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Tödlicher Donau-Trip: Österreich Krimi
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eBook368 Seiten4 Stunden

Tödlicher Donau-Trip: Österreich Krimi

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Über dieses E-Book

Auf der schönen, blauen Donau mit einem luxuriösen Katamaran von Budapest nach Passau – so ein Trip ist für viele Touristen ein Traum. Allerdings entwickelt sich die Reise der MS Gustav Mahler zum Alptraum. Zwischen Bratislava und Wien wird der wohlhabende Gerd Schopf angefesselt am höchsten Punkt des Sonnendecks tot aufgefunden. Die beiden Ermittlerinnen Diotima Vogl und Wolke Böhm sollen den Mörder ausfindig machen. Um den neugierigen Klatschreportern zu entkommen, wird die Reise fortgesetzt.
Ein schwerer Fehler. Denn das Schiff wird sein Ziel nie erreichen.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum31. Juli 2020
ISBN9783990740996
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    Buchvorschau

    Tödlicher Donau-Trip - Christian Scherl

    3

    Prolog

    Manchmal bin ich überzeugt, längst tot zu sein. Ich bilde mir nur ein, unter den Lebenden zu wandeln. Wie kann es anders sein, dass mich die Menschen, denen ich begegne, ignorieren, als wäre ich Luft.

    Das Leben am Donaustrom ist einsam. Meine Mutter redet sich ein, ich wäre Sängerin auf luxuriösen Kreuzfahrtschiffen und träte Nacht für Nacht vor elitärem Publikum auf. Im Hafen von Amsterdam, New York und Miami. Ihre blassen, kranken Augen erstrahlen für einen Moment und sie schwärmt, dass sie immer wusste, dass aus mir eines Tages ein großer Bühnenstar erblüht. Sie lächelt dann milde.

    Wenn die Leute erfahren, womit ich mein Geld verdiene, spüre ich an ihren Fragen, dass sie mich bemitleiden und herausfinden wollen, woran ich gescheitert bin. Aber ich liebte diese Bühne, so klein sie sein mag. Sie war der Fixstern in meinem Universum – bis zu diesem Tag. Diesem gottverdammten Tag.

    Nichts ist mehr, wie es einmal war.

    Der Abschied fällt mir schwer. Die Scheinwerfer bleiben kalt und finster. Für immer. Mein Make-up blättert ab wie alte Farbe von der Fassade verwahrloster Gebäude.

    Dies sind meine letzten Zeilen. Ich bin auf meiner Irrfahrt an einem Ziel aufgeschlagen, das ich nie angesteuert habe.

    Niemand, der mich vermisst. Niemand, der auf mich wartet. Wie ein gestrandetes Segelboot, das sehnsüchtig hofft, von der Flut gepackt und wieder ins Meer gezogen zu werden – aber sie hat mich einfach überrollt.

    Ich weiß jetzt: Ich sollte das andere Mädchen sein.

    Kapitel 1

    Ein neuer Fall für das Frauenpowerteam

    1. Im Morgengrauen

    Schemenhaft zeigen sich die Plattenbauten am Ufer. Bäume und Sträucher ziehen wie Schatten von Gespenstern vorüber. Grelle Strahler eines Vier-Sterne-Superior-Katamarans beißen sich durch den Nebel, der über dem Wasser liegt. Monoton schnurrt der Dieselmotor. Über 1000 PS befördern das 100 Meter lange und 17 Meter breite Schiff durch den Fluss.

    An den Seitenflanken des schwimmenden Hotels prangt der Schriftzug »MS Gustav Mahler« neben dem österreichischen Wappen. Mit 12 Knoten gleitet das Schiff stromaufwärts. Die Eisenbahnbrücke, die sich quer über die Donau spannt, kommt rasch näher, auch wenn sie sich erst im letzten Moment, eingebettet in Nebelschwaden, zu erkennen gibt.

    Ein Knebel schluckt den Hilfeschrei des Mannes.

