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Der Sohn des Meeres
Der Sohn des Meeres
Der Sohn des Meeres
eBook470 Seiten6 Stunden

Der Sohn des Meeres

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Über dieses E-Book

Eine ganz närrische Zeit bricht in Godenes, diesem Felsenland, aus, als auf einmal ein großes, fremdes Schiff mit gebrochenen Masten zwischen den Felsen festsitzt. Alle Seeleute werden gerettet und Serano und Martinez bleiben zurück. "Martinez, unser Spaniole", sagen die Mädchen. "Serano, mein Spaniole", sagt Kjersti und auch die Männer von Godenes waren nach ihrer Heldentat selbstbewusst und überlegen und das Leben in diesem Sommer war wunderbar und herrlich. Die Kinder von Godenes spielen ihre eigenen Spiele. Sie spielen Bootsmanöver und Fischfang, Ausfahrt und Heimkehr. -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum21. Apr. 2016
ISBN9788711518410
Der Sohn des Meeres

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    Buchvorschau

    Der Sohn des Meeres - Karl Friedrich Kurz

    Karl Friedrich Kurz

    Der Sohn des Meeres

    Roman

    Saga

    Der Sohn des Meeres

    German

    © 1938 Karl Freidrich Kurz

    Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

    All rights reserved

    ISBN: 9788711518410

    1. Ebook-Auflage, 2016

    Format: EPUB 3.0


    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.


    SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

    Südländer

    Das mit den Spaniolen ist nun schon eine alte, halb vergessene Geschichte. Sie begann am Gestade von Godenes, in einer nebelgrauen Dämmerung, an einem Februarmorgen ...

    Es kam an diese Felsenküste heran im Gewieher des Weststurms, im Brüllen der Brandung. Vielleicht fielen ein paar Kanonenschüsse; kein Mensch hörte es. Kanonenschüsse müssen völlig untergehen im Höllenlärm zwischen den Schären, wenn die gewaltigen Kräfte am Werk sind. Unter Donnern und Fauchen, Prasseln und Zischen entsteigen dann die bösen Geister der See, schwingen ihre Gischtschleier und tanzen um die äussersten Riffe. — Wenn du dieses niemals mit eigenen Augen gesehen und miterlebt hast, mein Freund, so kannst du es gar nicht glauben ...

    Auf einmal stand an jenem Morgen die grosse fremde Bark hoch zwischen den Felsen; ein Schiff mit gebrochenen Masten, mit jammervollen Fetzen von Segeln, mit flatterndem Takelwerk — als das zerzauste Gespenst eines Schiffes stand es, halb verwischt hinter Regentüchern, unbegreiflich, unheimlich und furchtbar. Gott allein weiss, ob ein paar arme Menschen schrien in Todesangst ... Ganz gewiss schrien Menschen ...

    Kjersti war es, die das fremde Schiff zuerst sah. Kjersti sprang aus dem Bett und rief ihrem Manne zu: „Jesus tröste mich — ein Unglück!"

    Darauf drehte auch Aslak sein rotbärtiges Gesicht gegen das Fenster hin, begann vor Aufregung laut zu schnaufen und griff ohne ein Wort nach seinen Kleidern. Das war eine ganz grosse Sache.

    Wilder Aufruhr fuhr in alle Hütten; Männer in nassglänzendem Oelzeug rannten dem Strande zu, an die kleine Bucht von Nesse. Das grosse Kirchenboot glitt schaukelnd über die hohe Schwelle des Schuppens, glitt über die Querbalken und Steine. Knisternder Gischt umfing es gierig, die zu- und abfliessenden Wasser hoben es, schleuderten es hin und her.

    Die Männer riefen einander zu: „Haltet es klar von den Steinen ... Passt auf ... Stosst ab ... Sie schrien mit hohen, heiseren Stimmen: „Das ist ein überhändig schweres Wetter ... Nein, wie wird das ausgehn ...

    Sie meinten ja alle, es könne niemals gut ausgehen. Aber sie stiessen dennoch ab ... „In des Herrn Namen ..."

    Acht Ruder legten aus, acht lange, dünne Spinnenbeine tauchten in den fahlen Schaum. Selbst hier, in der geschützten kleinen Bucht von Nesse, kochte das Wasser — doch dort hinter der Landzunge von Levra schoss es gleich einer ungeheueren Schneewand, kirchturmhoch, empor. Eine Mauer, schreckhaft und unüberwindlich ... Die Männer richteten ihre Blicke hinüber. Ach, sie kannten die Gefahr; aber sie ruderten. Die dunkle Spinne kroch auf ihren lächerlich dünnen Beinen mühsam über den brodelnden Gischt. Es schien rein unglaubhaft. Es war verrückt. Autun, der Lotse, führte sie.

    Die Männer schrien sich keine Worte mehr zu; sie pressten ihre Lippen hart zusammen, ihre bärtigen, bläulichen Lippen. Sie bissen die Zähne aufeinander. Kein einziger hielt es für möglich, an Levra vorbeizukommen. „In des Herrn Namen", dachten sie und legten sich weit zurück und rissen an den Rudern wie Besessene.

