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Narben
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eBook210 Seiten2 Stunden

Narben

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Über dieses E-Book

Kriminalroman eines Malers und Privatdetektivs, der sich gemeinsam mit seinem Auftraggeber "auf die Suche nach der Welt, in der das Fernsehen wohnt", macht. Der Ich-Erzähler kämpft gleichzeitig mit dem Leben in den 1990ern und den Beziehungen zu mehreren Frauen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Feb. 2014
ISBN9783847676959
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    Buchvorschau

    Narben - Morten Makolje

    Für Anne

    1. Der Auftrag

    Es war einer dieser beschissenen, verregneten und viel zu kalten Tage, einer dieser Tage, an denen man noch nicht einmal den sprichwörtlichen Hund vor die Tür jagen würde. Man vielleicht nicht, ich schon, ich hasse Hunde, ich würde sie jeder Zeit rausschmeißen. Was Hunde, kleine Kinder, Wasser, Fische, Ananassaft und Philadelphia anging, so war ich ganz W. C. Fields‘ Meinung. Seiner äußeren Erscheinung wollte ich nicht folgen, vor allem auf diese Nase konnte ich verzichten. Ich war eher schmal, aber auch nicht besonders groß, sah recht gut aus. „Eine Mischung aus Humphrey Bogart und Brad Pitt" hatte mal eine Frau gesagt.

    Dieses Urteil hatte meine Chance bei der Betreffenden nicht erhöht, was aber auch egal war. An Stellvertreterinnen für die Eine mangelte es mir nicht, aber die Eine schien für mich unerreichbar zu sein. Irgendwann würde auch das mir egal sein, aber so weit war ich noch nicht. Ich wußte nicht, ob in dieser Formulierung ein ‚leider’ Platz haben sollte.

    Ich langweilte mich, drehte ein paar Runden in meinem sogenannten Chefsessel. Ein Klient hatte meinen Schreibtischstuhl mal so genannt. Warum er ihn so nennen würde, hatte ich gefragt. Wegen der hohen Lehne, nur Chefs würden einen Schreibtischstuhl mit hoher Lehne haben. Von da an nannte er mich auch immer Chef. Ich konnte mich nur noch vage an seinen Fall erinnern, aber an den Eindruck, den er hinterließ. Er war der ewige Verlierer, der vermutlich alle Menschen mit Chef anredete, weil er selbst nie einer gewesen war.

    Das Karussellfahren machte mich irgendwann schwindelig. Ich bremste, doch die Welt drehte sich weiter, würde sie noch eine ganze Weile tun. Ich fixierte einen Punkt im Raum, und zumindest meine Welt beruhigte sich wieder.

    Das Gemälde an der Wand gefiel mir. Ich war nicht mit allen meinen Bildern im nachhinein zufrieden, aber mit diesem schon, besonders die schmutzigen und auch kräftigen Rot- und Blautöne hatte ich gut hinbekommen. Insgeheim spekulierte ich darauf, daß mich mal ein Klient darauf ansprechen würde und ich es ihm verkaufen könnte. Aber das war natürlich noch nicht passiert. Das Bild hing noch dort und war niemandem versprochen.

    Ich starrte wieder aus meinem Fenster, auf Regenschirme und Autos, auf Pfützen und Dreck, auf die Langweile, die sich in den Straßen ausbreitete und in meinem Leben. Ich trat einen Schritt zurück, so, als würde ich mich vor der von draußen herein drängenden Langeweile verstecken wollen und starrte auf mein Spiegelbild, das einem Geist gleich, durchscheinend aus dem Nichts in der Fensterscheibe, eigentlich etwas dahinter, erschienen war, das nichts von Humphrey Bogart oder Brad Pitt hatte. Ich blies Rauch aus und mein Geist verschwand hinter oder in ihm oder vielleicht durch ihn. Die Zigarette in der einen Hand strahlte etwas Wärme ab, der Ascher in der anderen etwas Kälte. Spannung entstand dadurch nicht. Ich stellte den Ascher auf den Schreibtisch, der genauso ein Schreibtisch war wie der Chefsessel ein Chefsessel war, also nur der Einfachheit halber so genannt wurde, drückte den Zigarettenrest aus, setzte mich, nahm zur Abwechslung die Tasse lauwarmen Kaffees in die Hand und wartete... und wartete... und wartete. Es war kein hoffnungsvolles, freudiges Warten, eigentlich befürchtete ich eher, daß irgendwas passieren würde. Es passiert ja immer irgendwas, aber ich wartete auf das Irgendwas, das mir passieren würde. Unweigerlich würde es mir passieren, doch ich wußte nicht, was es sein würde und wann es passieren würde.

