Kleiner Kim, großes Herz: Sophienlust - Die nächste Generation 15 – Familienroman
Von Ursula Hellwig
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Zufrieden verließ Nancy Hagen das kleine, aber erlesene Modegeschäft, das im Ortszentrum direkt am Marktplatz lag. In einer Hand trug sie die aus Leinen gewebte Tragetasche, in der sich die erstandene Kleidung befand, mit der anderen Hand zerrte sie ihren sechs Jahre alten Neffen Benjamin hinter sich her zum Auto und forderte ihn auf, einzusteigen. Der Junge gehorchte, seinem Gesicht war allerdings deutlich anzusehen, dass dies widerwillig geschah. »Muss ich diese Sachen wirklich an meinem ersten Schultag anziehen?«, erkundigte Benjamin sich, nachdem auch seine Tante eingestiegen war und hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte. »Sie gefallen mir überhaupt nicht, und die schwarze Hose kratzt ganz doll auf der Haut.« »Ach was, das kommt dir jetzt nur so vor«, meinte Nancy abwinkend. »Wenn du sie erst einmal eine halbe Stunde getragen hast, kratzt da nichts mehr. Diese Hose ist aus wertvollem englischen Tuch gefertigt. Das ist einer der teuersten Stoffe, die man sich vorstellen kann. Die anderen Kinder, die zusammen mit dir in die Schule kommen, werden dich um dieses schöne Stück beneiden. Auch das hellblaue Hemd steht dir ausgezeichnet und ist von bester Qualität. Damit fällst du sofort auf, und alle merken, dass du aus einem guten Haus stammst, in dem man sich etwas leisten kann.« »Ich will aber gar nicht beneidet werden«, erklärte Benjamin. »Und ich will auch nicht angeben. Kann ich nicht einfach ganz normale Sachen anziehen, so wie die meisten anderen Kinder auch? Es reicht doch, wenn alles sauber und ganz ist.« Nancy schüttelte den Kopf.
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Buchvorschau
Kleiner Kim, großes Herz - Ursula Hellwig
Sophienlust - Die nächste Generation
– 15 –
Kleiner Kim, großes Herz
An seinem ersten Schultag wird er zum Schutzengel!
Ursula Hellwig
Zufrieden verließ Nancy Hagen das kleine, aber erlesene Modegeschäft, das im Ortszentrum direkt am Marktplatz lag. In einer Hand trug sie die aus Leinen gewebte Tragetasche, in der sich die erstandene Kleidung befand, mit der anderen Hand zerrte sie ihren sechs Jahre alten Neffen Benjamin hinter sich her zum Auto und forderte ihn auf, einzusteigen. Der Junge gehorchte, seinem Gesicht war allerdings deutlich anzusehen, dass dies widerwillig geschah.
»Muss ich diese Sachen wirklich an meinem ersten Schultag anziehen?«, erkundigte Benjamin sich, nachdem auch seine Tante eingestiegen war und hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte. »Sie gefallen mir überhaupt nicht, und die schwarze Hose kratzt ganz doll auf der Haut.«
»Ach was, das kommt dir jetzt nur so vor«, meinte Nancy abwinkend. »Wenn du sie erst einmal eine halbe Stunde getragen hast, kratzt da nichts mehr. Diese Hose ist aus wertvollem englischen Tuch gefertigt. Das ist einer der teuersten Stoffe, die man sich vorstellen kann. Die anderen Kinder, die zusammen mit dir in die Schule kommen, werden dich um dieses schöne Stück beneiden. Auch das hellblaue Hemd steht dir ausgezeichnet und ist von bester Qualität. Damit fällst du sofort auf, und alle merken, dass du aus einem guten Haus stammst, in dem man sich etwas leisten kann.«
»Ich will aber gar nicht beneidet werden«, erklärte Benjamin. »Und ich will auch nicht angeben. Kann ich nicht einfach ganz normale Sachen anziehen, so wie die meisten anderen Kinder auch? Es reicht doch, wenn alles sauber und ganz ist.«
Nancy schüttelte den Kopf.
»Nein, das reicht leider nicht. Dein Onkel Sven und ich müssen repräsentieren. Wir haben ziemlich viel Geld, weißt du. Das ist allgemein bekannt. Seit deine Eltern vor fünf Monaten leider bei diesem furchtbaren Autounfall ums Leben gekommen sind, haben wir die Verantwortung und das Sorgerecht für dich. Es gibt zahlreiche Leute, die uns auf die Finger schauen. Niemand von denen soll denken, dass wir dich in irgendeiner Weise vernachlässigen. Das würde ein sehr schlechtes Licht auf uns werfen. Allein schon deswegen bekommst du von allem nur das Beste. Das können wir uns leisten, und das tun wir auch gern für dich. Bei deinen Eltern saß das Geld nicht ganz so locker. Es ging ihnen nicht schlecht, aber sie mussten doch etwas mehr rechnen als Onkel Sven und ich. Du bist deshalb nicht an Reichtum gewöhnt. Aber das geht schneller, als du glaubst. In ein paar Monaten kennst du es schon gar nicht mehr anders.«
»In ein paar Monaten«, maulte Benjamin vor sich hin. »Bis dahin möchte ich längst wieder bei Pia sein. Sie ist doch meine große Schwester und möchte auch, dass ich bei ihr wohne. Warum kann ich nicht bei ihr bleiben und zusammen mit ihr in unserem Haus leben? Das haben wir doch früher auch gemacht, als meine Eltern noch bei uns waren.«
Es war Nancy Hagen durchaus klar, wie sehr der kleine Junge an seiner jetzt neunzehn Jahre alten Schwester hing. Aber sie war nicht bereit, Rücksicht auf die Wünsche und Sehnsüchte ihres Neffen zu nehmen.
