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Du bist dran
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eBook266 Seiten3 Stunden

Du bist dran

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Über dieses E-Book

"Du bist dran" ist zum Lachen und zum Weinen schön – wie das wirkliche Leben.

Drei liebenswerte Außenseiter sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben: die 18jährige Agnesa, ein Wiener Mädel mit Migrationshintergrund und ohne Schulabschluss, der Computer-Nerd Eduard, den die Midlife-Crisis zum Stalker in den Weiten des WWW macht, und die Feministin Felicitas, die mit 69 immer noch rebellisch unterwegs ist, mittlerweile allerdings – der Liebe wegen – in der tiefen Provinz. Ihre Wege kreuzen sich und allen wird klar: Gemeinsam geht es besser, auch wenn dabei ein paar liebgewonnene Lügen auf der Strecke bleiben müssen. Als Poetry Slammerin ist Mieze Medusa seit Jahren erfolgreich, nun hat sie einen Roman vorgelegt, der mit Witz, Herzenswärme und einem ganz eigenen Sound die Stimmen der Gegenwart einfängt.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum26. Jan. 2021
ISBN9783701746392
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    Buchvorschau

    Du bist dran - Mieze Medusa

    Essen top,

    Service verbesserungswürdig

    Das »Poseidon« ist wie Kurzurlaub in der Vorstadt. Wie bringt man die Leute zum Träumen? Man streicht die Wände weiß und hängt ein Fischernetz an die Decke. Die Tischtücher sind aus Papier, die Stühle unbequem, aus Holz und blau gestrichen. Wie in der Taverne am Strand. Laut einer Bewertung auf Tripadvisor ist das »Essen top, Service verbesserungswürdig«.

    An der Wand hängt die Gitarre, die Nikos manchmal herunternimmt, wenn Vasilis mit seiner Bouzouki vorbeikommt. Griechisch kann ich nicht, mitsingen schon. Bei der Kassa hängt das Foto von Mama mit den Zwillingen. Daneben eines von der γιαγιά und eines von Nikos’ Auto, als es neu war.

    Ich liebe das »Poseidon«. Wenn Vasilis und Nikos nicht selbst Musik machen, läuft jeden Abend die gleiche Playlist mit griechischer Musik. Die Leute essen und sehen dabei glücklich aus.

    Am liebsten helfe ich in der Küche. Erstens muss ich dort den Bauch nicht einziehen. Zweitens riecht es gut. Drittens kocht da die Maria. Sie redet viel, während sie arbeitet. Sie erzählt von ihrer Kindheit oder von ihren Abenteuern auf Saison. Märchen aus dem Gastgewerbe mit vielen Fröschen und keinem einzigen Prinzen. Ihre Geschichten enden ausnahmslos damit, dass Maria hilflos den Kopf schüttelt und mich anschaut: »Du bist aus Wien?«

    Ich nicke.

    »Du bist in Wien geboren?«

    Ich nicke wieder.

    »Du hast nie woanders gewohnt?«

    Ich nicke ein drittes Mal.

    »Dann kannst du dir gar nicht vorstellen, wie es zugeht auf der Welt.«

    »Es gibt eine Welt außerhalb von Wien?«

    »Hast du keinen Fernseher?«

    »Doch?«

    »Dann schalt ihn ein. Da siehst du, was auf der Welt passiert.«

    Plötzlich steckt Nikos seinen Kopf durch die Schwingtür. Er nickt Maria zu, sie hebt den Kochlöffel.

    »Agnesa. Komm raus, ich brauch dich im Service.«

    »Ich brauche Agnesa auch. Oder soll ich die ganzen Zwiebeln alleine schneiden?«

    »In einer halben Stunde!« Jetzt schaut Nikos mich an, bis ich nicke.

