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Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte
Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte
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eBook256 Seiten3 Stunden

Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte

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Über dieses E-Book

Walter wird in Basel in eine reiche Patrizierfamilie hineingeboren. Alles scheint wohlgeordnet. Nach Abschluss der Ausbildung soll er das Geschäft seines Vaters weiterführen, wie die Generationen vor ihm. Eine passende Frau ist bald an seiner Seite. Doch Walter zieht es aus unbegreiflichen Gründen in die Welt, seine Reise soll ihn über Asien bis nach Amerika führen. Als er in Ceylon an Land geht, ist er von Asien fasziniert. Zwei Monate wohnt er in einem Buddhistenkloster, zieht mit einer Karawane über den Himalaya und fährt weiter nach Japan. Als er eines Abends die Insel Enoshima betritt, ist sein Schicksal besiegelt. Der Weg führt ihn in ein japanisches Teehaus, in dem der Europäer zum ersten Mal die Zeremonie eines japanischen Bades erlebt. Besonders die zarte Gestalt eines Mädchens berührt ihn. Im Zauber des japanischen Frühlings verliebt sich Walter in Yonami, im Überschwang der Gefühle verspricht er seiner Nesan, sie immer bei sich zu behalten. Mit der Teehausbesitzerin muss allerdings um die Freistellung verhandelt werden. Der Lehrer Ishida setzt eine Art Ehevertrag auf und macht eine "Ehe" für zwei Jahre aus – ein Zeitraum, der Walter etwas erschreckt. Auch wenn er ein Haus einrichtet und ein weißer Samurai wird, wartet in Europa Elisabeth auf ihn. Und auch Yonima ist nicht frei – ihre Eltern haben sie nach Ende des Vertrages im Teehaus Tomotsu versprochen. Eine zauberhafte japanische Liebesgeschichte – die Verbindung zwischen zwei Kulturen, voller Geheimnisse und tragischer Missverständnisse.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum14. Apr. 2016
ISBN9788711518472
Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte

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    Buchvorschau

    Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte - Karl Friedrich Kurz

    www.egmont.com

    Der große Ring

    Es sollte sich etwas in Japan ereignen, dort am andern Ende der Welt, wo die Sonne herkommt ...

    Sicherlich trägt der Rhein die Schuld daran — die Stimme des Wassers, die seit jeher die Menschen betörte und in die Ferne lockte.

    Der Rhein ist ein alter Landstreicher. Er kommt aus den hohen, dunklen Bergen, wo die Völker Europas zusammentreffen und sich vermischen, und wo die Wasser Europas sich trennen und verschiedenen Meeren zustreben.

    Walter hörte die Stimme des Rheins von seinen ersten Tagen an. Aus seinem Fenster herab sah er auf den mächtigen Strom, der als eine endlose Schar hüpfender, mutiger Wellen vorüberzog und weit unten am Rande der großen Ebene zwischen Himmel und Erde verschwand. Das dunkle Raunen des Wassers mischte sich ohne Unterlaß in alle Geräusche des alten stolzen Hauses, bildete zu allem Geschehen den tiefen Grundton. Je stiller die Nächte, desto lauter erhob der Strom seine Stimme ... Des Stromes Stimme drang in Walters Schlaf und erfüllte seine Träume.

    Walter wurde geboren als ein vornehmes Patrizierkind in der alten Stadt Basel.

    Ähnlich wie andere Patriziersöhne wuchs er heran in der Abgeschlossenheit eines reichen Heims. Er besuchte zuerst die Schulen und verliebte sich später in eine Tochter, die nach Geburt und Wohlstand ausgezeichnet zu ihm paßte.

    Alles schien bestens geordnet — zur rechten Zeit würde Walter seine Familie gegründet und nach guter Überlieferung das Geschäft seines Vaters weitergeführt haben. Anders ließ es sich eigentlich kaum denken, denn an Walter war im Grunde nicht viel Besonderes — vielleicht eine gewisse Verschlossenheit und ein Hang zu Abenteuern, was daher rühren mochte, daß er in den Nächten anstatt zu schlafen der Stimme des Rheins lauschte und von fernen Ländern träumte.