    Sein Kopf ragt wie ein Ballon über den höchsten Punkt des Decks hinweg und steuert direkt auf die Unterkante des Stahlgerüsts der Eisenbahnbrücke zu. Frostiger Wind lässt das graue Haar, einer Fahne gleich, wehen. Der dumpfe Klang beim Aufprall des Schädels am Stahl hört sich an, als würde jemand wuchtig gegen einen Blechmülleimer treten. Ungebremst zieht das Schiff weiter – mit Kurs auf Wien. Der Ballon über dem Deck ist verschwunden.

    2. Wolke – Neuer Einsatz

    Wolke Böhm fragt sich, wer dafür verantwortlich ist, dass Wien Jahr für Jahr zur schönsten und lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wird. Schon lange vermutet sie dahinter Korruption, oder die Jury trägt Augenklappen. Der jungen Inspektorin würden auf Anhieb ein Dutzend Plätze dieser Stadt einfallen, die an Tristesse und Scheußlichkeit nicht zu überbieten sind – und die Anlagestelle, an der das Doppelrumpfmotorenschiff »MS Gustav Mahler« in Nussdorf ankert, zählt definitiv zu diesen Schandflecken. Statt Panoramablick verstellt eine Autobahnbrücke die Aussicht. Als Schiffspassagier gafft man auf nackte Betonwände voller unkreativer Graffitis. Eine dunkelbraune Brühe straft »die schöne blaue Donau« Lügen. Bezaubernd schimmert einzig der bunte Ölteppich rund um den Katamaran.

    Aber Wolke Böhm von der Wiener Kriminalpolizei ist ohnehin nicht hier, um die Stadt auf Attraktivität zu bewerten. Vor knapp einer Stunde rüttelte sie der Anruf ihrer Vorgesetzten, Diotima Vogl, unsanft aus dem Schlaf.

    Auf der MS Gustav Mahler hat sich eine Tragödie ereignet. Ein Passagier wurde enthauptet. Vom Tragwerk einer Brücke. Unfall oder Mord, das soll die Kripo herausfinden – in Gestalt des »Frauenpower-Teams« der Wiener Kriminalpolizei, wie Diotima Vogl und Wolke Böhm von ihrer Kollegenschaft gerne genannt werden.

    Die Chefinspektorin hat ihre Partnerin zuhause abgeholt und gab sich an diesem Morgen äußerst wortkarg. An den Sauhaufen in ihrem Auto hat sich Wolke mittlerweile gewöhnt. Der Fond erstickt im Müll – Ramsch, den niemand braucht. Messie bleibt Messie – und dennoch würde Wolke ihre Partnerin als kompetente Kriminalpolizistin bezeichnen.

    »Dio«, wie sie ihre Kollegin zu nennen pflegt, nuckelt gelegentlich an einem Kaffeebecher, den sie seit Besteigen des Wagens in ihrer rechten Hand hält. Immer wieder schielt sie zu Wolke.

    »Hast du deine Glock mit?«

    »Natürlich.«

    »Zeigen!«

    »Vertraue mir.«

    »Zeigen!«

    Leicht säuerlich zupft Wolke ihre Jacke seitlich in die Höhe, damit die Chefinspektorin den Ansatz der Dienstwaffe erkennen kann.

    »Ich will nur vermeiden, dass du in heiklen Situationen wieder einmal ohne Puffe aus dem Haus gegangen bist, nur weil du diese Dinger verabscheust.«

    Den Rest der Fahrt wird geschwiegen.

    »Bitte, kein Mord«, spricht Diotima Vogl in ihren Becher, während die beiden Inspektorinnen zur Gangway des Schiffes marschieren - ein rollstuhlbreiter Steg, der direkt zum Schiffseingang führt.

    »Du weißt, was es bedeutet: Ein Mord am Freitag – da kannst du das Wochenende knicken. Ade, Feierabend!«

    Aggressiv schleudert sie den Pappbecher in einen an der Reling befestigten Behälter, von dem auch Wolke annehmen würde, dass es ein Mistkübel ist. Aber der Mann in Marineuniform, der den Polizistinnen zunickt, klaubt hinter Dios Rücken den Kaffeebecher umgehend aus dem Behälter hervor.

    »Ihre Kollegen sind schon da«, sagt er, nachdem er einen kurzen Blick auf Diotimas Kripoausweis wirft.

