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Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche)
Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche)
Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche)
eBook210 Seiten2 Stunden

Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche)

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Über dieses E-Book

Rituale sind eine große Entlastung: Sie reduzieren die Komplexität und strukturieren den Alltag. Sie sind auch in ihren seltsamsten Formen nicht nur bei isolierten Naturvölkern zu bestaunen, sondern auch im vermeintlich auf- und abgeklärten „Westen“, weshalb dieses Heft auf Riten und Gebräuche in der Ferne und Nähe blickt. So empfiehlt Sarah Maria Lenk, sich den Alltag mit mikrosoziologischem Blick auf das bizarre Verhalten in Wartezimmern und im ÖPNV wieder interessant zu machen, während Martin Köhler 12 Jahre nach Einführung des iPhone fragt, ob und wie das Smartphone eigentlich gebraucht wird. Schneidegger schaut auf ritualisierte Ersatzhandlungen in melanesischen Cargo-Kulten und modernem Management, dagegen untersucht Michael Helming den Brauch des Gerontozids („Lapot“), der zu gut zu allen Vorurteilen über den Balkan passt, um dort wirklich praktiziert zu werden. Einen Überblick über die Sitten rund um anthropologische Konstanten und wie sie sich gewandelt haben, leistet Marc Hieronimus und erinnert sich ganz konkret auch an einen Geburtstag auf der Autobahn. Bdolf steuert neben dem Propädeutikum ein zweiteiliges Lexikon der Riten und Gebräuche bei und enttäuscht die Erwartungen an den Urlaub auf der freizügigen Insel Lesbos. Der Alltag läuft so routiniert ab, dass wir blind für die Wirklichkeit werden, womit sich Bernhard Horwatitsch beschäftigt, ehe es wieder in die Ferne geht: Vasile V. Poenaru blickt zum 30. Jahrestag auf den Brauch des Tyrannenmords am Beispiel Ceausescus. Ewgeniy Kasakow stellt Andrei Popow vor, der sich von reichen Moskauerinnen als Gott Kusja verehren ließ, und Osman Hajjar beschreibt, wie unziemlich es im Wüstenschloss des Kalifen al-Walid II. (reg. 743-744) zuging. Zwischendurch gibt es zwei Märchen zur Sittenbildung, Nietzsches Gedanken über Gebräuche, Martin Köhlers Kolumne über Punk, der Mainstream wird, und Parmenides sowie Aristoteles in Haiku-Form.

Die tragbaren Gedanken eröffnen den hinteren Heftteil, in dem es neben Aphorismen pro domo et mundo und Rezensionen in unter 800 Zeichen auch wieder ein neues Portrait in der Reihe „Lebende & Leichen“ gibt: Michael Helming erinnert an den zu Unrecht vergessenen böhmischen Avantgardisten Richard Weiner (1884–1937). In der Reihe „Viehlosovieh“ stellt Marc Hieronimus das Schwein vor und zu guter Letzt wird die Frage, ob man Peter Handke lesen muss, kurz und final entschieden.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Jan. 2020
ISBN9780463427255
Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche)
Autor

Timotheus Schneidegger

Bücher für alle und keinen. Pirateninsel des Lichtwolf. Novaheißer Independent-Verlag im Nordwesten.

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    Buchvorschau

    Lichtwolf Nr. 68 (Riten und Gebräuche) - Timotheus Schneidegger

    lw68-cover

    Lichtwolf Nr. 68 (Winter 2019/20)

    Titelthema: Riten und Gebräuche

    Inhalt Nr. 68

    Editorial & Impressum

    Riten und Gebräuche

    Einleitung ins Titelthema

    Der Jugend zum Geleit

    Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Riten und Gebräuche"

    von Bdolf

    Cargo-Kult überall

    Komische Sitten!

    Nicht nur bei isolierten Naturvölkern lassen sich abenteuerliche Ersatzhandlungen beobachten, auch der vermeintlich auf- und abgeklärte Westen fügt seinem magischen Denken stets neue Beschwörungsrituale hinzu, die er nicht als solche wahrhaben will.

    von Timotheus Schneidegger

    Ritualinventur

    Was machste’n so?