    Und so fuhr also der Sohn Walter in die große Welt hinaus, er fuhr zuerst durchs Mittelmeer, dann durchs Rote Meer und wandte sich hierauf gegen Sonnenaufgang — denn er war ein Verehrer des Lichts.

    In Ceylon stieg er ans Land und wohnte zwei Monate lang in einem Buddhistenkloster im Gebirge von Kandy. Dort erklärte ihm ein alter Priester des großen Gautama unsterbliche Lehre. Doch als die Zeit dahinfloß in stillen, ernsten Gesprächen, erschien Walter des großen Gautama Lehre wohl edel und klug, aber sie nahm seiner Seele die Freude, weil sie das frohe, blutwarme Leben verneinte.

    Mit Verlangen und Zweifeln im Herzen verließ er das Buddhistenkloster, fuhr von Nagapatam bis zum Gangestal, fuhr von Benares über Gorakpur bis nach Nepal. Er folgte einer Yakkarawane über die hohen Pässe des Himalaja und tat einen Blick ins verbotene Land Tibet.

    Dieserart sah Walter viele Länder und traf mit mancherlei Menschen zusammen, er sah viele Bilder und erlebte viele Abenteuer auf der unebenen Oberfläche dieser Erde.

    Aber an jenem Tage, als er das geheimnisvolle Asien betrat und in die Berge von Kandy stieg, geriet er in den Kreis unerforschbarer Einflüsse. Der alte Buddhistenpriester führte ihn in den Schatten eines vielhundertjährigen Mangobaumes, der seine Äste über einen kleinen Tempelhof ausstreckte. Das war ein heiliger Baum und wahrscheinlich entströmte ihm ein mächtiger Zauber. Der junge Mann Walter ahnte nicht die Gefahr. Er saß nur und lauschte mit tiefer Andacht den Worten des alten Priesters, der mit gesenkten Lidern, in völliger Versunkenheit, die Lehre ewiger Weisheit kündete. Des Priesters Stimme vermischte sich mit dem eintönigen Gemurmel eines Baches, der hinter der Tempelmauer über grüne Felsen plätscherte. Manchmal schien es Walter, daß auch der Bach eine uralte Weisheit künde ...

    Vielleicht kannte der alte Prieser selber nicht den Zauber vom Schatten des Mangobaumes. Wenn er ihn kannte, so verriet er es nicht. Und wenn er es verraten hätte, würde ein Mann wie Walter niemals daran geglaubt haben ... Doch nun war er einer fremden Macht verfallen.

    Ihm ward bestimmt, einen weiten Kreis zu ziehen. So sollte er zu einer Erkenntnis kommen ...

    In Kalkutta bestieg er aufs neue das Schiff und zog immer weiter der Morgenröte entgegen. Bis er das Land des Sonnenaufgangs erreichte ...

    Der junge Patrizier Walter kam nach Japan und zur Insel Enoshima zur Zeit der Pflaumenblüte ... Weiter kam er dann nicht mehr, weder ostwärts noch westwärts.

    Die hölzerne Brücke

    Dieses geschah an einem Abend.

    Nachdem Walter stundenlang auf einsamen, stillen Pfaden durch grüne Wälder gewandert, ohne Hast und ohne Ziel, vernahm er von fernher den gedämpften Klang einer mächtigen Glocke. In kurzen Zwischenräumen flutete es heran, gleich einer dunkelbrausenden Woge, die hoch über alle Wipfel hinzog. Auf einmal sah er völlig unerwartet vor sich das Meer. Und es war das Meer des japanischen Frühlings, das da vor ihm ausgebreitet lag wie ein violettschimmerndes Göttergewand. Eine lange, schmale Holzbrücke führte vom Walde zu einer hohen, steilen Felseninsel hinüber.

    Auf dieser hölzernen Brücke hörte für den jungen Mann aus der Stadt am Rhein die Wirklichkeit auf, und es begann ein langer, verwunderlicher Traum.

    Die Brücke mündete in ein Gäßlein. Hüben und drüben standen Puppenhäuser aus Bambus und Papier. Menschen in bunten Gewändern trippelten auf hohen Holzpantinen über die glattgescheuerten Steinfliesen. Kinder mit drolligen Haartrachten spielten und kreischten. Hier und dort glimmten schon die ersten Lichter auf, lustige Papierlaternen in allen erdenklichen Formen und Farben, sie schwebten sachte hin und her, schaukelten und hüpften an unsichtbaren Schnüren.

