Ein großer Korb voller Luftballons: Chefarzt Dr. Norden 1170 – Arztroman
Von Helen Perkins
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So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche!
Das durchdringende Rasseln des Weckers riss Dr. Heike Kreisler mitten aus dem tiefsten Schlummer. Nur sehr widerwillig löste sie sich von der schönen Aussicht auf die Bay von San Francisco und öffnete mit Mühe ein halbes Auge. Der schmale Spalt genügte, um dem Ungetüm aus Blech vom Flohmark mit einem Handkantenschlag den Garaus zu machen. Danach versanken die brandroten Locken mit Genuss wieder unter der geblümten Bettdecke. Heike war eine ausgesprochene Langschläferin, sie gehörte eindeutig zur Spezies der Eulen und liebte an ihrem Beruf als Kinderpsychologin unter anderem die Möglichkeit, Nachtdienst zu schieben. Nicht, dass dabei auf der Pädiatrie der Münchner Behnisch-Klinik allzu viel geschah. Doch Heike war eben noch hellwach, wenn der Mond über die Doppeltürme der Liebfrauenkirche lugte, und hatte dann Ruhe und Muße zum Arbeiten. In den stillen Stunden der Kliniknacht ließ es sich wunderbar schmökern, forschen, und – wenn nötig – konnte man auch die Krankenberichte auf den neuesten Stand bringen. Am Vortag hatte Heike keinen Nachdienst gehabt, war aber doch erst weit nach Mitternacht ins Bett gekommen, weil sie noch sehr ausführlich mit ihrer Schwester Margie telefoniert hatte. Heike war eine echte Berliner Pflanze. Geboren und aufgewachsen in Mitte, mit einem halben Dutzend Geschwistern, von denen sie die Mittlere war. Die Mutter hatte einen kleinen Blumenladen betrieben, der Vater war Busfahrer. Heike war die Einzige der Kreisler-Geschwister mit höheren Neigungen, wie der Vater das ausgedrückt hatte. Sie wollte Abi machen und studieren, Ärztin werden. Nicht ganz leicht in einer Familie von zukünftigen Busfahrern, Verkäuferinnen und Mechanikern. Sie hatte das praktische Talent des Vaters geerbt, konnte alles reparieren, was einen Motor hatte, und die Liebe der Mutter zu Blumen und Büchern. Woher der Wunsch zu studieren kam, war den Eltern ebenso suspekt gewesen wie ihren Geschwistern. Man hatte sie gehänselt und ausgelacht, die Mutter hatte ihr schließlich zur Güte vorgeschlagen, Arzthelferin zu werden. Doch Heike hatte einen ausgemachten Sturkopf.
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Buchvorschau
Ein großer Korb voller Luftballons - Helen Perkins
Chefarzt Dr. Norden
– 1170 –
Ein großer Korb voller Luftballons
Der Fall Momo rührt ans Herz
Helen Perkins
Das durchdringende Rasseln des Weckers riss Dr. Heike Kreisler mitten aus dem tiefsten Schlummer. Nur sehr widerwillig löste sie sich von der schönen Aussicht auf die Bay von San Francisco und öffnete mit Mühe ein halbes Auge. Der schmale Spalt genügte, um dem Ungetüm aus Blech vom Flohmark mit einem Handkantenschlag den Garaus zu machen. Danach versanken die brandroten Locken mit Genuss wieder unter der geblümten Bettdecke.
Heike war eine ausgesprochene Langschläferin, sie gehörte eindeutig zur Spezies der Eulen und liebte an ihrem Beruf als Kinderpsychologin unter anderem die Möglichkeit, Nachtdienst zu schieben. Nicht, dass dabei auf der Pädiatrie der Münchner Behnisch-Klinik allzu viel geschah. Doch Heike war eben noch hellwach, wenn der Mond über die Doppeltürme der Liebfrauenkirche lugte, und hatte dann Ruhe und Muße zum Arbeiten. In den stillen Stunden der Kliniknacht ließ es sich wunderbar schmökern, forschen, und – wenn nötig – konnte man auch die Krankenberichte auf den neuesten Stand bringen.
