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Blindwütiger Wahn: Thriller
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eBook242 Seiten3 Stunden

Blindwütiger Wahn: Thriller

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Blindwütiger Wahn
Thriller von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 236 Taschenbuchseiten.

Mickey Archer hält sich für auserwählt, die Welt von Dreck und Abschaum zu befreien – seit ihm diese weiße Gestalt erschien, die er Jefferson nennt. Der verlangt von ihm, die >Dreckschleudern< aus der Filmbranche zu beseitigen. Nach seinem ersten Opfer hatte sein Vater, der für die Präsidentschaft kandidiert, dafür gesorgt, dass die Sache vertuscht wurde. Stattdessen hatte man Mickey in einer psychiatrischen Anstalt mit Pillen vollgestopft; aber da die verhinderten, dass er Jefferson sah, nahm er sie nicht mehr. Seither versetzen die grausamen Morde des >Nagelkillers< in Kalifornien die Film- und Fernsehstars in Angst. Als der erste Mord in New York geschieht, werden die Special Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker vom FBI auf den Serienmörder angesetzt ...
SpracheDeutsch
HerausgeberCassiopeiaPress
Erscheinungsdatum7. Dez. 2021
ISBN9783753200712
Blindwütiger Wahn: Thriller

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    Buchvorschau

    Blindwütiger Wahn - Thomas West

    Blindwütiger Wahn

    Thriller von Thomas West

    Der Umfang dieses Buchs entspricht 236 Taschenbuchseiten.

    Mickey Archer hält sich für auserwählt, die Welt von Dreck und Abschaum zu befreien – seit ihm diese weiße Gestalt erschien, die er Jefferson nennt. Der verlangt von ihm, die >Dreckschleudern< aus der Filmbranche zu beseitigen. Nach seinem ersten Opfer hatte sein Vater, der für die Präsidentschaft kandidiert, dafür gesorgt, dass die Sache vertuscht wurde. Stattdessen hatte man Mickey in einer psychiatrischen Anstalt mit Pillen vollgestopft; aber da die verhinderten, dass er Jefferson sah, nahm er sie nicht mehr. Seither versetzen die grausamen Morde des >Nagelkillers< in Kalifornien die Film- und Fernsehstars in Angst. Als der erste Mord in New York geschieht, werden die Special Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker vom FBI auf den Serienmörder angesetzt ...

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

    © by Author / Cover: Firuz Askin

    © dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Prolog

    Manhattan, Ende Oktober 1999

    Ein Dunstteppich lag auf dem Hudson. Als würde das Wasser kochen. Aber es kochte nicht. Es war kalt. Eiskalt.

    Langsam glitten wir durch den nächtlichen Fluss. Keine heftigen Schwimmstöße, kein kraftvolles Rudern mit den Beinen - bloß nicht das Wasser allzu sehr bewegen, nur kein Plätschern verursachen. Die Konturen des Schiffrumpfes vor uns schälten sich immer deutlicher aus Dunkelheit und Dunst.

    Es ging nicht nur darum, die Yacht möglichst schnell zu erreichen - es ging vor allem darum, sie unentdeckt zu erreichen. Jedes Geräusch konnte ein Todesurteil bedeuten. Ein Todesurteil für die Menschen im Rumpf des Schiffes ...

    Milo schwamm an meiner rechten Seite. Die Kälte des Wassers kroch durch die Isolierschicht meines Tauchanzuges. Meine Fingerspitzen schienen sich bereits in Eiszapfen zu verwandeln. Dabei trugen wir Handschuhe und eine zweite Haut aus nicht leitendem Spezialkunststoff. Angeblich konnte man damit bei Wassertemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt zwei Stunden lang überleben. Wir hatten nicht vor das zu testen.