    Ein sanfter Wind führte zuweilen den herben Geruch des Seetangs heran; und dann hörte man in weiter Ferne den dumpfen Aufschlag der Wogen an den Riffen. Wenn aber der Abendwind für kurze Zeit einschlummerte, senkte sich von den steilen Felsen hernieder würzig der Duft des Nadelholzes und der Atem der sonnenwarmen Erde.

    Walter schritt durch ein paar enge, winklige Gassen, und sein Herz erschauerte vor Erwartung und Freude; es bebte beim Anblick all des Märchenhaften und völlig Unwahrscheinlichen, das da vor ihm lag.

    Greifbar nah und traumhaft fern zugleich waren Gassen und Häuser und Menschen. Es kam mit einem Schlage eine unerhörte Spannung und ungläubige Neugierde über ihn — nicht anders, als sei er nun unversehens ins Reich der Wunder getreten. Vor Staunen hielt er den Atem an und ging sehr behutsam. Er fürchtete wohl, diese Stadt mit ihren bunten Menschen und dieser Felsenberg und das weite Meer dahinter könne auf einmal wieder verschwinden. Er meinte, das alles könne doch nur das farbenschöne Schillern in einer riesigen Seifenblase sein und müsse bei der leisesten Berührung zerplatzen und in nichts zerfallen.

    Seine eigene Seele war gerüstet zum Feste, das sich da still und feenhaft vor ihm eröffnete. Er wußte es wohl selber nicht, daß er lächelte, wie ein unwissendes Kind im Traume lächelt, wenn die ersten Bilder dieser Welt sich mild und verklärt in seiner Erinnerung spiegeln. Und er merkte es selber nicht, daß er immer nur ein paar zögernde Schritte machte und dann verwundert stehenblieb, und daß er den Leuten in den Gassen, die gleich lebendig gewordenen Porzellanfigürchen an ihm vorübertrippelten, zunickte.

    Nein, er bemerkte nur, daß alle diese Leute ihm zunickten und verwundert lächelten. Das war genau so, als hätte diese Stadt und dieses Volk auf ihn gewartet und freue sich nun über seine Ankunft; als seien seinetwegen die vielen bunten Papierlaternen angezündet worden.

    Weit zurück glitt auf einmal alles, was früher in seinem Leben gewesen und was bis zu dieser seltsamen Stunde für ihn Geltung hatte ... Die Stadt am Rhein, die Wege seiner Jugend — nur noch graue Nebelschwaden ... Ja selbst die Fahrten in Indien lösten sich auf in Dunst und Sandstaub ...

    In diesem Augenblicke vernahm er abermals, gespensterhaft und zwingend, die brüchige Stimme des alten Priesters im Tempelgarten von Kandy, er vernahm das dumpfe, dunkle Gemurmel des Baches hinter der Mauer. Und er hatte das Empfinden, als flösse der Schatten des Mangobaumes noch einmal über ihn hin ...

    Vor einem winzigen Garten, im Schein einer Laterne, die matt glühte wie der aufgehende Mond, stand ein Mann. Er lehnte gegen den Stamm eines mächtigen Baumes, der seine Äste weit über die Dächer der nächsten Häuser hinstreckte. Gekleidet war er ähnlich wie alle die andern Männer in einen langen, blauen Kittel, den ein breiter Gürtel zusammenhielt; nur trug er einen hellen, steifen Strohhut von abendländischer Art und eine schwarze Hornbrille.

    An diesen Mann wandte sich Walter und fragte in englischer Sprache nach einer Herberge für die Nacht.

    „Verehrter Herr, antwortete der Mann, „das Teehaus von Anaka-san liegt schon in der nächsten Gasse. Dabei verneigte er sich mehrmals tief und ehrerbietig. „Wenn ich Sie dorthin führen dürfte, wäre es mir eine große Ehre", sagte er.

