächsischen Ländern wird aber mittlerweile der Transhumanismus als medizinisch-technische Entwicklung gesehen, die ein großes Potential zur Verbesserung der Lebensqualität zur Verfügung stellt, wenn sie in richtige Bahnen gelenkt wird.

    Der evolutionäre Humanismus ist unter Einschluss des Transhumanismus gewissermaßen der Vorläufer des neuen Humanismus und ist mit ihm weitgehend kompatibel. Er rückt die Evolutionstheorie in den Vordergrund und geht davon aus, dass der Mensch keineswegs die Krone der Schöpfung ist, sondern ein unbeabsichtigtes, zufälliges Produkt der natürlichen Evolution, das sich nur graduell und nicht prinzipiell von den Tieren unterscheidet. Evolutionär soll zusätzlich auch bedeuten, dass sich die Definition des evolutionären Humanismus jederzeit selbst an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anpassen muss. Im deutschsprachigen Raum wird der evolutionäre Humanismus von der Giordano-Bruno-Stiftung vertreten. Der Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon hat die Thesen des evolutionären Humanismus in einem Manifest⁶ zusammengefasst.

    In den letzten Jahren kam der Begriff des „Neuen Atheismus" auf. Als eine Zentralfigur dieser Bewegung kann man Richard Dawkins identifizieren, der mit seinem religionskritischen Buch Der Gotteswahn⁷ Aufsehen erregt hat. Seitdem verbindet man mit dem Neuen Atheismus auch eine gewisse Respektlosigkeit vor dem religiösen Glauben. Genau genommen müsste eigentlich von Agnostizismus die Rede sein, weil sich die Neuen Atheisten nicht im Besitz absoluter Wahrheiten wähnen. Da sie aber von „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit reden, haben sie mit der Bezeichnung „Neue Atheisten in der Regel keine Probleme.

    Für sich genommen stellt der Atheismus noch keine vollständige Weltanschauung dar. Was hier hinzukommen muss, sind säkulare Werte und ein auf der Naturwissenschaft aufbauendes Verständnis der Welt. In dieser Kombination kommt er dem neuen Humanismus sehr nahe. Man könnte stattdessen auch von einem naturalistischen Humanismus sprechen. Meilensteine der Grundlegung dieser Variante des Humanismus waren das BuchDie Neuen Humanisten von John Brockman und die Tagung⁹ Der neue Humanismus, die 2008 in Nürnberg stattfand. Nachdem inzwischen auch in der Kosmologie und den grundlegenden physikalischen Theorien große Fortschritte erzielt wurden, könnte man den evolutionären Humanismus als zu einseitig auf das Menschenbild ausgerichtet betrachten. Der Mensch ist aber nur ein kleiner Teil der Natur. Ein allgemein naturalistischer Humanismus überwindet die Fokussierung auf die Evolution des Menschen. Insofern kann man den neuen Humanismus als Weiterentwicklung des evolutionären Humanismus ansehen.

    1.2DER NATURALISMUS

    Wenn es um die Beschreibung und Erklärung der Welt geht, sind die Naturwissenschaften das Maß aller Dinge.

    Wilfried Sellars, US-amerikanischer Philosoph

    Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein begann sein Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus mit den Worten: „Die Welt ist alles, was der Fall ist." Das heißt mit anderen Worten, dass unsere natürliche Welt die Summe aller Tatsachen ist. Eine übernatürliche geistige Sphäre jenseits der natürlichen Welt, die in keiner kausalen Beziehung zu dieser steht, bleibt für immer eine unüberprüfbare Hypothese. Dagegen sind geistige Produkte des Menschen kausal mit den materiellen Zuständen der Informationsverarbeitung in unseren Gehirnen verbunden und daher Teil unserer Welt. Wenn nun Religionsvertreter behaupten, es gäbe eine übernatürliche Sphäre, die durchaus kausalen Einfluss auf unsere Welt hat, so müsste man diese Auswirkungen auch feststellen können. Würden z. B. häufig völlig unerklärliche Wunder geschehen, so wäre das ein Hinweis auf eine übernatürliche Verursachung. Dies konnte aber bisher nie zweifelsfrei festgestellt werden. Die in heiligen Schriften beschriebenen Wunder sind nicht überprüfbar. Der Glaube an solche Wunder erfordert ein hohes Maß an Naivität. Das legt die empirisch fundierte Vermutung nahe, dass es schlichtweg keine Wunder gibt.

