Der Held von Björnnäs. Nordische Erzählung
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Rezensionen für Der Held von Björnnäs. Nordische Erzählung
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Buchvorschau
Der Held von Björnnäs. Nordische Erzählung - Karl Friedrich Kurz
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I
Daniel Storekjäft und die Liebe
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An der Westküste Norwegens, irgendwo im Strelenland, liegt Björnnäs, eine kleine, einsame Bucht. Ein schiefes, wackliges Holzhaus steht dort, ganz zuunterst am Strande, und dabei, nicht minder schief und baufällig, Scheune und Stall.
Im Häuschen wohnt Daniel Storekjäft, im Stall eine alte Kuh und die braune Mähre, deren Beine steif geworden von zwanzigjähriger Arbeit.
Die Menschen, welche das Strelenland bevölkern, nennt man Strele. Sie sind ein Gemisch von Bauern und Fischern, naiv-listige, treuherzig-verschlagene Menschen. Vertraulich treten sie allen entgegen und reden jeden mit „du" an, ob er reich oder arm, vornehm oder niedrig sei.
Ihre Streiche und Einfälle haben hier zu Lande, soweit die Menschen zurückdenken können, stets beim andern Volke Anklang gefunden, und manche ihrer Aussagen sind sozusagen sprichwörtlich geworden.
Im allgemeinen nahmen es die Strele genau mit der Wahrheit. Obschon sie einander gern ihre Erlebnisse und Taten, wie früher die alten Achaier und Trojaner, in schöngefärbten Worten mitteilten. Dass sie dabei nicht jede Krümmung vermeiden konnten, ist begreiflich. Doch waren sie eifrig bemüht, sich dabei nicht erwischen und überführen zu lassen.
Die Storekjäfts aber waren seit jeher ein besonderer Schlag. Von Daniels Vater behaupteten die nächsten Nachbarn, mitsamt Pfarrer und Glockner, dass er am Lügen gestorben und an nichts anderem.
Der Emissär Ole Mathiessen schwor noch obendrein, dass der Satan eben dieser Sünde wegen des Alten Seele in Empfang genommen, noch ehe sie die leibliche Hülle recht verlassen. Woher er — der Emissär Ole Mathiessen — dies so genau wusste, das ist nicht leicht zu sagen. Denn des Vorstorbenen einziger Sohn, der Daniel, hatte eine vollkommen andere Meinung. Der schwor nämlich nicht minder hoch und heilig, als der Emissär Ole Mathiessen, dass sein Vater das Nervenfieber gehabt; dazu sei später noch eine ärztliche Behandlung gekommen, — und das habe ihm den Garaus gemacht; sonst nichts.
Daniel Storekjäft war ein hochaufgeschossener Bursch, mit langem Hals und schiefen Schultern. Sein Kopf war ungewöhnlich klein, und man konnte nicht recht verstehen, warum er ihm dennoch tief auf die Brust herabhing.
Er mochte gegen die zwanzig Jahre alt sein.
Vor ein paar Wochen, bei seines Vaters Tod, waren ihm die obenerwähnten Herrlichkeiten von Björnnäs als unbestritten Erbe zugefallen.
Und nun ging er auf Freiers Füssen.
Die Strele sind gottesfürchtige und fromme Leute, bei welchen die Keuschheit eine besonders hochgeschätzte Pflanze ist. Wohl nur darum, weil man sie hier, wie auch anderorts, nur selten finden kann.
Die ganze Gemeinde sah also des Daniels Freierei mit scheelen Augen an, da sie, kundig wie die meisten Frommen in dergleichen Sachen sind, sofort ein unreines Fleischesbegehren dahinter witterten. An etwas anderes dachten sie nicht.
