Jakob Wolff - Düsteres London
Von Regine D. Ritter
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Über dieses E-Book
Doch in London existieren gesellschaftlich sehr unterschiedliche Parallelwelten. In den Armenvierteln der Stadt greift das Entsetzen um sich, als innerhalb kurzer Zeit mehrere Frauen brutal ermordet werden. Wer ist der Täter, der die Polizei öffentlich verhöhnt und immer einen Schritt voraus zu sein scheint?
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Buchvorschau
Jakob Wolff - Düsteres London - Regine D. Ritter
Wie alles begann …
Jakob Wolff (*1466), Sohn von Hexenmeister Markus Wolff, wächst in Speyer auf und hofft, die Apotheke seines Vaters eines Tages zu übernehmen. Genau wie bei seinem Vater ist es sein magisches Erbe als Hexer, den Zustand eines Menschen (körperlich & geistig) durch Berührung zu fühlen. Als sein Vater 1486 von den Mitgliedern seines Hexenzirkels ermordet wird, betrügen sie Jakob auch um sein Erbe. Mit nur wenig Hab und Gut verlässt er Speyer. Darunter ein handschriftliches Exemplar des Hexenhammers von Heinrich Kramer, welcher die Hexenverfolgung legitimiert. Man soll seine Feinde so gut kennen, wie sich selbst, um sich bestmöglich gegen sie verteidigen zu können, so der Leitspruch von Jakobs Vater. Darum verstecke Markus all sein Wissen auf den leeren Rückseiten des präparierten Papiers, sodass dieses nur von Hexen und Hexern gelesen werden konnten.
Während seiner Wanderschaft kommt Jakob nach Harzenberg. Dort hält der Dorfverwalter ein Mädchen im Keller gefangen, das eine Hexe sein soll: Lieselotte Wagner. Tatsächlich entpuppt sich die junge Frau als eine seiner Art und Jakob schmiedet einen Plan, um sie vor dem Vorwurf zu entlasten. Nachdem ihm das gelungen ist, ziehen beide weiter und lassen sich in Greiz nieder. Dort leben sie als angebliche Geschwister und sie steigen in der Gesellschaft auf. Um seine aufkommenden Gefühle für Lilo zu unterdrücken, stürzt Jakob sich in eine Ehe mit einer gönnerhaften Witwe. Ihrem Sohn Karl missfällt das, vermutet er in Jakob doch einen Erbschleicher. Darum beginnt er Lilos Ruf zu schädigen. Jakob versucht die Situation zu retten und es kommt ungeplant zu einer Liebesnacht zwischen Jakob und Lilo. Dabei werden sie entdeckt und Jakob verhaftet. Nach Verhör und Folter wird Jakob wegen Ehebruch und wegen Hexerei angeklagt und zum Tode verurteilt.
Lilo sucht in ihrer Verzweiflung nach einem Zauberspruch, mit dem sie Jakob retten kann. Sie mischt einen Trank und verflucht damit Karl, damit dieser an Jakobs statt bei der Hinrichtung stirbt. Danach fliehen Lilo und Jakob in den Norden und beginnen ein neues Leben.
Knapp ein Jahr später tauchen plötzlich Jakobs Wunden von der Folterung wieder auf. Jakob erfährt nun von Lilo, dass ihr bei der Ausführung des Zaubers einige Fehler unterlaufen sind. Diese zwingen Jakob dazu, dem Teufel jedes Jahr ein neues Opfer zu bringen, um weiterleben zu können. Seitdem suchen er und Lilo eine Möglichkeit den Fluch zu brechen … oder aber nach einem Opfer.
Kapitel 1
London, 29. August 1888
Der Zeitungsjunge wartete schon auf Jakob, als dieser seine Ladentür von innen aufschloss.
»Guten Morgen, Mr Vitt«, grüßte er artig.
»Guten Morgen, Toby. Du bist heute aber früh hier. Komm herein, du musst ja ganz durchgefroren sein.«
Der Junge huschte in das Geschäft. Kurz spürte Jakob, wie Tobys Blick an seiner Stirnwunde hängenblieb, doch der Junge fing sich sofort. Er blieb in der Mitte des Ladens stehen und nahm höflich seine Kappe ab.
»Ich habe einen Auftrag von Lady Collier, Sir. Und ich habe ihnen eine Zeitung aufgehoben.« Er zog die zusammengefaltete Zeitung unter seiner Jacke hervor. Seine Augen blitzten vergnügt. »Die Daily News, Sir. Berichtet heute über interessante Vorgänge bei Scotland Yard.«
»Ja, was denn?«
Jakob gab Toby zwei Pence. Einen, um die Zeitung zu bezahlen, und einen als Dank für die Lieferung derselben.
»Es heißt, der Assistant Commissioner der Londoner Polizei sei zurückgetreten. Ohne vorherige Ankündigung. Sein Nachfolger soll ein Anwalt sein. Und Ire.«
Toby verzog den Mund so verächtlich, dass Jakob laut lachen musste.
»Sieht nicht so aus, als ob du das gutheißt.«
Toby zuckte mit den Schultern und sagte nichts weiter, aber sein Gesichtsausdruck blieb skeptisch. Wie die meisten Zeitungsjungen konnte Toby kaum seinen eigenen Namen richtig buchstabieren, doch selbstverständlich kannte er jedes Gerücht, das in der Stadt umlief. Die Burschen waren stets auf dem Laufenden über alles, was die Tageszeitungen berichteten, damit sie ihre Waren bestmöglich anpreisen konnten.