    Der Naturalismus behauptet nun aus diesen Gründen, dass es in der Welt ausschließlich natürliche Dinge und Eigenschaften gibt. Er steht damit im Widerspruch zum Theismus, Spiritualismus und Okkultismus. Nach den Philosophen Geert Keil und Herbert Schnädelbach machen folgende fünf Elemente den Naturalismus aus:

    1. Der Mensch gehört vollständig in den Naturzusammenhang.

    2. Naturwissenschaften haben ein Erklärungsprivileg.

    3. Der Naturalismus strebt eine Einheit der Wissenschaften an oder behauptet eine solche Einheit.

    4. Der naturalistische Erkenntnistheoretiker berücksichtigt empirisches Wissen.

    5. Der Naturalismus vertritt eine Kontinuitätsthese von Common Sense und Wissenschaft.

    Der empirischen Erkenntnismethode, so wie sie vor allem in der Naturwissenschaft zur Anwendung kommt, wird erste Priorität gegenüber anderen Zugängen wie Transzendenz und Metaphysik eingeräumt. Man kann allerdings in Frage stellen, ob der Naturalismus völlig ohne Metaphysik auskommt. Von den Kritikern wird insbesondere darauf hingewiesen, dass man zur Begründung des Naturalismus letztlich doch auf die Metaphysik zurückgreifen müsse. Nach dem Philosophen Gerhard Vollmer¹⁰ gilt für den Naturalisten jedenfalls: „So wenig Metaphysik wie möglich".

    Man kann das Problem des Rückgriffes auf die Metaphysik umgehen, indem man den Naturalismus ganz pragmatisch damit begründet, dass die großen Erfolge der Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten gezeigt haben, dass die empirische Methode der Gewinnung von Erkenntnis über die reale Welt besonders erfolgreich ist. Dieses Argument wird noch besonders dadurch verstärkt, dass wir offensichtlich in der Lage sind, mit Hilfe der Erkenntnisse der Naturwissenschaften neue Apparate und Maschinen zu bauen, die dann tatsächlich in der Wirklichkeit funktionieren. Würde es sich bei den naturwissenschaftlichen Theorien nur um Mythen handeln, wäre das wohl kaum möglich.

    Diese Tatsache verführt zu der Position, dass grundsätzlich alle Dinge der realen Welt mit den Methoden der Naturwissenschaft erforscht werden können. Auch der menschliche Geist ist schließlich ein Produkt natürlicher Vorgänge. An keiner Stelle der Menschwerdung sind mystische Vorgänge unabdingbar. Warum sollte man dann nicht auch den menschlichen Geist und seine besonderen Fähigkeiten im Rahmen der Naturwissenschaften ergründen können? Allerdings stoßen wir hierbei bis heute auf Dinge, die sich einer Naturalisierung zu widersetzen scheinen. So sind das Bewusstsein und die grundlegenden Gefühle und Sinneseindrücke (Qualia) weit davon entfernt, im Rahmen der Naturwissenschaft vollständig beschrieben und erklärt werden zu können. Das Gleiche gilt für einige Produkte des menschlichen Geistes z. B. in der Kunst. Der Naturalismus scheint hier an seine Grenzen zu kommen. Aber da niemand die Zukunft vorhersagen kann und uns die Erfolge der Naturwissenschaft immer wieder überrascht haben, können wir nicht von vorneherein ausschließen, dass das in Zukunft dennoch gelingen wird. So gibt es z. B. zur Erklärung künstlerischer Leistungen wissenschaftliche Ansätze in der evolutionären Psychologie.

    Man kann je nach Radikalität verschieden starke Positionen des Naturalismus unterscheiden.¹¹ Es sind dies der ontologische, der methodologische und der epistemische Naturalismus. Daneben gibt es noch weitere Sonderformen des Naturalismus. Ein Beispiel ist der biologische Naturalismus, dessen Hauptvertreter der amerikanische Philosoph John Searle ist. Nach Searle werden unser Bewusstsein und andere mentale Phänomene von einem biologischen System, nämlich unserem Gehirn verursacht. Das Gehirn ist eine Art Bio-Computer. Dabei weist er einerseits den Geist-Körper-Dualismus zurück. Andererseits lehnt er aber auch jede Art von Physikalismus ab. Seine Position konnte sich allerdings bisher kaum durchsetzen.