    Autun, der Lotse, steuerte wahrlich gut; den Schutz jeder Felswand nutzte er aus, den Schutz jedes Riffes, jeden Fall des Wassers; das reine Kunststück war es, wie er die Sturzseen nahm, im rechten Augenblick, wenn sie in ihrer eigenen Wut zerfielen ... Seht, wie er so hinten im Boot steht, emporgeschleudert, niederfallend, festgenagelt auf den schmalen Planken, gleicht er ja selber einem Felsstück. Und das ganze schwarze Boot gleicht zuweilen einem Riff, das sich im allgemeinen Tumult vom Meeresgrunde losgerissen, und sich nun, von irgendeinem Geist der Tiefe getrieben, auf die Wanderschaft begibt ...

    Aber das alles ist noch gar nichts, lieber Freund — hier, im Lee der Felsen von Nesse. Das reine Kinderspiel ist es, gegen das, was hinter Levra wartet. „Jaja — Herr Gott im Himmel, denken die Männer, „es ist furchtbar heute ... Und sie rudern. Sie rudern und kämpfen sich langsam bis zur Landzunge hin, und begreifen selber kaum, dass es geht.

    Die erste Woge kracht als fauchendes Ungetüm auf sie nieder, überschüttet sie mit dickem Sprühregen, peitscht sie, blendet sie — bösartige Tropfen, die hart wie Kiesel auf die Planken prasseln und auf der Haut schmerzen wie scharfe Eisennägel. Halb verborgen in grünlichen Schaumsträhnen richtet das Boot sich in die Höhe ... steil, steil steht sein Bug empor, als wolle es mit einem gewaltigen Sprunge den bräunlichen Wolkenfetzen zufliegen. Die Felsennase, das ist das allerschwerste Stück — das ist die Probe.

    Möglicherweise hatte der Sturm sich ein wenig müde gerast. Fast sah es so aus, als liessen sich die tobenden Wasser verblüffen von der schwarzen, beharrlichen Spinne, die nicht müde ward, sich nicht schrecken liess, sondern starrsinnig herankroch — möglicherweise lag es nur im Spiel der hohen Mächte; das Boot durchbrach die weisse Mauer. Die Männer starrten die Felsen an und murmelten. Und so kämpften sie denn weiter, in des Herrn Namen ...

    Zu dieser Stunde hätte man ihre Gesichter sehen sollen, die struppigen Gesichter der Fischer von Godenes. Seltsam verwandelt waren sie, verzerrt, in Verzweiflung erstarrt; helle Flammen standen in ihren Augen. Mochten sie im täglichen Leben schwerfällig und einfältig sein, diese Männer, schläfrig, ja sogar träge — jetzt waren sie geschmeidig in ihren Wendungen, entschlossen in ihrem Handeln, und in ihren Armen lagen Riesenkräfte. Irgendwie sahen sie einander ähnlich, im gemeinsamen Kampf gegen die Seegewalten. Restlos vereinigten sie ihre Kräfte; durch ein paar schwarze Planken wuchsen sie zusammen zu einem einzigen Leib.

    So ungefähr war der Anfang dieser Geschichte — mit einem Untergang begann sie.

    Schwach und klein ist der Mensch, wenn die See ihre Pranken hebt zum Schlage. Aber die Fischer von Godenes trotzten ihr. Die Fischer verrichteten an diesem Wintermorgen eine Grosstat. Die Bark brach zwar auseinander, noch ehe sie sie erreichen durften; einige Menschen ertranken. Nur fünf Mann blieben zurück von der ganzen Besatzung. Und ein grosser schwarzer Hund blieb zurück, ein Hund, wie man seinesgleichen in dieser Gegend noch nicht gesehen; er schwamm auf das Boot zu. Als sie ihm helfen wollten, biss er nach ihnen. Da glaubten sie, es sei ein Abgesandter des Teufels; der Lotse Autun erschlug ihn mit dem Bootshaken.

    Die fünf aber brachten sie im Kirchenboot zurück — schwarzhaarige, dunkeläugige Menschen, Spaniolen; den Kapitän und vier Matrosen, verkommen, fast leblos.

    Sowie er festen Boden unter sich fühlte, sank der Kapitän in die Knie, schlug das Kreuz über Stirn und Brust und schluchzte laut. Die Fischer wagten kaum hinzublicken, so unmännlich benahm sich der fremde Kapitän. Auf einmal neigte er sich zur Seite und fiel zur Erde; er war schwer betrunken. Als sie das Ende vor sich sahen, hatten die Spaniolen aus Angst ihren dicken, süssen Wein getrunken.

    Ein junger Bursche blieb bleich und reglos auf den Bootsdielen liegen. Autun, der Lotse, beugte sich über ihn, zog ihm den Genser herauf, horchte lange auf seiner Brust. Als er sich wieder aufrichtete, schüttelte er den Kopf. „Der ist fertig und tot und alles", meinte der Lotse Autun.

    Inzwischen waren die Frauen von Godenes zusammengelaufen; sie halfen mit, das grosse Kirchenboot wieder in den Schuppen zu ziehen. Und da lag also der blasse Spaniole noch immer auf den Dielen. Die Frauen bekamen feuchte Augen, als sie ihn so ausgestreckt und ohne Leben liegen sahen. Sie meinten, es sei ein grosser Jammer. Sie redeten leise miteinander und meinten, es sei schade um diesen hübschen Burschen.

    „Seht doch nur, wie dunkel ihm das Haar in die Stirn niederhängt", sagte Kjersti.