    Alles ändert sich, doch der Mensch hängt an seinen Gewohnheiten und sie hängen an ihm. Was hat Bestand, was geht, was kommt zurück?

    von Marc Hieronimus

    Vom Punk zum Mainstream

    Stufen zum Nichts: Riten und Gebräuche

    Kolumne von Martin Köhler

    Blind durch Gewohnheit

    The map is not the territory

    Was vernünftig ist, ist wirklich, und umgekehrt – aber im Alltag sind wir vor lauter Routine blind für die Wirklichkeit, bis wir über das Unvorhergesehene stolpern und hart auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen.

    von Bernhard Horwatitsch

    Märchenstunde

    Der faule Jakob

    Frei nach dem Märchen „Lazy Jack" von James Halliwell Orchard Phillips

    von Georg Frost

    Urlaubsträume

    Sextourismus heute: die Insel Lesbos

    von Bdolf

    Ritual und Realitätssinn

    Blame it on the Bread

    Der Mensch braucht Rituale. Sie geben ihm Halt und Sicherheit. Doch er trägt auch die Verantwortung für Inhalte und Abläufe seiner Kulthandlungen. Wie passt das zu einem Ritus, bei dem Brot als Mordkomplize dient?

    von Michael Helming

    Ad fontes

    Das Grübeln über Gebräuche

    von Friedrich Nietzsche

    Alltagsgebräuche

    You got to mumble ‚Guten Tag‘

    Wir lernen, dem Hass und der Langeweile zu entkommen durch Sitten und Gebräuche, also Mikrosoziologie.

    von Sarah Maria Lenk

    A bis Emm

    Das Lexikon der Riten und Gebräuche I

    von Bdolf

    Bilanz nach 12 Jahren

    Über den Gebrauch des Smartphones

    Es gibt wenige Dinge, die nach so kurzer Zeit in der allgemeinen Kultur – nicht nur der unseren, sondern der weltweiten – so weite Verbreitung fanden wie das Smartphone. Aber wird es auch gebraucht?

    von Martin Köhler

    Kurz gedacht

    Denker im Haiku: Parmenides & Aristoteles

    von Michael Helming (mh) und Bernhard Horwatitsch (bh)

    Enn bis Zett

    Das Lexikon der Riten und Gebräuche II

    von Bdolf

    Geldmaschine Aberglaube

    Der halbblinde Gott der Empathie

    Andrei Popow erklärte sich zu Gott und wurde mit einer obskuren Sekte erst reich, dann Häftling. Betrachtungen aus dem geistigen Leben des Ostens

    von Ewgeniy Kasakow

    9.11.

    Wieder ein Geburtstag

    von Marc Hieronimus

    Ein Schand- und Sittengemälde

    Wein, Weib und Ghaselen

    Das Berliner Pergamonmuseum brüstet sich stolz mit der Fassade des Mshatta-Palastes, ein kleines Präsent von Sultan Abdülhamid II. an Kaiser Wilhelm II. Was sich dahinter abgespielt haben mag, als sein Bauherr der Kalif al-Walid II. (reg. 743-744) das Wüstenschloss bewohnte, soll im Folgenden erzählt werden.

    von Osman Hajjar

    Didaktische Lehrgeschichten

    Der Watschenbaum

    von Bdolf

    Diktatoren opfern

    Drei Tage zum Plündern

    Auch in der rumänischen Revolution waren die üblichen Gebräuche des Tyrannenmords zu besichtigen. Scheinbar. Über „Vogelfreiheit" im sowjetisch-amerikanischen Regime-Change-Glossar (Malta-Ausgabe: Dezember 1989)

    von Vasile V. Poenaru

    Kurz lesen, lang nachdenken

    Der tragbare Gedanke 68

    von Marc Hieronimus (hi), Bernhard Horwatitsch (bh), Jean-Baptiste O’Lebigmac (ol) und Wolfgang Schröder (ws)

    Kein Schwein interessiert’s

    Viehlosovieh: Schwein

    von Marc Hieronimus

    Literaturstreit

    Muss man Handke lesen?