    Die stärkste Form des Naturalismus ist der ontologische Naturalismus. Weitgehend unabhängig von den Erkenntnismethoden ist hier die typische Position: „Das gesamte Universum, so wie es heute von der Wissenschaft erforscht wird, ist alles, was es gibt und es ist in seiner Existenz und seinen Eigenschaften unabhängig von unserem Bewusstsein."

    Der Philosoph Peter Schulte¹² definiert das noch präziser:

    Der ontologische Naturalist lässt zwei Klassen von Entitäten zu: 1. Die fundamentalen natürlichen Entitäten, die von der idealen (vollständigen und korrekten) naturwissenschaftlichen Theorie unserer Welt postuliert werden – also vermutlich Einzeldinge wie Elektronen, DNA-Moleküle und Schnabeltiere, Eigenschaften wie Masse, pH-Wert und Gesamtfitness, usw., und 2. Die derivativen natürlichen Entitäten, die aus den fundamentalen Entitäten zusammengesetzt sind oder, vorsichtiger formuliert, in einer ontologischen Abhängigkeitsbeziehung zu diesen Entitäten stehen. Die Gegenstände der zweiten Kategorie sind selbst keine Postulate der Naturwissenschaften, gelten aber als „natürlich", weil sie nicht unabhängig von den fundamentalen natürlichen Entitäten existieren können.

    Zu dieser zweiten Kategorie zählen z. B. die Produkte der Kunst und die besonderen Fähigkeiten des Gehirns. Man kann innerhalb des ontologischen Naturalismus noch eine schwache und eine starke Form unterscheiden. Typisch für die schwache Form ist die Aussage des Philosophen Bernulf Kanitscheider (1939–2017):

    Das materielle Substrat des Universums bringt letztlich aus seiner eigenen Gesetzmäßigkeit alle Gebilde hervor. Das Universum kann in seinem empirischen, aber auch theoretisch erfassbaren Bereich ohne Rekurs auf autonome spirituelle Entitäten, besondere Lebenskraft oder teleologische und transzendente Wirklichkeit erkannt werden.

    Die starke Form des ontologischen Naturalismus schließt auch noch einen Transzendenzbereich völlig aus. Der Philosoph Franz Josef Wetz sagt dazu: „Der Mensch ist ein unbedeutender Agent in einem ziel- und sinnfreien, dem Spiel blinder Naturkräfte unterliegendem Universum. Diese sinnfreie Natur ist alles, was es gibt. Alle Vorgänge in der Wirklichkeit laufen nach Naturgesetzen ab. Es geht in der Natur mit rechten Dingen zu." Es werden also schon von vorneherein mystische Dinge oder Vorgänge in der Wirklichkeit völlig ausgeschlossen und zwar auch bei solchen Phänomenen, die wissenschaftlich noch ungeklärt sind. Dieser harten Position kann man vorwerfen, dass sie nicht wirklich ergebnisoffen ist und leicht dogmatische Züge hat. Geht man noch einen Schritt weiter und bestreitet auch noch die Existenz von emergenten Eigenschaften, so führt der ontologische Naturalismus zum physikalischen Naturalismus oder kürzer ausgedrückt zum reinen Physikalismus.

    Beim methodologischen Naturalismus wird der ontologischen Naturalismushypothese kein axiomatischer Status zuerkannt, ihr wird lediglich höhere empirische Kohärenz und Plausibilität zugestanden. Als empirische Hypothese gilt sie jederzeit als revisionsfähig. Insofern verpflichtet er sich nicht auf einen Szientismus oder einen Physikalismus. An der Frage, in welchem Ausmaß der methodologische Naturalismus erkenntnistheoretische Fragen lösen kann, kann man auch hier stärkere und schwächere Formen unterscheiden. Die starke Position geht davon aus, dass alle erkenntnistheoretischen Fragen letztlich naturwissenschaftliche Fragen sind. Die Orientierung an den Erkenntnismethoden der Naturwissenschaft ist das entscheidende Merkmal des methodologischen Naturalismus. Es geht dabei nicht in erster Linie um die Klärung der Begriffe, sondern darum, die Phänomene selbst zu untersuchen und daraus Theorien zu entwickeln, die diese angemessen beschreiben. Bereits die berühmten Philosophen Hume, Hobbes, La Mettrie und Holbach waren der Ansicht, dass allein die Methoden der Naturwissenschaft den Königsweg der Wahrheit liefern.