    Dann stellten die Männer die vier Lebenden, so gut und so schlecht es sich machen liess, auf die Beine, stützten sie von allen Seiten und führten sie zu den Hütten hinauf. „Den dort wollen wir vorläufig liegen lassen, wo er liegt, sagten sie zueinander. „Dem kann niemand mehr helfen.

    Ja, dann gingen sie alle fort. Doch Kjersti war in ihrem Herzen derart beschaffen, dass sie immerzu an den blassen Spaniolen im Kirchenboot denken musste. Und sie musste auch daran denken, dass der Sturm dieser Nacht viele Ziegel vom Dach des Bootschuppens heruntergefegt hatte. Als sie es nicht länger für sich allein behalten konnte, sagte sie zu Aslak: „Du, Aslak, das ist doch ganz und gar unchristlich! Wir dürfen ihn nicht so unter offenem Himmel liegen lassen ... Denk nur daran, wie ihm der Regen ins Gesicht schlägt ... Was meinst du, Aslak?"

    „Ich? Nein — ich weiss nicht ... was soll man machen ...?"

    „Warte ... Jetzt lauf’ ich hinauf und hol’ eine warme Decke, ruft Kjersti. „Und dann musst du wieder mit mir hinuntergehen, Aslak; denn allein fürchte ich mich.

    „Jaja, sagt Aslak. „Eine Decke? Was soll er mit einer Decke?

    Aber als Kjersti von ihrem Haus zurückkam, brachte sie ihre eigene Wolldecke mit. So überaus gütig war sie in ihrem Herzen und so frisch und warmblütig ...

    Kjersti stand ja in der allerersten Zeit ihrer Ehe. Kjersti blühte damals in ihrer Weise. Sie blühte still und bescheiden, mit wenigen Farben, eben gerade nur so, wie die Blumen auf den äussersten Schären blühen dürfen. Lieber Gott — sie zählte ja noch nicht zwanzig Sommer. Sie war nicht einmal besonders schön, Kjersti, nein, aber sie bekam jedesmal, wenn sie lachte, so überraschend hübsche Grübchen in ihre Wangen; und manchmal wurden ihre Augen so blank und rührend nackt in ihrer Unschuld. Bis zu dieser Stunde hatte sie noch keinen schwarzhaarigen Südländer gesehen ...

    Im Grunde mag es wohl mit diesem und jenem begonnen haben — Ursachen findet man nachträglich zum Ueberfluss. Aber wenn sich etwas ereignen soll, dann ereignet es sich, irgendwie, entweder alltäglich oder durch Wunder. Sicher ist jedenfalls, dass Kjersti an einem Februarmorgen so erregt und unbegreiflich wurde, dass sie imstande war, ihre eigene Decke für einen toten Südländer herzugeben. Doch als sie ihre Decke sachte über ihn ausbreiten wollte, stiess sie einen pfeifenden Schrei aus und die Knie wurden unter ihr so schwach, dass sie niedersank; denn der Spaniole lebte noch. Es war der Leichtmatrose Serano.

    Viel Leben war nicht in ihm zurückgeblieben; wenn Kjersti ihn nicht so sehr lange und genau betrachtet hätte, würde sie niemals bemerkt haben, dass ihm die Lippen ein wenig zuckten, dass seine langen Wimpern ein wenig zitterten. Die reine Fügung und Schicksalslaune steckte dahinter: ohne Kjersti hätte Serano damals sicherlich sterben müssen.

    Doch nun legten sie ihn auf die Wolldecke und trugen ihn fort; Aslak, der Riese trug ihn allein, und Kjersti lief nur nebenher und stützte seinen Kopf; dabei liess sich nicht vermeiden, dass ihre beiden heissen Hände in das feuchte schwarze Lockenhaar griffen. Verschiedenes trägt sich immerfort unter dem grossen Himmel zu, und zuweilen ereeignet sich Unglaubhaftes zu Wasser und zu Land. Für Kjersti wurde es so etwas wie eine Wiedergeburt.

    „Wohin sollen wir nun mit ihm?" fragte Aslak und blieb oben auf den Felsen stehen.

    „Wohin? fragte Kjersti verständnislos. „Was meinst du denn? Nach Hause wohl ...

    Vielleicht meinte Aslak in seiner Einfalt, dass die Hütte auf Udvär gewissermassen nur eine Stube sei; und er meinte wohl auch, dass in der Stube nur ein einziges Bett stehe; deshalb zögerte er noch und fragte: „Ja, glaubst du, dass es angeht?"

    Ueber dieses Zögern konnte Kjersti richtig zornig werden. „Wie? Warum sollte dieses denn nicht angehen dürfen?"

    „Ja, ja", sagte dann Aslak, und setzte sich abermals in Bewegung.

    Man könnte es vielleicht auch so erklären, dass Kjersti in dem blassen Spaniolen ein Geschenk erblickte, ein Ding voller Geheimnisse — das hatte sie vom grossen Meer erhalten. Und sie nahm es entgegen. Schlimmes meinte Kjersti gewiss nicht bei dem allem. Nein, es war durchaus keine Sünde in ihrem Herzen ...

