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Die Flucht der weißen Hexe: Grey-Chroniken II
Die Flucht der weißen Hexe: Grey-Chroniken II
Die Flucht der weißen Hexe: Grey-Chroniken II
eBook317 Seiten4 Stunden

Die Flucht der weißen Hexe: Grey-Chroniken II

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Über dieses E-Book

Die junge Hexe Fee ist auf der Flucht vor der magischen Vereinigung Grey, von der sie sich verraten und benutzt fühlt. Hilfe erhofft sie sich von dem Vampir und Arzt Marius, der eine Klinik für Magiewesen betreibt. Doch der will nichts mit Grey zu tun haben, weder als Freund noch als Feind, zumal er eigene Probleme zu lösen und sich deshalb von der Welt zurückgezogen hat. Wie soll sie ihn trotzdem überzeugen, ihr beizustehen?
Zudem musste Fee all ihre Freunde zurücklassen, in dem Wissen, dass diese für ihr Verschwinden bestraft werden könnten. War ihre Flucht möglicherweise ein verhängnisvoller Fehler?
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum30. Sept. 2020
ISBN9783740769178
Die Flucht der weißen Hexe: Grey-Chroniken II
Autor

Sabrina Kiehl

Sabrina Kiehl wurde 1987 in Stuttgart geboren, ist Mutter und Bibliothekarin. Früher wollte sie vieles werden: Musicaldarstellerin, Journalistin, Fluglotsin oder Programmiererin. Aber ihre wahre Leidenschaft galt immer dem Schreiben. Besonders liebt sie es, in ihren Geschichten magische Wesen und die reale Welt zu verbinden. Ihr Romandebüt »Die Tochter des Vampirjägers« erhielt mit »Der selbsternannte Vampirkönig« eine erste Fortsetzung. Mit »Sensus« erschien 2019 im Angelwing Verlag außerdem die erste Geschichte aus der Welt von Grey.

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    Buchvorschau

    Die Flucht der weißen Hexe - Sabrina Kiehl

    Die Flucht der weißen Hexe

    Die Flucht der weißen Hexe

    Eins

    Zwei

    Drei

    Vier

    Fünf

    Sechs

    Sieben

    Acht

    Neun

    Zehn

    Elf

    Zwölf

    Dreizehn

    Vierzehn

    Fünfzehn

    Sechzehn

    Siebzehn

    Achtzehn

    Neunzehn

    Zwanzig

    Epilog

    Fees Geschichte geht weiter

    Impressum

    Die Flucht der weißen Hexe

    Eins

    Mitten in der Nacht war das Gewerbegebiet am Rand von Stuttgart-Vaihingen wie ausgestorben, abgesehen von der beleuchteten U-Bahn-Haltestelle unmittelbar vor einem Backsteingebäude. Auf dem Schotter-Parkplatz vor diesem Gebäude brachte Cornelius den geklauten, schwarzen Mercedes zum Stehen.

    Das fünfstöckige Haus war einem Schild zu Folge eine Privatklinik für kosmetische Chirurgie, wirkte aber nicht so schick, wie es diese Kliniken sonst waren. Obwohl es mitten in der Nacht war, brannte Licht im Eingangsbereich, ebenso wie in den oberen Stockwerken, dabei wartete man hier wohl kaum auf Notfall-Brust-OPs.

    »Sieht erschreckend gewöhnlich aus«, bemerkte Fee irgendwie enttäuscht. Das Gebäude könnte sich perfekt in die übliche Tarnung von Grey einfügen, dabei gehörte es gar nicht dazu.

    Der Vampir auf dem Fahrersitz grinste. »Was hattest du erwartet? Ein Dracula-Schloss, um das ein Schwarm Fledermäuse kreist?«

    Fee schüttelte den Kopf und hätte vielleicht über diese Vorstellung gelacht, wenn sie nicht unmittelbar davor stände, den Kontakt zu allen Bekannten abzubrechen, um sich einem Vampir anzuvertrauen, den sie nie zuvor getroffen hatte.