    Ich blickte mich um. Hinter uns, etwa vierzehnhundert Meter entfernt, ragte die nächtliche Skyline Manhattans in den dunklen Himmel. Ein Dschungel aus glitzernden Säulen unter einer matten Lichtkuppel. Keine Spur mehr von dem Kajak, der uns vom Battery Park aus bis auf dreihundert Meter an die Yacht herangebracht hatte. Dunst und Dunkelheit hatten seinen Schatten längst verschluckt.

    Der Schiffsrumpf vor uns war jetzt deutlicher zu erkennen. Kein Motorengeräusch, kein aufschäumendes Wasser unterhalb des Hecks über der Schraube. Die Yacht trieb ohne Fahrt auf dem Hudson. Aber nicht ohne Besatzung. Das wussten wir.

    Der Dunst kam uns entgegen. Mit ein bisschen Glück würden sie uns nicht entdecken. Den Kajak oder sonst ein Boot hätten sie längst gesichtet.

    Vor mir schaukelte ein aufgeblasenes Kunststoffkissen. In ihm, geschützt vor der Nässe, ein Funkgerät, zwei Maschinenpistolen, ein Nylonseil und ein paar Blendgranaten.

    Schweigend glitten wir durch Wasser und Dunst. Noch knapp fünfzig Meter bis zur Yacht. Wir steuerten ihr Heck an. Ein Lichtfleck schob sich aus ihrem Schatten in unser Blickfeld. Die Statue of Liberty im Licht der Strahler. Etwa anderthalb Kilometer entfernt. Und dahinter, im Dunst kaum noch wahrnehmbar, die Skyline von Jersey City.

    Milos Arm hob sich aus dem Wasser. An der Yacht vorbei deutete er nach Süden in den Himmel. Ein Band verwaschener Lichtflecken schimmerte über der nächtlichen Upper Bay. Als würde ein Fackelzug dort oben flussaufwärts schweben. Mit ein bisschen Fantasie konnte man sich auch den Anflug einer Ufo-Flotte vorstellen. Oder noch exotischere Erscheinungen.

    Es war natürlich kein Fackelzug. Und schon gar keine Ufo-Flotte. Es war das Ergebnis eines organisatorischen Meisterstücks der Zentrale. Dort, in der Federal Plaza, saßen Orry Medina und Clive Caravaggio. Und Jonathan McKee, unser Chef. Sie leiteten den Einsatz. Und sie legten ein perfektes Timing hin. Das Lichtband am Himmel war der Beweis.

    Wir erreichten das Schiff. Eine Hochsee-Yacht von gut dreißig Meter Länge. Ich schob das Lastkissen an den Schiffsrumpf, Milo griff nach dem Nylonseil und legte den Kopf in den Nacken. Anderthalb Meter über uns die Heckreling der Yacht.

    Wir lauschten. Eine Stimme drang aus der Dunkelheit. Eine Männerstimme. Irgendwo am Bug des Schiffes redete jemand. Und zwar ziemlich laut. Wir wussten nicht, mit wem der Mann sprach.

    Die erste größere Klippe unseres Einsatzes lag vor uns. Mein Partner nahm den Widerhaken am Ende des Seils und wog ihn in der Hand. Eine dicke Gummischicht überzog das faustgroße, stachlige Teil. Ganz würden sich Geräusche nicht vermeiden lassen.

    Milo warf den Widerhaken zur Reling hinauf. Er fiel über den Brüstungsholm der Reling, schlug dumpf gegen das Gestänge und pendelte hin und her. Atemlos lauschten wir. Keine Schritte, nichts. Noch immer die Stimme von der anderen Seite der Yacht. Irgendjemand schien am Bug zu stehen und die Lichter am Himmel zu betrachten.

    Milo zog am Seil, bis sich der Widerhaken in der Reling verfing. Ich kletterte als erster an Bord. Meine klammen Finger schlossen sich um die Reling. Ohne die genoppten Innenflächen der Handschuhe wäre ich abgerutscht. Ich zog mich hoch, schwang mich über die Reling und drückte mich flach aufs Deck.

