Freischnorcheln
Von Mieze Medusa
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Über dieses E-Book
Ein Roman voll flirrender Eloquenz und spritzigem Humor für alle, die noch nicht so ganz erwachsen sind, es lange Zeit nicht waren oder niemals werden wollen!
Der Debütroman von Wiens Poetryslam-Queen und HipHop-Lyrikerin Mieze Medusa, der garantiert Ihren Alltag versüßt.
Sommer in der Stadt. Alles lichtdurchflutet und im Fluss. Nur die Fließrichtung stimmt nicht. Da das Schwimmen gegen den Strom nicht klappt, übt sich Nora Klein im Kopf über dem Wasser halten. Dieses ist leider im Steigen begriffen: Rechnungen und Steuerzahlungsnachforderungen trudeln ein, Aufträge für die junge, selbständige Grafikerin sind aber Mangelware.
Raubzüge öffentlicher Büffets und Plündern von Werbeständen mit gratis Joghurtdrinks garantieren das Leben im Alltag trotz Dauerflaute im Portemonnaie. Die Existenzangst wird mit Sonnenbaden, zurückgeschraubten Ansprüchen und Zimmeruntervermietung bekämpft, bis Nora beschließt, dass auch ihr Privatleben neue Impulse benötigt.
Der One-Night-Stand mit ihrem Verehrer und Auftraggeber Frank sorgt prompt für mehr Abwechslung als sie sich wünscht ...
Mit viel Witz und sprühendem Charme lässt Wiens Poetryslam-Queen und HipHop-Lyrikerin Mieze Medusa Noras ständig quengelndes, scharfzüngiges Karma das Leben der heutzutage so häufigen "ewigen Adoleszenz" kommentieren.
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Buchvorschau
Freischnorcheln - Mieze Medusa
klagen.
Ich schwitze öffentlich
Ich sitze in der U-Bahn und vermeide den Blick nach unten. Kinnabwärts befindet sich eine Fremde: ein Rock im zartesten aller knalligen Rots, ein schlichtes T-Shirt im angepasstesten aller politischen Lilas. Die Schuhe sind, grundsolide, nicht der Rede wert. Nach dem gestrigen Debakel bin ich auf der Suche nach weiteren Standbeinen.
Ich bin also auf Jobsuche.
Da trifft es sich gut, dass eine Firma, bei der ich mich nur aus Jux beworben habe und um herauszufinden, wie die Aktie momentan steht – meine Aktie, meine ich –, sich tatsächlich zurükkgemeldet hat. Ich bin vorgeladen. Ich bin frisch geduscht und mit dezentem Parfum und einer professionellen Bewerbungsmappe bewaffnet. Abgesehen davon schwitze ich hochsommerlich und weiß nicht, wie lange ich noch bis zum Zielort brauche. Mein Vorstellungsgespräch beginnt jetzt. Leider kann ich nicht anrufen und mich für meine Verspätung entschuldigen, mein Handybetreiber sah sich aufgrund meiner Zahlungssäumigkeit in seiner Kooperationsbereitschaft provoziert.
Ich verlasse die U-Bahn und finde ermutigend schnell die Bushaltestelle der Vorortelinie, die mich tiefer in den mir unbekannten Stadtteil bringen soll. Der Bus wird in zwei Minuten kommen, das gibt mir Zeit, um auf dem Plan die Lage auszuloten. Den Straßennamen weiß ich, die Hausnummer auch. Ich verschwende keinen Gedanken an mein Dilemma: Die Wahrheit ist, ich weiß nicht mehr, für welchen Job ich mich beworben habe. Beim Abschicken der Bewerbung war es mir nicht besonders ernst mit meiner Jobsuche. Jetzt hat mich der Ernst des Lebens von hinten überholt. Ich würde fast alles machen. Ich habe Hunger.
Der Zuständigen für Human Resources kann man keine Verärgerung über 35 Minuten Verspätung anmerken. Sie hat entweder ein gutes Pokerface oder ist das Warten gewöhnt. Die Firma ist wirklich weit draußen. Was seinen Durchmesser betrifft, ist Wien auf jeden Fall großstadttauglich.
Geschäftig befüllt sie ein Datenblatt mit Informationen über mich. Ich beschließe, im Gespräch nicht allzu sehr auf Pünktlichkeit als Kernkompetenz zu bestehen. Die Frage nach meinen Vorstellungen und Ambitionen beantworte ich ausweichend. Es wäre alles in allem doch eine Hilfe zu wissen, für welche Position in welchem Arbeitsbereich ich mich so gerne zur Verfügung stellen würde.
Ein Computer lässt sich mit einem Fragebogen füttern, der scheinbar irgendetwas über mich, meine Persönlichkeit und meine versteckten und unterdrückten Tendenzen weiß. Er spuckt ein Profil aus, in dem ich mich nicht wirklich wiedererkenne. Der Computer hält mich für eine Pedantin ohne Fantasie und Teamgeist. Mein Karma zeigt dem Computer in schneller Folge einen Vogel und den Stinkefinger. Ich muss lachen, bin aber gar nicht so empört. Ich habe momentan den Verdacht, dass eine Pedantin bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Die Zuständige für Human Resources grinst mich von der Seite an. Sie kann Gedanken lesen. Sie scheint mich außerdem zu mögen. Einen Job hat sie deshalb noch nicht für mich.
Ich übersetze mir ihre neutral bedauernde Absage: Keine Dreadlocks bitte, und gedecktes Rot ist immer noch kein Dunkelblau. Es könnte aber auch heißen: Solange Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen, kann ich nichts für Sie tun. Oder: Kommen Sie das nächste Mal doch bitte pünktlich.
Ich verlasse das Büro und konsultiere meinen Palm für Plan B. Meine Verspätung rächt sich gleich noch einmal: Ich werde es zur nächsten Joghurtausgabe nicht mehr schaffen. Der Tag kotzt mich an. Ich überdenke die Lage und rette mich zu einem Altarm. Donauweib, ich komm, dir huldigen!
Schon wieder. Vielleicht kann ich ein paar Algen schlucken, soll ja gesund sein.
Zwischendurch passiert nicht viel
Brittas Vater scheint wirklich böse zu sein. Das Geld kommt und kommt nicht an.
Bankomaten ignorieren meine Karte nicht einmal mehr, sondern fangen schon zu lachen an, wenn ich nur an ihnen vorbeigehe.
Ich habe Herrn Stromer zwei E-Mails geschickt, er hat sie nicht beantwortet. Ich habe ihn schriftlich gemahnt und ihm eine letzte Frist gestellt; ich weiß, dass er zahlen wird.
Er will mich ärgern, aber er will keinen Ärger. Er nützt jeden Spielraum und jede Verzögerungstaktik aus, bevor er zahlt. Man küsst nicht die Tochter vom Chef. Das hat mir mein Vater eingebläut und der sollte es wissen, er wurde vom Familienunternehmen kusswendend als Geisel genommen und hat schließlich die Tochter des Chefs geheiratet. Geschichte wiederholt sich, nur Familienunternehmen gibt’s kaum noch.
Erzählen werde ich meinem Vater nichts von meiner Misere. Ich will ihn nicht unnötig schockieren, er leidet schon genug unter meinen Haaren und meiner Kleidung, die ihm entweder zu bunt, zu kurz und zu nuttig oder zu schlampig und zu weit ist. Wenn ich die Cheftochter in einen Chefsohn umdichte, verliert die Anekdote deutlich an Glaubwürdigkeit. Der Gedanke verbessert meine Laune überhaupt nicht. Ich beschließe, möglichst bald einen Sohn zu gebären und ihn in Sachen ausgleichender Gerechtigkeit in eine Klosterschule zu schicken und auf intaktem Schließmuskel bis zur Ehe zu bestehen.
Nachdem ich mir Kaffee gekocht und meine Mails gecheckt habe, verwerfe ich diese Maßnahme als übertrieben. Schließlich wäre ich dann Mutter und das ist trotz oder wegen der konservativen Regierung kein leichter, und vor allem ein schlecht bezahlter Job. Immerhin versteckt sich eine gute Nachricht zwischen Spam und Belanglosem.
Herr Zach, ein früherer Kunde, wünscht sich eine vorsichtige Adaption seines Logos, der Homepage und diverser Drucksorten. Das momentane Design ist ihm zu wenig ausgereift. Kein Wunder, er hat es ausgesucht. Mein knurrender Magen macht erst einen Luftsprung, dann erinnert er sich an die endlosen Treffen mit dem unentschlossenen Firmenchef und zieht sich sauer zusammen. Ich rülpse. Danach krame ich die alten Entwürfe heraus und fühle mich sofort bestätigt.
Den besten Entwurf hat Herr Zach damals abgelehnt, nun ja, das ist weder selten noch bemerkenswert. Es ist aber auch mein Vorteil: Ich bin mir sicher, dass er sich bewusst an nichts mehr erinnern kann, unbewusst wird ihm das Logo vertraut erscheinen. Er wird es mögen. Es ist gut, Himmelherrgott.
Mein Karma verweist darauf, dass ich weder auf Himmel noch auf Herrgott bauen kann. Die Versicherungspolizze hast du gekündigt, mault es. Ich vereinbare einen Termin Anfang nächster Woche. Herr Zach soll nicht denken, ich hätte sonst nichts zu tun.
Danach kontaktiere ich die Agentur, die mir gelegentlich kleinere Aufträge vermittelt – leider ohne Erfolg. Auch auf den Karriereseiten der Tageszeitungen herrscht Flaute. Vor der ganz großen Demütigung mache ich mir einen frischen Kaffee.
Kribbelig von meinen viel zu hohen Koffeinwerten durchsuche ich die Jobseiten der Hochschülerschaft nach schnellen schmerzlosen Studentenjobs. Nein, ich studiere nicht mehr. Ja, ich bin schon voll berufstätig. Nein, ich habe keinen Spaß daran, neue, junge Menschen kennenzulernen. Ja, ich brauche Geld, so dringend. Für Flyerverteilen und Spendenkeilen bin ich trotz allem nicht verzweifelt genug.
