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Der ewige Berg
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eBook219 Seiten3 Stunden

Der ewige Berg

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Über dieses E-Book

Nur ein Tisch steht zwischen den früheren Freunden Trygve und Olav. Schweigen und Tod lauern in der Stube. Die Hütte hatte Trygves Vater, Herr Eivind, errichten lassen. Ein finsterer Herr, der seinen großen Besitz mit seiner Reitgerte und eiserner Hand kontrollierte. Umso erstaunter waren die Bauern des abgelegenen Weilers, als er eines Tages mit einer sehr jungen und zarten Frau aus der Stadt nach Hause kommt. Für Trygves Mutter Dagmar füllt Eivind das Haus mit Gästen und Geselligkeiten wie ein König. Doch die musikalische Dagmar scheint am Klima, der Einsamkeit und der Rauheit ihres Mannes zu zerbrechen. Schließlich erliegt der Vater der attraktiven Signe, die länger als jeder andere auf Besuch bleibt. Und Dagmar verfällt mehr und mehr dem Zigeuner Halstein, der als Knecht auf dem Hof überwintert. Es ist Oswald, der mit Trygves Vater aufgewachsen ist und als des "Königs" langjähriger Diener dazwischengeht, als es zwischen dem Paar zum Kampf kommt. Jetzt steigt der weise, gealterte Mann zum letzten Mal auf die Hütte und erzählt Trygve von der leidenschaftlichen, unglücklichen Liebe der Eltern und seiner eigenen Liebe zu Frau Dagmar. Noch einmal will er schlichten. Denn Trygve und sein Gewehr warten auf Olav, der wegen Jofrid wegging. Inzwischen ist Jofrid Trygves Frau und Olaf zurück. Schweigen und Tod lauern in der Stube, als Oswald sich auf den Heimweg macht und Olav zu seinem alten Freund in die Hütte kommt. Einer von ihnen muss sterben ...Zwei Männer und eine Frau: Ein hochemotionaler Roman über die Tragödie der leidenschaftlichen Liebe, die Freundschaft in blinden Hass und Hass in Freundschaft verwandeln kann.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Mai 2016
ISBN9788711518519
Der ewige Berg

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    Buchvorschau

    Der ewige Berg - Karl Friedrich Kurz

    www.egmont.com

    Des Berges Wächter

    Dieses ereignete sich in einer weissen Nacht.

    Damals zählte Olav nicht mehr als siebzehn Winter. Jofrid zählte nicht mehr als sechzehn Winter.

    Sie kamen an einem Johannisabend auf die Rimane, eine steile Wiese unter der Felsenkluft, die Donnerskare heisst. Sie schauten auf alle die roten Feuer in den Bergwänden.

    Die Feuer brannten weit hinten im Lande, wo der Schnee noch nicht ganz von den höchsten Gipfeln geschmolzen war, und brannten bis hinaus zu den äussersten Inseln von Tysseland, die wie flache Schilder unter dem hohen Rande des Meeres standen. Wohl hundert rote Feuer brannten und stiessen ungeheure Rauchsäulen in die Luft.

    Olav liess sich im blumigen Grase nieder und lehnte den Rücken gegen die graue Bergwand, umschlang mit den Armen seine Knie und freute sich über das alles: Über die stille Nacht und den hohen Rand des Meeres, über alle die vielen roten Feuer und ihre gewaltigen Rauchsäulen. Er freute sich vor allem darüber, dass Jofrid mit ihm in die Ödmark gekommen war.

    Aber Jofrid wollte sich nicht zu ihm hinsetzen. Nein, sie blieb am äussersten Abhang stehen. Und da stand sie nun — hoch im Himmel und hoch über dem graublauen Meer. Es fand sich unter ihr nicht mehr dunkles Land als das Stücklein Rasen, das sie mit ihren Füssen berührte.

    Unter gesenkten Brauen hervor schaut sie auf den Fjord und sagt mit schwingender Stimme: „Du hast nicht Reisig und nicht Holz gesammelt, Olav. Jetzt werden wir zwei kein Feuer haben."

    Olav entgegnet: „Wie bist du gross! Du bist ungeheuer gross, Jofrid! Du ragst über alle Inseln des Meeres hinaus, du bist höher als der Schneegipfel des Hvithest ..."

    „Aber, Olav — nein, was sagst du? — Bin ich gross? ..."

    Langsam wendet sich Jofrid zurück.

    „Ja, jetzt hast du wieder deine fremden Augen. Das sind wieder deine Märchenaugen. Und du siehst Dinge, die gar nicht da sind. Und du redest Worte, die ich nicht verstehen kann ..."