    Er muss dafür seinen Kopf leicht zur Seite neigen. Eine Narbe unterm Auge lässt ein Auge größer als das andere erscheinen.

    »Man erwartet Sie oben am Sonnendeck.«

    Die Glastür schiebt per Lichtschranke auf. Die beiden Beamtinnen betreten das Foyer der MS Gustav Mahler und glauben sich in einem Fünfsternehotel wiederzufinden. Durch das Glasdach wird das sechs Meter hohe Atrium mit Licht geflutet. Wie muss das erst an sonnigen Tagen strahlen. Ein grün-weiß-rot gescheckter Teppich leitet zur Rezeption, die nicht besetzt ist – dafür spielt sich daneben eine seltsame Szene ab:

    Zwei Polizisten haben Mühe, einen Mann im Smoking in Schach zu halten. Der Mann ist sichtlich betrunken. In seinen Ohren stecken knallgrüne Ohrstöpsel, deren Kabel irgendwo zwischen zwei Hemdknöpfen auf Bauchhöhe verschwinden. Noch nicht einmal acht Uhr und der Mann lallt. Da muss die Stimmung an Bord in dieser Nacht ja prächtig gewesen sein.

    »Greift mich nicht an, ihr schmierigen Bullen. Lasst mich los. Wisst ihr nicht, mit wem ihr es zu tun habt?«

    »Keiner darf das Schiff verlassen.«

    »Wien ist meine Endstation. Wir sind in Wien, also will ich auch von Bord.«

    »Zuerst müssen die Zeugenaussagen aufgenommen werden.«

    »Ich habe nichts gesehen. Also habe ich auch nichts zu sagen und möchte gehen.«

    »Einen kleinen Augenblick Geduld noch.«

    Einer der Polizisten blickt gestresst zu den eintreffenden Ins­pektorinnen.

    »Der Herr kann es gar nicht mehr erwarten, von euch verhört zu werden.«

    »Ich dachte, es gibt eine Leiche an Bord«, knurrt die Chefins­pektorin. »Wo ist der Tatort?«

    »Oben, an Deck. Vielleicht könnt ihr dann gleich Mal die Zeugenaussage dieses Herrn einholen, damit wir seinem Wunsch nachkommen können und er von Bord gehen kann.«

    »Die Reihenfolge der Zeugenaussagen bestimmen wir selbst.«

    Diotima und Wolke nehmen Kurs auf den Treppenaufgang.

    An der Treppe stehen weitere Polizisten. Die Inspektorinnen folgen dem Weg bis hoch ans Sonnendeck.

    3. Wolke – Der Tote

    Noch bevor Wolke die Leiche sieht, erblickt sie das Blut, das großzügig verspritzt an den weißlackierten Aluminiumplanken der Reling klebt. Polizisten und Schiffsuniformierte stehen herum wie ein Empfangskomitee.

    Als sie spalierartig zur Seite schwenken, liegt in Fluchtlinie ein fußballgroßes Knäuel aus glitschigem Fleisch und Haaren am Ende einer zehn Meter langen Blutspur. Das muss der abgetrennte Schädel sein.

    »Die Wucht, mit der das Opfer gegen die rasiermesserscharfe Brücke knallte, hat ihm den Kopf vom Körper gerissen – wie eine Weintraube, die man vom Stängel schnippt.«

    Der Spurensicherer im weißen Overall schnalzt mit der Zunge, um in Wolkes Kopf die bildhafte Vorstellung perfekt zu machen. Der Spusikollege geht gemeinsam mit der Inspektorin in die Hocke, um den Schädel genauer zu betrachten, der nichts mehr mit einem menschlichen Kopf gemeinsam hat und eher so aussieht, als hätte jemand eine explodierte Krampusmaske über einen Ball gestülpt.

    »Unsere Kollegen sind dabei, sämtliche Brücken zwischen Wien und Bratislava abzuklappern, damit wir wissen, wo sich die Tragödie ereignet hat«, sagt der Spurensicherer.

