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Das Spukhaus in Schöneberg
Das Spukhaus in Schöneberg
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eBook198 Seiten2 Stunden

Das Spukhaus in Schöneberg

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Über dieses E-Book

Der alte Weißbiergarten der "ollen Lemkes" ist schon lange eine Institution in Schöneberg. Trotz des Näherrückens der Großstadt Berlin hält er lange allen Neuerungen stand. Man hört das Rollen der Kegelbahn, die Hühner strolchen durch den Garten und der "jriene Aal mit Jurkensalat" ist einen Ausflug allemal wert. "Das Spukhaus in Schöneberg", der zweite Band der humoristischen Romanfolge um Lemkes Witwe, beginnt mit dem Gerücht, dass "der olle Lemke vakoofen will". Und tatsächlich zieht Lemke mit seiner Gattin, die nicht mehr ganz taktfest auf den Beinen steht, in die Stadt. Dort geht das verrückte Treiben der Familie aber genauso weiter wie schon immer. Onkel Karl, dauerpleite und immer auf Pump aus, kommt auf Besuch mit seiner Riesentöle "Nulpe". Ein Grundstück hat er schon an Land gezogen – natürlich per Kredit –, jetzt will er die Lemkes als Bauherren gewinnen. Bei Tante Marie, deren selbstgepflückte Hausapotheke mehr krank als gesund macht, gerät das Geburtstagskränzchen beinahe in schwermütige Fahrwasser und als "Jroßmutta" stirbt, wird mit großem Trara Beerdigung gefeiert. Mit seinen Erzählungen über die Lemkes und ihrem großen Familien- und Freundeskreis lässt Erdmann Graeser es wieder auferstehen: das legendäre Berlin, das Zille so kongenial gezeichnet hat. Es ist die Welt der kleinen Leute, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und das Leben so nehmen, wie es kommt.Den kleinen Leute aufs Maul geschaut – die Erzählungen um die Familie Lemke im Original Berliner Dialekt verfasst als amüsante und herzerfrischende Milieustudie des Berlin aus alten Tagen.Erdmann Graeser (1870–1937) war ein deutscher Schriftsteller. Als Sohn eines Geheimen Kanzleirats im Finanzministerium in Berlin geboren, ist Graeser zwischen Nollendorfplatz und Bülowbogen im Berliner Westen aufgewachsen. Graeser studierte Naturwissenschaften, brach jedoch das Studium ab und arbeitete zunächst als Redakteur für die "Berliner Morgenpost" und später als freier Schriftsteller. Er wohnte viele Jahre in Berlin-Schöneberg und zog nach seinem literarischen Erfolg nach Berlin-Schlachtensee im Bezirk Zehlendorf. 1937 starb er an einem Herzleiden. Sein Grab liegt auf dem Gemeindefriedhof an der Onkel-Tom-Straße in Zehlendorf. In seinen Unterhaltungsromanen thematisierte Graeser die Lebenswelt der kleinen Leute im Berlin seiner Zeit und legte dabei auch großen Wert auf den Berliner Dialekt. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören "Lemkes sel. Witwe", "Koblanks", "Koblanks Kinder" und "Spreelore". Einige seiner Romane wurden später auch für Hörfunk und Fernsehen bearbeitet.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Juni 2016
ISBN9788711592403
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    Buchvorschau

    Das Spukhaus in Schöneberg - Erdmann Graeser

    www.egmont.com

    Im Spukhaus in Schöneberg

    Wind und Wetter hatten im Laufe der Jahre das große Schild mit der Inschrift: „Zur Märzwiese, Restaurant und Kegelbahn, arg mitgenommen, aber der „olle reiche Lemke, wie ihn die Leute nannten, dachte nicht daran, die Farbe auffrischen zu lassen.

    Unverändert hatte sich der große Garten erhalten, nur daß er jetzt, da bei den Straßenregulierungen ringsum Anschüttungen vorgenommen worden waren, so tief lag, daß die Gäste, wie sonst ein paar Stufen hinauf, eine kleine Treppe hinuntersteigen mußten.