    Sie holt tief Atem und schiebt dabei ihre kleinen Brüste vor, ihre beiden Knospenbrüste: „Mein Vater sagte heute, du seist irgendwie fremd an diesem Strande. ‚Hat man denn jemals in dieser Gegend so unruhiges Blut angetroffen?’ fragte er. ‚Er ist wahrhaftig ein Zigeuner!’ sagte er."

    Nun denkt aber Olav stetsfort seine eigenen Gedanken: „Jofrid! Ich habe dich lange angeschaut. Im hellen Himmel stand deine Gestalt wie ein riesengrosser Schatten ... Jetzt hatte ich die Augen geschlossen. Und jetzt sehe ich dich weiss, wie eine Wolkenfrau mit einer Strahlenkrone. Und nur du bist noch da. Aber Erde und Meer und Berge sind verschwunden ..."

    Auf leisen Zehenspitzen macht Jofrid die paar Schritte zu ihm hin, beugt sich nieder und legt ihre Hände auf seine Augen. „Was siehst du nun, Olav?" fragt sie leise.

    Olav hört ihren lauten Atem. Aber jetzt kann er keine verwunderlichen Worte mehr sagen. Denn plötzlich presst Jofrid ihre Lippen auf seinen Mund, und da geht ein kühles, prickelndes Beben durch Olavs Leib.

    Dieses war der erste Kuss.

    Jofrid hatte in der Stille der weissen Nacht die Stimme des Lebens vernommen. Jofrid war um vieles reifer als Olav.

    Olav war damals noch nichts anderes als ein geschmeidiger Knabe, der in Ahnungen und fremden Bildern lebte und dessen Träume noch friedvoll und voller Engel waren.

    Als Jofrid Olavs Augen und Mund wieder freigab, beugte sie sich so tief über ihn, dass er von der ganzen Welt nichts sehen konnte als nur ihr Gesicht. Ihr Gesicht mit roten Wangen und funkelnden Augen, mit feuchten, unbegreiflichen Augen.

    Wie ging doch ihr Atem heiss!

    Olav starrte in dieses taufrische Jungmädchengesicht. Dessen Grösse und Nähe schreckte ihn, und er liess abermals die Lider sinken, als hätte ihn grelles Sonnenlicht getroffen, und so verharrte er in schweigendem Staunen. Und er wurde sehr verwirrt und scheu, wie vor etwas Fremdem und Unbegreiflichem.

    Aber Jofrid setzte sich auch jetzt noch immer nicht zu ihm hin. Nein, da stand sie wieder hoch im Himmel und überragte Land und Meer. Sie schaute vor sich nieder mit merkwürdig leerem Blick. Aber um ihre roten vollen Lippen flatterte ein listiges Lächeln.

    Und da Jofrid sehr lange und beharrlich schwieg, fragte Olav: „Ja, nun bist du wohl unzufrieden?" Und er meinte das Johannisfeuer.

    „Nein, antwortete Jofrid. „Unzufrieden? Nein, keine Spur. Und dann schwieg sie eine Weile. Und dann lachte sie leise und sagte: „Du dummer Bub!"

    Olav sagt: „Aber du stehst doch dort mit rotem, zornigem Gesicht, Jofrid, und wenn du nicht böse auf mich bist — was fehlt dir denn?"

    „Was sollte mir nur fehlen? fragt Jofrid und lacht wieder ein wenig. „Mir fehlt nichts. Nicht das mindeste. Und du verstehst es ja doch nicht, sagt sie und wirft den Kopf in den Nacken.

    Und sie besinnt sich ein wenig und sagt dann noch einmal: „Dummer Bub!" Und dann schweigt sie. Sie netzt ihre Lippen mit der kirschroten Zungenspitze. Sie dreht sich zu Olav hin und betrachtet ihn, wie ein Mädchen seine Puppe betrachtet, mit viel Liebe; aber auch mit ein wenig Verachtung. Doch an ihren langen Wimpern hängen plötzlich Tränen. So gross ist ihre Zärtlichkeit ...

    Nun hatte aber an diesem Tage Olav mit dem Knechte Ingolf gerauft. Der Knecht Ingolf war über zwanzig Winter alt, Olav hatte ihn geworfen und besiegt. Jofrids Puppenblick kränkt ihn sehr und weckt in ihm das Verlangen, vor ihren Augen eine ungewöhnliche und mutige Tat zu vollbringen. Und sogleich sollte diese Tat vollbracht werden. Olav ist voll Jugendherrlichkeit und Mut und bis zum Rande erfüllt mit Heldentum.