    Aslak brachte also den Spaniolen in seine Stube, legte ihn in sein Bett, und wenn er es sich richtig überdachte, musste er selber zugeben, dass es ein hübscher Knabe war, und dass in den anderen Hütten wohl kaum mehr Platz vorhanden als auf Udvär. „Salze und brate mich! rief Aslak in seiner Gutmütigkeit, „ein feiner Seejunge! Ach, ja, ja, ja ... rief er und gähnte laut.

    Nun weiter? Nichts. Höchstens, dass der Spaniole im Bett auf Udvär lag, ungefähr ebenso kalt und leblos wie unten im Kirchenboot. Er atmete ein wenig, das war alles.

    „Wie sollen wir nur Wärme in ihn bringen?" fragte Kjersti in grosser Angst, indem sie beide Hände vor ihre Brust presste.

    „Hm, sagte Aslak und überlegte. Dann kam er darauf. „Soviel kannst du doch wohl selber begreifen ... sieh doch nur seine Kleider an, die sind ja so nass wie Seetang.

    Darum zogen sie dem Spaniolen die Kleider aus, und er war in der Tat ein besonders feiner Seeknabe. Aber er wollte offenbar sterben. Wie er so dalag, weiss und schwarz, glich er schon einer Leiche. Es ging also hier um ein Menschenleben. — Aslak und Kjersti wussten keinen anderen Rat, als dass sie sich zu beiden Seiten von ihm legten. Sie opferten ihre gute Wärme ... Serano sollte gerettet werden.

    Gerettet wurde Serano. In der Hütte auf Udvär berührten sich Leben und Tod. Aslak schlief dabei ein. Der rote Riese Aslak drehte sich der Wand zu und schnarchte aus reinem Gewissen. Rechtschaffen müde war er geworden, draussen; er hatte seine Kräfte ausgegeben im Kampf mit dem Sturm, er hatte eine Mannestat verrichtet.

    Möglicherweise schlief auch Kjersti dabei ein — das weiss ausser ihr nur Gott allein ... Man darf bei dem allem nicht vergessen, dass der kleine Gaard Udvär zwischen den Felsen von Godenes liegt, und dass das Land Godenes vier gute Wegstunden vom Kirchorte Storevik entfernt liegt, und dass sogar der Ort Storevik noch hundert Meilen weit hinter der grossen Welt liegt. Man meint wohl, die Erwärmung Seranos sei nur ein Scherz oder höchstens ein Zufallsspiel gewesen — darin irrt man gewaltig: Diese Stunde auf Udvär wurde die Schicksalsstunde für ein einsames Felsenland und eine kleine Stadt hoch oben am Nordmeer ...

    Bis weit in den Nachmittag hinein schlief Aslak seinen gesunden Schlaf. Als er seine Augen wieder aufschlug, war dieses Werk der Nächstenliebe vollbracht. Auf Seranos Wangen blühten abermals des Lebens Rosen.

    Und Kjersti? Was denn? Seht, dort beim Ofen steht sie und beschäftigt sich mit gewöhnlichen kleinen Dingen. Kjersti mahlt Kaffee; sie hat sich dazu auf dem Holzklotz neben dem Ofen niedergelassen, hält die kleine Mühle zwischen den Knien. Seranos Kleider sind trocken geworden. Kjersti schaut ins Torffeuer, dreht und dreht. Aber als Aslak sein Schnarchen abbricht und mit einem frischen, frohen Gähnen abermals in die Wirklichkeit des Daseins zurückkehrt, beugt Kjersti sich tief über das Ofenloch und bläst heftig ins Feuer.

    Wäre Aslak nicht immer noch gar so schläfrig gewesen, so hätte er darüber ein wenig nachdenken können. Ja, weshalb nur machte Kjersti sich so viel unnötige Mühe mit einem Feuer, das prasselt und lichterloh brennt? Aber auch dabei ist wohl nichts Erstaunliches. Durch die Anstrengung mit Bücken und Blasen und auch durch des Feuers Glut werden Kjerstis Wangen gerötet. Erstaunlich blieb höchstens die neue Linie in Kjerstis Gesicht, das Leuchten in ihren blanken Augen. Doch dieses zu entdecken braucht es zwei andere Augen, als Aslak sie besitzt.

    „Ach jaja — lieber Gott im Himmelreich ...gähnt Aslak, trinkt heissen Kaffee, nickt dem Spaniolen zu, und alles wird ein wenig sonderbar und komisch. Aber sonst steht es ausgezeichnet. „Oh, jaja, du dunkler Seeknabe, sagt Aslak gutmütig.

    Der Ofen strömt eine gewaltige Glut aus. Kein Wunder, dass Kjerstis Wangen mehr und mehr brennen, dass Kjerstis Augen heller und heller funkeln. Das ganze junge Weib Kjersti wird zu einem Feuerwirbel. Arme, unschuldige Kjersti — es wurde für sie noch mehr als eine Wiedergeburt: Es wurde daraus eine sündhaft süsse Seligkeit.

    „Willst du nicht selber eine Tasse Kaffee trinken? fragt Aslak, „und was machst du denn da?

    „Er kann doch nicht jede Nacht mit uns im Bett schlafen", antwortet Kjersti, indem sie sich tief, tief niederbückt und mit dürrem Heidekraut und Halm raschelt.

