Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Barny Schäfer - Tatort Pausenhof
Barny Schäfer - Tatort Pausenhof
Barny Schäfer - Tatort Pausenhof
eBook330 Seiten4 Stunden

Barny Schäfer - Tatort Pausenhof

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Barny Schäfer hat ein Problem: Sein Partner Eddie hat sich doch tatsächlich dazu überreden lassen, für vier Wochen den nervigen Craddock Moppel bei ihnen einzuquartieren. Doch der Anruf eines ehemaligen Kollegen lässt ihn diese Sorge schnell vergessen. Denn plötzlich stecken er und sein Partner mitten in einem neuen Kriminalfall, bei dem das Leben eines Jungen auf dem Spiel steht. Ein Erpresserbrief und ein Manuskript über alte, ungelöste Kriminalfälle führen sie auf eine beunruhigende Fährte. Ist im beschaulichen Backnang ein Serienkiller untergetaucht? Und während sich Barny und Eddie gegen kriminelle Schlägerbanden, ein altes Schlangentrauma, aufregende Nachbarinnen und eine fiese Sommergrippe behaupten, wird ihnen allmählich klar, dass bei diesem Fall nichts so ist, wie es zunächst scheint.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. März 2020
ISBN9783945230480
Barny Schäfer - Tatort Pausenhof

Mehr von Patricia Rieger lesen

Ähnlich wie Barny Schäfer - Tatort Pausenhof

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Barny Schäfer - Tatort Pausenhof

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Barny Schäfer - Tatort Pausenhof - Patricia Rieger

    wollten.

    1

    »Versprich mir, dass du gut auf meine Lieblinge aufpasst!« Klara schnäuzte geräuschvoll in ein überdimensionales Taschentuch, das sie gerade aus ihrer Kittelschürze gezaubert hatte. Die unzähligen Lockenwickler unter dem transparenten, giftgrünen Kopftuch bebten mit ihrer Stimme um die Wette.

    »Himmel, Klara! Jetzt krieg dich mal wieder ein, es sind doch nur ein paar Wochen«, grummelte Eddie genervt.

    Barny spürte, wie die ohnehin nicht allzu sonnige Stimmung seines Partners noch weiter in den Keller sackte. Eddie war schon seit einigen Tagen ziemlich mies drauf. Barny befürchtete, dass sich sein Partner nun doch diese üble Sommergrippe eingefangen hatte, unter der halb Backnang litt.

    Normalerweise wurde Eddie nie krank, aber wenn es ihn dann mal erwischte, war das weder für ihn, noch für Barny ein Zuckerschlecken. Eddie hasste es, nicht fit zu sein. Und das ließ er auch jeden, der sich in seiner Nähe aufhielt, deutlich spüren. So wie jetzt. Wobei – außer Barny schien keiner der Anwesenden etwas von Eddies Unwillen mitzubekommen. Klaras Gedanken kreisten ausschließlich um ihre Abreise. Und Craddock Moppel war viel zu beschäftigt damit, abwechselnd euphorisch kläffend oder laut schnaufend herumzurasen und all seine Spielsachen, die im ganzen Haus verstreut herumlagen, einzusammeln und genau vor Eddies Füßen aufzustapeln.

    Gerade schleppte der Mops ein unförmiges Häkelschwein an, aus dem unterhalb des Ringelschwanzes die ehemals weiße Füllung herausquoll.

    »Dein Ernst?«, brummte Barny belustigt, als Craddock die undichte Sau liebevoll auf den Spielzeugberg platzierte. »Hat die etwa Verdauungsprobleme?«

    Craddocks Gebell verstummte schlagartig. Seine Stirnfalten vertieften sich, als er ebenso intensiv wie ergebnislos über diese Frage nachdachte.

    Barny unterdrückte einen abgrundtiefen Seufzer, während er in die verständnislos blickenden Murmelaugen des Mopses sah.

    Vier Wochen! Vier ganze Wochen lang würde er sich nun tagtäglich mit der Begriffsstutzigkeit und dem Übereifer des kleinen Hohlkopfs herumschlagen müssen.

    Warum hatte Klara bloß angeboten, die Krankenpflegerin für ihre Schwägerin zu spielen? Eine Schwägerin, von deren Existenz Barny bisher nicht einmal etwas gewusst hatte, und die anscheinend nicht nur akut erkrankt war, sondern zu allem Übel auch noch unter einer Tierhaarallergie litt. Natürlich hatte sich Eddie von seiner Schwester breitschlagen lassen, während ihrer Abwesenheit auf ihre Mitbewohner aufzupassen.

    Angewidert starrte Barny auf den Berg versabberter und angekauter Strick- und Häkeltiere.