    Zwei führende Experten entscheiden den Literaturstreit der Saison.

    Rezensionen in < 800 Z.

    Kurz & Klein 68

    von Bdolf (bd), Michael Helming (mh), Marc Hieronimus (hi), Martin Köhler (mk) und Timotheus Schneidegger (ts)

    L & L: Richard Weiner

    Kälte, Krieg und Klopforakel

    Nicht nur Tote sind in seinen Texten zuweilen anders als die anderen. Richard Weiner stellt innerhalb der böhmischen Avantgarde einen phantasmagorischen Sonderfall dar. Dreimal musste er zum Militär und das dritte Mal war offenbar nervenaufreibend.

    von Michael Helming

    Sentenzen für die Latrinentür

    Pro Domo et Mundo 68

    von Michael Helming (mh), Marc Hieronimus (hi), Bernhard Horwatitsch (bh) und Wolfgang Schröder (ws)

    Autoren & Illustratoren

    Die Rückseite vom Heft

    LXVIII. semper annus mirabilis

    Aus der Offizin 68

    Wenn nach Ablauf des doppelten Erinnerungsjahrs die „68er bei der Frage, wer an allem Schuld ist, aus dem Blickfeld geraten, wird das „Volk schon Ersatz finden. Wir hoffen, dass es nicht die üblichen Verdächtigen (Juden, Radfahrer) trifft, sondern Abstrakta, die es verdient haben („das System"), oder sich das Man überhaupt mal die psychologische Unsitte der Projektion abgewöhnt. Dazu wird der Lichtwolf im kommenden Jahr seine Aktivitäten ausweiten und einen gemeinnützigen Verein haben. Dieser verfolgt seine hehren Zwecke dann u.a. als Herausgeber der Zeitschrift trotz Philosophie, Veranstalter von Symposien, Aussteller von Spendenquittungen und Beantrager von öffentlichen Fördermittel. Alles andere als gewinnorientiert war der Lichtwolf nämlich schon immer und eine Art Förderverein als Dachorganisation schüfe die Gelegenheit, Ihnen, der geneigten Leserin, die Mildtätigkeit zu quittieren, die der Erwerb eines Exemplars dieser weiter unerfolgreichen Zeitschrift trotz Philosophie und Printkrise nun einmal darstellt.

    Machen Sie sich also darauf gefasst, ab demnächst nicht nur von Wikipedia angeschnorrt zu werden

    Ihr 

    Timotheus Schneidegger

    Impressum

    Lichtwolf - Zeitschrift trotz Philosophie

    Ausgabe 4 / Jahrgang 18 (Nr. 68)

    Elektronische Ausgabe

    Veröffentlicht Ende Dezember 2019

    Verlagsanschrift:

    catware.net Verlag / Timotheus Schneidegger

    Erlenstraße 4 / 26524 Hage

    Tel.: (+0049) 1520 3825888

    E-Mail: redaktion@lichtwolf.de

    V.i.S.d.P.: Timotheus Schneidegger

    Heftgestaltung & Umschlag: Georg Frost

    Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Herausgeber, Redaktion oder Verlag wieder. Beiträge (Text oder Bild) dürfen nicht – auch nicht auszugsweise – ohne Zustimmung ihrer Urheber weiterverbreitet werden. Zur Verwendung kommt eine Hausorthographie. Redaktionelle Beiträge sende man per E-Mail an:

    redaktion@lichtwolf.de

    Der Lichtwolf ist keine Literaturzeitschrift: Bitte keine Kurzgeschichten und Gedichte schicken!

    Einleitung ins Titelthema: Riten und Gebräuche 

    Wenn es wahr ist, daß schlechte Beispiele gute Sitten verderben, so gilt das in noch viel höherem Maße von den guten Beispielen. Jeder, der die Kraft hat, Beispiel zu sein, bringt seine Umgebung aus der Form, und die guten Sitten, die den Lebensinhalt der schlechten Gesellschaft bilden, sind immer in Gefahr, verdorben zu werden.