    Wolke dreht sich nach ihrer Kollegin um, die den Rest der Leiche inspiziert. Der Körper des Toten liegt mittig am Sonnendeck auf einem Rasenteppich und steckt in einem silbernen Anzug. War garantiert ein sündteures Modell, auch wenn es mit den eingerissenen Ärmeln nicht mehr danach aussieht. Außerdem war der Anzug stundenlang dem Regen ausgesetzt.

    »Sowohl Arme als auch Waden sind mit deutlichen Schürfspuren überzogen«, erklärt der Kollege von der Spusi-Abteilung.

    »Damit ist klar, dass der Mann zum Tatzeitpunkt gefesselt sein musste«, resümiert Wolke und blickt auf zwei pythonartig zusammengerollte Schiffstaue, die jeweils links und rechts des Toten liegen.

    Als sie die zerfransten Taue begutachtet, bringt sich ein Polizeikollege räuspernd ein:

    »Mit ziemlicher Sicherheit war er dort drüben fixiert.«

    Das Kinn des Polizisten zeigt zu einem Geländer, das hinter dem Vordach des Sonnendeckaufgangs den höchsten Punkt am Sonnendeck ausmacht. Wolke schlendert zu der Stelle. Das Vordach ist gleichzeitig eine kleine Plattform, breit genug für eine Person. Hinter dem Geländer ist eine fußmattengroße Mulde, getränkt mit einer trüben Suppe, in der unzählige Zigarettenkippen schwimmen. Kein minder geschmackloser Anblick als die Leiche.

    Knapp dahinter befindet sich eine brusthohe Wand, die das Sonnendeck von einem gigantischen Flachdach abgrenzt, das sich über das gesamte Atrium spannt.

    »Wenn er gefesselt war, war‘s wohl eindeutig Mord«, sagt Wolke in Richtung Diotima, die ihren Blick nicht von der Leiche nimmt.

    »Das war es dann mit den Wochenendplänen.«

    »Eine regelrechte Hinrichtung«, fügt der Spurensicherer hinzu. »Da muss jemand sehr böse auf diesen Herrn im Anzug gewesen sein. Der oder die Täter wussten, wo man den Mann platzieren musste, damit er sich verlässlich den Schädel andonnert.«

    Er stellt sich neben Wolke und betrachtet die zigarettengetränkte Mulde beim Vordach.

    »Wir haben das Eisengitter gefunden, das normalerweise hier darüberliegt. Ziemlich deformiert. Nehmen wir mit ins Labor, vielleicht finden sich brauchbare Spuren.«

    »Kannst du sagen, ob der arme Kerl bei Bewusstsein war, als es passierte?«

    »Nein, das kann ich dir nicht sagen. Aber je rascher wir die Leichenteile in mein Reich abtransportieren können, desto eher kann ich euch Antworten liefern.«

    »Habt ihr alles dokumentiert? Schickt mir die Spusi-Fotos auf mein Diensthandy«, sagt Diotima und schwenkt ihren Kopf durch die Runde. »Wer von euch ist der Kapitän?«

    »Unser Kapitän ist auf der Brücke.«

    »Und wer sind Sie?«

    »Ich bin der Chef an Bord und beantworte gerne all Ihre Fragen.«

    »Dann sagen Sie mir gleich einmal, um wen es sich bei dem Toten handelt.«

    »Das ist Gerd Schopf. Ein Passagier aus Wien, Unternehmer. Er reiste alleine, keine Angehörigen an Bord.«

    »Haben Sie die Leiche entdeckt?«

    »Nein, der Erste Offizier fand den Toten.«

    Der Chef an Bord blickt auf einen Mann mit ledrig zerfurchtem Gesicht. Die harte Arbeit ist an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Er steht etwas abseits der Leiche neben einem abgedeckten Outdoor-Whirlpool und qualmt eine Zigarette.