    Wenn Aslak die richtigen Ohren an seinem Kopf gehabt hätte, würde er gehört haben, wie Kjerstis Stimme schwang und sang und wie sie bebte von schweren Herzstössen, so dass es ihr mit Hammerschlägen im Halse klopfte. Aber aus Aslaks Ohren wuchsen ganze Büschel roter Haare hervor; seine Ohren waren darum nicht taub, nein, gar nicht; zuweilen hörte er damit überraschend fein, zum Beispiel, wenn er in stockfinsterer Nacht durch den Hexenkessel vor der Godenesküste segelte und jede Schär und jeden Grund am besonderen Laut des Wogenschlags erkennen konnte. Bei solcher Gelegenheit erwiesen sich Aslaks Ohren fast unnatürlich scharf, fast übermenschlich hellhörig. Aber Kjerstis Herzstösse vernahm er nicht.

    Da sich an diesem Sturmtag und zu dieser Jahreszeit keine Arbeit auf dem Hofe fand und Aslak auch keine finden wollte, und da überdies der Spaniole eine unmögliche Zungensprache hatte, ging Aslak bald hinaus zu den anderen Fischern, um Neuigkeiten aus den Hütten zu vernehmen. Das grosse Ereignis musste doch ausgiebig beschwatzt werden.

    Es fand sich nicht die leiseste Spur von Ungewöhnlichem an Aslak. Er war in allen Dingen genau so, wie sie alle sind, die Männer von Godenes.

    Und nun konnte Kjersti ungestört Säcke und Tücher über das Strohlager ausbreiten und beim Ofen ein gutes Nestchen bauen. Serano war noch ein wenig müde von Schiffbruch und Rettung und allen Zufälligkeiten des Erdendaseins; er blieb im Bett liegen und schaute Kjersti an mit seinen grossen, weichen Augen, die dunkel waren wie die Schatten der südlichen Nacht.

    Dieser Art wurde Serano auf Udvär aufgenommen. Er wohnte in Aslaks Hütte. Aber sein Kamerad, der Matrose Martinez, traf es wahrlich nicht schlechter. Martinez traf es womöglich noch besser als Serano; er kam zu Berent auf Lia, und das war der erste Mann im Lande Godenes. Ein Fischer mit eigenem Heringsnetz und eigenem Grossboot, ein Bauer mit fünf Milchkühen und drei Dutzend Schafen; Berent, unwidersprochen der reichste Mann in einem Lande, wo sonst keiner mehr als zwei Kühe und an irgendeinem Heringsnetz höchstens einen Anteil besass.

    Berent auf Lia besass neben all seinem Reichtum zwei Mädchen, zwei zierliche Töchter mit Blauaugen und aufreizend weichen und runden Wangen und einer blonden Lockenkrone über allem. Rank und frisch waren sie alle beide. Wenn es stimmt, dass Jofridur damals neunzehn Sommer zählte, so ist ebenso sicher, dass Björg nicht mehr als einundzwanzig zählte. Sie schritten treuherzig und sanft einher, im Strahlenglanz ihrer ersten Blüte. Sass Serano auf Udvär wie der Hahn im Korb, so sass Martinez auf Lia wie der Dotter im Ei.

    Nach ein paar Tagen mietete der spanische Kapitän das Kirchenboot und fünf Mann und segelte der Küste entlang nach dem Ort Storevik, wo es zu jener Zeit schon Post und Telegraph gab. Wiederum führte der Lotse Autun das Steuer, die Mütze mit dem blanken Schild auf dem Kopfe, die Weste mit den zwei Reihen Hornknöpfen über der Brust, und über dem Bauch die dicke silberne Uhrkette. So sass er wie ein Admiral und liess seine Befehle erschallen. Gewiss übertrieb es Autun bei dieser Fahrt, er machte sich lächerlich und liess alle Welt gar zu deutlich erkennen, dass es einen Morgen gegeben, an dem er das Leben einiger Spaniolen in seiner Hand gehalten. „Hol’ das Fockschott schärfer ein, Daniel! rief er. „Und, Aslak, sitz klar am Grosssegelfall! kommandierte er, als blase ein Generalsturm.

    „Jawohl", sagte Daniel.

    „Jawohl", sagte Aslak.

    Sie nahmen es alle so unerhört wichtig, als sei dies das erste Boot, das je von Menschenhand über die salzige Flut gesteuert worden.

    Es blieben Serano und Martinez auf Godenes zurück, Wrackgut zu bergen. Eine ganz närrisch schöne Zeit brach an für die Menschen dieses armen Felsenlandes. Fast wie im Märchen ging es zu, mit den wunderbarsten Begebenheiten und Ueberraschungen. „Martinez, unser Spaniole, sagten die Mädchen von Lia. „Serano, mein Spaniole, sagte Kjersti. Und wie dabei allen dreien die Augen blitzten ...

    „Du kannst es dir gar nicht vorstellen, wie freundlich und gut er ist, konnte Kjersti der Nachbarin Johanna auf Indrevär anvertrauen. „Ja, wenn ich mir nun alles richtig überlege, so muss er sicherlich aus vornehmem Hause stammen ...

    „Hihihi — das magst du nur selber glauben!" erwiderte darauf Johanna.

    Wisst, die Frauen sind auch an dieser entlegenen Küste nicht so ganz verschieden von anderen Frauen. Und Johanna besass ja nichts, was sie hätte „mein Spaniole nennen können. Deshalb war sie nicht reinen Herzens. Sie besann sich und fragte: „Verstehst du ihn denn, wenn er zu dir spricht?