    Da unten aber spazierten die Hühner wie früher zwischen den klobigen, grüngestrichenen Tischen, brannten abends die flackernden Petroleumlampen, sah man Herrn Lemke an heißen Sommertagen in Hemdsärmeln mit der Gießkanne umhergehen und die Wege sprengen. Und auch das Rollen der Kegelkugeln hörte man, die Stimme des Jungen, der sein „Jrennadier und „alle neine durchdringend schrie und dabei die nackten Beine anzog, daß ihn die stürzenden Kegel und sausenden Kugeln nicht trafen.

    Und man hätte glauben können, daß Lemkes alter Weißbiergarten trotz des Aufschwungs, den Schöneberg genommen, trotz des Näherrückens Berlins unverändert und siegreich allen Neuerungen standhalten werde, wenn da nicht merkwürdige Gerüchte im Umlauf gewesen wären. Irgendwo hatte es einer gelesen, war es durchgesickert, daß der „olle Lemke vakoofen wolle. Und man glaubte auch die Gründe zu kennen: erstens, die „olle Lemken war nicht mehr so taktfest auf den Beinen und konnte sich nicht mehr so wie früher um die Wirtschaft kümmern. Man merkte das schon am Essen, das lange nicht mehr so gut wie sonst war. Und die alten Stammgäste drückten die Augen ein und schnalzten mit der Zunge, wenn sie von dem „jrienen Aal mit Jurkensalat und den großen Portionen Gänsebraten schwärmten, die man einstmals hier bekommen. Zweitens aber – und wenn man davon sprach, dämpfte man jedesmal die Stimme, denn der „olle Lemke konnte „sehre eklij werden, wenn er es hörte – „war irgendwas mit dem alten Haus los. Andere sagten es geradezu heraus: „Es spukte oder: „Lemkes selige Witwe ging um. Man hatte – besonders die beiden Dienstmädchen, die in der Küche hantierten – oft genug in der Nacht einen schrillen Schrei gehört, und wenn der „olle Lemke auch zehnmal am andern Morgen behauptete, daß seine Frau nur schlecht geträumt habe, so ließ man es sich doch nicht ausreden, daß noch etwas anderes „dran sei, denn man hörte es ja auch nachts oben auf dem Boden rumoren.

    Alle Milchmänner, die mit ihren Frauen von Wilmersdorf und Schöneberg zur Milchablieferung nach Berlin fuhren, spähten jedesmal, wenn sie vorüberkamen, nach dem Garten und dem im Grün des Nußbaumes und der Linden versteckten Hause, grüßten zuvorkommend den „ollen Lemke" und erwarteten irgend etwas Neues zu erfahren – aber da war keine Veränderung zu bemerken, alles war beim alten.

    Nur den jungen Herrn Lemke, den Sohn, sah man jetzt wieder häufiger und wunderte sich, was aus dem schmächtigen, tolpatschigen Burschen, der immer für ein bißchen dumm gegolten, für ein selbstbewußt auftretender, stattlicher Mensch geworden war. Und jedesmal erinnerte man sich dann an die alte Geschichte, wie damals der junge Lemke mit der Anna, dem hübschen, forschen Dienstmädchen, seinen Eltern durchgebrannt war, um dann in Berlin ganz von vorn anzufangen, „wie dunnemals seen Jroßvata", der auch keinen Dreier besessen und es dann doch zu solcher Wohlhabenheit und solchem Ansehen in Schöneberg gebracht hatte.

    „Aba det haben se beede ihren Frauen zu vadanken, pflegten dann die alten Schöneberger Bauern hinzuzusetzen, „wat die Jroßmutta für een resolutes Frauenzimma jewesen is, merkt ma ja am besten daraus, det se jetz noch nach ihrem Tode im Hause ’rumwirtschaft’.

    Nachmittags, wenn die Sonne nicht mehr ganz so grell schien, sahen die Vorübergehenden „die kranke Lemken vor der Haustür sitzen, umgeben von einer Hühnerschar, die darauf wartete, daß für sie etwas abfiel. „Ach herrjeh, hieß es dann jedesmal mit Bedauern, „wat is aus die schöne, rotbackige Frau jeworden – die wird’s wohl nich mehr lange machen". Und dann freute man sich über Herrn Wilhelm Lemke, der so zu seiner Mutter hielt und jeden Tag den weiten Weg von der Landsberger Straße bis nach Schöneberg machte, um zu erfahren, wie es mit der Kranken stände.

    „Wenn se sich man ’n Dokter nehmen wollten, det Jeld haben se doch dazu! sagten die Leute. Aber „die Lemken wollte von den Ärzten nichts wissen. „Ick halt’ nischt von die janzen Dokters, wehrte sie jedesmal ab, „die können mir ooch nich helfen, die denken man imma jleich an’t Schneiden und Absäbeln. Nee, nee, det muß von janz alleene besser werden. Und et fehlt mir ja ooch nischt, ick hab’ ja keene Schmerzen, bloß det ick ’n bißken schwach uff die Beene bin und keene Luft krieje. Wenn ick janz stille sitze, merk’ ick ibahaupt nischt von, nur ’rumloofen derf ick nich mehr so wie frieher!

    Eines Tages kam auch Tante Marie mit nach Schöneberg hinaus. Unter ihrem Umschlagetuch verbarg sie mit großer Geheimnistuerei einen Gegenstand, der sich als eine alte Zigarrenkiste entpuppte, die sie als ihre „Hausapotheke bezeichnete. Tante Marie hatte die Absicht, die Kranke „nu ’mal jründlij zu kurieren, aber ehe sie damit anfing, legte sie der Lemken die Karten. Ja, die Karten hatten wieder mal recht, „da stand die Krankheit – und sie wies auf die schwarzen Kreuze –, „aba et war ooch Hoffnung vorhanden, und darum öffnete Tante Marie die Zigarrenkiste und begann unter den Fläschchen und blauen Tüten zu suchen. „’n Kapital steckt hier drinne, wiederholte sie fortwährend, „wat braucht man denn det teire Jeld die Apothekas in ’n Rachen zu werfen? Und da ihr ja die Mittel nichts kosteten, denn sie hatte sich die heilkräftigsten Kräuter – Lindenblüten, Stiefmütterchen- und Kamillentee selbst gesammelt oder von Onkel Karl schenken lassen, ging sie nicht sparsam damit um, sondern beschloß gleich eine Radikalkur. „Die Hauptsache is, det die Krankheit erst ’mal or’ntlij ’rauskommt. Und die durchschlagenden Erfolge, die sie dann mit einem ganz besonders wirksamen Tee erzielte, der auch ihr immer geholfen hatte, veranlaßten sie, wieder und immer wieder darauf hinzuweisen, wie dringend notwendig für jeden Haushalt solch eine Apotheke sei. Dem alten Herrn Lemke leuchtete das auch ein, und als Tante Marie am nächsten Tage wiederkam, wurde sie in die gute Stube geführt, wo auf dem Tische ein zierliches kleines Schränkchen stand – „’ne wirkliche Hausapotheke, die ick in ’ne richtje Apotheke jekooft habe, damit Se sich nich imma mit die olle Zijarrnkiste zu schleppen brauchen – wie Herr Lemke zur Erklärung sagte.

    Aber Tante Marie war gar nicht so entzückt davon. Mißtrauisch besah sie sich die eleganten Glasstöpselfläschchen, die etikettierten Salbentöpfchen und bunten Pillenschachteln und schüttelte bedenklich den Kopf. Interesse erregte bei ihr nur die kleine, seltsam gebogene Schere, die sie für ein Operationsmesser hielt. Und sie konnte auch gar nicht Herrn Lemke zustimmen, der nun mit diesem Heilmagazin einem ganzen Heer von Krankheiten Trotz bieten wollte.

    „Is ja nischt drinne in die kleenen Pullen, bloß Uffmachung, ick halte det Jeld for wejjeschmissen. Hätten Se mir man lieba wat von jesajt. Wenn nu zwee uff eenmal krank werden, denn is for keenen jenug da, nee, da is mir meene Apotheke doch ville lieba!"

    Und darum blieb die elegante Hausapotheke unbenutzt stehen, und Tante Marie kurierte mit ihren Mitteln weiter. Aber es wurde und wurde nicht besser mit der Kranken. Und eines Morgens sagte Wilhelm Lemke, der die ganze Nacht über bei seiner Mutter gewacht hatte: „Nee – det jeht so nich mehr weita, hier muß wat Ernstliches jeschehen" und ging und holte einen Arzt.