    Eine halbe Stunde später habe ich zwei Teller Moussaka in der Hand. Ich springe für Yannis ein. Yannis heißt eigentlich Rado und ist aus Rumänien. Er ist unser Kellner. Früher war er am Bau und hat sonst alles Mögliche gemacht, um Geld zu verdienen. Nikos ist großzügig im Geben von ersten Chancen. Niemand verlangt, dass hier nur Griechen arbeiten. Rado nimmt man den Griechen ab. Er ist einsilbig und spricht mit einem Akzent, der schwer einzuordnen ist. Warum wir Rado Yannis nennen? Die Kellner wechseln oft. Wer Tisch 5 bis 12 bedient, heißt Yannis. Das erleichtert die Arbeit. Außer heute, da macht sich Yannis, also Rado, den Job so einfach, dass er gar nicht erst kommt.

    Mama lehnt an der Bar und verrührt mit dem Löffel ihre Gedanken im Kaffee. Im Rücken spüre ich ihre Blicke, wenn ich mich über die Tische beuge, die Tischdecken glattstreiche oder Gedecke auflege.

    Nein, Mama, ich bin nicht schwanger!

    Ja, Mama, ich bin schon wieder dicker geworden!

    Ich laufe zwischen den Tischen hin und her. Manchmal muss ich mich seitlich drehen und den Bauch einziehen, um zwischen den Stühlen durchzukommen. Später wird Mama das kommentieren.

    Ich bin total verschwitzt. Wenn Mama im Service ist, hat der diensthabende Yannis mehr Arbeit. Heute bin das ich. Das »Poseidon« ist ganz schön voll. Ich schmeiße ein paar Eiswürfel in meine abgestandene Cola, ziehe Colawasser durch den Strohhalm und werfe einen wütenden Blick in Mamas Richtung. Eine Freundin von früher lehnt neben Mama an der Bar. Ich gebe Maria die Bestellungen durch. Sie deutet auf zwei dampfende Teller.

    »Zweimal Lamm für Tisch 3.«

    Auch Maria ist ziemlich verschwitzt.

    »Das ist der Tisch von der Mama.«

    »Ich weiß, aber …« Maria verdreht die Augen und deutet auf die beiden, die sich an der Bar gut unterhalten. Mama hat Zeit gefunden, den Lippenstift aufzufrischen.

    Ich renne mit Tsatsiki zum Ecktisch mit dem verliebten Pärchen. Hoffentlich hat sich Maria mit dem Knoblauch zurückgehalten. Ich renne zurück, nehme die beiden Teller mit dem Lamm, renne zu Tisch 3, Mamas Tisch, und wieder zurück. Schon wieder stehen drei Teller mit dampfendem Essen da. Der Herr, der sich im Eck alleine durch die Speisekarte isst, winkt mir. Er will noch ein Bier, schon verstanden, aber kann nicht die Mama …?

    Sein Blick bleibt solange an meinem Oberkörper hängen, dass ich an mir runterschaue, ob die Knöpfe der Bluse noch dran sind. Er bemerkt meinen Blick und zieht die Augenbrauen hoch. Als ich das Bier vor ihm auf den Tisch stelle, tätschelt er meinen Unterarm und murmelt: »Na, stell dich nicht so an. Ich schau dir schon nichts weg.«

    Auf dem Rückweg schleiche ich extra in Mamas Nähe vorbei.

    »… weiß nicht mehr, was ich machen soll.«

    »Eleni ist ein kluges Mädchen, das wird schon, mit dem Gymnasium.«

    »Aber, wenn nicht?«

    Mamas Freundin fängt meinen Blick auf und unterbricht sich. Sie lächelt mir zu. Mama dreht sich um. Als sie mich sieht, friert ihr Lächeln ein. Sie mustert mich. Dann bewegt sie ihr Kinn Richtung Toiletten. Das heißt: »Mach dich frisch, Mädchen.«

    Ich stelle das Tablett mit den Getränken vor ihr ab und murmle die Tischnummer. Soll sie doch auch mal ein paar Schritte machen. Die Klotür kracht, als ich sie hinter mir zufallen lasse. Ich setze mich angezogen auf die Klobrille und atme durch.