    Wieder lauschen, wieder nach allen Seiten sichern. Keine Schritte näherten sich. Rechts die glitzernden Konturen des Big Apples, links, undeutlich, die Statue of Liberty im Scheinwerferlicht. Und über dem Hudson waberte der Dunst. Nacheinander reichte Milo mir die Ausrüstungsstücke hinauf.

    Es passierte in dem Augenblick, in dem Milo über die Brüstung kletterte - ein seltsames Fauchen vom Bug her, ein dumpfer Knall, und plötzlich lag flackernder Lichtglanz über dem Dunst rechts und links des Schiffes.

    Wir rollten uns dicht an die Deckaufbauten. Die Maschinenpistolen im Anschlag spähten wir zum Bug. Von dort kam das Licht. Wir sahen seine lodernde Korona, aber den Blick auf die Feuerquelle selbst verstellten uns noch die Deckaufbauten. Ich fröstelte.

    Milo deutete hinauf zum Kajütendach. Wir kletterten hoch. Meter um Meter arbeiteten wir uns Richtung Bug voran. Es stank nach Benzin und verbranntem Haar. Behutsam schoben wir uns am Rettungsboot vorbei bis auf das Dach des Navigationsraums.

    Und dann sahen wir das Feuer. Zwischen dem spitzen Winkel der Bugreling brannte es auf einer Art Tisch oder Podest. Es sah aus wie ein Scheiterhaufen. Grelle Flammen loderten über ihrem Fraß und schickten schwarzen Qualm in den Nachthimmel. In ihnen ein undefinierbarer Haufen brennbaren Materials. Nur eines erkannte ich genau - die Umrisse eines menschlichen Körpers ...

    Eine Frostschicht überzog mein Zwerchfell und das Innere meines Brustkorbes. Der Atem stockte mir. Ein menschlicher Körper, ohne Zweifel - aus seinem Kopf ragte ein langer Gegenstand.

    Ein Mann stand unter uns auf dem Vorderdeck zwischen Feuer und Navigationsraum. Wir konnten keine Waffe in seinen Händen erkennen. Er trug einen hellen Trenchcoat, blickte in den Himmel der heranschwebenden Lichterkette entgegen und breitete die Arme aus. Unverständliche Worte stieß er aus, beschwörend, flehend. Worte, die ich nicht begriff ...

    Wir wussten, dass wir keinen gewöhnlichen Verbrecher jagten. Wir wussten, dass wir dem Wahnsinn auf der Spur waren. Ja, dem Wahnsinn. Aber etwas mit dem Kopf zu wissen, und etwas mit allen Sinnen zu erleben - das sind zwei Paar Stiefel...

    Als hätte der Mann in dem hellen Trenchcoat meine Gedanken gespürt, drehte er sich um ...

    *

    Ein paar Tage später in der Federal Plaza. Schneeregen klatschte gegen die Fensterscheiben. Ich saß allein in unserem Büro. Der Sessel hinter Milos Schreibtisch war leer. Ich starrte in den bleigrauen Herbsthimmel. Die Spitzen der Hochhaustürme vor meinem Fenster verschwanden in dichten Wolken.

    In allen Knochen hing mir die Erschöpfung. Und die Trauer. Vor mir auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere: Verhörprotokolle, Laborberichte, Aktennotizen, Personendossiers, Berichte des Erkennungsdienstes, und so weiter und so weiter.

    Die Unterlagen mussten gesichtet und in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden. Die Staatsanwaltschaft wartete auf unseren Bericht. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Und alles in mir sträubte sich dagegen überhaupt anzufangen.

    Weniger, weil ich die Arbeit für sinnlos hielt - nach meiner Einschätzung würde es nie zum Prozess kommen. Aber das war es nicht - ich wollte mit dem Fall einfach nichts mehr zu tun haben. Das war es. Ich wollte ihn so schnell wie möglich vergessen. Aber die erschütternden Bilder und Eindrücke hatten sich in den letzten Wochen zu einem klebrigen Netz verdichtet - wie eine Krake lag es auf meinem Hirn, sonderte Erinnerungen ab und raubte mir den Frieden.