    Lange hatte ich Glück im Unglück. Das Unglück war, daß ich schon seit Wochen keinen Penny mehr verdient hatte. Hätte ich eine Angestellte gehabt, dann hätte ich sie entlassen müssen. Typen wie ich haben eine Angestellte, die wegen mangelnden Geldes entlassen werden muß, die wegen mangelnden Geldes gar nicht erst eingestellt werden kann, oder die gar nicht erst existiert. Bei mir war natürlich letzteres der Fall. Das Glück im Unglück war nun, daß ich nicht irgendeinen Scheißauftrag hatte, der mich wie üblich in große Schwierigkeiten brachte. Das Unglück im Unglück war, daß ich auch keinen Auftrag hatte, der mich ohne viel Anstrengung über die nächsten Wochen gebracht hätte.

    Das Irgendwas, das mir unweigerlich passieren würde, kam in Gestalt dieses komischen Typen in mein Büro gestürmt, und ich ahnte Unglück, hatte aber auch die Hoffnung auf Glück. So wie er hereinkam und wie er aussah, schien Unglück wahrscheinlicher. Ja, so wie er in mein Büro gestürmt kam, hätte man meinen können, er würde immer noch vor dem Wetter flüchten, doch mein Büro war im zweiten Stock und er hätte auf dem Weg hier hoch merken müssen, daß er hier drinnen keine weitere Feuchtigkeit befürchten mußte. Er hatte einen langen, dunklen Mantel an, der ziemlich naß war, genauso wie seine Schuhe, seine Haare, sein unrasiertes Gesicht und seine dunkle Sonnenbrille. Er hatte schwarze, kräftige Haare, seine regelmäßigen Bartstoppeln sahen schon ein bißchen gewollt aus. Als er den Mantel auszog – er plapperte schon die ganze Zeit drauflos, ich wollte aber abwarten, bis er sich beruhigt hatte – kam ein recht erfreulicher Anzug zum Vorschein, keiner dieser üblen Zweihundert-Marks-Anzüge von H&M, sondern ein feiner, dunkler, schlichter, eleganter, klassischer Dreiteiler, zeitlos und nicht jeder Mode hinterher hechten wollend, vielleicht Henry Poole, dazu ein gut abgestimmtes Hemd (Turnball & Asser) samt Krawatte (Drake's), die wahrscheinlich mehr gekostet hatte als die meisten Anzüge, die in der Stadt rumliefen. Zu den Schuhen konnte man in dem Zustand keine genauen Angaben machen, ein Derby, vielleicht sogar von Church's.

    War das sein einziger Anzug dieser Qualität, dann wollte er mich beeindrucken, hatte er mehrere davon, dann hatte er Geld und wollte grundsätzlich alle Welt beeindrucken. Wenn er etwas cooler gewesen wäre, hätte er gut einer Werbung oder einem Hollywood-Film entstiegen sein können.

    „Bei einer bestimmten Sprechgeschwindigkeit weigere ich mich einfach zu folgen. Also entweder beruhigen sie sich etwas oder sie können genausogut die Wand anquatschen."

    „Gut, gut."

    „Kaffee?"

    „Bitte!"

    Er setzte sich vor meinen Schreibtisch, ich gab ihm Kaffee, mir auch noch einmal und setzte mich dann hinter meinen Schreibtisch.

    „Also, wo drückt der Schuh?"

    Aus seinem Mantel holte er einen Flachmann, gab jedem einen kräftigen Schluck in den Kaffee und sich selbst direkt einen hinter die Binde.

    „Ich bin da was auf der Spur und brauche professionelle Hilfe, sonst komme ich wahrscheinlich nicht weiter beziehungsweise heile da wieder raus."

    Während er redete schaute er sich um, so als wolle er sichergehen, daß auch sonst niemand zuhörte oder ihm eins auf den Schädel haute.

    Er erzählte irgendwas von ‚Realität’ oder mehreren ‚Realitäten’, Krimis und Fernsehen. Ich konnte und wollte ihm nicht folgen und dachte daran, ihm die Karte meines Psychiaters zu geben, da würde er professionelle Hilfe bekommen. Ich dachte aber auch an Mäuse. Kies, Schotter, Steine, Flocken, Mücken, Penunzen, Dollar, Pfund und Peseten.

    Als er meine Gedanken mit „Mir kommt auch Vieles spanisch vor" unterbrach, fühlte ich mich ertappt und war ihm deswegen etwas wohler gesonnen. Und wegen der Hellseherei, auch wenn es ein Zufallstreffer sein sollte, wuchs mein Interesse. Ich sagte also zu und er schien recht froh zu sein.

    „Schööön! Dann gehen wir gemeinsam auf die Suche nach der Welt, in der das Fernsehen wohnt."

    Es war ein Samstag, später Nachmittag oder früher Abend oder irgendwas dazwischen. Ich hatte noch nichts vor, die Langeweile konnte ich gut verschieben, und er wollte mir etwas zeigen. Wir machten uns also sofort auf den Weg, aber was er mir noch zeigen wollte, verriet er nicht.

    Wir kurvten jedenfalls in seinem schwarzen BMW mit passendem Kennzeichen durch die Stadt, ohne ersichtliches Ziel. Egal wohin es auch ging, der kürzeste Weg war es nicht. Ich dachte an Paul Auster und meine alte Klapperkiste, die es jetzt nicht mehr gab.

    Es war schon absolut finster, als wir vor einer Bar hielten, aber er hatte noch immer diese blöde Sonnenbrille auf. Ich hasse es, Leuten nicht in die Augen sehen zu können. Jede Sonnenbrille ist eine Lüge, mindestens eine. Und wenn es nur eine ist, dann ist es eine große. Mit viel gutem Willen könnte man solche Lügen auch als Geheimnis bezeichnen, aber guter Willen gehört in den Kindergarten oder die Schule. Spätestens dann wird der gesamte persönliche Vorrat von Idioten pulverisiert...

    Er parkte direkt vor dem Eingang, einen Teil des Wagens auf dem Gehweg, einen anderen Teil auf der Straße. Keiner parkte hier sonst so. Abgesehen von den Vertretern einer Berufsgruppe, die in meiner persönlichen Hitparade der Sympathieträger nur knapp vor Politikern rangierte, deren Schützlinge, meist Frauen, aber mehr Respekt verdient hätten, viel mehr. Aber das war ein anderer Fall gewesen.

    Ich kannte die Zwischenwelt nicht, obwohl ich mich in der Kneipenwelt ganz gut auskannte, während einer Dürreperiode sogar mal an einem Kneipenführer geschrieben hatte.

    Wir waren nicht zufällig in dieser Kneipe gelandet. Mein Auftraggeber mit den Manieren eines Zuhälters kannte viele Leute, Gäste und Angestellt. Und er kannte die Getränkekarte. Jedenfalls bestellte er, als wir uns zur Theke durchgearbeitet hatten, zwei Realitätskiller – Drinks, die vermutlich auf keiner anderen Karte standen, vielleicht noch nicht einmal auf der dieses Etablissements.

    2. Der Morgen

    Ich hatte einen tierischen Kater. Was sollen Kater auch sonst sein, menschlich? Ich hängte mich über die Kloschüssel. Eine Verbeugung vor den höllischen Drinks und Vorbeugung – wenn ich denn endlich kotzen könnte – vor Schlimmerem. Doch irgendwie klappte das nicht. Ich setzte mich aufs Klo und leerte meinen Darm. Dem Darm tat das gut und den daran angeschlossenen Organen, die sonst mit dem in der Scheiße enthaltenen Giften fertig werden müßten, auch, doch meinem Magen schmeckte der Geruch gar nicht, so daß ich nun doch kotzen konnte. Danach bemerkte ich meine Kopfschmerzen. Naja, bemerken ist ein ziemlich harmloser Ausdruck dafür, was sie mir antaten. Ich legte mich wieder aufs Bett, konnte aber leider nicht schlafen.