    Der am wenigsten radikale Naturalismus ist der epistemische oder erkenntnistheoretische Naturalismus. Er kann als Unterform des methodologischen Naturalismus eingeordnet werden. Er bezieht sich ausschließlich auf die Erkenntnis von natürlichen Phänomenen. Hier wird anerkannt, dass die Methoden der Naturwissenschaft allen anderen Methoden überlegen sind. Noch unerklärte Phänomene werden nicht von vorneherein als mystisch eingestuft, sondern es wird grundsätzlich versucht, sie wissenschaftlich zu untersuchen und zu erklären. Dabei wird aber grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass es Dinge gibt, die im Rahmen der Naturwissenschaft nicht erklärt werden können. Der Erkenntnisprozess selbst wird als natürlicher und letztlich über die Naturwissenschaft erschließbarer Prozess angesehen. Innerhalb der drei hier unterschiedenen Formen des Naturalismus gibt es jeweils noch stärkere und schwächere Positionen.

    Für den Naturalismus spricht generell, dass alles, was existiert, aus natürlichen Bausteinen und Kräften besteht. Auf der niedrigsten Ebene sind das die Elementarteilchen und die vier Grundkräfte der Natur. Aus diesen Dingen hat sich im Laufe der Evolution das Leben bis hin zum Menschen entwickelt. Dennoch sollte man mit Absolutheitsansprüchen vorsichtig sein. Insofern ist der methodologische Naturalismus am wenigsten zu kritisieren. Er lässt im Prinzip auch eine philosophische Theologie zu. Hier können dann theologische Aussagen wie naturwissenschaftliche Hypothesen behandelt werden, um sie versuchsweise an der Wirklichkeit und an ihrer Erklärungskraft zu testen.

    Gegner des Naturalismus haben generell das Erklärungsproblem, wie die von ihnen postulierten nichtnatürlichen Tatsachen auf physikalische Tatsachen einwirken oder warum sie keinerlei physikalische Effekte nach sich ziehen. Wenn angenommen wird, dass physikalische Ereignisse ihren kausalen Ursprung zumindest teilweise außerhalb der Physik haben, würde man die kausale Geschlossenheit der Physik aufgeben. Eine solche Verletzung der Geschlossenheit konnte aber bisher nie zuverlässig beobachtet bzw. nachgewiesen werden. Wenn nichtnatürliche Dinge keinerlei physikalische Effekte zur Folge haben, muss man sich fragen, ob es sie überhaupt gibt.

    In den letzten Jahren ist dennoch insbesondere die starke Position des ontologischen Naturalismus in die Kritik geraten, weil gerade die moderne Physik zeigt, dass Dinge wie Elementarteilchen, Raum und Zeit weniger grundlegend zu sein scheinen, als das bis vor einigen Jahrzehnten noch angenommen wurde. Ein althergebrachter simpler Materialismus kann danach nicht mehr ernsthaft vertreten werden. In der Quantenphysik gibt es Dinge, die völlig außerhalb unserer Alltagserfahrung liegen. Mit Hilfe der Mathematik können sie zwar statistisch präzise beschrieben werden, dennoch widersprechen sie unserer Anschauung. Neben klassisch nicht verständlichen Messergebnissen scheint je nach Interpretation der entsprechenden Experimente das Kausalitätsprinzip zuweilen außer Kraft gesetzt zu sein. In Kap. 2 wird auf diese Problematik näher eingegangen.

    Der wissenschaftlich fundierte Naturalismus hat der Menschheit gewaltige Fortschritte gebracht und viele, früher als mystisch gesehene Dinge naturwissenschaftlich erklären können. Insofern drängt er sowohl die Religionen als auch die Metaphysik immer weiter in eine hoffnungslose Verteidigungs- und Rechtfertigungsposition. Es gibt keinen einzigen Fall, bei dem es in die umgekehrte Richtung gegangen ist. Insofern spricht unsere Erfahrung sehr stark für den Naturalismus, auch wenn es dafür keine Letztbegründung geben mag.

    1.3DER NEUE HUMANISMUS: WELTANSCHAUUNG ODER WELTBILD?

    Ein Naturalist zu sein bedeutet, die Menschen als zerbrechliche Gebilde aus verderblichem Gewebe und so als Teil der natürlichen Ordnung zu sehen.