    Statt einer Antwort stieg sie aus dem Wagen und sah sich das Gebäude noch einmal in Ruhe an. Es war nicht, was sie erwartet hatte, wirkte aber wenigstens nicht beängstigend. Das war doch ein guter Anfang.

    Einen Moment später erhob Cornelius sich ebenfalls aus dem Wagen und schritt selbstbewusst auf den Eingang zu, ohne jedes Zögern, fast als wäre er hier Stammgast.

    Das hatte etwas Beruhigendes, aber Fee hatte im Moment sowieso keine Wahl, als darauf zu vertrauen, dass Cornelius diesen Ort aus gutem Grund so sicher ansteuerte. Zur Zeit mangelte es ihr leider an vertrauenswürdigen Personen in ihrem Bekanntenkreis, nachdem ihr einstiger Freund und Kollege sie verzaubert und als Brutkasten zur Verfügung gestellt hatte, war das geheimnisvolle Vampiroberhaupt einer ihrer engsten Vertrauten. Besser fühlen würde sie sich fraglos, wenn sie Artnus an ihrer Seite hätte, doch der musste nun in erster Linie seine eigenen Artgenossen beschützen. Das wussten sie beide.

    Zumindest hatte Cornelius sich bisher als zuverlässig erwiesen, immerhin hatte er sie aus dem Hauptquartier geschmuggelt und nun hatte er ihr eine mögliche Zuflucht gesucht. Diese kleine Klinik für Magiewesen hatte nichts mit Grey zu tun, sie wurde von der Organisation lediglich geduldet. Der Vampirarzt Marius leitete sie Cornelius zufolge und war bekanntermaßen skeptisch gegenüber Grey eingestellt, deshalb hoffte Fee auf seine Hilfe, nun da sie auf der Flucht vor den eigenen Leuten war.

    »Bereit, Hexchen?« Cornelius winkte sie ungeduldig heran, bis sie neben ihm angelangte. Seine Unruhe machte ihr wieder bewusst, dass sie ihrem ehemaligen Freund, dem Schwarzmagier Noctrius nur knapp entkommen waren. Je schneller sie ihre neue Zuflucht erreichte, desto besser.

    Also folgte sie dem Vampir zum Eingang und zwang sich, zu lächeln, damit er ihr die Unsicherheit nicht anmerkte. Er sollte nicht wieder betonen, wie dumm ihr Wunsch war, sich bei dem Mann zu verstecken, den sie liebte.

    Nur wenige Schritte vor der Tür blieb Cornelius stehen und musterte sie streng. »Wir ersparen uns sicher einige Diskussionen, wenn du dich erst einmal bewusstlos stellst. So müssen sie dich aufnehmen, weil sie dazu der Hypokratische Eid verpflichtet und du kannst morgen in Ruhe alles erklären.«

    Fee dachte einen Moment darüber nach. Warum glaubte Cornelius wohl, dass die möglichen Diskussionen ein Problem darstellten? Hatte er nicht vor einer Stunde noch betont, wie überzeugt er war, dass dieser Marius ihr helfen würde? Offenbar war er sich seiner Sache doch nicht so sicher, wie er vorgegeben hatte.

    Allerdings war sie Cornelius zu Dank verpflichtet, weil er sie aus dem Hauptquartier geschleust und hierher gebracht hatte, so schuldete sie ihm ein Minimum an Vertrauen. Also schluckte sie die Fragen hinunter.

    »In Ordnung.«

    Cornelius trat neben sie, legte einen Arm um ihre Schultern und den anderen um ihre Mitte. So hob er sie mühelos an und trug sie auf den Eingang zu, als hätte sie kein Gewicht.

    Tief atmete Fee die kalte Nachtluft ein, schloss die Augen und zwang sich alle Glieder locker fallen zu lassen. Vampire waren von Natur aus stark, sie musste sich also nicht sorgen, dass Cornelius mit ihrem Gewicht überfordert sein könnte, nicht einmal nach all der Schokoladenmuffins, die sie in den letzten Tagen gegessen hatte.