    Kein Zweifel, dieses waren wirkliche und gewöhnliche Menschenworte — gesprochen zwischen den weißen Wänden papierener Häuser, gesprochen im unbestimmten Schein abenteuerlicher Laternen ... Das Wunder zerfloß also nicht beim Klang eines lauten Wortes.

    Zerfloß das Wunder? Platzte die göttliche Seifenblase mit leisem Knall und wurde das Erwachen aus einem verklärten Traum? Oh, im Gegenteil — hiermit sollte das Wunderbare erst beginnen ...

    Nach zwölf Schritten waren sie beim Teehaus Anaka-sans. Der Mann mit Hut und Brille rief einige schnelle Worte in die offene Tür. Worauf die Wirtin und vier Knechte und vier Mädchen herbeieilten, sich zu beiden Seiten des Eingangs aufstellten, lächelnd unter unablässigen Verbeugungen viele unverständliche Worte murmelnd, wobei sie die Luft geräuschvoll zwischen den Lippen einsogen.

    „Was wollen die Leute?" fragte Walter.

    „Sie wollen nichts, erklärte der Mann mit der Brille. „Sie preisen die Götter, die Sie, hochgeehrter Herr, hierher führten. Denn zu uns nach Enoshima verirrt sich doch selten ein Fremder ... Bitte, treten Sie nun ein, Hochgeehrter.

    Die Teehauswirtin Anaka-san, ein rundliches, weißhaariges Persönlein in braunem Gewande, das einem dicken, samtweichen Nachtfalter glich, näherte sich mit ein paar kurzen Schritten, ergriff mit einer besonders tiefen Verbeugung Walters Hand und führte ihn ins Haus.

    Der Mann mit der Brille sprach hastig auf sie ein. Dann wandte er sich an Walter: „Eine der Nesan versteht etwas Englisch; sie ging zu einer kleinen Besorgung in die Stadt, wird aber bald zurückkommen. Ich hoffe, daß Sie zufrieden sein werden ... Und wenn ich Ihnen nützlich sein könnte, würde ich mich freuen ..."

    Ganz und gar abendländische Worte, sehr höfliche Worte ... Der Mann lüpfte seinen Strohhut und tauchte unter in der dunkelblauen Dämmerung, die gleich einem hauchzarten Pastellgemälde die Türöffnung ausfüllte. Auch Anaka-san, die Wirtin, und ihre Dienerschaft zogen sich lautlos zurück.

    Allein stand Walter und blickte mit seligen Kinderaugen in die zerfließende Landschaft hinaus. Weihnachtsstimmung war plötzlich in ihm, ein verwunderliches Zittern des Herzens, eine prickelnde Erregung, wie er es bis dahin noch niemals empfunden. Wie einst vor dem Lichterglänzen des ersten Christbaumes erschauerte er, erbebte bis in die dunkelsten Tiefen seiner Seele, und wie damals glaubte er leise Engelschöre aus dem Himmel zu vernehmen. „Ein Traum, murmelte er. „Das alles kann nur ein Traum sein ...

    Doch dann näherten sich zwei niedliche Figürchen; in weißen Strümpfen kamen sie lautlos heran, in bunten Kleidern, das schwarze Haar in hohe Bogen gekämmt. Sie nahmen ihn bei den Händen, führten ihn durch ein paar Türen, durch den Hof, zur Badestube. Sie zogen ihm kichernd und in strahlender Unschuld die Kleider aus und schoben ihn zu einem Behälter, der die Form eines riesigen Pantoffels hatte. Dicke Wolken von Dampf quollen daraus empor. Prüfend tauchte Walter seine Hand darein, fuhr entsetzt zurück und rief: „Zu heiß, ihr Kinder — viel zu heiß ... Wollt ihr mich denn kochen?"

    „Ha — ha", sagten sie und lachten. Auch sie steckten ihre Hände ins Wasser und nickten. Ihnen schien alles in bester Ordnung; und da schoben sie ihn also hinein.

    Im ersten Augenblick meinte er zu ersticken; was er durch allerlei Zeichen und Rufe kundtat. Aber „ha — ha", da half nun alle Abwehr nichts. Gebadet sollte der Fremdling werden — und gebadet wurde er.