»Und was für ein Auftrag von Lady Collier führt dich hierher?«
»Ich soll ausrichten, die neue Teemischung hat der Lady sehr gut geschmeckt. Sie wüssten schon, welchen Tee sie meint.« Toby hustete und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab, bevor er weitersprach. »Ich soll drei kleine Päckchen holen. Und schön verpackt, bitte. Lady Collier hat heute Nachmittag Gäste zum Tee und möchte den Damen die neue Mischung schenken.«
»Ich packe sie gleich ab. Wenn du möchtest, kannst du dich währenddessen an meinem Ofen aufwärmen.«
Jakob deutete zu der Tür hinter seiner Verkaufstheke. Von dort ging es in eine kleine Küche mit Ofen und Waschgelegenheit.
»Ja, Sir, danke!«
Der Junge huschte sofort in den gut geheizten Raum. Er lies die Tür offen, damit Jakob sah, dass er nichts stehlen würde. Trotzdem sah er sich in der Küche neugierig um. Ein schmales Treppenhaus führte zu Jakobs Schlafkammer im Obergeschoss, und in der Küche selbst war die Falltür zum Keller. Für Londoner Verhältnisse lebte Jakob äußerst luxuriös.
»Sie haben eine schöne Wohnung, Sir.«
»Ist alles nicht meines. Der Laden gehört Sir Robert, und ich pachte ihn nur. Und schlafe hier, damit niemand einbricht.«
Toby nickte und lehnte sich an den Ofen. Jakob beobachtete ihn, während er den Tee abwog. Er mochte den Jungen. Toby war ein aufgeweckter Bursche, aber schmächtig und klein. Und er hustete viel. Er hatte die Schwindsucht, wie so viele der Bewohner Londons.
Jakob überlegte. Mit Sicherheit hatte Toby keine eigene Bleibe, sondern kaufte sich sein Essen bei Straßenhändlern und mietete sich jeden Abend für ein paar Pence ein Bett in einer Massenunterkunft.
»Toby, du machst häufig Botengänge für Lady Collier, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Fast jeden Tag. Wenn ich die Morgenausgaben verkauft habe, gehe ich zu ihrem Haus. Sie hat oft etwas für mich zu tun, bis ich die Abendausgaben der Pall Mall Gazette und des Star holen muss.«
»Gibt es jemanden vom Personal, der dir wohlgesonnen ist? Eine Magd vielleicht, oder die Köchin?«
»Mrs Shipton, die Köchin, ist sehr nett. Manchmal steckt sie mir sogar etwas zu essen zu.«
»Sehr schön.«
Jakob verklebte das letzte Teepäckchen ordentlich und legte es zu den anderen auf die Theke. Dann ging er zu Toby. Im Verkaufsraum lagerten die feinen Tees der Tarleton-Kette in eleganten Dosen, aber Jakobs eigene Vorräte waren hier in der Küche. Aus einem Holzkästchen nahm er ein Bündel getrocknete Kräuter und wickelte sie in einen Papierumschlag.
»Das hier sind Lindenblüten.«
Er drückte Toby das Päckchen in die Hand, und der Junge schnupperte neugierig daran.
»Riecht gut.«
»Gib sie Mrs Shipton und sag ihr, sie soll dir jeden Tag eine Tasse davon aufbrühen. Etwa ein Teelöffel auf eine Tasse, und mindestens zehn Minuten ziehen lassen. Es wird deinen Husten bessern.«
»Danke, Mr Vitt. Aber das kann ich mir nicht leisten.«
»Ich schenke sie dir, wenn du mir weiter jeden Tag eine Zeitung lieferst. Und weil du dich in meinem Laden immer anständig verhältst und nicht versuchst zu stehlen – so wie die meisten der anderen Bengel.«
Toby strahlte. Jakob begleitete ihn zur Tür.
»Jetzt lauf und bring der Lady ihren Tee. Geh nicht durch die Mark Lane. Durch den Getreidehandel ist dort immer viel Staub in der Luft, und das macht deinen Husten schlimmer.«
Der Junge rannte los, und Jakob sah ihm nach. Auf der Straße war nur wenig los, was sicherlich der Kälte geschuldet war. Es war ein ungewöhnlich kalter Sommer gewesen, tatsächlich hatte es im Juli sogar einige Frostnächte gegeben, in denen er morgens auf seiner Waschschüssel eine dünne Schicht Eis vorgefunden hatte. Auch jetzt zogen sich bereits wieder dunkle Wolken am Himmel zusammen, die neue Regenfälle und vielleicht sogar Gewitter ankündigten. Jakob schloss die Ladentür und ging in seine Küche, um sich selbst einen Pfefferminztee aufzubrühen.
Er war gerade dabei, den Tee abzuseihen, als die Ladentür wieder geöffnet wurde.
»Ich bin sofort bei Ihnen!«, rief er in den Laden hinein.
Ein weibliches Lachen antwortete ihm. »Es hilft nichts«, rief die Frau aus dem Laden. Sie sprach Deutsch. Jakob schloss für einen Moment die Augen, als er die Stimme erkannte. Gerade heute hatte er Lilo nicht sehen wollen. Was sie selbstverständlich wusste, und dennoch ignorierte, so wie sie es fast jedes Jahr tat. Resigniert schenkte er gleich noch eine zweite Tasse Tee ein.
»Was hilft nichts?«, rief er währenddessen in den Laden.
»Die langen Ärmel. Und die in die Stirn gekämmten Haare. Man sieht die Wunden trotzdem.«
Jetzt erst kam sie in die Küche. Wie immer in den letzten Monaten sah Lilo blendend aus. Sie trug ein elegantes, blaues Kleid und bewegte sich darin, als wäre sie für diese Mode geboren worden. Natürlich waren ihr Schirm und der hochwertige Mantel farblich darauf abgestimmt.
»Weiß dein Gemahl, dass du