    Kaum war Cornelius durch eine sich automatisch öffnende Tür getreten, da trippelten bereits eilige Schritte heran. »Was ist passiert?«, rief eine weibliche, aufgeregte Stimme. Vermutlich eine Krankenschwester, die nun hörbar in Begleitung näher kamen. Metallisches Geklapper verriet, dass sie eine fahrbare Trage mitbrachten.

    »Sie ist einfach ohnmächtig geworden«, erklärte Cornelius mit gestellter Sorge. Er hatte definitiv Talent zum Schauspieler, zumindest für ein Laientheater reichte es sicher, und scheinbar war er auch gut genug, um diese Krankenschwestern zu täuschen.

    »Leg sie auf die Trage!«, wies ihn eine der Schwestern nun deutlich gefasster an.

    Als Cornelius sie ablegte, spürte Fee die feste Liege unter sich, bemühte sich aber, sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Sie verließ sich ungern darauf, dass irgendwer sie trug, daran hätte sich wohl nicht einmal etwas geändert, wenn es nicht Cornelius wäre, dem sie zu vertrauen versuchte.

    »Ist sie ein Vampir?«, erkundigte sich eine andere Schwester sachlich, offensichtlich weil sie Cornelius’ Natur mühelos erkannt hatte. Was die Schwestern wohl waren? Auch Vampire? Gut vorstellbar, immerhin wurde die Klinik von einem Vampir geleitet.

    »Eine Hexe«, erwiderte er ruhig. »Sie braucht die Hilfe von Marius. Ist er hier?«

    Kurzes Schweigen erfüllte den Raum, während jemand eine dünne Decke über Fee ausbreitete.

    »Nein«, kam schließlich die Antwort, die verhängnisvoll im Raum widerhallte, so klang es irgendwie nicht, als hätte der besagte Arzt zufällig gerade frei. In der Aussage schwang etwas mit, das Fee so gar nicht hören wollte, immerhin hatte Cornelius sie nur wegen dieses einen Vampirs überzeugt, hierher zu kommen, und der war nicht da.

    »Dann sagt ihm, dass sie eine Freundin von Cornelius ist und er sich gut um sie kümmern soll.« Die Stimme des Vampiroberhaupts klang respekteinflößend selbstbewusst, dabei hatte er hier eigentlich überhaupt keinen Einfluss, weil diese Klinik keine Verbindung zu Grey hatte.

    Zudem legten seine Worte nahe, dass Cornelius sich nun verabschieden wollte, womit sie zwar gerechnet hatte, was Fee nun allerdings auch Angst machte. Von jetzt an war sie auf sich gestellt, ausgerechnet in einer Zeit, in der sie sich so verloren und hilflos fühlte.

    »Cornelius?«, wiederholte eine Schwester ungläubig. 

    Offenbar war das Vampiroberhaupt hier doch bekannt, obwohl die Klinik angeblich nicht unter dem Einfluss von Grey stand. Hoffentlich war das kein schlechtes Zeichen für Fee.

    »Ja, richtet Marius das aus und passt gut auf meine Freundin auf.«

    Noch einmal spürte sie die Hand des Vampirs auf ihrer, sein stiller Abschied, weil er mit Worten nur ihre Tarnung als Bewusstlose zerstört hätte. Irgendwie gelang es ihr, weiterhin reglos auszuharren, obwohl sie ihn so viel lieber festhalten wollte.

    Seit sie sich Grey angeschlossen hatte, war sie nie ganz auf sich gestellt gewesen, sondern hatte stets Rückhalt bei irgendwem gehabt, anfangs vor allem bei Noctrius, später besonders bei Artnus. Da sie nun jedoch auf der Flucht war vor eben jenen Leuten, die sie eigentlich für Verbündete gehalten hatte, keimte Angst in ihr auf. In einer fremden Umgebung, ungewollt schwanger mit dem Kind eines Mannes, der sie manipuliert hatte, und getrennt von dem Einzigen, dem sie wirklich vertraute – diese Aussicht ließ ihren Magen sich verkrampfen. Sie vermisste Artnus bereits, obwohl sie sich vor kaum eine Stunde erst verabschiedet hatten und sie es doch gewohnt war, ihn tagelang nicht zu sehen.