    Im Nacken unter den Haaren schwitze ich. Ich wische mich mit Klopapier ab. Beim Händewaschen vermeide ich den Blick in den Spiegel. Was soll da schon zu sehen sein, außer mein rotes Gesicht? Rund, rot, groß. Manchmal sehe ich mich selbst nicht mehr vor lauter Backen.

    Mit drei Tellern schiebe ich mich zwischen den Tischen durch, bleibe mit der Hüfte an einer Stuhllehne hängen und verliere fast eine Portion Souvlaki. Ich habe oft Schwierigkeiten damit zu wissen, wo ich aufhöre und wo die Welt anfängt. Der Stuhl kracht auf den Boden, und das ganze Lokal starrt mich an. Ich seh den Leuten an, was sie denken: Kein Wunder bei dem Fettarsch. Mir wird immer heißer. Wieder komme ich bei Mama vorbei, sie dreht mir den Rücken zu.

    »Nikos hat schon wieder gejammert, wie eng die Wohnung ist. Wir haben überhaupt keinen Platz mehr …«

    Vielleicht hätte ich den Satz gar nicht auf mich bezogen, wenn Mamas Freundin nicht so erschrocken geschaut hätte. Hat sich Nikos über mich beschwert? Ausgerechnet heute? Wo ich in der Küche und im Service aushelfe? Wie ferngesteuert renne ich in die Küche. Maria brät konzentriert Fleisch an, sie dreht mir den Rücken zu. Ich schnappe mir die Fettschwarte, die auf einem abservierten Teller liegen geblieben ist, und stopfe sie mir in den Mund. Das Fett ist kalt. Ich kaue. Meine Lippen sind noch ölig, als sich Maria nach mir umdreht.

    »Was machst du da?«

    »Kümmer dich um deinen Scheiß!«

    Sie drückt mir ohne Vorwarnung einen heißen Teller mit Moussaka in die Hand, die Hitze brennt auf meiner Haut.

    »Frag deine Mutter, wer das will, und schleich dich aus meiner Küche!«

    Ich bin schon fast bei der Tür raus, als mich Maria zurückruft: »Und wisch dir den Mund ab.«

    »Geh in Arsch!«

    Beim Rausgehen weiß ich schon, dass ich mich morgen bei Maria entschuldigen werde. Bei Mama nicht, denke ich mir noch, dann knalle ich das Moussaka dem verdutzten Gast vor die Nase und renne aus dem Lokal. Soll sie doch schauen, wieviel Platz sie plötzlich hat, wenn ich weg bin.

    Ich schaffe zwei Blöcke in dem hoppelnden Laufschritt, den ich mir angewöhnt habe, seit ich mir so schwer damit tue, gleichzeitig zu laufen und zu atmen. Es dauert ewig, bis ich das Haus erreiche, in dem wir wohnen. Dort hocke ich mich keuchend auf eine Stufe vor der Haustür. Es riecht nach Hundeklo. Das hier ist Ottakring, da kannst du auf der Straße einfach losheulen. Niemand wird dich fragen, was los ist. Ich heule vor mich hin. Irgendwann ist mir kalt. Dann schleiche ich heim in die Wohnung. In mein Zimmer. Beim Ausziehen bemerke ich, dass in meinem Nacken ein Stück Klopapier klebt. Ich beiße mir vor Wut auf die Faust. Die γιαγιά schläft schon, wenn ich Glück habe, hat sie ein Schlafmittel genommen. Wenn ich Pech habe, wacht sie von meinem Weinen auf und verlangt eine Erklärung. Als ich im Bett liege, drehen sich Lichtflecken über meinen geschlossenen Augen. Neben mir atmet die γιαγιά.

    Dobro mit Käse

    Mama und ich wohnen in einer schattigen Nebenstraße in Ottakring. Ich liebe Ottakring. Hier ist immer was los. Radfahrer schreien den Autos hinterher, die ihnen die Vorfahrt nehmen. Die Autos hupen zurück. Hier gehen die Leute in Hausschlapfen vor die Tür. Die Semmeln heißen Sesamkringel und alles ist dobro. Dobro mit Käse. Zum Hupen dobro.