    Wolke würde sein Alter zwischen 50 und 60 schätzen. Vielleicht ist er aber auch viel jünger und seine gegerbte Haut, sein alkoholzerfressenes Gesicht und der lose Haarwuchs machen ihn älter, als er tatsächlich ist. Als sie sich ihm nähert, hebt er seinen Kopf, blickt sie grimmig an und spricht mit einer Stimme, der jahrzehntelanger Zigaretten- und Whiskykonsum anzumerken sind:

    »Ich bin dafür verantwortlich, dass die Zugänge zum Sonnendeck bei Gefahrenlage gesichert sind.«

    »Bestand Gefahr?«

    »Starker Wind, Nebel, niedrige Brücken. Laut Vorschrift darf bei solchen Bedingungen keiner an Deck. Mit Ausnahme der Kommando-Crew.«

    »Gibt es tatsächlich Brücken, die so niedrig sind, dass man Gefahr läuft, geköpft zu werden?«

    »Es gibt eine Handvoll Brücken zwischen Bratislava und Wien, bei denen das Betreten des Sonnendecks aus Sicherheitsgründen verboten ist. Die sind trotzdem nicht so niedrig, dass man am Sonnendeck Gefahr laufen würde, den Schädel abrasiert zu bekommen – außer ...« Der Blick des Mannes schielt zu dem Vordach über dem Sonnendeckzugang.

    »Aber wer stellt sich in solchen Momenten freiwillig wie eine Kühlerfigur auf den höchsten Punkt?«

    Wolke blickt zur Kommandobrücke, von der aus das Schiff gesteuert wird. Die Steuerkajüte ragt rund 50 Meter vor dem Sonnendeck wie ein Würfel in die Höhe. Dazwischen das flache Glasdach.

    »Haben Sie eine Erklärung, wie Gerd Schopf hier oben sein kann, wenn alle Zugänge abgesperrt waren?«

    »Die Tür war nicht abgeschlossen«, sagt der Chef an Bord.

    »Aber der Offizier erklärte uns soeben, es war abgeschlossen.«

    »Nein«, knurrt der Erste Offizier. »Ich sagte, ich sichere die Eingänge. Das bedeutet nicht, dass ich die Tür unpassierbar mache, sondern eine Absperrkette mit Warnhinweistafel vor die Zugangstreppe hänge. Die Türen müssen aus Sicherheitsgründen stets passierbar bleiben.« Er schnippt mit dem nikotingelben Finger zum Chef an Bord. »Drago, zeig es ihr.«

    Der Chef an Bord trippelt die wenigen Stufen hinab zur Tür, die ins Schiff führt, und bückt sich nach der Kette, die zwischen Geländer und Tür lasch zu Boden hängt. Demonstrativ spannt er sie vor die unterste Treppe und hakt das Kettenende in einer Öse ein. Wie ein Hürdenspringer steigt er über die Kette.

    »Wir machen die Gesetze nicht«, sagt der Offizier aus dem Hintergrund und zündet sich eine neue Zigarette an. »Für alle weiteren Fragen sollten Sie sich an Ruth Winerl wenden.«

    »Ruth Winerl? Wer soll das sein?«

    »Sie ist die Reiseleiterin für die heimischen Gäste, also auch für das Todesopfer«, übernimmt wieder der Chef an Bord. »Aber sie wird Ihnen nicht mehr erzählen können als ich. Der Mord ereignete sich, als alle schliefen.«

    »Bringen Sie mich zum Kapitän«, befiehlt Diotima Vogl, die so agiert, als ermittelte sie alleine.

    »Hallo, ich bin auch noch hier«, würde ihre Kollegin gerne Einspruch erheben, verpackt es aber diplomatischer: »Sollte uns der Chef an Bord zuvor nicht verraten, wem dieser Katamaran gehört?«

    »Der Reeder?«, räuspert der Chef an Bord.

    »Ja, ist er auf dem Schiff?«

    »Nein.«

    »Dann richten Sie ihm aus, dass er sich gefälligst hierherbewegen soll.«

    »Ich bezweifle, dass sich das einrichten lässt. Der Reeder befindet sich gerade in Südamerika bei der Anschaffung eines neuen Reiseschiffes.«

    »Dann bringen Sie mich eben erst einmal zum Kapitän«, spricht die Chefinspektorin wieder einmal nur in Ichform. »Ich muss ihm mitteilen, dass diese Schiffsreise beendet ist. Und dann trommeln Sie alle Passagiere und die gesamte Besatzungsmannschaft zusammen. Keiner verlässt das Schiff. Und mit dieser Ruth Winerl möchte ich auch reden.«