    Rot wie ein gesottener Krebs wurde er aus dem großen Pantoffel wieder hervorgezogen und in weiche Tücher gehüllt. Die Mädchen schoben einen Teil der Hauswand zurück. Da stand nun der junge Mann vom Rhein und fühlte sich neugeboren. In tiefen Zügen atmete er die frische Abendluft ein, und es war ein ganz unbekanntes Wohlbefinden und ein frohes Kraftgefühl in ihm. Alle Müdigkeit der langen Wanderung war aus seinen Gliedern verschwunden.

    Unter viel Spektakel und unzähligen Verbeugungen und ermunternden Zurufen wurde er in seidene Kimonos gekleidet, er bekam weiße Socken und weiche Bastpantoffeln an die Füße; und auf einmal glich er selber einem Japaner, der zwar etwas zu groß und ausnahmsweise blond und blauäugig geraten.

    Dieserart umgewandelt, brachten ihn die beiden Mädchen in ein Zimmerchen, dessen Boden aus ein paar handdicken und weichen Bastmatten und dessen Wände aus Bambusstäben und Papier bestand. Das alles glich doch dem Spiel großer Menschenkinder, buntem Karnevaltreiben. In dieser Welt gab es weder Sünde noch Sorge. Die Mädchen schoben ihm ein paar Seidenkissen hin und luden ihn zum Sitzen ein. Und da saß er und war gleicherweise ein Kind und ein Kaiser — schwach und mächtig ... Aber in jedem Falle ganz maßlos glücklich. Ja, das wurde allmählich ein merkwürdiger Zustand.

    Die Mädchen brachten einen prächtig geformten kupfernen Kessel, in dem ein Haufen Holzkohle glühte und der eine milde Wärme ausströmte. Dann verschwanden sie, die beiden zierlichen Mädchenwesen, und ließen den Fremdling allein. Die Mädchen verschwanden durch die zurückgeschobene Hauswand ...

    Diese Öffnung erfüllte abermals eine jener Landschaften, die von fremder, unsagbarer Schönheit sind: In einen unglaubhaft dunkelblauen Himmel ragten hoch und schwarz wie Tusche die Kronen einiger Schirmfichten. Unter ihnen erschienen die Wohnungen der Menschen erst so recht als Spielzeug. Aus engen Gassen quoll das gedämpfte Licht der Papierlaternen ...

    Zuweilen raschelte der Abendwind in den Bäumen und die Laternen schaukelten auf und nieder, dann flatterten über alle Wände unbestimmbare Schatten. Es war ein geisterhaftes Fächeln und Gleiten.

    Nur selten ging auf dem Stücklein Weg, das der Fremde sehen konnte, ein Mensch vorbei. Doch über alle Dächer kam das Geklapper der Holzpantinen auf den Steinplatten der Gassen. Das gemahnte an den Klang vieler Kastagnetten. Froh und festlich stimmte alles: der blaue Nachthimmel mit den dunklen Bäumen, der bunte Laternenschein zwischen den winzigen Häusern, das huschende Schattenspiel und das verworrene Geräusch einer unsichtbaren Menschenmenge ...

    Hoch über allen Dächern zog sich in unendlicher Zackenlinie der Spitzensaum der Brandung hin, ein grünlich phosphoreszierender Strich, ein magisches Zeichen weit draußen in Nacht und Ferne ...

    Wahrscheinlich glitt Walter unmerklich hinüber in den Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen, in jenen Vorhof der Seligkeit. Er vernahm eine weiche, einschmeichelnde Stimme. „Sayonara", sagte die Stimme vom Garten her.

    Weiter unten, aus der dunklen Gasse, antwortete eine andere Stimme: „Sayonara".

    Sayonara — das war das erste japanische Wort, das Walter deutlich hörte. Er hörte es zwischen Traum und Wirklichkeit. Es klang wie zartlockender Geigenton, ergreifend und von dunkler Tiefe ...

    Durch die offene Hauswand trat es nun, das Mädchen, das Walter nie mehr vergessen konnte ... Auf einmal ragte es vor dem unbegreiflich blauen Himmel auf und glitt lautlos ins Zimmer. Es mußte wohl ein Gebilde des Zwielichts und des Schlummerns sein.