Selbst der Pfarrer, ein sonst milder und freundlicher Mann, der einiges vom Leben kannte, schüttelte verdriesslich sein Haupt. Und der Emissär Ole Mathiessen, der wohl um zehn Jahre älter war als Daniel Storekjäft, dafür aber auch schon sechs Kinder im Haus und sein Eheweib mit dem siebenten beschwängert hatte, — der Emissär Ole Mathiessen also schüttelte nicht nur sein Haupt in sittlicher Entrüstung, sondern auch seine dicken Fäuste und hätte seinem moralischen Unwillen noch mehr Ausdruck verliehen, wenn er ausser Haupt und Fäusten noch andere Dinge zum Schütteln besessen hätte.
Der Emissär Ole Mathiessen war einer der vielen Laienpredikanten, mit welchen dieses Land so überreich gesegnet ist. Gewöhnlich sind diese Apostel des Heiligen Geistes und die legitimen Pfarrherren erbitterte Feinde. Die letzteren behaupten von den ersteren, dass sie mit dem „Wort" nicht zu praktizieren verständen. Und die ersteren von den letzteren, dass sie brotneidisch seien.
Dem mag sein, wie ihm wolle; eins ist jedoch gewiss, dass nämlich diese Emissäre, oder Sendlinge Gottes, recht merkwürdige Käuze sind.
So Ole Mathiessen.
Der war in seiner Jugend ein gewöhnlicher Bauernbursch, weiter im Lande oben; bis er gegen die Zwanzig ging und flügge ward. Doch da fühlte er sich eines Tags erweckt und berufen, mit dem „Wort" unter seinen Mitmenschen zu wirken. Wie das so gekommen, darüber vermochte auch er selbst keinen rechten Aufschluss zu geben. Er begnügte sich mit der blanken Tatsache.
Darum gab er also sein mühsames und schmutziges Bauerngewerbe auf, ernährte sich von da ab mit der Frömmigkeit und den Unterstützungen, welche ihm von den Gläubigen zuflossen, — und er stellte sich gut dabei.
Keiner in der ganzen Gemeinde war, wie gesagt, für des Daniel Storekjäfts Liebesbegehren; aber alle dagegen. Der Pfarrer bemühte sich sogar um diese Angelegenheit soweit, dass er den Daniel zu sich bescheiden liess und ihm wegen seiner Jugend riet, von dem unreinen Gedanken wenigstens vorläufig abzulassen. Er könne ihn ja auf spätere Jahre verschieben.
Im Warten liege der Hauptgenuss, so meinte der kundige Mann; je später, desto besser; gar nicht sei halt das beste; aber wenn schon, dann wenigstens zur Ehre Gottes und nicht nur zur verwerflichen Lustbarkeit.
So und ähnlich erläuterte der Pfarrer in väterlich wohlwollender Ermahnung.
Der Daniel hatte zwar recht andächtig zugehört, wie es sich gebührt. Als der geistliche Herr aber endlich schwieg, gab er seinen Gefühlen in diesen Worten Ausdruck:
„Kalt ist’s, wenn du gehst; kalt ist’s, wenn du kommst. Keiner schaut um dich. Du merkst gar nicht, dass du lebst. Der Gaard ist tot und leer. Es muss eine Bäuerin auf den Hof."
Nur das Weib könne da helfen; das war seine Überzeugung. Bei dieser Überzeugung blieb er, trotzdem ihn der Pastor von neuem beriet und offenkundig anderer Meinung war. Je mehr er auf den Daniel einsprach, desto tiefer liess dieser den Kopf hängen, wie in innerer Zerknirschung. Als er sich zum Gehen wandte, sagt er kein Wort des Widerspruchs.
Kaum aber dass er den Pfarrhof verlassen, ging er in den Nachbarsgehöften auf die Suche.
Das war im Herbst.
Anfänglich wollte dabei freilich nichts herauskommen. Nicht dass gerade alle jungen Mädchen ebenfalls so grosse Abscheu gegen seine Absichten hegten wie die älteren. Aber Daniel war zu sehr verlegen und eckig. Wusste nicht, wie er die Weibsbilder anpacken sollte.
Girka war die erste, an die er sich heranmachte.