    Es war besonders schwierig, nachdem sie endlich den Gefühlen für ihn, die sie zuvor so lange unterdrückt hatte, nachgegeben hatte. Jetzt sehnte sie sich danach, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, stattdessen hatte sie ihm den Rücken kehren müssen, obwohl er damit nicht vollkommen einverstanden war. Sie wusste, dass er sich nun an ihrer Stelle mit ihren Feinden auseinandersetzen würde, um ihr zu helfen, selbst wenn sie das gar nicht wollte. Es gab so viele Gründe, weshalb sie besser bei ihm sein sollte.

    Indessen verrieten Erschütterungen ihr, dass die Trage sich in Bewegung setzte, und Fee beschloss, dass sie allmählich aus ihrer vorgetäuschten Ohnmacht erwachen konnte. Ihre Umgebung wieder sehen zu können, würde ihre Verunsicherung sicher lindern.

    »Sie wacht auf!«, rief eine der beiden Schwestern, sobald Fee die Augen öffnete. Eine blonde Vampirin beugte sich mit einem herzlichen Lächeln über sie, während eine brünette Kollegin die Liege in einen Aufzug schob.

    »Hi, du bist in einer Klinik. Dein Freund hat dich hergebracht, weil du bewusstlos warst. Es wird alles gut«, erklärte die Vampirin betont ruhig. »Wir bringen dich jetzt erstmal auf Station, damit du dich ausruhen kannst, bis ein Arzt Zeit für dich hat. Hast du Schmerzen?«

    Fee schüttelte den Kopf. Zumindest Schmerzen hatte sie keine, aber es beunruhigte sie, dass es nicht so klang, als würde sie bald den Arzt Marius treffen, von dem sie sich eigentlich Schutz erhoffte. Auch jetzt sprach die Schwester ja nur von einem Arzt, nicht ausdrücklich von dem geforderten.

    »Marius«, bat sie leise, »mir wurde gesagt, er könnte mir helfen.«

    Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und die beiden Vampirinnen tauschten stumm Blicke aus.

    »Marius ist im Moment nicht hier«, erklärte die Brünette schließlich, wobei sie beruhigend lächelte, als wüsste sie, dass diese Eröffnung Fee an den Rand einer Panikattacke brachte, denn unglücklicherweise klang es nicht nach er-hat-einen-freien-Tag-nicht-hier, sondern eher nach einem auf-unbestimmte-Zeit-beurlaubt-nicht-hier.

    »Du schläfst dich jetzt erstmal aus und morgen sehen wir weiter.«

    Fee nickte widerwillig, weil sie einfach keine andere Idee hatte, was sie tun sollte. 

    Für den Moment vertraute sie Cornelius, dass dieser Ort eine gute Zuflucht war, auch wenn sie der Umgang mit neuem Patienten irritierte. Sollte man sie nicht erst einmal untersuchen? Oder ihre Daten aufnehmen?

    Allerdings wusste sie nur zu gut, dass es keinen Grund gab, sofort eine Untersuchung durchzuführen. Sie war nicht krank und es ging ihr bis auf eine anhaltende Müdigkeit gut. Eigentlich war sie auch heilfroh, dass man sie nicht nach Namen oder Adresse fragte. Dieses Krankenhaus gehörte nicht zu Grey, also musste sie wohl nicht fürchten, dass man das Hauptquartier über ihre Anwesenheit informierte, aber eine gewisse Sorge blieb. Ihre Adresse war das Hauptquartier und jeder Vampir in dieser Stadt kannte diese Anschrift, sobald sie diese also abgeben musste, würden die Schwestern daran erkennen, dass sie zu Grey gehörte – falls Cornelius’ Auftritt das nicht ohnehin bereits gezeigt hatte.