    Den Bericht für den Staatsanwalt zusammenstellen und dabei noch einmal alles mit meinem Partner durchsprechen - vielleicht hätte mir das geholfen. Vielleicht. Aber Milos Stuhl war leer, wie gesagt. Ich hatte Sehnsucht nach ihm.

    Ich schaltete meinen PC ein. Das Laufwerk tickte, der Bildschirm flammte auf. Aus der untersten Schublade meines Schreibtisches fischte ich eine Schachtel Camel ohne Filter. Ich griff selten zu ihr. Aber das war eine von den Stunden, in denen ich eine Zigarette brauchte.

    Ich zündete sie an und blies den Rauch gegen den Aktenstapel auf meinem Schreibtisch. Zuoberst lag ein umfangreiches Dossier über den Mann, der uns so viele schlaflose Nächte bereitet hatte. Vor allem Krankenberichte.

    Ich griff danach und schlug sie auf. Eine üble Geschichte. Vermutlich hatte sie schon vor vielen Jahren angefangen. Aber wenn man den Akten glaubte, begann sie erst vor wenigen Monaten ...

    1

    Manhattan, SoHo, 27. April 1999

    Ein Mädchen kletterte die Feuertreppe hinauf. Mickey zog den Vorhang noch ein Stück weiter zurück. Das Mädchen hatte hellblondes, langes Haar.

    Er blinzelte über die Green Street in die gusseiserne Fassade auf der anderen Straßenseite. Das Mädchen kletterte auf die Gitterrostplattform des dritten Stockwerks. Es trug ein ärmelloses, weißes Kleid, das ihm bis zu den Knöcheln reichte.

    Normalerweise hätte Mickey sich darüber gewundert. Immerhin war es Ende April - ein nasskalter Wind fegte seit Tagen durch Manhattan. Aber Mickey wunderte sich nicht. Fast war ihm, als hätte er nichts anderes zu sehen erwartet, als er sich wenige Augenblicke zuvor aus dem Bett geschoben und zum Fenster geschleppt hatte. Nichts anderes, als dieses Wesen in dem ärmellosen Kleid und mit dem blonden Langhaar.

    Das Mädchen trat an die Brüstung. Seine Hände schlossen sich um die Aluminiumholme der Rettungsplattform. Es stützte sich auf und sah zu Mickey herüber.

    Mickeys Apartment lag ebenfalls im dritten Stock. Sie befanden sich also auf gleicher Höhe. Er winkte. Das Mädchen reagierte nicht. Eine Windböe wehte ihm das Langhaar ins Gesicht. Das Mädchen machte nicht einmal Anstalten, sich die Strähnen aus Augen und Stirn zu streichen.

    Mickey schob das Fenster hoch. Er beugte sich heraus. Es stank nach Abgasen und Ozean. Unten auf der Green Street wälzte sich eine Blechschlange vorbei. Lauter Pendler, die versuchten den Stau auf dem Broadway zu umfahren. Die abendliche Rushhour hatte die Stadt bereits im Griff. Mickey hatte lange geschlafen.

    Hi! Er winkte noch einmal. Wie geht's so!? Das Mädchen reagierte nicht. Reglos stand es an der Brüstung und sah zu ihm herüber. Mickey kniff die Augen zusammen. Er hatte bis gegen Morgen gearbeitet, dabei viel zu viel Gras geraucht, und sich danach schlaflos auf der Matratze gewälzt. Sein Kopf dröhnte, das Bild des Mädchens verschwamm vor seinen Augen. Er hätte gern sein Gesicht gesehen.