    »Ich werde sehen, ob ich sie auftreiben kann. Wollen die Damen inzwischen in unserer Panoramabar Platz nehmen – dort unterhält es sich angenehmer als hier.«

    Wolke muss innerlich über den Chef an Bord schmunzeln. Er ist so auf Touristenfreundlichkeit getrimmt, dass er selbst gegenüber der Polizei und in einem Mordfall darauf bedacht ist, bestmögliche Urlaubsatmosphäre herzustellen. Ein Sunnyboy durch und durch, etwa im gleichen Alter wie die Co-Inspektorin und optisch in die Kategorie makellos einzuordnen.

    Kapitel 2

    Willkommen an Bord der MS Gustav Mahler

    1. Ruth – Erste Gäste

    »Das wird dein Tag, Liebste. Das wird dein gottverdammter Tag.«

    Wenn sie nervös war, machte Ruth gerne von der Gewohnheit Gebrauch, Selbstgespräche mit positiven Suggestionen zu führen. Sie nippte am Martiniglas. Bestimmt der dritte Drink an diesem Tag.

    Ungeduldig wartete sie auf die Ankunft der Passagiere für den letzten großen Trip der MS Gustav Mahler auf der Donau für dieses Jahr. In wenigen Stunden startete die Reise: Budapest – Passau. Eine Wochentour mit dem Flusskreuzfahrtschiff.

    In der Hochsaison kriegt man Monate im Voraus für diesen Trip keine Plätze mehr. Jetzt war es Ende September und nur zwei Drittel aller Kabinen waren belegt. Vorwiegend die schönen, noblen Suiten in Ober- und Panoramadeck. Die weitaus kleineren und schlichteren Kajüten im Hauptdeck blieben nahezu leer und wurden großteils als Lagerraum für Transportgut verwendet.

    Das Klientel war stets ein ähnliches: gut betuchte Rentner, speziell aus Holland und Deutschland.

    Um die restlichen Kabinen aufzufüllen, hatte der Reiseveranstalter und Schiffseigner eine grandiose Idee. Er initiierte kurzfristig eine Pressereise und gab Ruth den Auftrag, die besten Journalisten des Landes an Bord zu holen, damit die Reporter positiv über diese Reise berichten und die Chance auf mehr heimisches Publikum in der nächsten Saison wieder steigen würde.

    Ruth legte sich ins Zeug und schrieb sämtliche Redaktionen quer durch Österreich an. Das Feedback hielt sich in Grenzen. Verfluchte Finanzkrise. Sie lag lange zurück und trotzdem hinterließ sie ihre Spuren. In den Jahren vor dem Börsencrash waren solche Pressereisen begehrt und die Medien hätten Ruth die Türe eingerannt. Seit die Redaktionen zum Sparen gezwungen waren und obendrein die Digitalisierung den Printmedien ans Eingemachte ging, standen mehrtägige Pressereisen auf der schwarzen Liste. So lange Abstinenz der besten Mitarbeiter konnte sich keine Redaktion leisten. Lediglich drei Journalisten buchten fix einen Platz für die Tour.

    Aber sie hegte die leise Hoffnung, dass sich manche Medienvertreter spontan für eine Mitfahrt entscheiden und wenige Augenblicke vor Ablegen des Schiffes am Hafen erscheinen würden.

    »Wo seid ihr, meine Last-minute-Gäste?«

    Erneut nippte Ruth am Glas und lutschte an den Eiswürfeln, obwohl sie am Sonnendeck fröstelte. Einige Planken des Decks waren noch feucht vom Regen, der vor wenigen Stunden Budapest in eine trübe Kulisse verwandelt hatte. Mit Eintreffen des Kleinbusses blinzelte sogar die Sonne durch ein paar bauschige Wolken.

    Der Kleinbus wendete am Ufer und blieb mit dem Heck zur Landebrücke der MS Gustav Mahler stehen. Der Shuttleservice für die Passagiere der Tour.

    Ein paar Gesichter waren der Reiseleiterin vertraut. Etwa jenes von Gudrun Bauer, der Redakteurin eines angesehenen Wochenmagazins. Ruth liebte ihre Frauenrubriken. Sie waren mutig, kritisch und trafen den Kern der Sache stets am Punkt.