Ich entscheide mich für die einen Hauch mehr Glamour versprechende Variante und werde zum Mystery Shopper.
Ich rufe die angegebene Nummer an und werde sofort akzeptiert. Die Firma mailt mir den Vertrag, ich male im Photoshop drei Kreuze über die Linie meines Namens und returniere das rechtlich sicherlich bindende Schriftstück. Sie schicken mir einen Link mit Arbeitsanweisungen und ich verbringe den Rest des Nachmittags damit, Hochglanzbroschüren für Büromöbel zu bestellen. Mehr darf ich nicht sagen, habe ich mich doch mit drei Kreuzen zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet.
Als ich anfange, ob der einfallslosen Websites zu gähnen, beende ich meinen Arbeitstag und enthaare gründlich meine Beine, trage Nagellack auf, ziehe irgendetwas an und fahre ins Zentrum.
Ich liebe die Luft, die durch meine glatten, schnell tretenden Beine verdrängt und aus der Ruhe gebracht wird. Im Zentrum hänge ich mein Rad an einer Laterne an und besetze den öffentlichen Raum, der sich mir in Form von ultracoolen, DJ-beschallten Sitzmöbeln unter die Nase reibt. Ich höre den Touristen und den Wiener Hipsters bei ihrem Geplänkel zu und zum ersten Mal seit Tagen überhaupt nicht auf die Selbstgespräche meines Karmas. Gelegentlich nehme ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche. Aber nicht zu oft, ich will meinen Platz hier nicht aufgeben, denn es ist ein gutes Stück bis zur Schlange vor dem nächsten Klo.
Unter Zugzwang
Aus dem Papierwulst Werbungen, die ich sofort ins Altpapier schmeiße, und Rechnungen, die ich unbeachtet auf den anderen Altpapierhaufen auf den Küchentisch lege, zupfe ich eine ziemlich abgegriffene Postkarte. Meine Mutter sucht sich selbst und zerrt, seit sie das Familienunternehmen an den Meistbietenden verkauft hat, meinen Vater mit sich rund um die Welt. Die Postkarte zeigt auf der Vorderseite eine peruanische Pyramide oder jedenfalls eine Art dreieckigen Turm und teilt mir auf der Rückseite mit, dass meine Eltern sich vom Strand von Hawaii fernhalten und das touristisch weniger vereinnahmte Hinterland inspizieren. Das Essen sei gut, das Wetter sowieso und ob bei mir eh alles in Ordnung sei. Mein Vater ist wahrscheinlich der einzige Mensch weltweit, der Second-Hand-Postkarten zum Kilopreis im Internet kauft und mit auf seine Reisen nimmt. Die Postkarten von den tatsächlichen Reiseorten, erklärt er gern und wortreich, brauche er selbst, die klebe er später malins Fotoalbum. So erspare er sich das ständige Knipsen, das finde er respektlos. Außerdem mache das schon meine Mutter.
Was das Hinterland von Hawaii betrifft, bin ich mir aber relativ sicher, dass er sich irrt. Hawaii kann kein Hinterland haben, Hawaii muss ein einziger Strand sein und nur Strand. Sandstrand. Hey, auch ich hab mal einen Fernseher gehabt und an irgendetwas muss ich ja glauben.
Ich googlemappe Hawaii. Es schaut winzig aus und mir ist auf den ersten Blick nicht klar, auf welchen der Inselhaufen ich mich konzentrieren soll. Ich zoome also irgendwo hinein und schalte auf Satellitenbild. Dabei fühle ich mich ziemlich 007-mäßig mit gleichzeitiger 08/15-Schlagseite.
Hawaiis Strandpromenaden liegen vor mir. Sie sind menschenleer. So also, denke ich, sieht die Insel nach dem Einsatz dieser Bombe aus, die die Infrastruktur unberührt lässt und nur das menschliche Potenzial vernichtet. Mein Karma schlägt mir vor, mich als Pressesprecherin bei einem Waffenkonzern zu bewerben. Ich glaube, es stößt sich an dem Wort nur. Aber mir ist heute nicht menschenfreundlich zumute. Wegen mir muss heute niemand die Menschheit vor ihrer eigenen Dummheit retten. Und was ist mit deinen Eltern?, hält mir mein Karma vor. Die sind in Peru in Sicherheit, murmle ich. Aber natürlich, Hawaii ist gar nicht entvölkert, Google achtet nur die Privatsphäre der Hawaiianer, haha, und rechnet die Menschen aus den Satellitenbildern raus. Schulen und Krankenhäuser werden durch einen Zufallsgenerator neu verteilt, aus Angst vor Terroranschlägen wahrscheinlich. Das muss man erst einmal wissen, wenn man sich z.B. in einer fremden Stadt im Ernstfall auf so eine bildunterstützte Suchfunktion verlässt und plötzlich vor der angezeigten Stelle steht und da ist dann gar kein Krankenhaus. Einfach ist eine internetdurchwebte Post-9/11-Welt auch