    Im Sommer pumpen Autos die Musik bei offenem Fenster in die Luft. Im Winter bleiben die Fenster zu, dafür wird das Autoradio lauter gedreht. Das Haus, in dem ich wohne, ist ein Altbau mit hohen Räumen. Im Erdgeschoß riecht es nach Keller, weiter oben nach Essen. Unsere Wohnung liegt im ersten Stock. Sie gehört Nikos.

    Wenn man in die Wohnung kommt, sieht man im Gang erstmal nur Schuhe. Der Balkon ist schon voll, wenn Nikos rausgeht, um eine zu rauchen. Neben der Wohnküche liegt das Schlafzimmer von Mama und Nikos. Dann kommen die Zimmer von Dimitris und Eleni, den Zwillingen, und das Zimmer mit dem Schrank, in dem alles Platz haben muss, was für das feuchte Kellerabteil zu schade ist. Ich habe kein eigenes Zimmer. Ich hatte kurz eines, jetzt schlafe ich bei der γιαγιά. Das ist Griechisch für Oma und wird so ausgesprochen: Jaja.

    Mein altes Zimmer hat jetzt Eleni.

    »Ich schlaf nicht mehr im gleichen Zimmer wie Dimitris, ich bin ein Mädchen, und Mädchen schlafen nicht im gleichen Zimmer wie Dimitris«, hat sie erklärt, als sie von einem Schulausflug zurückkam, bei dem sie nicht mit Dimitris und ihrer besten Freundin in einem Zimmer schlafen durfte.

    »Dimitris ist dein Bruder und natürlich schläfst du im gleichen Zimmer«, hat meine Mutter geantwortet und Nikos hat zustimmend gebrummt. Aber Eleni ist wie meine Mutter: Es ist schwer auszuhalten, wenn sie Streit mit dir hat.

    Zu mir ist die γιαγιά meistens freundlich, zur Mama nicht. Sie hat sich mit unserer Gegenwart abgefunden. Sie liebt Eleni und Dimitris ausdauernd und auf eine großzügige Art und Weise, die schlecht für die Zähne ist. Ich glaube schon, dass die γιαγιά uns mag. Es ist nur so, dass sie sich von Mama überrumpelt gefühlt hat. Fast vierzehn Jahre ist es her, dass Mama sich besonders sorgfältig zurecht gemacht hat. Ich war damals fünf. Alt genug, um für ein paar Stunden am Abend alleine zu bleiben. Mama hat das dunkelgraue Seidenkleid angezogen, das sie im Internet bestellt und von dem sie die Etiketten nur ganz vorsichtig abgelöst hat, damit sie es in der nächsten Woche wieder zurückschicken kann. Ihre Hand hat ein bisschen gezittert, als sie die Lippen nachgezogen hat.

    »Wünsch mir Glück, Agnesa, wünsch uns Glück«, hat sie geflüstert und dabei ihr Spiegelbild fixiert, als könnte sie darin die Zukunft sehen. Als sie heimgekommen ist, war das Kleid zerdrückt und hatte Rotweinflecken, aber das sei egal, meinte sie mit einer Stimme, die zitterte wie vorher ihre Hand beim Schminken. Eine Woche später sind wir bei Nikos eingezogen. Mamas Bauch wuchs und wuchs. Monate später und nach einem genauen Blick auf die Zwillinge vergaß sogar die γιαγιά, auf einem Vaterschaftstest zu bestehen.

    Vor Nikos sind wir oft umgezogen. Mama war aus Stein und ich irgendwie daran schuld. Meine Mama liebte einen Mann und hoffte, mit einem Kind würde daraus eine Familie. Der Mann suchte nach einem Blick auf mich das Weite. Nicht, dass Mama mich nicht lieben wollte. Doch ich hatte schon in den ersten Wochen alle Erwartungen enttäuscht. Der Mann war weg. Das Kind war da. An Spaziergänge war nicht zu denken.