    Zweifellos suchten Noctrius und Kian sie fieberhaft, vielleicht waren sie sogar so verzweifelt, dass sie auch Nicht-Grey-Mitglieder befragten. Unglücklicherweise war Noctrius als Magier im Grunde gar nicht auf Informanten angewiesen, er könnte einfach einen Ortungszauber anwenden, um sie ausfindig zu machen. Bis er das tat und sie aufspürte, musste Fee unbedingt einen Verbündeten finden, der sich dem Magier entgegenstellte. Cornelius hatte ihr erfolgreich Hoffnung gemacht, dass der Vampir Marius dieser Verbündete werden könnte. Er sollte sie hier verstecken und ihr irgendwie helfen, diese Schwangerschaft durchzustehen.

    Für den Anfang allerdings klang »ausschlafen« gar nicht so schlecht.

    Fee starrte auf die Schüssel Müsli, den heißen Tee und einen Teller mit frischem Obst, während die Morgensonne auf ihr Krankenbett fiel.

    Sie hatte etwas anderes erwartet. Ungenießbares Essen oder sogar eine Konserve Blut – wer konnte denn ahnen, dass es in einem Vampirkrankenhaus gutes Essen gab? Dabei sollte sie es besser wissen, sie hatte schließlich gesehen wie Vampiroberhaupt Cornelius zum Frühstück ein Croissant verdrückte statt dem filmreifen Kelch Blut. Sie müsste längst verinnerlicht haben, dass Klischees selten zutrafen, immerhin hatte sie als Hexe immer noch keinen fliegenden Besen, obwohl sie den durchaus zu schätzen wüsste.

    Das reichhaltige Frühstück war allerdings gar nicht das Schockierendste in dieser Einrichtung: Hell strahlte die morgendliche Wintersonne in ihr Zimmer. Trotzdem hatte eine auffällig blasse Krankenschwester ihr vor einigen Minuten lächelnd das Essen serviert. Das Sonnenlicht schien in der Klinik, die scheinbar fest in der Hand von Vampiren war, vollkommen fehl am Platz und störte doch niemanden.

    Natürlich kannte Fee die Tricks der Vampire, um sich bei Tag nicht in dunklen Höhlen verkriechen zu müssen. Auch die Vampire im Hauptquartier lebten in einem Haus mit vielen Fenstern, weil eine spezielle UV-Schutzfolie ausreichte, um spontane Selbstentzündungen zu verhindern, dennoch hielten sich die meisten Bewohner lieber vom Tageslicht fern, weil sie das aus früheren Jahrhunderten gewohnt waren. Die innovativen Schutzfolien gab es erst seit einigen Jahren und viele hatten noch Zweifel an dieser Technik. Daher zog ein Großteil der Vampire unterirdische, kleine Quartiere im Keller des Vampirgebäudes den großzügigen Wohnungen im Obergeschoss vor.

    Die Vampire in dieser Klinik dagegen schienen sich, mit dem Sonnenlicht längst arrangiert zu haben, und so war das Krankenzimmer lichtdurchflutet, sodass Fee sich darin durchaus wohlfühlen könnte. Noch war sie allerdings darüber verunsichert, wie viel Hilfe sie sich tatsächlich in dieser Klinik erhoffen konnte. Bisher war der Vampir, den Cornelius ihr eigentlich als Ansprechpartner empfohlen hatte, nicht erreichbar. Fee hatte auch die Schwester gefragt, als sie das Frühstück servierte, aber wieder nur zur Antwort bekommen, dass Marius nicht da war, jedoch nicht, wo er war und wann er zurückkam. Das stimmte sie nicht gerade optimistisch, auch wenn sie verstehen konnte, dass die Schwestern ihr keine Details verrieten – schließlich ging sie als Patientin der Verbleib eines Arztes nichts an. Sie musste einfach hoffen, dass er irgendwann auftauchte, idealerweise vor Noctrius und Kian.