    „Wie? Ob ich ihn verstehe?"

    „Ja, in seiner Zungensprache ..."

    „Ach, er trägt mir doch jeden Morgen das Wasser in die Stube und holt den Torf für den Ofen. Und dabei schaut er mich immer lange und demütig an mit seinen merkwürdigen, schwarzen Südlandsaugen ..."

    Ungeheuer entflammt war Kjersti; ihr Herz loderte, ihre Zunge loderte. Wenn es ihr Leben gegolten hätte, sie konnte unmöglich alles, was in ihr sang, völlig verschweigen.

    „Oh du, oh du! ... Nein, aber jetzt! ruft Johanna hämisch. „Ich will nichts gesagt haben; aber du bist komplett verrückt ... Jawohl, Kjersti, das bist du. Und du führst dich in allen Dingen auf wie ein lediges Mädchen, das noch mit allen Knaben spielen darf ...

    Johanna meinte, Kjersti führe sich schandbar und sündig auf, und ihre Rede schicke sich keineswegs für eine verheiratete Frau; Johanna war doch selber noch saftig und begehrlich und erregt vom Schiffbruch und aller fremdländischen Männlichkeit. Darum ging sie entrüstet nach Indrevär zurück und war ohne Gnade. Sie verstand wohl nicht recht, was in Kjersti vorging — oder vielleicht doch? Sie lebten ja damals noch so sehr natürlich und menschlich in allen Dingen, die Leute von Godenes.

    Die Wochen, die dem Schiffbruch folgten, brachten viel Gutes und Schönes für alle. Dieser Sommer wird hier niemals vergessen werden ... Hat man über Godenes je zuvor und je nachher eine so blaue und milde Luft erlebt? Wehten je die Winde so friedlich aus der geheimnisvollen Ferne herauf? Lachten jemals die Mädchen so laut und so froh? Wahrlich kein einziger Tag verging ohne grössere oder kleinere Wunder.

    Das Meer wurde nicht müde, Schiffstrümmer an den Strand zu spülen. Man hätte glauben können, das Meer habe nur zu Spiel und Scherz die spanische Bark an diese einsame Küste heraufgetrieben und an den Felsen von Godenes zerschlagen — nun gab es das meiste wieder freiwillig zurück. Handelt es sich dabei um wichtige Dinge, so wurden sie von den beiden Spaniolen gesammelt; Martinez schrieb alles mit Mühe und Beschwer in ein Buch. Doch es lagen ja hundert kleine Dinge überall zwischen den Felsen, Dinge, die nicht der Mühe lohnten aufgeschrieben zu werden.

    Uebrigens zeigten sich die beiden Spaniolen als Seeleute vom prächtigsten Schlage, sie nahmen es nicht allzu genau und gönnten ihren Rettern guten Herzens ihren Anteil am Strandgut. Darum liessen sie auch einige Fässer süssen, herrlich duftenden Weins von Malaga als kleine Dinge gelten; zur Ausnahme durfte in dieser öden Gegend, wo man noch nie eine Traube gesehen, ein wenig irdische Glückseligkeit genossen werden.

    Die Männer von Godenes waren nach ihrer Heldentat selbstbewusst und überlegen, alle miteinander; am stolzesten war Autun, der Lotse und Anführer. Ja, das war seine grosse Zeit mit Ruhm und Ehre, es war der Glanz, an dem Autun für den Rest seines Lebens zehren durfte.

    Wenn Autun in späteren Jahren auf den Wein aus Malaga zu sprechen kam, glänzten seine Augen wild und er rief: „War das ein Sommer — Gott tröste uns alle ... Oh, du grosses Mirakel ... und der Himmelssegen mit den dicken Weinfässern ... Wir wurden davon alle so jung und leicht und weich in den Gelenken, dass ich es dir gar nicht schildern kann — wie auf Daunen gingen wir. Und wie wir dann drauf losstürmten mit mancherart Verrichtungen ... Mag sein, dass einiges, was wir damals taten, ein wenig gottlos war, nein, das weiss ich nicht; aber jedenfalls war in jenem Sommer das Leben über alle Massen herrlich ..."

    Nun muss aber leider alles, was auf unserer unebenen Erde beginnt, irgendwie ein Ende nehmen. Ueber Godenes verwehten die Freuden des Sommers; und dann kam abermals ein Herbst.

    In diesem Herbst reisten Serano und Martinez fort, wunderten durch den Sumpf und über den Bergzug im Osten, begleitet vom ganzen Godenesvolke. Es wurde ein grausam schmerzlicher Abschied, mit salzigen Augenwassern im Ueberfluss. Hierauf winkten die beiden Südländer, schwenkten ihre Mützen und verschwanden im Birkenwalde von Libavoll. Das war das letzte, was man von ihnen gesehen.

    Doch sollte es noch nicht das Allerletzte sein. Das zeigte sich um die Julzeit; es zeigte sich auf seltsame Weise: Berent auf Lia, der Grossbauer und Netzbaas und erster Mann, der fast jeden Satz mit „Siehst du abschloss, dieser Mann und Vater brachte eine erstaunliche Neuigkeit unters Volk. Zuerst rannte er nach Udvär zum Nachbar Aslak und verkündete: „Aslak, ich bin — Pein und Tod — an diesem Strande noch lange nicht der letzte, wenn es darauf ankommt, eine schwierige Aufgabe zu lösen, siehst du! Hingegen — hol’ mich der Teufel — wenn ich mit meinem armen, sündigen Kopf je erfassen soll, was sich mit Jofridur begeben hat. Und was Björg anbetrifft, so steht es bei ihr ebenso und um kein Haar besser, siehst du ...