    Doch wie es schien, wurde der auch nicht klug aus dem Zustand der Kranken, aber er schrieb ein langes Rezept und traf die Anordnung, daß Frau Lemke im Bett blieb. Sie jammerte zwar: „Nee, nee, Herr Dokter, ick derf mir nich festlejen, denn is’s aus und vorbei mit mir" – aber als nun alle auf sie einredeten und ihr gut zusprachen, fügte sie sich endlich.

    Gegen Tante Marie, die sich einmischte und dem Doktor widersprach, wurde der alte Arzt grob. „Sie mit Ihrer verdammten Quacksalberei machen, daß Sie überhaupt ganz aus der Krankenstube kommen. Ihnen geb’ ich die Schuld, daß man mich nicht früher gerufen hat. Legen Sie sich Ihre Karten alleine, und machen Sie selbst solche Pferdekuren durch, aber probieren Sie das nicht bei anderen, wenn Sie Alledie nicht auf dem Gewissen haben wollen!"

    Tante Marie war wie vor dem Kopf geschlagen, ging hinaus, packte umständlich ihre Karten und die Zigarrenhausapotheke zusammen und verschwand, ohne einem Menschen Adieu gesagt zu haben.

    „Nulpe"

    Es wurde nicht besser, aber auch nicht gerade schlechter mit der „ollen Frau Lemke", und Dr. Knast, der täglich seinen Besuch bei ihr machte, dachte manchmal, daß sie mit ihrer Natur den alten Weidenbäumen da draußen auf den Schöneberger Wiesen glich: man konnte denken, es seien morsche, tote Stümpfe, aber an jedem entdeckt man doch noch etwas Grünes – so frisch, so saftig wie in den besten Jugendjahren des Baumes.

    Mit dem „jroßartijen Bejräbnis, auf das man sich schon gespitzt, war’s also vorläufig nichts, dafür wurde die Nachbarschaft durch eine andere Überraschung entschädigt: Der „olle Herr Lemke hatte Haus und Grundstück verkauft. Noch zweifelte man daran, aber eines Morgens blieb die grüne Zauntür geschlossen, und in den nächsten Tagen hörte man oft das Geschrei flüchtender Hühner, das dann immer jäh verstummte. Und dann wußte man, daß wieder eins gefangen und geschlachtet worden war. Bis endlich der große Garten still und öde dalag und die Berliner, die an schönen Nachmittagen hier vorüberzogen, ahnungsvoll prophezeiten: „Na – nu wird det nich mehr lange dauern, denn wird hier ooch jebaut werden, schade um den scheenen Jarten mit die ollen prachtvollen Beime, lange jenug hat er sich ja jehalten."

    Hinten an der Rückseite des Hauses hielten Tag für Tag Rollfuhrwerke und Möbelwagen, auf denen die grünen Stühle und Tische und schließlich auch der Hausrat fortgeschafft wurden. Sang- und klanglos waren die alten Lemkes dann plötzlich ebenfalls verschwunden, ohne daß man Gewißheit darüber bekommen, für welche Summe der Garten denn nun eigentlich verkauft worden war und welche Pläne das Ehepaar hatte.

    Doch dann brachten die Milchhändler einige Zeit darauf die Nachricht nach Schöneberg, daß sie die alte kranke Lemken an dem Parterrefenster eines Hauses hatten sitzen sehen. „Dichte bei die Bülowstraße, aba in die Potsdama Straße – da wohnen se jetz, wir haben ihr deitlich akannt, se hat uns ja ooch noch zujenickt", sagten die Milchfrauen. Und wen von den Schönebergern der Weg nach Berlin führte, der paßte nun scharf auf die Fenster jenes Hauses auf, und wer Glück hatte, sah die Lemken da auch manchmal sitzen, wenn die gelbe Herbstsonne auf die blanken Scheiben fiel.