    Simon Blackburn, britischer Philosoph

    Viele Religionsvertreter versuchen den Humanismus klein zu reden, indem sie ihm den Status einer Weltanschauung zusprechen und ihn damit auf eine Stufe mit den Religionen stellen. Humanismus sei eben auch nur ein Glaube. Für den alten Humanismus mag man diese Einstufung als zutreffend ansehen, obwohl auch hier schon markante Unterschiede zu erkennen sind. So lehnt der alte Humanismus heilige Schriften und Autoritäten, sowie mystische Ideen und Erfahrungen als Quellen der Erkenntnis ab. Er stützt sich vielmehr auf Erfahrung und Vernunft. Dennoch sind einige Positionen des alten Humanismus nur metaphysisch begründbar, wie z. B. die Menschenwürde. Insofern kann man hier nicht wirklich von einem wissenschaftlichen Weltbild sprechen.

    Der neue bzw. der naturalistische Humanismus fußt ausschließlich auf objektiven bzw. wissenschaftlichen Erkenntnissen und orientiert sich am Ziel eines faktenbasierten Weltbildes. Wichtig ist dabei die Offenheit gegenüber neuen Erkenntnissen. Diese Offenheit muss so weit gehen, dass schließlich auch das Humane als Wert an sich hinterfragt werden darf. Bei Fragen der Ethik steht der Konsequentialismus im Vordergrund. Handlungen werden nach ihrer Auswirkung auf das Wohl und Wehe der Menschen beurteilt und nicht nach fragwürdigen Moralvorstellungen. Religiöse Vorstellungen, wie z. B. die eines Schöpfergottes, werden nicht von vorneherein abgelehnt, sondern als Hypothesen eingestuft, die an Erfahrungen über die Wirklichkeit gemessen werden. Wenn sich diese Hypothesen nicht anhand von objektiven Messungen oder Beobachtungen überprüfen lassen und darüber hinaus keine Erklärungskraft haben, so müssen sie als wertlos eingestuft werden.

    Ein überzeugendes Weltbild sollte umfassend sein, das heißt, es sollte zumindest hypothetische Antworten auf die großen Fragen des Lebens, wie sie z. B. Immanuel Kant formuliert hat, geben können. Bis vor wenigen Jahrzehnten hatte unser wissenschaftlich fundiertes Weltbild noch größere Lücken, die dann notgedrungen mit Spekulationen und ungesicherten Annahmen gefüllt wurden. Insofern können wir eigentlich erst jetzt von einem weitgehend objektiven Weltbild sprechen. Von da her ist es rückblickend nicht verwunderlich, dass selbst geniale Naturwissenschaftler wie z. B. Isaac Newton überzeugte Christen waren.

    Das Weltbild des neuen Humanismus sollte trotz der hier dargelegten überzeugenden Argumente nicht als absolute Wahrheit gesehen werden, denn wie schon erwähnt, kommt auch dieses Weltbild nicht ohne Prämissen aus. Diese könnten durchaus falsch sein. Im Moment und wahrscheinlich auch in Zukunft können wir nicht beweisen, dass sie zutreffend sind. Aussagen, dass z. B. die Prämisse des Realismus unmittelbar einsichtig und überzeugend ist und damit die Nichtexistenz einer realen Welt extrem unwahrscheinlich ist, ist eine letztlich unbeweisbare Grundannahme. Auf der anderen Seite nützt es einem nicht wirklich viel, wenn man z. B. Zahnschmerzen hat und sich klarmacht, dass es sich womöglich um virtuelle Schmerzen handelt oder das Gehirn sie nur konstruiert. Weh tut es trotzdem und das Gefühl dabei ist erschreckend real.

    Im deutschsprachigen Raum wird die Diskussion über den Humanismus überwiegend von Geisteswissenschaftlern geführt. Der neue Humanismus, der aus dem angelsächsischen Raum zu uns getragen wurde, wird dagegen mehr von Naturwissenschaftlern vertreten. In dem Buch Die Neuen Humanisten von John Brockman¹³ steht auf dem Klappentext:

    Die Forscher von heute, die das Denken von morgen bestimmen – das sind die neuen Humanisten. Sie erkunden die inneren und äußeren Grenzen unseres Lebens und machen deutlich, wie dramatisch sich unser Leben in naher Zukunft verändern wird.

    Was morgen wird, muss heute gedacht werden. Und derzeit sind es vor allem Naturwissenschaftler, die uns mit den Schlüsselfragen des Lebens konfrontieren. Was werden Menschen, was werden Maschinen in der nahen Zukunft erreichen können? Müssen wir uns das Humane bald anders vorstellen?