    Wenn Berent sich aber in einer so verwickelten Angelegenheit an Aslak wendet oder in Udvär Aufklärung erwartet, dann kommt er weder an den rechten Mann noch an den rechten Ort. Und wenn Berent bis zu dieser Stunde auf einem Auge nur mangelhaft sah, so war Aslak sozusagen auf beiden Augen blind und begriff zuerst nicht einmal, worauf Berent mit seinen Andeutungen abstellte. In solchen Fragen waren diese beiden braven und tüchtigen Männer noch unglaublich treuherzig.

    Aslak, wie er so mit seinem ungeheueren Brustumfang dastand und vor Staunen den Kiefer hängen liess, glich einem grossen Kinde mit zwei langen Armen und gewaltigen Fäusten dran. Mit diesen Armen vermochte er ein schweres Boot allein aus dem Wasser und in den Schuppen hinaufzuziehen. So wenig wie an Muskelkräften fehlte es ihm an Treue und Zuverlässigkeit, und einen tüchtigeren Fischer konnte man an dieser langen Küste schwerlich finden; jedoch das geheime Walten in einem Frauenherz blieb Aslak für alle Zeit ein unlösbares Rätsel, darum erhob er auf einmal seinen Kopf und rief fröhlich: „Beim Hunde, du Berent, was mag dir nur Sonderbares zugestossen sein, dass du so hackend rasend herumrennst und solche Worte von dir gibst?"

    Der Mann Siehstdu war völlig von Verstand und Sinnen, bis zum Platzen angefüllt mit Empörung; er rief: „Oh, du Mensch und Mann — oh, du einfältiger Narr, wie du dastehst ... hast du denn keine Augen im Kopf?"

    „Ob ich Augen habe?"

    „Jösses ja — nun sind sie doch alle beide soweit, siehst du ... Oh, die siebenmal verfluchten Südländer! Warum nur, frage ich dich jetzt, du Aslak, haben wir sie nicht alle miteinander ersaufen lassen?"

    Fort rennt Berent mit seinem gerechten Zorn und seiner Neuigkeit und lässt Aslak in grösster Verblüffung zurück. Von Gaard zu Gaard rennt Berent, schändet sich selber und sein eigenes Blut aus. Nicht an allen Orten trifft er es so günstig wie auf Udvär, nicht überall stürzt er die Menschen in Sprachlosigkeit und Staunen. Ach, Berent war ja durchaus nicht der erste, dem das Walten der Naturkräfte in seiner Familie offenbar wurde. Nein, die Weiber waren die ersten; die Weiber von Godenes merkten es schon lange. Aber sie besprachen es nur unter sich und hielten es geheim vor dem Mannsvolk. Sie waren so undenkbar schlau, diese Weiber, seit jeher standen sie zusammen und hüteten ihre Geheimnisse. Deshalb blieben die Männer von Godenes in gewisser Beziehung so bodenlos unwissend und kannten nicht das innere Wesen der Frauen.

    Und nun? Nichts — rein nichts ... Die Natur nahm ihren Lauf. Welchen Sinn konnte es denn haben, wenn der Mann Siehstdu herumrannte, die Spaniolen lästerte und sich selber versündigte?

    Mehr als schandbar benahm sich Berent. Dafür sollte er gezüchtigt werden. Das Auge des Himmels richtete sich in Strenge auf ihn, und er wurde in der Weise bestraft, dass seine jüngste Tochter Jofridur im Wochenbett starb. Sie gebar ein kleines Mädchen und verblutete dabei. Die Tochter Björg gebar ebenfalls ein kleines Mädchen und überlebte es.

    Björg legte nun beide Mädchen an ihre Brust; das ging ausgezeichnet. Die kleinen Mädchen tranken, schliefen, schrien und gediehen. Berents Sinn aber wurde nach der Züchtigung überraschend mild; er zügelte seine Zunge und tat Busse, mit tiefen Seufzern und Trauer im Herzen, denn er war seit jeher nicht nur ein reicher Mann, sondern auch ein guter Vater.

    Dabei blieb es. Keine Spur von Strafgericht, keine unnötige Reue. Es waren übrigens zwei Wunder von kleinen Mädchen, feine Näschen hatten sie alle beide und dunkle Augen, jawohl, echte Südlandaugen. Der Mann Siehstdu nahm sie bald auf seine Knie und schaukelte sie; so natürlich war das Leben damals noch im Lande Godenes.

    Der Mann Siehstdu schlachtete sogar einen fetten Hammel, liess das Kirchenboot bemannen, segelte mit seinen zwei kleinen Mädchen zur Kirche von Storevik und hielt ein grossartiges Taufefest. Er war völlig umgewandelt. Und die Mädchen hiessen hinfort Randi und Jorun. In dieser Art ward die Sache auf Lia geordnet.