    Moment - nicht weglaufen! Er ruderte mit beiden Armen. Ich komm' gleich zurück! Über Bücher, Magazine, leere Flaschen, Kleider, Schuhe und CD-Hüllen hinweg stolperte er zu seinem Kleiderschrank. Er riss die rechte Tür auf. Seine Rechte tastete sich durch das Chaos im obersten Schrankfach. Zwischen Tabaksdosen, Pistolen, Wasserpfeifen, und Camping-Ausrüstung fand er endlich seinen Feldstecher. Er stürzte zurück ans Fenster, setzte die Gläser an die Augen und spähte hinüber in die gusseiserne Fassade. Das Mädchen war weg.

    So begann der Tag, an dessen Ende Michael Jefferson Archer begreifen würde, dass er dazu ausersehen war die Welt zu retten.

    Bis zu dieser Einsicht war es noch ein Weilchen hin. Noch begriff Mickey gar nichts. Vor allem begriff er nicht, wo das Mädchen geblieben war.

    Jedes einzelne Fenster der gegenüberliegenden Hausfassade suchte er mit dem Feldstecher ab, jede Treppe des Feuerleitersystems, jede Plattform, die Dachkante, auch den Bürgersteig vor dem Haus. Nichts.

    Ratlos blickte er noch ein Weilchen hinüber. Dann warf er seinen Feldstecher auf die Matratze und zog das Fenster herunter. Schade, murmelte er.

    Das Ticken seines altmodischen Weckers drang in sein Bewusstsein. Ein golden glänzendes Ding mit römischen Ziffern und zwei Glocken rechts und links des Bügels. Mickey bückte sich und fischte ihn aus dem Durcheinander von Büchern und Kleidern neben seiner Matratze. Kurz nach vier. Um fünf hatte er ein Date im >Actor's Studio< am Washington Square. Fechtunterricht war angesagt.

    Er nahm ein paar Äpfel und eine Flasche Wasser mit ins Badezimmer. Während das heiße Wasser in die Wanne strömte, betrachtete er sich im Spiegel. Morgen, Mickey. Alles klar?

    Er drückte die Zahncreme auf seine Zahnbürste. Die Zahnbürste war schwarz, genau wie die Kacheln des Badezimmers und das Kunststoffregal hinter der Badewanne. Hingebungsvoll putzte er sich die Zähne. Dabei beobachtete er sein Spiegelbild. Etwas daran verwirrte ihn. Etwas war anders als sonst. Er zog die Zahnbürste aus dem Mund und beugte sich über das Waschbecken dem runden Spiegel entgegen.

    Ein schmales, hohlwangiges Gesicht blickte ihm entgegen. Große, leicht gebogene Nase, breiter Mund mit farblosen, rissigen Lippen, ein kleines Kinn mit einem kurzen Ziegenbärtchen. Das Gesicht eines Halbwüchsigen. Dabei stand Mickeys sechsundzwanzigster Geburtstag ins Haus. Am zweiten Mai. Er hatte eine Fete geplant.

    Als wollte er die Wirklichkeit des Spiegelbildes überprüfen, strich er sich über sein dunkles Stoppelhaar. Die Hand, die im Spiegel das Gleiche tat, kam ihm fremd vor. Hatte er schon immer solch große, langgliedrigen Hände gehabt?

    Neben Mickey plätscherte das Wasser in die Wanne. Wasserdampf stieg auf. Der Spiegel beschlug sich. Das Gesicht darin verschwand hinter einer Nebelwand. Mit der flachen Hand wischte Mickey über die feuchte Schicht auf dem Spiegelglas. Ein bogenförmiger, breiter Streifen entstand. Braune Augen blickten ihm daraus entgegen. Braune Augen unter schwarzen Brauen und einer hohen Stirn.

    Die Augen waren es. Der gehetzte Ausdruck war aus ihnen verschwunden. Seit Wochen gehörte dieser Ausdruck zu Mickey wie die Krümmung seines Nasenrückens oder sein kurz geschorenes Haar zu ihm gehörte. Jetzt war er verschwunden.