    „Du sollst dein Feuer haben, Jofrid!" ruft er und springt auf.

    „Wie soll ich mein Feuer haben, wenn du kein dürres Holz gesammelt hast?"

    „Ich werde dir den Priester opfern, den grossen finstern Priester, vor dem du dich vor kurzem noch fürchtetest."

    „Den Priester? ruft Jofrid entsetzt und überwältigt. „Ich glaube, du bist verrückt. Nein, nein — du — was würden die Leute sagen?

    Jetzt ist kein Puppenblick mehr in ihren Augen.

    Olav schiebt die Schulter vor: „Die Leute? — Das hilft alles nichts, sagt er mit tiefer Stimme. „Der Priester muss sterben in dieser Nacht.

    Er sammelt Reisig. Er sammelt trockenes Moos. Er schichtet es hoch auf um den Stamm eines grossen, dunklen Wacholderbaumes.

    In diesem Wacholderbaum wohnt vielleicht ein Gott.

    Er ist uralt. Schon viele hundert Jahre lang steht er an der kahlen Felswand, einsam, dunkel und stark. Man kann ihn aus meilenweiter Ferne sehen. In Mannshöhe über dem Rasenband der Rimmane ragt seine Wurzel aus der Felsenspalte heraus, als hätte sie den gewaltigen Helleberg bis hinauf zum Gipfel gesprengt und die Donnerskare aus ihm herausgebrochen. Welch knorrige, verknorpelte Wurzel! ... Es findet sich nicht soviel wie eine Handvoll Erdreich um sie herum.

    Nun steht also dieser verwunderliche Baum hier an der Steilwand des Helleberges, solange Menschen zurückdenken können. Ernst und finster steht er da und nährt sich von Sonnenbrand und Wind und Frost und Nordlicht. Seit jeher nannten ihn die Leute „Priester und „Bergwächter. Und Olav schichtet dürres Moos und dürres Gras an seinem Stamme auf ...

    „Nein, ruft Jofrid, „nein, das darfst du niemals tun, Olav. Ich glaube, dass es eine Sünde wäre ...

    Aber in Jofrids Auge springt ein lüsterner Funke auf. Das Ungewöhnliche lockt auch sie. Und nun sagt sie, nein, es solle nicht getan werden; und ruft abwehrende Worte, indes sie Olavs Vorbereitung mit freudig flackerndem Herzen und einem leisen Angstschauer im Rücken folgt. Und wenn sie „nein" sagt, klingt ihre Stimme voll und weich und einschmeichelnd wie die Stimme eines reifen Weibes.

    In dieser Nacht brannte der uralte Wacholderbaum, des Berges Wächter, nieder. Er brannte bis zum Morgen. Man sah sein Feuer vom innersten Fjord bis zum äussersten Schärenhof. Man sah es, bis die Sonne aufging. Dann war nur noch ein Häuflein Asche und ein kläglich verkohlter Stumpf zurück.

    Der Morgenwind wirbelte die Asche auf und streute sie über die Rimmane hin. Der Stumpf aber ragt noch heute schwarz aus dem Felsen hervor. Und die Menschen wundern sich, dass dieser verkohlte Baumstumpf nicht völlig sterben und verwittern will.

    Jofrid

    Nun ist ein Wintertag.

    Wie braune Säcke hängen die Wolken aus dem Himmel nieder. Darunter dehnt sich der Helleberg, lang, schwarz, lauernd.

    Der Helleberg gleicht in seinen Umrissen einem liegenden Weib, mit gewaltigen Schenkeln, aufgereckten Brüsten, weit zurückgebogenem Kopf und hängendem Haar. Das Haar bilden die tiefen waldigen Klüfte, die man Svartejel nennt.

    Der Helleberg liegt unter dem braunen Wolkenhimmel wie ein ungeheurer Opferstein ...

    Trygve Eivindson steigt auf schmalem Pfade empor. Die Täler strömen schon frühe, graue Dämmerung aus. Ein feiner, körniger Schnee fällt. Es ist eigentlich kein Schnee, nur Nebel, der in leichten, kaum sichtbaren Eisnadeln niederrieselt.

    Die Krähen sammeln sich zu Scharen und fliegen der Küste zu.

    Eben noch verhallte ihr Krächzen an den steilen Wänden. Jetzt ist es verstummt. Der Fjord liegt glatt, schwarz und träge wie Öl. Kein Windhauch kräuselt das Wasser. Kein Boot zieht seine Kielrinne darein. Unaussprechliche Trauer und Verlassenheit liegt im Himmel und auf Erden.