    Wenigstens plagte sie an diesem Morgen keine Übelkeit, vielleicht verdankte sie das dem reichlichen Frühstück und dem Kräutertee. Während sie so Löffel um Löffel ihr Müsli genoss, blickte sie aus dem Fenster auf das Gewerbegebiet von Stuttgart-Vaihingen mit Bürogebäuden und hohen Türmen aus Glas und Metall, zwischen denen in den Straßen die Autoschlangen ihre Wege zogen. In der Ferne stiegen hinter den Gebäuden die Flugzeuge in den Himmel auf. Der Flughafen.

    Nicht weit davon lag das Safe House der Spürer. Was war nach Fees Flucht mit ihnen geschehen?

    Als sie mit Cornelius in dem gestohlenen Mercedes geflüchtet war, hatte bereits eine Kolonne silbergrauer Fahrzeuge von Grey vor dem Gebäude gehalten. Fee hatte ihren einstigen Freund, Nachbarn und Chef, den Magier Noctrius aussteigen sehen. Er suchte sie und wusste, dass es sie angesichts der neuen Erkenntnisse zu ihrem engsten Vertrauten gezogen hatte. Vielen bei Grey war klar, dass sie Artnus nahe stand, und mehr Leute als ihr lieb war, ahnten wohl auch, dass sie nicht länger nur eine tiefe Freundschaft verband. Und leider hatten wohl auch all diese Leute eine eigene Meinung darüber.

    Artnus war das letzte Oberhaupt der Spürer, einer aussterbenden Gattung mit der Fähigkeit, den Tod einzelner Menschen vorauszusehen. Mit seinen verbleibenden beiden Artgenossen, Rosalie und Dawson, bewohnte er ein Haus nahe des Flughafens. Sie führten ein friedliches Leben, eher wie in einer Wohngemeinschaft, Fee dagegen lebte im Hauptquartier von Grey, das neben der Hexenschule auch Wohneinheiten für die Mitglieder der Geheimorganisation bereithielt. Dieser Ort war geprägt von Machtkämpfen, von Hierarchien und Geheimnissen, von denen sie immer noch viel zu wenige kannte.

    Jetzt fühlte sie sich weder im Safe House noch im Hauptquartier sicher, stattdessen war sie alleine in einem Krankenhaus, in dem ihr Ober-Vampir Cornelius Hilfe in Aussicht gestellt hatte, doch ihre Gedanken kreisten unweigerlich um Artnus.

    Was hatte Noctrius ihm angetan, als er Fee nicht wie erwartet bei ihm vorfand? Mit Sicherheit war der Schwarzmagier verärgert und Artnus konnte gar nicht wissen, weshalb. Er ahnte nicht, dass Noctrius Fee mit einem Liebeszauber belegt hatte, damit sie sich in Kian verliebte, sodass der sie schwängern konnte, um den Fortbestand der vom Aussterben bedrohten Lichtwesen zu sichern. Aber Artnus hatte Fee unfreiwillig bewusst gemacht, dass man sie manipulierte, und so unwissentlich den Plan der beiden Männer ruiniert.

    Doch der Liebeszauber wirkte immer noch, das hatte Fee unmissverständlich von Noctrius gehört. Das war es, was sie dazu getrieben hatte, zu flüchten. Jedes Mal, wenn Kian in ihrer Nähe war, machte sich die Wirkung des Zaubers bemerkbar, und sie wollte nicht wieder zu einer Gefangenen dieser erzwungenen Liebe werden.

    Gerade deshalb wäre sie so viel lieber bei Artnus. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Sie liebte ihn zu sehr, um in seiner Gegenwart, den falschen Gefühlen zu erliegen, und wenn er bei ihr wäre, müsste sie sich nicht sorgen, was man ihm antat. Aber bisher hatte sie es nicht einmal über sich gebracht, ihm die Wahrheit über ihre Beziehung mit Kian zu sagen.

    Vielleicht hätte sie doch nicht gehen sollen. Vielleicht hätte sie sich mit ihm gegen Grey behaupten sollen. Hätte das funktionieren können?