    Für diese Reporterin ließ Ruth eine der schönen Außenkabinen am Promenadendeck reservieren. Denn Gudrun Bauer hatte als einzige Journalistin die gesamte Pressereise gebucht. Die anderen beiden Medienvertreter waren bloß zu abgespeckten Varianten zu überreden.

    Hans Tulcek buchte nur von Budapest bis Wien. Dort müsse er von Bord gehen, um angeblich unverrückbare Termine wahrnehmen zu können. Ruth vermutete, dass Tulcek sich bloß den Weg von Passau zurück nach Wien ersparen wollte. Sie konnte ihn von Anfang an nicht leiden. Die Art, wie er seinen Koffer aus dem Gepäckfach des Kleinbusses holte, wie er sich brüskierte wie ein Gockelhahn – all das stieß ihr sauer auf.

    Sie goss sich nach.

    Auch der andere Redakteur war ihr trotz ihres Pegels, der normalerweise ihre Laune steigen ließ, nicht sympathisch: Roland Berger, ein ehemaliger österreichischer Boulevardjournalist, der als Ungarn-Korrespondent in Budapest wohnte und sich auf Einladung des Reeders gerade einmal zu einer Etappe von Budapest nach Esztergom überreden hatte lassen. Ruth hätte ihm am liebsten die schmuddeligste Kajüte neben dem Maschinenraum zugeteilt, aber ihr Vorgesetzter bestand darauf, dass Berger eine schöne Luxuskabine bekam.

    Für eine Nacht – völlige Platzverschwendung! Da hätte es der Maschinenraum auch getan. Aber in dieser Situation musste man dankbar sein für jeden einzelnen Schreiberling.

    Um dem Reeder gegenüber nicht als totale Niete zu erscheinen, füllte Ruth zumindest die leerstehenden schönen Suiten mit Leuten auf, die per E-Mail bei ihr um vergünstigte Restplätze angefragt hatten. Denn ein Motto des Reiseveranstalters lautete: Wenn eine schmuddelige Hauptdeckkajüte frei bliebe, sei das kein Beinbruch, aber eine leer stehende Luxuskabine mit schöner Aussicht wäre ein Verlustgeschäft und schade dem Image.

    Also sagte Ruth einigen Familien zu und redete sich ein, es könne nicht schaden, den Altersdurchschnitt durch ein paar Jungeltern und Jugendliche zu senken. Das machte sich in den Reiseberichten sicher gut.

    Einen der Jugendlichen konnte sie vom Sonnendeck aus erkennen. Er war eigenartig flippig gekleidet und stand verloren neben der Gruppe älterer Herrschaften, die sich am Heck des Kleinbusses versammelten und darauf warteten, dass man ihnen die Reisegepäckstücke aushändigte.

    Der Jugendliche bekam seinen Trolley vor den anderen Passagieren serviert und sonderte sich sofort ab. Er marschierte auf die uniformierte Schiffscrew zu. Die Reiseleiterin schmunzelte beim Anblick der Besatzungsmannschaft, die sich artig in Reih und Glied aufstellte, um jeden Passagier mit Marinegruß und Begrüßungswortspenden zu empfangen: der Kapitän, seine beiden Offiziere und die beiden Matrosen – die glorreichen Fünf.

    Nach und nach verlagerte sich die Gästemenschentraube vom Heck des Kleinbusses zum Zustieg des Schiffes.

    Ruth vergaß völlig, dass sie nach Last-minute-Journalisten Ausschau halten wollte. Aber da war dieser Mann, der sie sofort in seinen Bann zog. Er hob sich von allen anderen Passagieren durch seine unglaubliche Aura ab. Er war nicht mehr der Jüngste, aber genau das passte in Ruths Beuteschema. Sie bevorzugte Männer, die sich nicht mehr die Hörner abstoßen mussten, sondern es längst zu etwas gebracht hatten. Dieser Mann war nicht nur gut aussehend, er kleidete sich geschmackvoll elegant und bewegte sich mit einer Selbstsicherheit, die beeindruckte. »Mister Cool!«, flüsterte Ruth.