    – Karl Kraus, Die Fackel Nr. 279, 13.05.1909, S. 3.

    Rituale sind eine große Entlastung: Sie reduzieren die Komplexität und strukturieren den Alltag. Sie sind auch in ihren seltsamsten Formen nicht nur bei isolierten Naturvölkern zu bestaunen, sondern auch im vermeintlich auf- und abgeklärten „Westen, weshalb dieses Heft auf Riten und Gebräuche in der Ferne und Nähe blickt. So empfiehlt Sarah Maria Lenk, sich den Alltag mit mikrosoziologischem Blick auf das bizzare Verhalten in Wartezimmern und im ÖPNV wieder interessant zu machen, während Martin Köhler 12 Jahre nach Einführung des iPhone fragt, ob und wie das Smartphone eigentlich gebraucht wird. Schneidegger schaut auf ritualisierte Ersatzhandlungen in melanesischen Cargo-Kulten und modernem Management, dagegen untersucht Michael Helming den Brauch des Gerontozids („Lapot), der zu gut zu allen Vorurteilen über den Balkan passt, um dort wirklich praktiziert zu werden. Einen Überblick über die Sitten rund um anthropologische Konstanten und wie sie sich gewandelt haben, leistet Marc Hieronimus und erinnert sich ganz konkret auch an einen Geburtstag auf der Autobahn. Bdolf steuert ein zweiteiliges Lexikon der Riten und Gebräuche bei und enttäuscht die Erwartungen an den Urlaub auf der freizügigen Insel Lesbos. Der Alltag läuft so routiniert ab, dass wir blind für die Wirklichkeit werden, womit sich Bernhard Horwatitsch beschäftigt, ehe es wieder in die Ferne geht: Vasile V. Poenaru blickt zum 30. Jahrestag auf den Brauch des Tyrannenmords am Beispiel Ceausescus. Ewgeniy Kasakow stellt Andrei Popow vor, der sich von reichen Moskauerinnen als Gott Kusja verehren ließ, und Osman Hajjar beschreibt, wie unziemlich es im Wüstenschloss des Kalifen al-Walid II. (reg. 743-744) zuging. Zwischendurch gibt es zwei Märchen zur Sittenbildung, Nietzsches Gedanken über Gebräuche, Martin Köhlers Kolumne über Punk, der Mainstream wird, und Parmenides sowie  Aristoteles in Haiku-Form.

    Der Jugend zum Geleit

    Propädeutikum und Prolegomena zum Thema „Riten und Gebräuche"

    von Bdolf

    1.) „Riten und Gebräuche" meint so ziemlich alles vom Bollenhut bis hin zum Gangbang.

    2.) „Riten und Gebräuche" – in summa: Kultur – sind nicht willkürlich setzbar; können sich aber auch sehr kurzfristig etablieren; vgl. z.B. Pokémon Go etc.

    3.) Scheinbar altehrwürdige Riten und Gebräuche – z.B. schwäbisch-alemannische Fastnacht – wurzeln bisweilen eher jung, z.B. in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.

    4.) Rituale sind gut, pure Gewohnheit schlecht.

    5.) Heute spontan, morgen Ritual.

    6.) „Alkohol und Nikotin / rafft die halbe Menschheit hin! - (Pause!) - doch nach einem alten Brauch / stirbt die andere Hälfte auch!" (Vorwärts im Kampf gegen die Kassenpropaganda!)

    7.) Initiation und Ableben: die ehernen Gründungen der Rituale! Balzrituale führen schnell zu Hochzeits- und Fortpflanzungsbräuchen. 

    8.) Der anachronistische Ausdruck „nach alter Väter Sitte muss heute konsequent gegendert werden – dazu anti-ageistisch und nicht-ableistisch, in praxi also – z.B. „nach junger Mütter Sitte, „nach altem Kindes Sitte, „nach fähigem Ohnhänders Sitte usf.