»Pia hat gerade erst ihr Abitur bestanden und muss jetzt einen Beruf erlernen«, belehrte sie ihn. »Für sie ist es unmöglich, sich so ganz nebenher auch noch um dich zu kümmern. Außerdem würde ihr das Sorgerecht niemals zugesprochen. Sie ist zu jung, alleinstehend und hat keinen festen Arbeitsplatz. Wenn sie das Sorgerecht bekäme, wäre für deinen Onkel Sven und mich alles einfacher. Dann würden wir dich gerne bei deiner Schwester lassen. Aber es geht eben nicht. Wir sind verpflichtet, dich bei uns aufzunehmen und dir alles zu bieten, was du brauchst. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Immerhin bist du der Sohn meiner Schwester. Du musst dich damit abfinden, dass du bei uns leben wirst, bis du erwachsen bist und auf eigenen Füßen stehst. Aber das bedeutet ja nicht, dass du Pia gar nicht mehr sehen darfst. Wir bestehen nicht darauf, dass du alle Kontakte zu ihr abbrichst«, fuhr sie großzügig fort. »Hin und wieder kann deine große Schwester dich auch einmal besuchen, und wenn du Geburtstag hast, ist sie ebenfalls willkommen.«
Bei dem Gedanken, dass er Pia nur noch so selten zu Gesicht bekommen würde, wurde Benjamin noch trauriger. Sein junges Leben war vor einigen Monaten total aus den Fugen geraten. Seine Eltern hatten eigentlich nur geplant, Futter für die beiden Ponys zu kaufen, die im Stall des kleinen Landhauses untergebracht waren. Auch für die sechs Hühner und ihren Hahn sollte Futter besorgt werden. Benjamins Eltern hatten für die Fahrt in den Nachbarort die Autobahn gewählt. Es war nur eine kurze Strecke gewesen, und sie hätten diese Autobahn schon an der nächsten Ausfahrt wieder verlassen. Aber dann war da urplötzlich vor ihnen ein Stau aufgetaucht. Guido Lorenzen bremste seinen Wagen rechtzeitig ab. Der Fahrer des riesigen Lastwagens hinter ihm, der schwere Metallteile geladen hatte, hatte das Stauende nicht rechtzeitig bemerkt, erfasste Guidos Auto und schob es mit dem Vorderteil unter den vorausfahrenden Lastwagen, während er den hinteren Teil unter seiner eigenen Vorderachse begrub. Die sehr schnell herbeigeeilten Rettungskräfte konnten nichts mehr für Hanna und Guido Lorenzen tun. Sie waren auf der Stelle tot gewesen.
Benjamin erinnerte sich noch genau an jenen schrecklichen Tag, als er und seine Schwester die unglaubliche Nachricht vom Tod ihrer Eltern erhielten. Er konnte sich damals überhaupt nicht vorstellen, dass sie nie wieder nach Hause kommen würden, und wartete insgeheim jeden Tag auf sie. Erst nach und nach hatte er begriffen, dass er sie niemals wiedersehen würde. Das war eine umwerfende Erkenntnis gewesen, und dann waren da auch noch Tante Nancy und Onkel Sven aufgetaucht und hatten ihn einfach mitgenommen.
Sie waren beide nicht wirklich unfreundlich, konnten mit Kindern aber absolut nicht umgehen. Sie überschütteten Benjamin mit teuren Dingen und glaubten, damit hätten sie alle Pflichten erfüllt. Dass der Junge Zuwendung und Nestwärme benötigte, gerade jetzt, da er einen so schrecklichen Schicksalsschlag hinter sich hatte, verstanden Nancy und Sven Hagen nicht.
Der kleine Junge, der nun bald in die Schule kommen sollte, dachte über sein Schicksal nach, während er auf dem Rücksitz des Autos saß und Nancy den Wagen Richtung Heimat steuerte. Nur zu gerne hätte er sich massiv beschwert und der Tante erklärt, wie schrecklich unglücklich er bei ihr und Onkel Sven war, so unglücklich, dass er es kaum noch aushalten konnte. Aber Benjamin wagte nicht, offen über seinen großen Kummer zu sprechen. Das hatte er in den vergangenen Monaten bereits mehrfach getan. Weder Nancy noch Sven hatten ihm wirklich zugehört oder sich Gedanken um die Bedürfnisse ihres Neffen gemacht. Sie hatten ihn bei solchen Gelegenheiten nur als undankbar bezeichnet und ihm erklärt, dass er doch jetzt ein wundervolles Leben hätte und erst einmal erkennen müsse, wie gut er es getroffen hätte.
Benjamin schaute aus dem Seitenfenster, ohne die Landschaft wahrzunehmen, die draußen vorbeizog. Vor seinen Augen tauchte immer wieder das Gesicht seiner Schwester Pia auf. Auch als seine Eltern noch lebten, war sie stets seine Vertraute gewesen, an die er sich mit all seinen kleinen Sorgen und Nöten hatte wenden können, von denen seine Eltern nicht unbedingt etwas erfahren sollten. Gemeinsam mit Pia hatte er jeden Tag die beiden Haflingerpferde Monti und Astral versorgt, und oft war er mit seiner Schwester ausgeritten, er auf Monti und Pia