    Ihre Kehle vertrocknete. Sie benötigte dringend einen neuen Drink und schielte zu der Flasche, die sie neben einer Sonnenliege platziert hatte. Der Inhalt reichte nur noch für einen Schluck. Mensch, was hatte sie doch an diesem Tag für einen ausgiebigen Durst.

    Als sie wieder zum Hafen hinabblickte, erschrak sie. Mister Cool hatte sich mit einem anderen Passagier in die Haare bekommen. Der andere war um etliche Jahre jünger – auch kein Typ von schlechten Eltern, aber mit Mister Cool konnte er bei weitem nicht mithalten. Die beiden Männer standen seitlich des Kleinbusses. Mister Cool drückte den Jüngeren gegen die Karosserie und schnappte nach dessen Hemdkragen.

    »Die werden sich doch nicht die Schädel einschlagen?«

    Mit beiden Händen stützte sie sich an der Reling ab, um sich zu vergewissern, dass irgendjemand der glorreichen Fünf sich aufraffen würde, um den Streit zu schlichten, aber keiner der Schiffsangestellten beachtete die Streithähne.

    Mister Cool beendete das Gerangel von sich aus. Er tätschelte die Wangen des Jüngeren und lachte gehässig auf. So laut, dass es bis zu Ruth am Sonnendeck zu hören war. Gedemütigt blieb der Jüngere an den Kleinbus gelehnt, während Mister Cool zum Schiffseingang stolzierte. Der Jüngere benötigte ein paar Sekunden, ehe er sich erfing, das Hemd in den Hosenbund stopfte und als Letzter zur Landebrücke hetzte. Sein Blick ging nach oben. Er starrte hoch zum Sonnendeck, während er den glorreichen Fünf sein Ticket präsentierte.

    Wie eine Ertappte wich Ruth zurück. Hastig nahm sie die leere Flasche und das Glas und eilte vom Sonnendeck. Sie musste sich im Atrium an eine Säule lehnen und durchatmen.

    »Meine Güte, gleich zwei scharfe Männer. Da wird sich Gloria freuen!«

    2. Wolke – Der Kapitän

    Der Kapitän steht im Steuerhaus, als wäre er alleine. Sein Blick in die Ferne gerichtet, seine Miene wie in Stein gemeißelt.

    »Beneidenswert, von hier haben Sie den totalen Überblick. Haben Sie gestern Nacht mitbekommen, dass Gerd Schopf am Sonnendeck stand?«

    Nach einer Weile schüttelt der Mann den Kopf.

    »Es war so dunstig, dass ich nicht bis zum Deck sehen konnte.«

    »Das Opfer wurde ans Geländer gefesselt. Das geschah sicher nicht in fünf Minuten. Der oder die Täter benötigten viel Zeit. Vielleicht gab es sogar einen Kampf. Schreie. Gepolter. Sie wollen nichts mitbekommen haben?«

    »Selbst wenn die dort Sektkorken knallen lassen, davon kriege ich hier vorne trotzdem nichts mit.«

    »Nie umgedreht?«

    »Wir fahren das Steuerhaus zwischen Bratislava und Wien bis zehn Zentimeter über den Fußboden ein. Da sehe ich dann nicht mehr bis zum Sonnendeck, außerdem gilt mein Blick der Sicht nach vorne. Was hinter mir passiert, interessiert mich nicht.«

    »Gibt es eine Kameraüberwachung vom Sonnendeck?«

    »Nein.«

    »Wäre auch zu schön gewesen. Wolke, ich fürchte, auf uns wartet mühevolle Kleinarbeit.«

    Die Inspektorinnen gehen auf dem schmalen Steg zur schweren Metalltür, die ins Schiff führt. Dabei müssen sie dicht an den Matrosen und Offizieren vorbei. Die Chefinspektorin bleibt neben dem Matrosen mit der Narbe stehen.

    »Was ist Ihnen widerfahren?«

    »Arbeitsunfall. Einen Moment unachtsam. Auf einem Schiff darf man sich keine Konzentrationsschwächen erlauben. Ist aber

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