    Also legte sich die Mama auf das Sofa. Die Haut so dick, daraus hätte man Mauern bauen können. Sie ist tagelang auf dem Sofa gelegen: »Schatz, geh spielen!«

    Ich habe mich so gesehnt nach etwas, das Mamas Stahlbetonhaut durchdringt. Aber wer weiß schon, wie das funktioniert mit dem Einreißen von Mauern.

    Eines Tages im Supermarkt entdeckte Mama ihr Lächeln wieder. Sie schenkte es Miroslav, der gab ihr im Tausch dafür die Schlüssel zu seiner Wohnung. Wir packten unsere Sachen. Vielleicht hätten wir sowieso aus der alten Wohnung rausmüssen. Wohnen kostet Geld, und wie hätte Mama das verdienen sollen, wenn sie die ganze Zeit auf dem Sofa lag?

    Die Sache mit Miroslav war nicht für immer. In schneller Folge wohnten wir dann bei Alois, Karim und noch ein paar anderen. Ich habe die Umzüge gehasst. Jedes Mal musste ich die Mama neu auswendig lernen. Die Alois-Mama liebte ihr Weizenbier zum Kartoffelsalat. Die Miroslav-Mama trank selten ein Glas Wein, dafür gab’s täglich einen Spaziergang und am Wochenende eine Tour durch den Wienerwald. Die Karim-Mama brachte mich meistens zu Karims Mutter, damit sie Zeit hatte, sich ganz auf Karim zu konzentrieren.

    Bei wem hat Mama vor dem Anschneiden mit dem Brotmesser drei Kreuze auf den Brotlaib gezeichnet? Ich erinnere mich nur an die Ohrfeige, die ich bekam, als ich Mama vor ihrem damaligen Mann fragte, warum sie das mache. Meine Mama hat ihre Meinungen und ihr Lieblingsessen gewechselt. Sie hat ihr Lachen und ihre Kleider umgefärbt. Nur ihre steinerne Miene, die ist immer die Gleiche geblieben. Wenn die steinerne Miene sich zu verfestigen begann, dann wurde es bald wieder Zeit für einen Umzug.

    Die unerträgliche Leichtigkeit von 0 und 1

    Das Panel »Wesentliche Erfolgsstrategien für das Agile Testing« langweilt mich. Es fühlt sich an, als würden Ameisen auf meiner Haut krabbeln. Soll ich mir die Spitze des Bleistifts ins Auge rammen, nur damit etwas passiert?

    Die IT-Fachmesse ist gut besucht. Ein paar Strahlen Tageslicht kämpfen sich in die Halogenwelt. Auf der Bühne redet einer. Sein Mund bewegt sich so langsam, als hätte ihn jemand auf Zeitlupe gestellt. Spucketropfen schweben vor seinem Mund. Agiles Testen ist nicht so schwierig, wie er es darstellt. Man muss halt nach jedem Iterationsschritt ein paarmal testen, und dazwischen auch.

    Als er endlich fertig ist, gehe ich nach vorne. Neben der Bühne steht die Messetechnikerin. Sie hat Augen, die man sich merkt. Ich gebe ihr meinen Laptop. Sie steckt ihn an und fragt nach dem Video-Anschluss: »HDMI oder VGA?«

    Sie checkt, ob der externe Bildschirm aktiviert ist, das ist er natürlich. Alles klappt problemlos.

    »Brauchen Sie sonst noch etwas?«

    Ihre Stimme ist so angenehm wie ihre Haarfarbe. Ihre kinnlangen Haare glänzen im Licht. Die Kurve von ihrem Hals zu ihren Schultern würde ich gern berechnen. Ich verliere mich in einer If-else-Schleife. If ich mich traue, then kann ich sie später fragen, ob wir was essen gehen wollen, else kann ich sie irgendwann per Mail kontaktieren oder nie.

    Sie lächelt mich an. Es ist ein professionelles Lächeln, aber immerhin.

    Ich zähle vorsichtig von zehn runter. Wenn ich bei drei bin, frage ich sie einfach. Ich komme bis zur Null, sage aber nichts.

