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Meine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum: Geschichten
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eBook148 Seiten1 Stunde

Meine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum: Geschichten

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Über dieses E-Book

Mieze Medusa erzählt von Ex-Models, Geschäftsfrauen, Freundschaften, Patchwork-Familien, von Großstadt und Landleben und den Wegen dazwischen. Acht Geschichten aus dem Hier und Heute.

Irgendwas ist immer. Der Spargel kommt zu spät zum Fotoshooting. Die Katze ist solidarisch mit deiner Schwiegermutter. Dein Assistent übernimmt in einem hostile takeover deinen Job und kein Pudel taucht auf, der dir Geld und Macht für deine Seele bietet. Deine Tochter redet nicht mit dir. Du versuchst mit Schafzucht die Welt zu retten. Im Wald fällt ein Baum. Deine Freundin hat im Pornoladen eine Spardose gekauft und spart für ihre Brust-OP. Für den ersten Seitensprung deines Lebens hast du wirklich die falschen Schuhe an. Deine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum und das Schlimmste ist: Sie bekommt Antworten, die dir nicht passen.

Was ist Vermögen, wie wird es gespeichert?
Was ist Sicherheit? Ist das Sicherheitsversprechen, das eine Gemeinschaft, eine Familie, ein soziales Netz oder ein Staat gibt, im Einzelfall überhaupt einlösbar?
Und was passiert, wenn nicht?
Mieze Medusas Protagonistinnen werden von all diesen Fragen beschäftigt und überprüfen - teils freiwillig, teilweise von einem außerordentlichen Ereignis dazu gezwungen - ihre Beziehungen auf deren Haltbarkeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberMilena Verlag
Erscheinungsdatum15. Dez. 2015
ISBN9783902950796
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    Buchvorschau

    Meine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum - Mieze Medusa

    Colette

    DER SPARGEL KOMMT SPÄT

    Ich steige in seinen Geruch wie in einen Lift, und der bleibt stecken. Es riecht nach Mittagessen, Körperpflege, nach letzter Nacht und so, als hätte sein Leben Wände, und er schon länger kein Fenster mehr geöffnet. Schlecht riecht er nicht, doch er kommt mir zu nahe, wenn er so neben mir steht, mit verschränkten Armen und urban wie ein Wolkenkratzer. Er heißt Fabian, ist sieben Jahre jünger als ich, braun gebrannt, ein bisschen verkatert und mein Chef. Einer meiner Chefs.

    Das Telefon läutet, ich verbinde mit Susanne, Spezialistin für Food Photography. Der Spargel kommt spät. Sie schmeißt das Telefon auf die extra deshalb gepolsterte Tischoberfläche, greift nach den Zigaretten und stürmt in den Innenhof. Heute ist Adrenalintag. Das Fotostudio im Hinterhof ist am Nachmittag extern vermietet, die Deadline für den Spargelshoot mit Optimismus angesetzt.

    Bernhard, Grafiker, versteckt sich hinter Kopfhörern, die ein halbes Monatsgehalt kosten. Ich bin hier die Einzige mit einem Monatsgehalt, die anderen verwirklichen ihre Vorstellung von Arbeit auf Projektbasis. Neben Bernhard, Susanne und Fabian arbeiten hier Jonathan, Drupal-Experte und Hip-Hop-Fan; Jelena, freie Journalistin mit Schwerpunkt auf feministische- und Gendertheorien und ein paar Temps, die die Infrastruktur anmieten, wenn der Laden läuft, oder wenn ihnen daheim die Decke so auf den Kopf fällt, dass die diversen Caffè Lattes in diversen Lokalen entlang der Gumpe teurer kommen als eine Woche Büroplatz.

    Wenn prekäre Arbeit die neue Kaffeehausliteratur ist, dann ist mein Arbeitsplatz ein Wiener Salon. Es ist immer was los, ein Wimmelbild aus Ideen, neuen Turnschuhmarken und Witzen, die bei Buzzfeed geklaut werden. Alle sind so mit ihrer Identität beschäftigt, dass ich mich wundere, wann sie zum Arbeiten kommen. Ich bin die Odd One Out, mit meiner Fixanstellung, die sich meine Chefs nicht leisten können. Ich weiß das, ich mache die Buchhaltung. Mein Lebensmittelgroßeinkauf am Wochenende und mein vorgekochtes Mittagessen sind ihnen so fremd wie die rituelle Verspeisung der Gegner, die die Azteken praktiziert haben.