    Sie legte den Löffel beiseite und lehnte sich gegen das aufgestellte Kopfende ihres Bettes. Sie hatte ein Einzelzimmer bekommen, wodurch es angenehm ruhig um sie herum war. Vielleicht sogar ruhiger als in ihrer Wohnung im Hauptquartier mit den dünnen Wänden. Zumindest ruhig genug, um sich zu konzentrieren.

    Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Umgebung zu vergessen, bis alles nur noch schwarz war und sogar die Schritte auf dem Gang verklangen.

    Dann konzentrierte sie sich auf das Safe House der Spürer. Auf die große Küche im Erdgeschoss, mit dem langen Esstisch und der Kochinsel umgeben von schicken Barhockern. Sie meinte bereits, den entfernten Verkehr vor dem Haus zu hören.

    Als sie die Augen öffnete, sah sie die Küche vor sich. Leer und verlassen. Ganz anders als in ihrer Erinnerung vom Vorabend standen auf dem Esstisch drei Tassen mit Tee. Sogar die Teebeutel hingen noch in dem dunkel verfärbten Wasser.

    Fee spürte, wie ein Schluchzen sich den Weg durch ihre Kehle bahnte. Nicht durch ihren Astralkörper, den sie ins Safe House übertragen hatte, sondern durch ihren realen Körper im Krankenhausbett.

    Schlagartig fand sie sich wieder zurück im Bett.

    Tränen standen in ihren Augen.

    Das Safe House der Spürer war leer. Man hatte sie verschleppt, vermutlich zur Strafe, weil sie Fees Aufenthaltsort nicht preisgegeben hatten. Mit Sicherheit waren die drei nun im Hauptquartier von Grey, einem Gelände außerhalb der Stadt. Für Fee war es ihr Zuhause, aber sie wusste, dass es für die Spürer eher die Hölle war. Sie misstrauten den Vampiren, Lichtwesen und Sehern, weshalb sie das Hauptquartier mieden. Trotzdem gab es auch dort Wohnräume, die den Spürern zugedacht waren, wenngleich sie nicht darin leben wollten. Grey bereitete sich stets darauf vor, alle Mitglieder beherbergen zu können.

    Dorthin hatte man sie vermutlich gebracht.

    Allerdings war Fee noch nie dort gewesen, weil die Räume stets verschlossen und verlassen waren. Mittels Astralreise konnte sie jedoch nur Orte erreichen, an denen sie schon einmal gewesen war. Für andere Orte hatte sie bisher zu wenig Erfahrung mit dieser Technik.

    Obendrein war das Gebäude, in dem die Spürer untergebracht sein dürften, dasselbe, in dem Kian lebte. Wenn sie versuchte, sich dorthin zu projizieren, könnte sie versehentlich statt den Spürern den Lichtwesen gegenüber stehen.

    Missmutig blickte sie aus dem Fenster.

    Sie hätte so gerne gewusst, wie es ihren Freunden ging.

    Leider hatte sie bei der überstürzten Flucht auch ihr Handy zurückgelassen, sodass sie für den Moment abgeschnitten von allen war.

    Wie sollte sie das neun Monate durchhalten, wenn sie schon am ersten Tag beinahe verzweifelt aufgeben wollte?

    Frustriert schlug sie die Fäuste auf die Bettdecke und ließ sich gegen das Kissen sinken.

    Einige Zeit nach dem Frühstück kam erneut eine Schwester, diesmal bewaffnet mit Blutdruckmanschette und einem Klemmbrett voller Formulare.

    »Wie geht es dir?«, erkundigte sich die hochgewachsene Frau mit den schwarzen Haaren lächelnd. Ihrer gesunden Hautfarbe nach war sie eher kein Vampir – oder eine sehr zufriedene Verwenderin einer Selbstbräunungscreme, die ihr einen menschlichen Hautton verlieh.

    »Müde«, antwortete Fee ehrlich, weil sie sonst keinen Grund zur Klage hatte. Es ging ihr so gut, dass es eigentlich keinen Anlass dafür gab, im Krankenhaus zu sein, zumindest augenscheinlich.