    Sanft und ruhig lächelten ihm die Augen aus dem wasserdampffreien Streifen im Spiegel entgegen. Fast friedlich. Genau – friedlich ... Wie die Augen eines Menschen, der ganz und gar in sich selbst ruhte.

    Selten hatte Mickey so etwas wie Frieden empfunden. Und schon gar nicht ruhte er in sich selbst. Noch nie. Sein ganzes Leben lang nicht. Staunendes Lächeln flog über das Gesicht im Spiegel. Hey, Mickey, murmelte er, du bist ja tierisch gut drauf heute ...

    Noch etwa zwei Stunden trennten ihn von der Schwelle zu seiner wahren Existenz.

    Später in der Badewanne - Mickey nahm täglich ein heißes Bad, selbst im Hochsommer - versuchte er sich an seine Träume zu erinnern. Irgendetwas war da gewesen, während der wenigen Stunden Schlaf. Irgendetwas Bedeutungsvolles. Ein Bild, ein Gesicht, Bruchstücke eines Satzes. Das Bild des Mädchens auf der Feuerleiter drängte sich in seine Grübeleien.

    Je länger er grübelte, desto gewisser glaubte er sich zu erinnern, von dem Mädchen geträumt zu haben.

    Er trank Wasser und aß drei Äpfel. Seit sieben Tagen ernährte Mickey sich nur von Obst. Ohne besonderen Grund, einfach so. Seine Gedanken kreisten um das Mädchen. Er fragte sich, ob der ungewohnte Ausdruck in seinen Augen mit dem weißgekleideten, blonden Wesen zusammenhing.

    Nach dem Bad zog er sich an. Schwarze Polycotton-Hosen, schwarzes Muskelshirt, schwarzes Leinenhemd, schwarzes Jackett, dunkelrote, knöchelhohe Turnschuhe. Mickey liebte Schwarz.

    Während er in seine Kleider stieg, wanderte sein Blick zum Fenster. Wieder und wieder. Über die Green Street zur gusseisernen Fassade auf der anderen Straßenseite. Keine Spur mehr von dem Mädchen. Aber es war da, Mickey spürte es, irgendwo, ganz in seiner Nähe ...

    Der Wecker - Mickey fragte sich, ob er nicht gestern noch leiser getickt hatte. Kurz vor fünf, es wurde knapp. Yoshiro, sein Fechtlehrer, verabscheute Unpünktlichkeit. Mickey warf sich seinen schwarzen Wildlederrucksack über die Schulter, verließ sein Apartment und lief die Treppe hinunter.

    Vor den Briefkästen stand Larry Plymouth, der Freak, der seit zwei Monaten über ihm wohnte. Ein Afro, er grüßte und lächelte dabei sogar. Das hatte er noch nie gebracht.

    Zwei Briefe im Briefkasten. Einer von seinem Vater, und einer vom >Actor's Studio<. Vor dem Haus blieb Mickey einen Augenblick stehen und schaute noch einmal hinüber auf die andere Straßenseite. Das Mädchen war nirgends zu sehen.

    Im Dauerlauf lief er die Green Street bis zur Spring Street hinunter. Und dann die Spring Street bis zur Sixth Avenue. Dort hinunter in die Metro-Station. Die Bahn fuhr in dem Augenblick ein, als er den Bahnsteig erreichte. Mickey hielt das für ein gutes Zeichen. Auch dass er einen freien Platz fand, hielt er für ein gutes Zeichen.

    Die Bahn fuhr an. Mickey dachte über die merkwürdige Häufung guter Zeichen an diesem Tag nach. Erst das blonde Wesen auf der Feuerleiter, dann seine Augen im Spiegel, dann Plymouth so freundlich, und jetzt die Bahn und der freie Platz. Das musste etwas zu bedeuten haben, ganz sicher hatte es etwas zu bedeuten. Mickey vermutete, dass es mit dem

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