    »Haben sollen!«, wirft da Jelena ein, »unsere Vorstellungen vom Leben der indigenen Völker sind, wo nicht falsch, total kolonial geprägt. Hat denn hier niemand Achille Mbembe gelesen? Foucault? Derrida? Judith Butler, anyone?«

    An guten Tagen fühlt sich die Arbeit hier an wie meine Zweitfamilie. An schlechten Tagen auch.

    »Was willst du?«, herrsche ich Fabian an, der immer noch neben mir lehnt wie der Bitexco Financial Tower in Ho-Chi-Minh-Stadt, was eine umständliche Art ist zu sagen, dass er heute ein New Era Cap trägt. Fabians Antwort nimmt sich auf umständliche Art Zeit, Luft zu holen. Schließlich lädt er mich ein, später zum Meeting zu kommen, was ungewöhnlich ist, und bittet mich, nach Susanne zu sehen. Er mache sich Sorgen, was nicht so ungewöhnlich ist. Ich wünschte, er würde sie endlich mal zum Essen einladen und dann nicht nur über die Arbeit reden.

    »Wie geht’s Sophie?«, fragt er im Weggehen. Sophie ist meine Tochter, und ich nehme an, es geht ihr gut.

    Mit einem Glas Tee in der Hand, eine spezielle Kräutermischung, die Susanne regelmäßig im Waldviertel bestellt und auch im Winter mit Eiswürfeln trinkt, mache ich mich auf die Suche. Im Halbschatten des Hinterhofs, auf halbem Weg zu ihrem Fotostudio, lehnt Susanne und starrt auf das Telefon in ihrer Hand. Die andere Hand macht Wischbewegungen in der Luft, als könnte sie den Spargel herbeizoomen. Ich stelle das Teeglas neben ihr auf dem Fensterbrett ab und sage erst mal nichts.

    »Weißt du«, sagt sie schließlich, »gekochter Spargel schmilzt unter den Lampen so schnell. Ich habe Glück, die bestellten Fotos sind vom rohen Spargel, da ist das Zeitfenster für gute Bilder eigentlich groß, aber ich hab’ mir wirklich Gedanken gemacht, ich wollte endlich mal Spargel ohne Tiefenschärfe fotografieren, aber trotzdem plastisch … Wenn jetzt der Spargel nicht kommt, kann ich heute vergessen und morgen, na ja, morgen sind die Props futsch, morgen Mitternacht geht das Magazin in Druck, und die Fotos müssen ja auch noch abgenommen werden.«

    »Weißer oder grüner Spargel?«, frage ich, weil mir keine andere Frage einfällt, es aber besser ist, dem Ärger redend Luft zu machen, als mit der Hand durch die Luft zu wischen.

    »Komm mit!«

    Susannes Studio betrete ich selten. Über der Tür hat sie eine rote On-Air-Lampe befestigt, aber oft vergisst sie, sie einzuschalten, und es ist keine gute Idee, in ihre Konzentration einzubrechen wie chinesische Elektrogeräte in den europäischen Binnenmarkt. Deshalb habe ich mir angewöhnt, das Studio wie Sophies Zimmer zu behandeln: Ich betrete es nur auf Einladung. Der Kühlschrank im Eck ist mir neu, wahrscheinlich wird dort eine ganze Karaffe Tee eisgekühlt, und mein Glas, das Susanne ohnehin am Fensterbrett vergessen hat, war nur als Geste hilfreich. Auf diesen Kühlschrank stürmt sie zu, reißt die Tür auf und macht eine ausladende Handbewegung: »Voilà, das Problem!«

    Das Problem ist wunderschön. Aufgereiht steht ein knappes Dutzend fragiler Vasen aus Eis, in die allerhand eingeschlossen ist. Frische Kräuter, Safranfäden, Gewürznelken …

    »Ist das Käse?«

    »Parmesanschnitzer. Die bunten Vasen sind mit verschiedenen Currypulvern gemacht. Das Problem ist, der Kühlschrank ist nicht kalt genug. Entweder kommt der Spargel bald und dann shoote ich heute, oder er kommt spät, dann sind die Vasen wieder Wasser.« Susannes Hand zittert, als sie die Kühlschranktür zudrückt. Ich nicke ihr zu und gehe zurück zu meinem Schreibtisch, dem Spargel Feuer unter dem Hintern machen, und herausfinden, ob der externe Shoot am Nachmittag verschiebbar ist. Es hat sich eine Band eingebucht, Pressefotos stehen an, aber wenn man ihrem facebook-Account glauben darf, sind die Tracks noch nicht im Kasten und der Frontmann hat gestern Nacht zu einer beeindruckend späten Uhrzeit ein beeindruckend verwackeltes Foto von sich und ein paar Mädchen hochgeladen. Den Termin zu verschieben, gekoppelt mit einem kleinen Preisnachlass, wird keine große Kunst sein. Ich rufe die Managerin an, sie ist, wie ich glaube, die Freundin des Frontmannes und klingt erleichtert, als ich um die Verschiebung bitte. Meine Beruhigungs-SMS erreicht Susanne fünf Minuten bevor der Spargel kommt und das On-Air-Licht über der Studiotür mit einer Nachdrücklichkeit angeht, die ich lange nicht mehr gesehen habe.