    Aber nachher trat ein anderer Fall ein: Kjersti gebar auch ein Kind. Kjersti gebar unter grossen Schmerzen einen Sohn. Das wäre an sich nichts als Frauenlos und keine Unnatürlichkeit gewesen. Wenn aber nun Kjerstis Sohn ebenfalls dunkle Südlands- und Märchenaugen hatte? Ja, dann war es etwas anderes. Diese Angelegenheit wurde damit eine verwickelte Angelegenheit.

    Aslak, in seiner Kraft und Einfalt lebte ohne Sorgen und selbstzufrieden von einem Morgen zum anderen. Um seine Seelenruhe zu stören brauchte er Berent. Ja, Berent musste von Lia herüberkommen und Verwirrung nach Udvär bringen. Berent steht vor Kjerstis Sohn und ruft: „Der Hund häute, salze und brate mich — wenn das nicht genau dieselben Augen sind, siehst du ..."

    Kjersti hört nicht so genau hin, denn das Kind fängt bei Berents Anblick und bei Berents rauher Stimme an zu schreien. Sie sagt: „Geh’ gleich wieder hinaus, Berent, denn der Kleine fürchtet sich vor dir."

    Vor der Haustür bleiben die beiden Männer stehen, und Aslak senkt seine buschigen Brauen: „Beginnst du nun wieder aufs neue mit deiner Verrücktheit? fragt er. „Wie mir scheint, bist du irr in deinem Kopf ...

    „Hoho — meinst du das? lacht Berent. „Jaja — in dieser Beziehung magst du es wohl am besten wissen ...

    Nun aber regt sich der stille, starke Aslak doch ein bisschen auf; er entgegnet ärgerlich: „Rede meinetwegen oder schweige, ganz wie du willst — ich würdige nicht, was du glaubst oder nicht glaubst — was für Augen sollten es wohl sein?"

    „Schwarze Augen — Südländeraugen, Mann ..."

    „Südländeraugen, meinst du? Wie sollte dieses denn nur vor sich gegangen sein?"

    Aslak redet leise; Aslak redet so unheimlich leise und sein Lächeln wird schief und gefährlich. Da begreift Berent, dass er einen Schritt zu weit ging; er möchte es gleich wieder gutmachen: „Nimm es nur mit Ruhe und Geistesgegenwart, du, Aslak! Nein, du darfst deswegen nicht auf einmal so hitzig werden, siehst du ... Was ich sagte, das sagte ich ja nur zum Spass und nicht aus schlimmer Absicht, siehst du ..."

    Ach, wie könnte Berent auf Lia je eine schlimme Absicht haben? Er war noch unberührt in seinem Herzen, ein Knabe mit langem Bart und grauen Haaren — nur das Schweigen fiel ihm alle Tage so ungeheuer schwer. Und nun will er es gleich noch besser als gut machen; man hätte fast glauben können, er fürchte sich vor Aslak, dem ein grüner Funke in den Augen blitzt: „Jaja, Aslak — und wenn wir nun schon auf die Augen gekommen sind, so gibt es in der ganzen Welt überhaupt keine schöneren Augen als die schwarzen ..."

    Aslak kommt da nicht ganz mit. Er wiederholt zwar: „Schwarze Augen ... So ..." Doch in seiner Stimme liegt etwas, das Berent keineswegs gefällt; darum besinnt er sich nicht länger und marschiert davon.

    Berent denkt jetzt wohl bei sich selber, dass Aslak ein komischer Kerl sei. Nun, da er sich selber mit dem Schicksal so schön ausgesöhnt hatte, bereitet es Berent keine Mühe, in dieser Weise zu denken.

    Aber für Aslak war es dennoch eine böse Botschaft. Er steht und starrt auf den Boden zwischen seinen Füssen. „Schwarze Augen ... murmelt er, „Alter Narr ... knurrt er ...

    Dort auf dem Tun von Udvär steht ein Mann, dem wurde, als er sein rechtschaffen Dasein führte, ein schartiges Messer zwischen die Schulterblätter gestossen ... Warum nur muss das Spiel der unsichtbaren Gewalten für die armen Menschengeschöpfe zumeist so schmerzlich ausfallen?

    Aber vielleicht ist das Spiel gar nicht grausam und nur die Gedanken der Menschen sind klein und kümmerlich, sie vermögen keinem Ding bis ganz auf den Grund zu dringen. War denn zum Beispiel Oluf, der Sohn Kjerstis, nicht in jeder Beziehung tadellos? War er nicht ein prächtiger Stammhalter und ein Stolz für die Mutter? Kjersti kann sich kaum halten vor Freude: „Sieh doch nur — er hebt schon den Kopf ... Ach, du, Aslak — sieh, er lacht dir ja zu ..."

    „Warum hat er schwarze Augen?" fragt Aslak in seinem Unverstand und bringt Kjersti zum Weinen.

    Weiter kam es allerdings nicht; nein, nein, Aslak war durchaus nicht der Mann, ein Wort mehr als notwendig zu sagen; er bereute schon das, was er gesagt hatte. Wenn es im Lande Godenes einen Mann gab, der sich aufs Schweigen verstand, so war es sicherlich Aslak.

    Damit war also der Winter da; der Winter konnte unmöglich so voller Freuden sein wie der Sommer. Auch der Winter ging schliesslich vorüber. Und im Frühling liess ein kleines, graues Dampfschiff draussen zwischen den Schären seine Sirene heulen. Der Lotse Autun erlebte abermals eine grosse Stunde; es

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