    „Der Olle nennt sich nun Rentje und looft mit ’ne jriene jestickte Mitze ’rum. Manchmal buddelt er ooch vorne in den kleenen Jarten und flanzt da allen Tod und Deibel an. Die Frau soll’s ja nu wieda ’n bißken besser jehen, bloß ’rumloofen kann se nich mehr, weil se Wasser in die Beene hat. Da wird se nu in’n Rollstuhl durch die Stuben jefahren, manchmal hält ooch ’ne Droschke vor die Türe, und denn fahren alle beede mang’n Tierjarten – leisten können se sich’s ja, denn det Haus jehört sie!"

    So erzählte man sich, aber mehr erfuhr man auch nicht, denn wie es drinnen in den großen, gemütlichen Stuben zuging, wußte man nicht. Nur die Hausbewohner erhielten dann und wann einen kurzen Einblick, wenn sie die Miete bezahlen kamen. Dann saß der „olle Lemke an seinem Mahagonie-Rollpult und quittierte mit seiner dicken Unterschrift, die nicht trocken werden wollte trotz des vielen Goldsandes, den er auf die nassen großen Buchstaben streute. Dann mußten die Mieter warten, denn der „olle Lemke war ein bißchen ängstlich, daß sie beim Zusammenkneifen der Quittung die Schriftzüge verwischen könnten. Während sie nun dastanden und Herr Lemke in weichen Filzschuhen auf der Stubendiele hin- und herbanlancierte, besahen sie sich die Einrichtung: den braunen Kachelofen, in dem – trotz der warmen Witterung draußen – schon das Feuer sprühte, lauschten auf die unheimlich langen Triller des echten Harzers, der nebenan in der Stube sang, oder stellten Betrachtungen über die großen Lithographien an, die rechts und links von dem Regulator über dem schwarzen Ledersofa hingen und den alten Kaiser und seine Gemahlin darstellten.

    Und wenn Herr Lemke diesen Blick auffing, konnte er manchmal im Unteroffizierston fragen: „Sind Sie Soldat jewesen – welchen Rejement? Und wenn der Alte guter Laune war, fragte er wohl auch weiter, hörte interessiert zu, verfiel dann aber in eigene Erinnerungen, brummelte vor sich hin und warf dem Kaiserbild gerührte Blicke zu. Wie zur Entschuldigung oder Erklärung setzte er dann hinzu: „Wie ick in Schöneberj noch den Jarten hatte, da war schon im März an sein’n Jeburtstaj imma wat jefällij. Da feierten wir Frihlingsanfang, und die Jäste saßen in’t Freie, und der Flieda wurde schon jrien!

    Dann zog Herr Lemke sein rotes Taschentuch und schneuzte sich gewaltig, und wenn das Gedröhne verstummte, mahnte eine wehmütige Stimme aus der Nebenstube: „Vata – wat rejste dir wieda so unnütz uff, laß doch die ollen Jeschichten, et jeht uns doch jetz ooch nich schlecht!"

    „Nee, jewiß nich, aba man denkt doch an so wat und kann et nich vajessen! Ick vasteh’ et ja ooch jetz noch nich, wie ick’s ibers Herz habe bringen können, mir von den scheenen Jarten zu trennen!"

    Und in dieser Stimmung, die die Mieter stets wahrzunehmen wußten, gelang es am leichtesten, Herrn Lemke für allerlei Verbesserungen und Reparaturen in den Wohnungen gefügig zu machen. Dieser Stimmung verdankten sie die neuen Tapeten, die glänzend braungestrichenen Dielen, die sauber getünchten Küchen, denn dann pflegte der Alte jedes Anliegen mit einem: „Jajaja" zu beantworten, und was er versprochen, das hielt er, wenn er sich auch nachher über seine Gutmütigkeit ärgerte.

    Eines Sonntagsnachmittags – die Glocken der Zwölfapostelkirche hatten gerade geläutet – riß es draußen an der Korridorklingel, daß die alte Frau Lemke vor Schreck in ihrem Rollstuhl in die Höhe ging. „Jott und Vata, sagte sie, die Hand aufs Herz drückend, und rang nach Atem, „da is sicherlich wat ins Haus passiert! Und sie ließ schwach und hilflos den Kopf auf die Brust sinken.

    Auch Herr Lemke saß wie versteinert auf dem Sofa und lauschte voll

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