Eigentlich hiess sie Girka vom Hügel. Und der Hügel war’s, der Daniel Storekjäft ebenso wohlgefiel wie die Girka selbst. Stand doch gerade dort eines der schönsten Häuser weit und breit. Überdies ging unter den Leuten das Gemunkel, dass der Hügelbauer in seinem schweren Eichenschrank ein dickes Bankbuch verwahrt hatte. Girka aber war die einzige Tochter.
Und ein flinkes, fröhliches Mädchen war sie, obendrein hübsch und tüchtig im Haushalt. Es hiess zwar, dass sie ihr Stumpfnäschen hochtrug und um des Vaters Bankbuch gut Bescheid wusste. Dem Daniel war das einerlei.
Sie stand gerade unter der Haustür, als er über den Hof schritt, und schaute ihm neugierig in die Augen. Jawohl, gerade mitten ins Gesicht schaute sie ihm.
„’n Tag," sagte Daniel Storekjäft und kratzte sich dabei unterm Mützenrand.
„’n Tag," grüsste sie zurück und lachte, dass man ihre gelben Zähne in ihrer ganzen Grösse sehen konnte.
Voller Neugierde stand sie und wartete. Daniel Storekjäft aber sagte nichts, sondern betrachtete sie nur wohlgefällig.
Girka streifte nachlässig die Ärmel von ihren runden Armen nieder und meinte:
„Willst wohl mit dem Vater reden, du?"
„Ich — nein."
„Was denn sonst?"
„Hm — dich mag ich wohl leiden, Girka. Weisst noch, als wir zur Schule gingen, in Strömnäs, hab’ ich dir einmal einen Stein an den Kopf geworfen! Denkst noch daran?"
„Darum also bist hergekommen?" fragte Girka und kräuselte die Lippen.
„Nein. Nicht darum. Es fällt mir nur grad ein jetzt. Hab’ dich schon damals gern gehabt!"
„So — ist das alles? Wenn’s sonst nichts ist, dann hättest dir den weiten Weg wohl sparen können," sagte Girka und machte Miene zu gehen.
Da aber trat Daniel Storekjäft ganz nahe an sie heran und flüsterte ihr bedeutungsvoll ins Ohr:
„’s ist mehr, Girka — viel mehr! Ich will dich heiraten. Verstehst du?"
„Was? Du — mich?" staunte sie und machte dazu ein Gesicht, als hätte sie in einen sauern Apfel gebissen.
„Ja. Ich — dich! nickte Daniel. „Warum denn nicht?
Nun aber lachte die Girka hell auf, so dass es über den ganzen Hof hin hallte und schallte. Mit einem kurzen Rucke drehte sie ihrem Freier den Rücken und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Jetzt kam das Staunen an Daniel.
„Brr — brr!" machte er. Genau so, wie wenn er die alte Mähre zu Hause zum Stehen bringen wollte. Dann kratzte er sich wieder hinter den Ohren und meinte halblaut zu sich selbst:
„Sonderbar — sonderbar!"
„Was ist sonderbar?" fragte ihn der alte Rasmus, der Knecht, der von der Scheune herüber kam.
„Um die Girka hab’ ich gefreit," berichtete Daniel.
„Das war nicht übel, du! Und jetzt?"
„Sie hat gelacht und ist davon gerannt."
„Ja so! Das hat nichts auf sich, weisst du. Die Weiber sind halt so. Musst wiederkommen; vielleicht besinnt sie sich noch."
Dieser Rat schien Daniel nicht der schlechteste. Er kam also schon nach ein paar Tagen wieder.
Doch diesmal stand nicht die Girka unter der Tür, sondern der Hügelbauer selbst. Und der Hügelbauer war ein stemmiger, grobschnauziger Mensch, mit dem nicht gut Kirschen essen war.
Er nahm den Freier seiner Tochter zu sich in die Grossstube. Hierauf holte er einen gewichtigen Knotenstock hinter dem Ofen hervor, hielt ihn dem Daniel unter die Nase und sagte, mit ruhiger Stimme zwar, aber sehr bedeutungsvoll: