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Koblanks Kinder
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eBook254 Seiten3 Stunden

Koblanks Kinder

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Über dieses E-Book

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Einzug im Haus in der Bülowstraße hat sich so einiges geändert bei den Koblanks. Der alte Koblank ist gestorben und ruht nun in der Familiengruft neben der frühverstorbenen ersten Frau von Ferdinand Koblank, der Mutter von Ferdinands beiden Kinder Theo und Elli, um die sich die inzwischen etwas in die Breite gegangene Stiefmutter Röschen liebevoll kümmert. Theo und Elli sind nun herangewachsen, orientieren sich im Leben und beginnen, sich für ihre gesellschaftliche Karriere und das jeweils andere Geschlecht zu interessieren. Theo hat es auf Bianka abgesehen, die in mehrerer Beziehung "feine" Tochter des Professors Hans Rieth, des berühmten Males; Elli bändelt mir Reinhold Köster an, dem Schauspieler, der in der "Jungfrau von Orleans" brilliert. Aber sind die beiden piekfeinen Gestalten aus der Künstlerwelt auch das Richtige für die doch eher bodenständigen Koblanks? Als Theo sich mit Bianka verlobt, scheint zumindest in seinem Fall das letzte Wort gesprochen ... Erdmann Graesers großer Berliner Familien-Doppelroman – voller herzhaft realistischem Humor, tief humanistischer, einfühlsamer Liebe und mit reichlich Berliner Kodderschnauze erzählt – wurde nach seinem Ersterscheinen 1921 bis in die achtziger Jahre hinein immer wieder aufgelegt und ist nun zum ersten Mal auch als E-Book erschienen.Erdmann Graeser (1870–1937) war ein deutscher Schriftsteller. Als Sohn eines Geheimen Kanzleirats im Finanzministerium in Berlin geboren, ist Graeser zwischen Nollendorfplatz und Bülowbogen im Berliner Westen aufgewachsen. Graeser studierte Naturwissenschaften, brach jedoch das Studium ab und arbeitete zunächst als Redakteur für die "Berliner Morgenpost" und später als freier Schriftsteller. Er wohnte viele Jahre in Berlin-Schöneberg und zog nach seinem literarischen Erfolg nach Berlin-Schlachtensee im Bezirk Zehlendorf. 1937 starb er an einem Herzleiden. Sein Grab liegt auf dem Gemeindefriedhof an der Onkel-Tom-Straße in Zehlendorf. In seinen Unterhaltungsromanen thematisierte Graeser die Lebenswelt der kleinen Leute im Berlin seiner Zeit und legte dabei auch großen Wert auf den Berliner Dialekt. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören "Lemkes sel. Witwe", "Koblanks", "Koblanks Kinder" und "Spreelore". Einige seiner Romane wurden später auch für Hörfunk und Fernsehen bearbeitet.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Juni 2016
ISBN9788711592472
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    Buchvorschau

    Koblanks Kinder - Erdmann Graeser

    www.egmont.com

    1

    Der Garten in der Bülowstraße war klein geworden – war klein geworden durch die dichten Gebüsche, die die Wege so schmal gemacht, daß die dicke, behäbige Frau Koblank sie völlig versperrte, wenn jemand an ihr vorbei zur Laube wollte.

    In der Mitte des viereckigen Platzes hatte ihr Mann – damals, vor fünfundzwanzig Jahren, als er eingezogen war – ein junges Apfelbäumchen gepflanzt; das war nun ein dicker Stamm, dessen Äste den ganzen Rasen überschatteten. Eine grüne Holzbank stand dort, auf der Frau Koblank lieber saß als in der Laube, in der es nach ihrer Ansicht zu viele Mücken gab. Auch Fräulein Elli, die Stieftochter, konnte man hier öfter sehen, zumeist mit einem Buch, denn sie »schmökerte den ganzen Tag«, wie die Leute im Hause sagten.

    Von den Mietern, die hier gewohnt hatten, als Koblanks Kinder noch in die Schule gingen, war fast keiner mehr da – die meisten waren fortgezogen, als hinter dem Nollendorfplatz ein ganz neuer Stadtteil entstanden war, mit Häusern, die einen »Aufgang nur für Herrschaften« hatten, mit Wohnungen, die Badestuben und Mädchengelasse besaßen. Und einen von den Alten hatte der Tod geholt: Großvater Koblank war eines Herbsttages sanft und selig in seinem Lehnstuhl entschlafen und ruhte längst neben der ersten Frau seines Sohnes, neben »Auguste Koblank, geb. Zibulke«, in der Familiengruft auf dem Friedhof in der Kolonnenstraße. »Die Liebe höret nimmer auf!« stand unter seinem Namen. Der Grünkramkeller unten im Hause, dieses Klatschnest, war auch verschwunden. Ein Wildbrethändler wohnte jetzt dort, vor dessen Tür am Messinghaken ausgeweidete Rehe, Fasanen und Hasen hingen, von denen noch das Blut abtropfte, was für die Hunde der Bülowstraße ein besonderer Anreiz war, dem Koblankschen Hause häufige Besuche abzustatten.

    Zu Ostern oder Pfingsten, immer nur einmal im Jahre, kam Großvater Zibulke, um den Weihnachtsbesuch seiner Enkelkinder zu erwidern. Ja – er lebte immer noch, war ein kleines, vertrocknetes Männchen mit einem Rattengesicht geworden, das seiner Redensart: »Kenn’ ick, weeß ick!« treu geblieben war. Nach dem Tode seiner Frau lebte er nun ganz einsam in dem alten Hause der Lindenstraße. Alle Versuche, ihn hier in der Bülowstraße aufzunehmen und zu verpflegen, scheiterten an seinem Eigensinn. »Det jibt bloß Stunk, und ick will keenen mehr haben vor meinem Tode, ick hab’ jenug jehabt!« hatte er jedesmal abgewehrt, bis man es endlich aufgegeben, ihn umzustimmen.

    »Dann nicht!« hatte ihm Herr Koblank erleichtert beigepflichtet. Er war stets zufrieden, wenn keine Veränderungen eintraten, denn nichts ging ihm über das ruhige Geleise, in das sein Leben allmählich geraten. Noch war sein Gesicht frisch und rot, aber das Haar erbleicht und der dicke, runde Vollbart grau geworden. Sonntags, wenn er mit Rösken, seiner Frau, und der Tochter Elli in den Tiergarten spazieren fuhr, um in Charlottenhof Kaffee zu trinken, glich er einem der pensionierten Militärs der Potsdamer Vorstadt; aber wochentags, auf dem Kohlenplatz, wurde er das Pendant zu Onkel Anton, seinem treuen Helfer, den man in der ganzen Gegend nur »das olle Original« nannte. Nein, wochentags gab Herr Koblank nicht viel auf seinen äußeren Menschen, zum Kummer seiner Frau ließ er sich manchmal verkommen. »Dann jeh’ ich sonntags als Fönix aus meiner Asche vor«, sagte er, um sie zu trösten.

    Der Kohlenhof am Nollendorfplatz war nun ganz von den hohen, schwarzen Brandmauern der ringsum erbauten Mietskasernen eingeschlossen, das Wiesengelände dahinter verschwunden, der Faule Graben zugeschüttet. Eine Dampfstraßenbahn ratterte durch die Maaßenstraße nach der ehemaligen Wilmersdorfer Chaussee hinauf, und die vorhandenen Reste der Wiesen wurden durch Straßenaufschüttungen eingeteilt und bald abgezäunt. Da und dort stand noch ein alter Weidenstumpf, ein Erlengebüsch, war eine Grabenvertiefung, trippelte auch wohl ein Haubenlerchenpärchen verwundert auf dem ungewohnten Steinpflaster, flüchtete dann aber bei Annäherung von Sonntagsspaziergängern, die das Neuland besehen kamen, scheu in die Laubenkolonien, die da und dort auf dem tiefer gelegenen Terrain jetzt entstanden waren.

    Theo Koblank wurde es schwer, die Stelle wiederzufinden, wo einstmals der hohe Weidenbaum stand, in dessen Gabelästen er so oft mit seinen Freunden gesessen hatte. Eines Tages, als er nach langer Zeit wieder einmal hinausgekommen, war der Baum spurlos verschwunden gewesen, wie »Rotkopp«, der sagenhafte Geist dieser Gegend, den jetzt niemand mehr kannte als Fritze Seifert, Theos bester Freund.

    Seifert hatte zu derselben Zeit sein Abiturientenexamen gemacht, als Theo mit Ach und Krach auf dem Realgymnasium die Versetzung nach Prima erreichte. Und als nun Fritze Seifert, der Sohn eines ehemaligen Majors, in die Pepiniére übersiedelte, um dort seine Ausbildung als Militärarzt zu empfangen, hatte Theo in rascher Entschlossenheit erklärt, nun auch nicht länger mehr zur Schule gehen zu wollen. »Ich will Zahnheilkunde studieren und Zahnarzt werden!«

    »So – und deswegen biste so lange auf die hohe Schule jejangen?« hatte Herr Koblank ärgerlich gefragt.

    »Du weißt nicht, was Zahnarzt ist, Vater«, hatte Theo in überlegener Ruhe erwidert. »Zahnarzt kann nur einer werden, der diese Vorbildung besitzt! Ich könnte ja auch Tierarzt werden – aber Zahnarzt ist mir lieber!«

    »Na, denn werd Zahnarzt, aber jeder Barbier kann Zähne ziehen, ohne bis Oberprima jekommen zu sein!«

    »Das verstehst du nicht besser!«

    »Werd nicht wieder frech!«

    »Mit dir kann man nicht sprechen, ohne daß du einen anbrüllst, das bist du so vom Kohlenplatz gewöhnt!«

    »Zankt euch nicht – schreit nicht so!« hatte Frau Koblank aus der Nebenstube gerufen. »Wat sollen die Leute von uns denken, wenn det heute, am Sonntagmorgen, schon wieder losgeht! Ick hab’ noch von vorigen Sonntag jenuch!«

    Sonntags war immer der Tag, an dem die Gegensätze in der Familie aneinandergerieten, denn sonntags blieb Herr Koblank daheim und holte nach, was er in der Woche versäumt. Er hatte dann eine Vorliebe, kleine Reparaturen in der Wohnung vorzunehmen, Nägel einzuschlagen, abgebrochene Stuhlbeine anzuleimen, das ganze Haus bis auf den Boden hinauf nach Schäden abzusuchen. Keinem Mieter war dann wohl, mit Herrn Koblank zusammenzutreffen, ihm ein Anliegen vorzutragen, denn »er machte stets Krach«! Am schlimmsten war es, wenn er mit seinem Sohn zusammengeriet, den man seit ein paar Jahren in die auf demselben Absatz liegende Hofwohnung einquartiert hatte. Diese Wohnung bestand nur aus zwei Stuben und Küche. Die Küche diente als Rumpelkammer. In der ersten Stube war Herrn Koblanks immer größer gewordene Bibliothek, in der zweiten Theos Möbel untergebracht worden. Dort lebte er nun, seitdem er Student geworden, abseits von der Familie, kam nur mittags zum Essen oder spätnachts heim. Und das nannte er zum Ärger seiner Mutter »früh«, denn oft genug, wenn die Kneiperei zu lange gedauert, sah man ihn im Morgengrauen die Hintertreppe hinaufwanken, zuweilen geführt vom Bäcker jungen, einmal auch von einem Milchmädchen, das sich aber seitdem nie wieder zu diesem Dienst bereit finden ließ, trotzdem der Herr Student das Mädchen »kleine Salatschnecke« genannt hatte.

    2

    Es war ein warmer Märznachmittag, ohne Sonnenschein, mit zarten, blauen Nebeln über den Bäumen am Landwehrkanal. An der Potsdamer Brücke stand das alte Weiblein, das im Herbst Blutbuchenzweige und getrocknete Disteln an die Künstler verkaufte und das jetzt, in diesen Vorfrühlingstagen, große, gelbe Mimosenbüschel feilbot, deren süßer Duft die Sehnsucht nach südlichen Ländern erweckte.

    Theo war auf dem Heimweg aus der Vorlesung. Den langen, grauen Paletot trug er stets offen, vorn im Knopfloch steckte ein Veilchensträußchen, das er sich unterwegs gekauft.

    Plötzlich stutzte er und sah scharf hinüber: Dort, bei dem alten Weiblein, stand da nicht seine Schwester Elli? Gewiß – aber mit wem? Wer war dieses feine Mädchen mit dem blonden Haar, das wie bei den Edelknaben auf alten Gemälden offen um den Kopf getragen nur bis zu den Schultern reichte? Sie hatte eben ein Mimosenbüschel erstanden, verabschiedete sich nun mit einem Nicken von Elli und verschwand in der stillen, vornehmen Straße »Am Karlsbad«.

    Theo ging hinüber, holte seine Schwester ein, begrüßte sie. Wahrscheinlich hatte sie ihn ebenfalls schon gesehen, denn sein Erscheinen überraschte sie nicht im geringsten.

    »Wer war das?«

    Sie lächelte. »Nichts für dich!«

    »Was heißt das?«

    »Nichts für dich – keins von den Geschöpfen, die du zu lieben vorgibst.«

    »Rede keinen Zimt – wer war das?«

    »Ich kenn’ sie von der Charlottenschule her!«

    »Jott, laß dir doch nicht alles so ’rausziehen! Wie heißt sie denn?«

    »Bianka!«

    »Fein, so sieht sie auch aus! Hat sie vielleicht auch noch einen Vatersnamen?«

    »Einen berühmten sogar – ihr Vater ist der bekannte Professor Hans Rieth!«

    »Der Maler?«

    »Ja – der Maler!«

    »Na, der ist wohl berühmter durch seinen Scheidungsprozeß geworden als durch seine Malerei! Hatte er nicht damals einen Meineid geleistet?«

    »Nein, nur der Klatsch hat ihm das angehängt! Übrigens wußte ich, daß du das sagen würdest!«

    »So, wußtest du das?« fragte er höhnisch, hielt aber an sich. »Siehst du sie denn öfter?« erkundigte er sich dann.

    »Ich habe sie heute seit langem wieder zum erstenmal getroffen, sie war bis jetzt in Genf. Nun ist sie vom Gericht dem Vater zugesprochen worden, daraus ersiehst du ja am besten, daß der Vater schuldlos ist.«

    »Freut mich!«

    »Warum freut dich das?« fragte Elli verächtlich-erstaunt.

    »Na – als Schwiegerpapa nachher ist das angenehmer!«

    »Um Gottes willen, Theo, bilde dir nicht zuviel ein! Vor der könntest du auf den Knien liegen, dann sähe sie dich gar nicht. Die stammt aus einer Künstlerfamilie, für die sind wir elende Parvenüs – Hottentotten, die reich geworden sind! Wenn die unsere Lebensgewohnheiten oder auch nur unseren Geschmack teilen sollte, würde ihr schlecht! Ich war mal in der Schulzeit zu einem Geburtstag bei ihr eingeladen – als ich dann nach Hause kam, habe ich alles gehaßt – Vätern, Muttern, unsere Einrichtung und am meisten mich selbst – so ordinär kam mir alles vor!«

    »So!«

    »Ja – das kannst du dir nicht vorstellen, denn du hast ja nie den Drang gehabt, aus unserer Sphäre herauszukommen!«

    »Aber du!«

    »Gewiß, ich! Von klein auf sogar!«

    »Na – dann laß dich mit deiner feinen Bianka sauer kochen«, sagte Theo grob, ging schnurstracks hinüber auf die andere Seite und verschwand in einem Zigarrenladen.

    Am Abend, als er in seiner »Bude« saß, eingehüllt in dicke Rauchwolken, hörte er unten im Hof einen Signalpfiff. Überrascht blickte er von seinem Buch auf, öffnete das Fenster, antwortete durch den gleichen Pfiff. Dann ging er hinaus, klinkte die Tür auf und kehrte in die Stube zurück.

    Bald darauf trat Fritze Seifert ein. »Morjen!«

    »Morjen!« Sie »begrunzten« sich noch immer mit dem alten Gymnasiastengruß, unbekümmert um die Tageszeit.

    »Nanu? Noch nicht fertig?«

    Theo befühlte prüfend das Kinn. »Eigentlich hätte ich mich noch rasch rasieren lassen können ...«

    »Unsinn, mach man! Ich dachte, du sitzt hier und lauerst auf mich, weil ich zu spät komme! Oder hast du keine Lust?«

    »Doch!«

    »Aber kein Geld?«

    »Doch – ich hatte nur ganz vergessen, daß heute Mittwoch ist!«

    »Das vergesse ich nie!«

    Eine Viertelstunde später polterten sie die Treppe hinunter, gingen bis zum Nollendorfplatz und fuhren mit der Dampfbahn nach Wilmersdorf zu Schramm.

    Schon draußen in dem kahlen, dunklen Garten vernahmen sie die Tanzmusik und summten vergnügt mit:

    »Hört ihr das Klavier?

    Für’n Jroschen tanzt man hier:

    Polka, Walzer und Mazurka –

    Träderäderäh!«

    Die Scheiben waren beschlagen, man sah nur die Schatten der vorüberwirbelnden Paare; sie rissen die Saaltür auf und gingen ihrem Stammplatz in der Nähe des Klavierspielers zu.

    Das bekannte und für sie so vertraute Bild: An allen Tischen ringsum junge Männer mit jungen Mädchen, davor ein dichtes Spalier Tanzlustiger, jeden Augenblick bereit, sich unter die umherwirbelnden Paare zu mischen. Am hochgeklappten Flügel der hübsche, junge Spieler, in der Mitte des Saales der dicke, gnomähnliche Tanzmeister, seinen Bulldoggenkopf fortwährend nach allen Richtungen wendend, um etwaige »Nassauer«, die den Tanzgroschen nicht bezahlen wollten, rechtzeitig am Verschwinden zu hindern.

    Theo und Seifert nahmen sofort ein Abonnement, bekamen das Bändchen ins Knopfloch und ein wohlwollendes Begrüßungsnicken der Bulldogge. Der Kellner brachte ihnen auf ihren Wink zwei Deckelgläser mit »Echtem« und begrüßte sie vertraulich: »’n abend’s, Herren!« und zu Theo, der stets ein nobles Trinkgeld gab: »Na, Herr Doktor, heite so spät? Fräulein hat schon nach Ihnen jefragt!«

    »Welche – die mit dem Scheitel?«

    »Nee, die Schlanke, Jroße, Hibsche!«

    Theo spähte im Saal umher, sah aber Mieze nicht. Er hatte einen Schluck Bier genommen, eine Zigarre angezündet und sah Seifert zu, der sofort auf eines der Mädchen zugegangen war, es mit einem Kopfnicken »engagierte« und nun im Polka durch den Saal raste. »Wenn er sie bloß nicht an den Tisch bringt – dann hat sie wieder ’ne Freundin, von der sie sich nicht trennen will und die ich dann wieder nehmen soll – fällt mir aber heute gar nicht ein ...«

    Ja – diese Gefahr bestand immer bei Seifert –, er war stets sofort verliebt und brachte es nicht über das Herz, das Mädchen, mit dem er ein-, zweimal getanzt, in irgendeiner Ecke stehen zu lassen.

    Die Blumenverkäuferin ging mit ihrem Korb umher und bot Sträußchen an. Es war Ehrensache, daß jeder Herr, der schon mit einer Dame zusammen saß, ein Veilchenbukett oder ein paar Maiglöckchen für seine Erwählte kaufte. Den »Ledigen« steckte sie als ganz selbstverständlich eine Tuberose ins Knopfloch.

    »Jott sei Dank, Heupferd«, sagte Theo, Seifert seinen Kosenamen gebend, »daß du die nicht gleich geheiratet hast – schrecklich, ein Mädel mit so ’n Kaffeekinn und ’n Mund wie ’ner Sparbüchse.«

    Seifert lachte: »Prost, Kognak!«

    Das war nun wieder Theos Kosename, eine der Benennungen, die sie hier draußen gern gebrauchten. Er setzte sich, immer noch hastig atmend, und sagte: »Ich hab’ angetippt, wo sie wohnt – Gesundbrunnen, danke schön – bis dahin nach Hause begleiten und dann den Weg wieder zurück, die halbe Nacht um die Ohren schlagen für ’n paar Küsse! Einmal und nicht wieder in die Gegend! Was nicht im Zentrum wohnt, begleite ich nicht – und wenn man mich auch für ’n Stoffel hält!«

    »Tanzt du schon wieder?«

    Heupferd nickte, wirbelte sein schwarzes Schnurrbärtchen hoch. »Ich kann keine schmachten lassen – die kleine Dicke mit dem Sphinxgesicht brennt ja schon drauf, daß ich sie hole – ist das Walzer oder Polka?«

    »Rheinländer!« sagte Theo. »Na, die verlierst du dabei, wenn du sie nicht feste hältst – viel Vergnügen!«

    Als Seifert dann zurückkam, sagte er verwundert: »Nanu – immer noch solo? Mieze hat dich wohl versetzt?«

    »Wer weiß, was mit der wieder los ist – da muß man ja immer auf was gefaßt sein! Übrigens – da kommt sie ja, bringt auch noch eine mit, gratuliere, Heupferd, nu biste versorgt!«

    Die beiden Mädchen waren an den Tisch getreten, »’n Abend«, sagte Mieze, ein hübsches, blasses Mädchen mit blondem Wuschelhaar. »Ich war vorhin schon hier, hab’ dann nur meine Schwester vom Bahnhof abjeholt – kommt direkt aus dem Jeschäft, kann nicht vor Ladenschluß fort. Hier, setz dich, Jrete – so, bei Herrn Seifert, von dem ich dir schon erzählt hab’. So – und ich hier! Na ...?« Und sie sah alle und dann Theo, an dessen Seite sie sich gesetzt, ganz besonders prüfend an.

    »Kellner, zwei Bier, dunkel!« sagte sie.

    Seine Beziehungen zu Mieze bestanden bereits seit vier Wochen, und die Liebe war daher völlig abgeklärt. Seifert dagegen stand mit Grete vor einem völlig neuen Problem, und da sie ihm, wie übrigens jedes Mädchen, ausnehmend gut gefiel, war er glücklich, vor ihr Parade reiten zu können, indem er von dem Leichenpräparat erzählte, an dem er heute gearbeitet hatte.

    Aber Grete sagte schaudernd: »Wenn Sie dann mittags Biefstück essen – sehen Sie dann das andere nicht immer vor sich?«

    »Dann könnte ich nicht Arzt sein, wenn mich das störte!«

    »Nee – da ist ein Fotograf besser d’ran«, sagte Grete, »Fotograf ist was Schönes!«

    »Na – Sie sollen mich ja auch nicht heiraten!«

    »Jrete – du bist doof!« sagte die ältere Schwester verweisend. Und sich zu Seifert wendend, entschuldigte sie Grete: »Die hat noch keine Herrenbekanntschaft jehabt – darum red’ sie so, wie sie der Schnabel jewachsen ist ...!«

    »Kommen Sie, Fräulein, tanzen! Kreuzpolka – oder haben Sie Angst, wenn ich die Hand um Ihre schlanke Taille lege?« Und dann wippte er ein paar Augenblicke mit ihr hin und her, ehe er vom Platz loskam, und summte gleich allen übrigen den Text mit:

    »Siehste woll, da kimmt er,

    Lange Schritte nimmt er,

    Siehste woll – da kimmt er schon –

    Der verflixte Schwiegersohn.«

    Theo und Mieze waren am Tisch sitzen geblieben. »Ich hab’ meine Schwester nur deshalb mitjebracht, damit dein Freund auch jemanden hat, der in derselben Jegend wohnt wie ich. Ich kann euch ja nicht verdenken, daß ihr euch ärgert, wenn er ’ne andre in die entjejenjesetzte Richtung bringen soll und ihr deshalb auseinanderkommt!«

    »Du opferst also deine Schwester auf dem Altar unserer Freundschaft?«

    »Die läßt sich nicht opfern, wir müssen uns vor ihr überhaupt ’n bißken vorsehen, sie verquatscht sich dann zu leicht zu Hause!«

    »Warum hast du denn so lebensmüde getan – in deinem Brief?«

    »Ich bin auch lebensmüde, lange mach’ ich das nicht mehr!«

    »Warum denn aber bloß?« fragte er mißmutig.

    »Das kannst du nicht verstehen, Theo – das könnt ihr Männer alle nicht verstehen! Wie lange noch, und dann hast du mir auch über – dann sitze ich da! Na, schließlich kommt ja wieder einer, und dann jehe ich mit dem wieder ’n Vierteljahr, und dann ist es auch wieder aus! Und dann wieder einer – und wieder einer, aber keiner bleibt kleben, alle wollen sie nur ihr Verjnügen. Und ziert man sich, is’s jleich aus – es jibt ja jenuch andere Mädchen! Heiraten tut uns nur einer aus unseren Kreisen, aber man wollte doch ’raus aus dem Kamuff, wat Besseres werden! Mit so ’n Mann wird das dann bloß ’ne unjlickliche Ehe, wie Muttern ihre – danke, Herr Franke! Dann lieber in die Spree!«

    »Aber ich habe dir ja gleich

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