    »Ich bin schwanger«, setzte sie hinzu, weil es ihr richtig erschien, die Schwester auf diesen Umstand hinzuweisen, und vielleicht würde man so weniger über eine schnelle Entlassung nachdenken.

    Das notierte die Frau tatsächlich sofort auf einem der Formulare. »Herzlichen Glückwunsch, warst du deshalb bei einem Arzt?«

    Fee schluckte die traurige Erwiderung, dass es keinen Grund zur Gratulation gab, hinunter. Sie wollte kein Mitleid und auch kein höfliches Aufklärungsgespräch über einen Schwangerschaftsabbruch oder gar über Verhütungsmittel. Wer konnte schon damit rechnen, dass sie von einem beinahe unsterblichen Lichtwesen schwanger werden konnte, obwohl Menschen und Lichtwesen eigentlich als genetisch inkompatibel galten?

    »Nein«, antwortete sie ehrlich, »es war noch keine Zeit.« Nach dem Schwangerschaftstest war sie vollauf beschäftigt gewesen mit Weinen, Streiten mit Kian, Streiten mit Noctrius und der Erkenntnis, dass man sie manipuliert hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie nicht wusste, an welchen Arzt sie sich hätte wenden sollen, es war ja schließlich kein menschliches Kind.

    »Okay, dann schicke ich unseren Gynäkologen her.«

    Fee nickte, obwohl sie eigentlich etwas anderes hören wollte.

    »Kann ich mit Marius sprechen?«

    Die schwarzhaarige Schwester lächelte, als sie den Kopf schüttelte. »Er ist zur Zeit selten im Haus.«

    Wenigstens bekam Fee diesmal eine ehrliche Antwort und nicht nur eine vage Andeutung.

    »Aber ich bin nur seinetwegen hier, man sagte mir, er könnte mir helfen.« Sie musste etwas Druck machen, um sicherzustellen, dass sie Marius zu Gesicht bekam und als Verbündeten gewann, bevor Grey sie fand, weil all die netten Schwestern sie wohl kaum vor einer magischen Geheimorganisation beschützen würden.

    »Ich kann ihm eine Nachricht zukommen lassen, aber ich verspreche dir, unsere anderen Ärzte sind ebenfalls ausgezeichnet.«

    Fee nickte widerwillig. »Meine Situation ist kompliziert, deshalb hat man mir Marius empfohlen.«

    Sie sah die unausgesprochene Frage in den Augen der Schwester, aber aus unerfindlichen Gründen, fühlte es sich falsch an, ihr alles zu erzählen. Vielleicht würde die Schwester eher den gesuchten Vampir auftreiben können, wenn Fee ihr klar zu verstehen gab, dass sie nur mit ihm über alles sprechen würde.

    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, versicherte die Schwester schließlich, klang dabei allerdings nicht besonders zuversichtlich.

    »Danke.«

    Die Schwester lächelte schon wieder. »Ich brauche dann noch ein paar Informationen für deine Krankenakte. Fangen wir mit Namen und Adresse an.«

    Erwartungsvoll zückte sie wieder den Stift und wartete darauf, Fees Daten aufzunehmen.

    Sie zögerte. Ein falscher Name wäre vielleicht besser, um sie vor der Grey zu verstecken, andererseits hoffte sie auf Hilfe in dieser Klinik und eine Lüge war kein guter Grundstein für ein Vertrauensverhältnis.

    »Felicitas Grey.«

    Die Schwester notierte zwar, sah aber sofort wieder auf. »Grey?«, wiederholte sie überrascht.

    Fee nickte unglücklich. Sie hatte keinen Familiennamen mehr, seit sie im Hauptquartier lebte. Grey hatte ihre Daten aus den staatlichen Datenbanken entfernt, als sie sich der Organisation angeschlossen hatte. Das gehörte sozusagen zum Aufnahmeritual und es ersparte allen Beteiligten nervige Fragen von

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