Am Vortag hatte Heike keinen Nachdienst gehabt, war aber doch erst weit nach Mitternacht ins Bett gekommen, weil sie noch sehr ausführlich mit ihrer Schwester Margie telefoniert hatte.
Heike war eine echte Berliner Pflanze. Geboren und aufgewachsen in Mitte, mit einem halben Dutzend Geschwistern, von denen sie die Mittlere war. Die Mutter hatte einen kleinen Blumenladen betrieben, der Vater war Busfahrer. Heike war die Einzige der Kreisler-Geschwister mit höheren Neigungen, wie der Vater das ausgedrückt hatte. Sie wollte Abi machen und studieren, Ärztin werden. Nicht ganz leicht in einer Familie von zukünftigen Busfahrern, Verkäuferinnen und Mechanikern. Sie hatte das praktische Talent des Vaters geerbt, konnte alles reparieren, was einen Motor hatte, und die Liebe der Mutter zu Blumen und Büchern. Woher der Wunsch zu studieren kam, war den Eltern ebenso suspekt gewesen wie ihren Geschwistern. Man hatte sie gehänselt und ausgelacht, die Mutter hatte ihr schließlich zur Güte vorgeschlagen, Arzthelferin zu werden.
Doch Heike hatte einen ausgemachten Sturkopf. Was ihr einmal in den Sinn gekommen war, das kam nicht so schnell wiederheraus. Sie hatte als Jahrgangsbeste ihr Abi hingelegt und sich danach das Medizinstudium mittels Stipendium und Kellnern verdient. Aus dieser Zeit stammten ihr leicht gothicmäßiges Aussehen, ihre Piercings, von denen ihre Mitmenschen nur das an der rechten Augenbraue zu sehen bekamen … Und nicht zuletzt ihre etwas schnodderige Art, die ihr im Umgang mit renitenten Kneipengästen einst ziemlich hilfreich gewesen war.
Nach der Assistenzzeit in der Berliner Charité hatte ihr Doktorvater sie für eine Feldstudie zum Thema frühkindliches Trauma gewinnen wollen. Doch für Heike war das einfach nicht ihr Ding. Sie wollte mit Kindern arbeiten, kleine Seelen verpflastern, wie sie das nannte. Und da war ihr die Stelle auf Dr. Fee Nordens Kinderstation in der Münchner Behnisch-Klinik gerade recht gekommen.
Trotzdem war es Heike nicht leicht gefallen, Berlin zu verlassen. Sie war ein Familienmensch und stand nach wie vor in engem Kontakt zu Eltern und Geschwistern. Die waren mittlerweile alle recht stolz auf ihre Studierte. Man telefonierte fleißig und besuchte sich, wann immer es ging. Am schönsten waren natürlich die richtigen Familientreffen, wenn Papa Kreisler in seinem Schrebergarten den Grill anwarf, Edi, der Älteste der Geschwister, mittlerweile Besitzer einer kleinen Autowerkstatt in Tegel und stolzer Vater von vier Rangen, die Gitarre auspackte, und es zwischen Grillwurst und Sangria ein wenig nach Kindheit duftete und sehr nach Geborgenheit schmeckte. Die Kreislers hielten zusammen, auch wenn sie nicht mehr zusammen lebten. Und es waren die starken Wurzeln, die Heike einfach mit nach München genommen und hier eingesenkt hatte, in der geräumigen Altbauwohnung in Giesing, vollgestopft mit ihren Fachbüchern, großblättrigen Zimmerpflanzen und Seite an Seite mit ihrem Freund Jo Braun. Der Zweimetermann mit dem breiten Kreuz und der Kraft eines Ringers, in dessen Brust das Herz eines sanften Lammes schlug, arbeitete als Pfleger in einem Heim für Schwerstbehinderte.