    Ich nehme mir mein vorgekochtes Mittagessen mit in den Hinterhof und mache mich an meine Lieblingsbeschäftigung: Ich mache mir Sorgen um Sophie.

    Sophie wohnt für ein Monat in Barcelona, bei Maria und Familie. Kulturaustausch. Ich kenne Maria, sie war letzten Herbst bei uns zu Gast, vielleicht deshalb die Sorgen. Zum Großwerden gehört eine Portion Glück und zum Elternsein eine Portion Vertrauen, würde Rainer sagen, wenn er da wäre. Rainer ist nicht Sophies Vater, so wie ich nicht Leonies Mutter bin, mit der Rainer gerade Urlaub ohne mich macht. Das ist alles weniger kompliziert, als es klingt. Wir sind eine stinknormale Familie mit zwei Kindern, vier bis sechs Eltern, einer Myriade Großeltern und den üblichen Problemen mit der Urlaubsplanung. Rainer hat sich so wenig gemeldet wie Sophie, Leonie sowieso nicht, ich erinnere mich an die unerschöpflichen Vertrauenskapazitäten, die irgendwo tief in mir schlummern.

    Nach der Pause höre ich den Anrufbeantworter ab und verteile Post-its mit »XY bittet um Rückruf!« oder »Dringend!« oder »War nicht erreichbar!«. Dass wir einen Festnetzanschluss haben, war Fabians Idee, der seine Anrufe mit Vorliebe auf die Büronummer umleitet. Wer seine Telefonanrufe nicht mehr selber beantworten muss, der hat es geschafft, findet er. »Vergiss Porsche – Festnetzanschluss mit Sekretärin«, entschuldigender Blick zu mir, Sekretärin werde ich sonst nur hinter meinem Rücken genannt, »das ist der neue Luxus.«

    Es fühlt sich komisch an, ein Statussymbol zu sein. Aber der Vergleich macht einen schlanken Fuß, wie die Ledermokassins, die Susanne heute trägt. Wie die meisten Besitzer sich ihren Porsche können sich meine Chefs mich nicht leisten, und wie die meisten Statussymbole wurde ich vererbt: Ein Jahr lang hat mich die Wirtschaftskammer bezahlt, als Unterstützung für Raffaela; die machte in Mode und wurde außerdem Mutter. Ich sollte für die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf sorgen, was insofern funktioniert hat, als ich selber Mutter bin und berufstätig. Zwar bietet Wien im Vergleich zum Rest von Österreich mehr Kinderbetreuungsangebote an, Schweden ist es aber keines. Nach einem Jahr mit hängender Zunge, ständigen Schuldgefühlen, keinen Ideen und einem wachsenden Berg an Rechnungen warf Raffaela das Handtuch. »Geht nicht«, so ihr Kommentar. Das hätte ich ihr auch sagen können.

    Nach Raffaela ist Jelena ins Büro eingezogen und wirft seither mit Judith-Butler-Zitaten um sich. Ich bin geblieben, mache mich nützlich, optimiere meine Arbeit und die der anderen so gut es geht, und mache mich so unentbehrlich, wie es ein Porsche nur sein kann. Heute zum Beispiel: Den Rest der Zeit verbringe ich mit dem Organisieren von Jonathans Besuch einer Drupal-Konferenz in Madrid (Anreise, Unterkunft, Weitergabe des Abstracts seiner Keynote-Speech, die ich vorher unauffällig Korrektur gelesen habe), erinnere Jelena an die anstehende Deadline zur Abgabe eines Projektansuchens, telefoniere mit der SVA in Sachen Fabians Selbstbehalt und habe danach noch Zeit, allerhand zu googeln. »Possibility is not a luxury, it is as crucial as bread.« Judith Butler, wie sie von Jelena eher nicht zitiert wird. Brot ist ihr zu profan.

    Das Meeting findet auf Jelenas Bitte hin im Hinterhof statt. Ich trinke Susannes Tee, der in der Sonne lauwarm geworden ist. Jonathan beobachtet irgendwelche Pixelbewegungen auf seinem Handy, als wären sie Butter

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