    Ich schleppte mich ins Büro, wollte auf diesen durchgeknallten Typen warten und ihm alles hinschmeißen. Seine blöde Geschichte konnte er einem anderen Deppen im Dorf erzählen.

    Ich lag auf dem Sofa und wollte mich an den Abend erinnern, irgendwelche Hinweise suchen, was diese ganze Geschichte sollte. Mir fiel noch nicht einmal der Name von diesem blöden Arschloch ein. Ich konnte mich nur noch daran erinnere, daß ich das Barmädchen kannte, daß ich ihr das auch sagte. Sie grinste, so als wolle sie gleich sagen, daß sie schon originellere Anmachen erlebt hätte, aber es war keine blöde Anmache, ich kannte sie wirklich. Als ich mich daran erinnerte – ein paar Drinks später – woher, haute es mich um – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fiel ins Koma und nahm mein wiedererlangtes Wissen gleich mit. Als ich vorhin so eine Art von Wachzustand erreichte, kam dieses Wissen leider nicht mit.

    Es gibt eine ganze Reihe von Filmrißarten. Ein Schlag auf den Kopf ist eine mögliche Ursache, aber bei Schnüfflern wesentlich seltener als uns Hollywood glauben machen will. Das Schöne an dieser Art ist, daß man sich hinterher daran erinnert. Viel häufiger – und das verschweigt uns die Traumfabrik – ist Alkohol die Ursache. Diese Filmrißart kommt langsam, fügt man sich selbst bei, führt eher selten zur Bewußtlosigkeit, hinterläßt aber dauerhafte Gedächtnislücken und das größte Maß an Peinlichkeit. Vergiftungen anderer Art kommen auch gelegentlich vor, meist von Anderen verursacht. Sie treten oft auch recht schnell ein. Man erinnert sich an die Anfänge und auch an das Erwachen aus der Bewußtlosigkeit. Sie sind einer klassischen Ohnmacht am ähnlichsten, hinterlassen aber – im Gegensatz zum Besäufnis – kein peinliches Gefühl, nur eins der Hilflosigkeit. Einen Kater kann man davon aber auch bekommen. Ich konnte mir also einreden nicht der Alkohol sei schuld an meinem Zustand, sondern etwas, das das Arschloch mir in den Realitätskiller gemischt hatte.

    Und dann gibt es natürlich noch den Filmriß im Kino, aber den hatte ich noch nie erlebt.

    Das Barmädchen, lächelnd, und der Typ, der jetzt auch wieder eine Sonnenbrille auf hatte, kamen zur Tür rein.

    „Hey Sunny, scheint die Sonne?", fragte ich ihn.

    „Oh, ich glaube für dich nicht."

    „Geht dir wohl ziemlich scheiße", sagte das Mädchen.

    „Sieht man das?"

    „Oh ja."

    „Was waren das für Drinks?"

    „Ein Gast beschrieb es mal so: Beim ersten will man sich den Namen merken, um den Fehler nicht ein zweites Mal zu begehen. Beim zweiten will man den Namen vergessen, um eine Ausrede zu haben, doch noch einen weiteren bestellt zu haben. Und beim dritten vergißt man, zu vergessen. Den vierten kann man nur noch durch einen Fingerzeig bestellen."

    „So ein Blödmann."

    „Das warst du."

    „Na, sag ich doch. So ein Blödmann. ‚Vor dem Verzehr wird gewarnt’ ist die einzig zulässige Beschreibung."

    „Darf ich das so in die Karte schreiben? Klingt irgendwie cool, könnte die Leute neugierig machen."

    „Mir doch egal. Hey Sunny, vergiß die Scheiße, ja?

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