    »Wollen Sie den Laptop gleich hierlassen oder bringen Sie ihn mir später nochmal?«

    Ich lasse meine Geräte nicht gern aus den Augen. Vor meinem Talk will ich noch aufs Klo gehen, das entspannt einfach. Wenn ich den Laptop jetzt bei ihr lasse, dann hat sie alle Zeit der Welt, um Malware zu installieren. Andererseits hat sie die auch jetzt schon gehabt. Es ist also egal. Wenn ich heimkomme, setze ich den Laptop ohnehin neu auf. In diesem Moment werden wir von einem Kollegen im zerknitterten Anzug unterbrochen. Er übersieht sie absichtlich und fragt mich mit tiefer Stimme nach dem Techniker. Als hätte er sich noch nie überlegt, dass sein Online-Buddy gandalf_2x45 nicht unbedingt der weiße, mitteleuropäische Mann mittleren Alters sein muss, für den er ihn hält: Ich verstehe ihren grantigen Gesichtsausdruck. Falls wir einen gemeinsamen Moment gehabt haben, dann ist er jetzt vorbei.

    Ich verschwinde Richtung Kaffeeautomat und himmle sie aus der Ferne an. Auch hier: Gesprächsfetzen, die Kompetenz vermitteln sollen und doch nur idiotisch wirken.

    »Ich hab haptisch null Guidance Mode. Das heißt: Ich muss hinschauen! Verstehst?«

    »Ich mein, schau dir die ESC-Taste an!«

    »Naja.«

    »Ich find, der hat außerdem voll das komische Ruhe-Wach-Hybernation-System.«

    Um welches Gerät es da geht? Ist doch egal. Morgen gibt es ein neues.

    Zeit für meinen Vortrag. Ich nehme Blickkontakt mit der Technikerin auf. Sie nickt mir zu. Ich lächle sie an und deaktiviere den Ruhezustand meines Laptops. Ein paarmal räuspern: eins, zwei, Sprechprobe. Die Leute im Publikum begrüße ich mit einem vorbereiteten Witz. Im Publikum grinst jemand. Immer die gleiche Angst: Lachen die Menschen über meine Witze oder meine Stimme? Jahrelang war es mir ein Gräuel, vor Menschen zu sprechen. Wie ferngesteuert rede ich weiter. Irgendwann ist es Zeit für die Fragen aus dem Publikum.

    »Wieso verwenden Sie nicht Office fürs Erstellen der Rechnungen?«, will einer wissen. Sein dunkelblauer Anzug ist von weißen Schuppen beschneit. Er bezieht sich auf die Implementierung eines Online-Verrechnungssystems, das vorher als Beispiel gedient hatte. Kinderkram. Oder eigentlich: Es sind die Kinder, die gerissen sind. Greisenkram.

    »Office neigt dazu, Prozesse nicht zu beenden. Dann sammeln sich im Speicher die Zombieprozesse. Kein Fenster offen, aber ein Haufen Prozesse am Laufen.«

    »Aber Zombieprozesse brauchen doch ohnehin kaum Systemressourcen. Die meisten Kunden sind froh, wenn sie mit Office arbeiten können, da kennen sie sich aus.«

    »Es ist unsauber. Auf Dauer handeln Sie sich damit nur Probleme ein. Investieren Sie ein bisschen Kleingeld in eine Mitarbeiterschulung und alle sind glücklich. Hat noch jemand Fragen?«

    Ich sehe, wie einige unentschlossen die Fragezeichen in ihren Köpfen hin und her schieben.

    »Danke fürs Zuhören, Mahlzeit. In der Kantine gibt es Schweinsbraten.«

    Leises Gelächter und das Geräusch von tragbaren Geräten, die energisch zugeklappt werden. Mit einem Blick vergewissere ich mich, dass ich mein Gerät abstecken kann. Die Technikerin winkt zustimmend. If ich sie zum Essen einlade, then könnte es ein schöner Abend werden, else ist alles wie immer. Sie dreht sich von mir weg, hinter ihr steht schon der Nächste, der sein Gerät bei ihr abgeben will, und das auf mehr als eine Art.

    Vor dem Kongresszentrum stehen Männer mit

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