    Vier Tage lang brauste der Weststurm vom Meere herein. An diesem Morgen aber brach seine Kraft. Nun ist grosse Stille ringsum.

    Die kahlen Bäume sind müde vom Schaukeln, die Zweige sind müde vom Pfeifen und Wimmern, das Meer ist müde vom wilden Wellengeprassel. Eine schlafschwere Ruhe hat sich über alle Dinge gelegt ...

    Doch in Trygves Herzen braust ein gewaltiger Sturm.

    Trygves Sinn ist mächtig aufgerührt und voll Groll. Und sein Blick ist wie das Wasser unten im Fjord, schwarz und erfüllt mit lauernder Bosheit ...

    Noch kein Jahr verging, seit Trygve Eivindson mit Jofrid über den Fjord dort unten nach Akerud fuhr im geschmückten Boot. Und der Spielmann fiedelte, und zweihundert Gäste lärmten und sangen. Drei Tage lang wurde getanzt auf dem Herrenhof von Lisät. Jofrid, des Pfarrers Tochter, war Braut.

    Jofrid war an diesen drei Tagen so weiss, als hätte sie ihr Gesicht mit Mehl bestreut. Mit ihren erloschenen Augen und kalten Händen gemahnte sie an einen unheimlichen Leichnam, der sich in den Kreis der frohen Menschen drängte und sich sündig in ihre Gespräche mischte. Und zuweilen redete Jofrid sowohl viel als hastig und lachte schrill. Und zuweilen verfiel sie unversehens in dumpfes Schweigen. Sie musste mit grossem Lärm umgeben werden. Aber sie raffte sich immer wieder auf und tanzte mit allen Ehrengästen.

    Tanzte sie vielleicht nicht ihre ganze Brautnacht lang, bis zum hellen Morgen hin? Aber sie wurde doch nicht warm davon. Und wenn der Spielmann über seiner Fiedel einnicken wollte, brachte Jofrid ihm starken Kaffee aus der Küche und legte jedesmal ein hartes Kronenstück in das Schalloch der Geige. Hat man denn je eine Braut gesehen, die gabmilder mit dem Spielmann gewesen wäre? Nein, wahrhaftig!

    Aber der Bräutigam hatte auch nicht sonderlich rote Rosen auf den Wangen. Trygve Eivindson zappelte vielleicht mit seinen langen dünnen Beinen mehr als sich geziemte und trank Bier und Branntwein aus grossen Gläsern und mischte beides durcheinander. Aber das verschlug nicht bei ihm. Er stampfte wohl hart auf den Boden mit seinen Füssen, doch an seine Fröhlichkeit wollte kein einziger glauben. Ja, das war eine Hochzeit, an die man sich noch lange erinnern wird in dieser Gegend ...

    Sieben Jahre lang ging Jofrid still im Pfarrhof aus und ein und grämte sich im verborgenen. So lange hatte sie gehofft und gewartet.

    Dann kam sie spät im Herbst den Weg daher. Sie kam zu Fuss den einsamen Weg von Hylnäs her. Sie setzte sich auf einen Prellstein, und sie hatte tiefe, blauschimmernde Furchen unter den Augen vor Müdigkeit und Entsagung und Ergebung und vielleicht auch von vielen heimlichen Tränen.

    Jofrid sass noch immer auf dem Prellstein, als Trygve Eivindson von seinem Herrenhof herniederschritt. Er schritt einher, ohne unnötige Eile zwar, aber doch wie einer, der ein rechtes Ziel vor Augen hat. Möglich ist, dass Trygve des Pfarrers Tochter von seinem Hause her gesehen.

    Nun ist er bei ihr angekommen, einen Grashalm zwischen den Zähnen. Und er wird durch den Anblick der jungen Dame überrascht und bleibt stehen und wundert sich.

    Jofrid ruft ihm schon von weitem entgegen: „Ja — ich sitze ein wenig hier ... Ich habe Karen Ystad besucht ..."

    Aber warum lächelt sie nun gequält zu diesen unschuldigen Worten und zupft so umständlich mit spitzen Fingern ein Flöcklein Moos von ihrem Kleide?

    „... du weisst doch, Trygve, die alte Karen Ystad, die bei uns diente? Sie liegt doch mit ihren lahmen Beinen im Bett. Sie liegt doch schon seit fünf Jahren in ihrem Bett und kann nur ein kleines Stücklein Himmel durchs Fenster sehen ..."