Jo stammte aus Fürstenfeldbruck, ebenfalls aus einer großen Familie. Die Brauns waren noch Bauern, Jos drei Brüder arbeiteten in der Landwirtschaft. Seine Schwester Marie war Tierärztin, wohl gemerkt fürs Großvieh. Sie war eine kräftige Person mit festem Willen, Heike hatte sie auf Anhieb gemocht. Und in gewisser Weise hatte sie sich auch mit Jos Schwester identifizieren können. Denn Marie hatte es nicht leicht gehabt. Zuerst den Sprung vom Bauernmadel zur Viehdoktorin, dann die Bewährungsprobe in der praktischen Arbeit. Manch ein Bauer hatte sich einen Spaß daraus gemacht, das »Madel« auf den stärksten Stier zu hetzen oder eine giftige Sau behandeln zu lassen.
Marie hatte sich mittlerweile Respekt bei der Bauernschaft erworben. Und in Jo ihren tatkräftigsten Unterstützer, denn der hatte von klein auf zur Schwester aufgeblickt. Wie sie mit jedem Viecherl auf dem Hof hatte umgehen können, das war eine wahre Pracht gewesen. Schon in frühen Jahren hatte sie sich was vom Veterinär abgeschaut, wenn der auf dem Hof erschienen war. Ging es aber darum, ein Tierchen zu pflegen, zu hätscheln, dann war Jo an der Reihe gewesen. Und daran hatte sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert, denn unter seinen großen Händen gedieh jedes Pflänzlein auf Heikes schmalem Balkon, da wurde jedes kranke Tierchen wieder munter und jedes menschliche Seelchen, wie zerfleddert und gebeutelt es auch sein mochte, das blühte wieder auf, das reckte und streckte sich und heilte.
Heike war fast wieder eingeschlummert, als Jo ihr hübsches Gesicht aus der Blümchendecke schälte, ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte und sie mahnte: »Schatzerl, Zeit zum Aufstehen!«
Heike brummte unwillig. »Noch nicht, ein bisschen kuscheln kann nicht schaden …«
»Wir kommen zu spät«, gab er zu bedenken.
»Ach, Bär, sei doch nicht so ungemütlich.« Sie schlang die Arme um seine breite Brust und seufzte. So angschmiegsam mochte ihr Jo sie, das war ihre stärkste Waffe. Doch leider nicht am frühen Morgen, wenn die Arbeit wartete. Denn ihr Freund hatte eben ein sehr ausgeprägtes Pflichtbewusstsein.
»Gemütlichkeit kommt nach Feierabend«, stellte er mit einem gutmütigen Lächeln klar, schenkte ihr einen Kuss und mahnte dann noch einmal mit Nachdruck: »Auffi geht’s, mein Preußenmadel, aus den Federn hupft!«
Heike seufzte. »Ich liebe es, wenn du bayrisch wirst, mein Bärchen. Also schön, ich komme …«
Wenig später saßen die beiden in der gemütlichen Küche und frühstückten. Es war ein warmer Junimorgen, die Balkontür stand offen, und eine leichte Brise brachte den Duft von Wicken, Geißblatt und Vanilleblume herein. Obwohl der Balkon nicht sonderlich groß war, hatte Jo daraus eine eingegrünte Oase zum Wohlfühlen geschaffen, in der auch noch schmackhaftes Gemüse wuchs. In den Nistkästen an der Hauwand zwitscherte es munter, und die Insekten labten sich an jeder frisch erblühten Blume. Es war ein richtiges kleines Paradies.
Jo hatte bereits eine Handvoll Monatserdbeeren aus einem Topf neben der Balkontür geerntet und über Heikes Müsli gestreut. Sie schloss bei diesem Genuss verzückt die Augen und seufzte: »Wunderbar! Ich glaub, ich steh wirklich im Wald …«
Jo lachte. »Hauptsache, du bist zufrieden, mein Herzerl.«
»Bin ich.« Sie grinste. »Bei dem Service …«
»Du, ich wollte noch was mit dir bereden. Es geht um Momo. Seine Mutter hat jetzt einen OP-Termin.«
Heike nickte. »Das wird auch Zeit, die Bandscheibe macht ihr doch schon ziemlich lange Probleme.«
»Ja, sie hat allerweil gezögert, weil sie Momo nicht allein lassen wollte.