    Ja, es mag sich wohl so verhalten, daß der junge Fremdling ein wenig eingeschläfert worden vom seidenzarten Dämmerlichte und von den fernen Geräuschen der fremden Gassen, daß er mit geschlossenen Lidern träumte und versunken war ins Märchenreich. Da weckte ihn das kaum merkliche Beben des Bodens oder vielleicht nur ein leiser Atemzug ...

    In größter Verwirrung fährt er empor, macht einen kleinen Schritt, starrt mit ungläubigem Erstaunen auf die Erscheinung, auf das Mädchen, das sich da lächelnd vor ihm verbeugt. Und dann macht er noch einen kleinen Schritt. So vollkommen geistesabwesend ist er, daß er das Mädchen in seiner eigenen Sprache anredet und fragt: „Wer bist du?"

    „Konbanwa", antwortet es ihm. Es ist eine feine, hohe Stimme, es ist der schwingende Klang einer silbernen Glocke.

    „Konbanwa"? — Was in aller Welt ...?

    „Konbanwa, wiederholt die süße, kleine Stimme. Und dann auf Englisch: „Guten Abend, o Herr — hier ist deine Nesan ...

    Sie trug drei seidene Kimonos übereinander, alle drei gleichzeitig sichtbar und in kunstvolle Falten gelegt. Sie hatte sich offenbar geschmückt zu dieser Begegnung. Ihr glänzendes schwarzes Haar war frisch frisiert und hoch aufgebauscht; ein paar lange Elfenbeinspieße staken darin, kostbare Nadeln mit Knöpfen aus Gold und Perlmutter. Aus den unmäßig weiten Ärmeln hervor tauchten ihre schmalen, weißen Hände.

    Mit diesen weißen Händen klatschte sie zweimal und ließ sich in kindlicher freier Anmut vor dem fremden Manne nieder. Sie versank gleichsam in den schillernden Falten ihrer bunten Gewänder. Nun gemahnte sie an eine köstliche Porzellanfigur aus Nagoya.

    Durch die offene Hauswand herein kamen zwei Dienerinnen. Die trugen ein fußhohes Tischlein aus rotem Lack, auf dem viele Schüsseln, Schalen und Täßlein standen. Sie stellten das Tischlein zwischen Walter und dem Mädchen auf den Boden, verbeugten sich und verschwanden wieder.

    In mangelhaftem und sehr komischem Englisch sagte das Mädchen ungefähr dies: „Ja, Herr — ich, die hier sitze, bin deine Nesan. Ich will dir in allem dienen. Wünschest du jetzt zu essen?"

    Sie erschien Walter als ein Wesen von ungewöhnlichem Liebreiz. Das tiefschwarze Haar, die dunklen, sanften Mandelaugen, das weißgepuderte Gesicht mit dem kirschrot gemalten Mund, ihre Stimme, die Art und Weise, wie sie sich im Sitzen hin und her neigte — alles an diesem Mädchen erschien ihm seltsam fremd und seltsam schön. Ganz asiatisch, ganz japanisch der Schnitt ihres Gesichtes, gewiß; aber dennoch blieben die besonderen Merkmale der Mongolenrasse eigentümlich gemildert. Wohl standen die Mandelaugen ein wenig schief, und es war auch ein kleiner Anflug der Falte da. Doch ihre Nase war keineswegs breit und flach, nein, es war ein keckes, zierliches Stumpfnäschen. Ihr Gesicht war schmal und ohne hervorstehende Backenknochen.

    Der junge Fremdling betrachtete seine Nesan recht aufmerksam, ja mit einem gewissen Mißtrauen. Er ahnte wohl die Gefahr, die ihm in ihrer Lieblichkeit drohte. Er war doch noch immer so verwirrt von ihrer Erscheinung, daß er zu ihr sagte:

    „Ich glaube, du nanntest dich vorhin Konbawa ..."

    „Ach nein, Herr. Ich grüßte dich."

    „Warst du es, die eben im Garten rief? Du riefst: Sayonara."

    „Ja, das muß wohl meine Stimme gewesen sein ..."

    „Nun will ich deinen Namen nicht wissen. Nein, ich werde dich Sayonara nennen — oder besser

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