    „Ja, sagte Trygve. „Aber nun musst du wohl müde sein, und du kannst nicht den weiten Weg zurückgehen. Du siehst nicht gut aus, Jofrid ... Wenn du aber mit mir nach Lisät kommen und ein wenig warten willst, werde ich dich nach Hause führen ... Der Mond geht früh auf heute ... Und es ist lange her, seit ich dich gesehen habe, Jofrid.

    Da erhebt sich Jofrid plötzlich von ihrem Stein, wirft den Kopf in den Nacken und sagt hart: „Ich habe hier auf dich gewartet ... Ja, es ist lange her, Trygve ... Ich habe aber meinen Wagen zurückgeschickt und auf dich gewartet ... Und wenn es noch immer deine Meinung ist — du weisst, das, wovon du so manches Mal gesprochen, so werde ich heute nicht mehr nein sagen ..."

    Trygve meint, es lege ihm da einer ein nasses Tuch übers Gesicht, und seine Wangen straffen sich. Das ist nichts anderes als ein gewaltiges Erschrecken. Er wird sehr bleich: „Ja — aber Jofrid! Willst du es also wirklich versuchen? ... Gott segne dich für dieses Wort, Jofrid."

    „Ich will es versuchen", sagt Jofrid mit weissen Lippen.

    „Ja — ja. Tu es nur, Liebe! — Alles wird gut. Du sollst nur sehen."

    Jofrid legt ihren Kopf noch ein wenig mehr in den Nacken: „Es ist aber nicht das, dass ich meinen Sinn geändert hätte, Trygve. Nein, wahrhaftig! Ich weiss doch ganz gut, dass es nicht das Rechte und nicht die ganze Liebe ist. Es ist ein Unrecht. Und ich will dich nicht belügen. Und du sollst dir auch keine grossen Hoffnungen mit mir machen ... Aber es ist doch wiederum auch so, dass ich dich gern habe. Es ist das, dass ich dich von Kind an kenne. Und ich kenne dich besser als alle andern. Jetzt bin ich dreiundzwanzig Jahre alt, und mein Vater hat letzte Woche das Kirchspiel in Utvär angenommen. In Utvär gibt es nur Meer und Felsen. Ich aber kann nicht leben ohne die Wälder — — Warum soll ich denn heute schon welken und sterben? — Und nun weisst du alles. Trygve, ich will nicht fort von hier. Und ich will auch leben ... Was ist jetzt deine Meinung?"

    Jofrid hat schnell und mit trockener Stimme gesprochen. Wie ein Schulmädchen hat sie das hergesagt, als hätte sie es auswendig gelernt und fürchtete sich nun, es nicht gut zu machen. Und sie wollte möglichst schnell zu Ende kommen.

    Was nun Trygve meint? Ach, Trygve ist nur Freude und frohe Überraschung.

    „Aber das weiss ich ja schon alles, Liebe, erklärt er eifrig. „Du kannst mir doch gar nichts von dir sagen, was ich nicht schon vorher wüsste. Und sieh, ich kann es doch so gut verstehen, dass du nicht ganz und in allen Teilen befriedigt sein wirst von mir. Ich bin nun leider nicht mehr als das, was hier vor dir steht. Ich bin nicht klug wie Olav Arnevik. Ich habe auch nicht sein Wesen oder seine Gestalt. Nein, Gott sei es geklagt, meine Nase ist doch viel zu lang und zu dünn, und in meinem Kopfe finden sich leider keine schönen Gedanken. Aber was das Herz anbetrifft, Jofrid, so darf ich schon so viel sagen, dass kein Mann auf der ganzen Welt dich mehr und besser lieben kann als ich.

    Sie gehen nebeneinander her den Weg gegen Lisät hin. Trygve Eivindson ist um so vieles grösser und länger als Jofrid, dass er sich weit vornüber und zu ihr hinneigen muss, um ihr unter den breitkrempigen Hut zu blicken.

    Ist jetzt vielleicht noch Eis in seinem Rücken oder ein nasses Tuch auf seinem Gesicht? Nein — Herrgott im Himmel! — keine Spur von Kälte mehr. Jetzt sprudelt heisses Blut in diesem langen, etwas schwerfälligen Menschen. Das Glück jubelt in ihm.

    Jofrid folgt Trygve nach Lisät und wird gut und mit Freuden bewirtet. Der alte Oswald selber spannt das Pferd vor den Wagen und lächelt dabei, tätschelt dem Pferde den glatten, samtweichen Hals und flüstert ihm kuriose Worte ins Ohr. Ach,

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