    Aufgrund verschiedener historischer Ursachen gibt es in unserer Gesellschaft eine Aufteilung in zwei Kulturen, in eine der Geisteswissenschaften und eine der Naturwissenschaften. 1996 hat nun John Brockman in einem Buch¹⁴ erstmals den Begriff „Dritte Kultur" eingeführt, in der nach seiner Ansicht die beiden getrennten Teile wieder zusammengeführt werden sollen. Dazu schreibt er in der Einführung:

    Es gibt ermutigende Anzeichen dafür, dass die Dritte Kultur heute auch Geisteswissenschaftler einbezieht, die auf die gleiche Weise denken wie Naturwissenschaftler. Wie ihre Kollegen aus den naturwissenschaftlichen Disziplinen glauben sie, dass es eine reale Welt gibt und dass es ihre Aufgabe ist, sie zu verstehen und zu erklären. Sie prüfen ihre Ideen auf logische Richtigkeit, Erklärungskraft und Übereinstimmung mit den empirischen Tatsachen.

    Wenn sowohl die Geisteswissenschaften wie auch schon die Naturwissenschaften von den gleichen Prämissen, nämlich dem Realismus, dem Rationalismus und dem Naturalismus ausgehen, so wird diese dritte Kultur möglich sein. Es gibt keine getrennten Wirklichkeiten von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften, sondern es gibt nur eine Wirklichkeit. Eine Glaubenswirklichkeit existiert nur in unseren Köpfen und sie kann daher nicht zur physischen Wirklichkeit gerechnet werden.

    Im angelsächsischen Raum wird im Rahmen des neuen Humanismus auch verstärkt über die Zukunft unserer Zivilisation nachgedacht. Dabei geht es unter anderem auch um die Entwicklung der künstlichen Intelligenz bis hin zu Maschinen mit Bewusstsein. Der bekannte Robotikexperte Hans Moravec schreibt in dem Buch Die Neuen Humanisten:

    Bereits in einem frühen Stadium dieser Evolution dürfte die Robotik zur größten Industrie auf dem Planeten werden und die Informatikindustrie überflügeln. Diese erreichte ihren herausgehobenen Status, indem sie marginale Aufgaben automatisierte, die wir Schreibarbeit zu nennen pflegen. Die Robotik wird alles andere automatisieren!

    Der nicht minder bekannte Computerwissenschaftler Marvin Minsky sieht die Entwicklung ebenfalls recht positiv:

    Wenn die Programme nämlich lernen, über sich selbst nachzudenken und neue Methoden zur Selbstverbesserung zu erfinden, dann wird sich alles, was wir wissen, ändern, und wir brauchen – vorausgesetzt, wir behalten die Kontrolle über sie – nie mehr zu arbeiten.

    Ray Kurzweil kultiviert seine extrem optimistische Sicht des Siegeszuges der Technologie einschließlich der Ideen des Transund des Posthumanismus in seinem Buch¹⁴ Die Singularität naht. Er schreibt:

    Wir treten in eine neue Ära ein. Ich nenne sie die Singularität. Sie verschmilzt menschliche und maschinelle Intelligenz zu etwas Größerem. Sie stellt einen Sprung in der Evolution unseres Planeten dar. Sehr wahrscheinlich läutet sie ein Zeitalter in der Evolution der Intelligenz überhaupt ein, da wir keinen Hinweis besitzen, dieser Sprung könnte sich schon irgendwo anders ereignet haben. Für mich verbirgt sich darin der Sinn der menschlichen Zivilisation. Es ist Teil unseres Schicksals – aber auch des Schicksals der Evolution – immer schneller fortzuschreiten und die Macht der Intelligenz exponentiell zu steigern.

    Die meisten Evolutionsbiologen dürften allerdings diese Vermutung einer zielgerichteten Evolution als unwissenschaftlich und unbegründet ablehnen.

    Zusammenfassend kann man feststellen, dass der neue Humanismus neben einer rationalen Sichtweise der Wirklichkeit auch die reale Gestaltung der Zukunft im Programm hat – was den meisten Religionen schwerfällt. Sie versuchen mitunter krampfhaft an einem veralteten, längst widerlegten Weltbild festzuhalten und sich gegen neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu immunisieren, um stattdessen illusionäre Zukunftshoffnungen auszumalen.

    1.4DER VORWURF DER WISSENSCHAFTSGLÄUBIGKEIT

    To be scientifically literate is to empower yourself to know when someone else is full of bullshit.

    Neil deGrasse Tyson, US-amerikanischer Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist

    Anders als Gott helfen Antibiotika auch denen, die nicht an sie glauben.

    Yuval Noah Harari, Homo

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