    9.) Gestern Gebet, heute Vulvenmalen: Die christlichen Kirchen können im Brauchtum auch mal einen Haken schlagen ... 

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    (Photo: pixabay.com, CC0)

    Cargo-Kult überall

    Komische Sitten!

    Nicht nur bei isolierten Naturvölkern lassen sich abenteuerliche Ersatzhandlungen beobachten, auch der vermeintlich auf- und abgeklärte Westen fügt seinem magischen Denken stets neue Beschwörungsrituale hinzu, die er nicht als solche wahrhaben will.

    von Timotheus Schneidegger

    Rituale entstehen von oben, aus einem transzendentalen Bezug, oder von unten, aus Gewohnheit. Das Wort verrät schon alles: Mit Gewohnheiten machen wir uns die Welt weniger unheimlich. Kant und Schopenhauer hatten einen Tagesablauf, nach dem man in Königsberg resp. Frankfurt die Uhr stellen konnte, und auch die Lichtwolf-Leserin wird eine Morgenroutine oder Einschlafrituale haben, die empfindlichen Schaden nehmen, wenn zum Beispiel der Kaffee alle ist oder nebenan eine Party stattfindet.

    Ein Ritual ist laut Wikipedia, die es von den Ethnologen hat, eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende Handlung mit hohem Symbolgehalt. Das Symbol ist darin mehr oder weniger leicht zu entdecken. Zum Versöhnungsfest Jom Kippur wurde ein Ziegenbock symbolisch mit den Sünden des Volks Israel beladen und in die Wüste gejagt. Schwieriger ist das Symbol zu entdecken bei heutigen Alltagsriten, die uns zu nahe und selbstverständlich sind. Wo wäre der symbolische Gehalt bei Übergangsriten wie dem 18. Geburtstag, der Führerscheinprüfung, Abschlussfeiern oder dem Leichenschmaus nach einer Beerdigung? Dass es mit dem unseligen Böllern und Bleigießen zu Silvester oder dem Polterabend vor und dem Brautstraußwurf nach der Hochzeit etwas auf sich hat, ahnen die meisten und halten sich dran, auch wenn sie nicht wissen, wozu. Denn man weiß ja nie!

    Rituale sind Tradition im Wortsinne: Sie tragen die Vergangenheit unbewusst weiter. So sind sie auch zutiefst konservativ. Sie erinnern daran, dass Abweichungen von der überlieferten Lebensweise das Individuum und die Gemeinschaft in Gefahr bringen und daher nicht geduldet werden dürfen. Traditionen haben den unschätzbaren Vorteil, dem Menschen, der in sie hineinwächst, vorzugeben, „wie man das so macht". Die Sitten sind ein wesentlicher Bestandtteil der Kultur. Sie haben den Nachteil, dass sich in ihnen auch so mancher Aberglauben aus gefährlicheren und dunkleren Zeiten bis in die Gegenwart halten kann.

    Daran biss sich auch das Christentum die Zähne aus: Selbstverständlich musste es die heidnischen Rituale, auf die es im Zuge der Missionierung traf, als Aberglauben abtun. Effektiver als das Verbieten war jedoch das Absorbieren. In fast jedem christlichen Ritus finden sich heidnische Elemente: Der Weihrauchschwenk in der Messe, die geschmückte Tanne zu Jesu Geburtstag, der passenderweise auf die Wintersonnenwende verlegt wurde, oder der Hase, der zu Jesu Kreuzigung Eier versteckt (und natürlich ein frühlingshaftes Fruchtbarkeitssymbol ist), ganz zu schweigen vom Weihnachtsmann, der durch die Reklame des Coca-Cola-Konzerns populär wurde.

    Jahrhundertelang konnten Christen ohne Furcht vor der Inquisition an Schutzengel und Dämonen, an gute und böse Geister glauben und Heilige (wie Bischof Nikolaus von Myra)

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