    »Na sowas!«, krähte Klara in seine finsteren Gedanken hinein und angelte begeistert nach dem unappetitlichen Schwein. »Wo hast du denn das gefunden, Moppelchen? Ich suche schon ewig danach, um es endlich mal zu waschen und zu stopfen. Du bist ja so ein guter Spürhund!«

    Craddock gab vor Freude ein schrilles Quieken von sich, das genauso gut zu der Häkelsau gepasst hätte. Sein Ringelschwanz rotierte so schnell, dass Barny schon befürchtete, der Mops könnte jeden Moment vom Boden abheben.

    Eddies derber Fluch brachte die Anwesenden jedoch blitzartig zum Verstummen. Beunruhigt betrachtete Barny seinen Partner.

    »Jetzt reicht es aber!« Eddie starrte mit drohender Miene auf das Ding in Klaras Hand. »Ich habe mich von dir schon überreden lassen, dieses absurde, himmelblaue Plüschhäuschen mitzunehmen, ganz zu schweigen von all den albernen, bunten Strickmäntelchen, den affigen Geschirren und den völlig überflüssigen Spielsachen. Aber irgendwann ist Schluss! Es gibt Grenzen. Und zwar genau hier und jetzt, bei dem potthässlichen, pinkfarbenen, wattekackenden Häkelschwein! Ich werde diese Monstrosität auf keinen Fall auch noch einpacken!«

    »Aber Eddie!« Klaras Gesicht nahm vor Empörung einen ähnlichen Farbton wie das Schwein an, das sie nun schützend an ihre ausladende Brust drückte. »Das ist doch Moppels Lieblingsspielzeug! Das wird der Kleine brauchen, damit er nicht so traurig ist, wenn ich fort bin. Ich habe ihn noch nie so lange allein gelassen. Jetzt sei doch nicht so ein Unmensch!«

    Wie zur Bestätigung stellte sich Craddock an Eddies Bein auf und fiepte jämmerlich. Verblüfft beobachtete Barny, wie die grimmige Miene seines Partners weicher wurde, während er in die feuchten Mopsaugen blickte.

    »Also gut, ausnahmsweise«, seufzte Eddie schließlich resigniert. »Auf eine Scheußlichkeit mehr oder weniger kommt es jetzt wohl auch nicht mehr an. Pack das Ekelteil halt zu dem anderen Kram, den ich mitnehmen soll.«

    »Du bist eben doch der Beste«, seufzte Klara gerührt und griff schon wieder nach ihrem Taschentuch. »Aber vorher werde ich es noch schnell waschen und stopfen, so viel Zeit muss sein! Ich gebe es dir, wenn du mich nachher zum Bahnhof bringst. Bei der Hitze ist es im Nu wieder trocken.«

    Sie schnäuzte noch einmal energisch in ihr mittlerweile ziemlich durchweichtes Taschentuch, dann drückte sie Eddie das himmelblaue Hundehäuschen und zwei prall mit Craddocks Habseligkeiten gefüllte Taschen in die Arme.

    »Und du bist dir wirklich sicher, dass sich Dolly zurechtfinden wird, wenn du sie drüben bei dir fütterst und ich hier ihre Katzenklappe zulasse?« Schon wieder schwang dieses besorgniserregende Beben in Klaras Stimme mit.

    »Hundertprozentig sicher«, beruhigte Eddie seine Schwester mit Nachdruck. »Du kannst nicht vier Wochen lang die Katzenklappe unbeaufsichtigt auf Durchgang stellen. Was glaubst du, was sich da für Getier im Haus breitmacht? Und ich werde sicher nicht noch jeden Tag herkommen und den Kammerjäger spielen! Deine Dolly ist alles andere als dumm. Die weiß genau, wo sie gefüttert wird, und den Weg zu mir kennt sie auch ziemlich gut. Seit sie so dicke mit Barny befreundet ist, hängt sie öfters mal in der Nacht bei uns im Garten rum.« Eddie warf Barny, der sich unbehaglich duckte, einen vielsagenden Blick zu.

    »Ist das wahr?«, schnaufte Craddock in Barnys Ohr. »Dolly kommt nachts zu dir? Sie hat mir nie was davon erzählt. Das ist ja so aufregend! Wenn ich jetzt bei dir und Onkel Eddie wohne, besucht sie mich dann ja auch. Das wird so toll! Ich hatte schon Angst, dass ich sie nicht mehr sehe, wenn ich bei euch bin, aber jetzt ist alles ja noch viel besser! Ich freue mich schon so auf unsere gemeinsamen Ferien mit Onkel Eddie. Da kann er mir noch viel besser alles beibringen, was ein Polizeihund wissen muss! Und vielleicht lösen wir dann auch wieder so einen aufregenden Fall wie beim letzten Mal, was meinst du?«

    »Hmpf«, grummelte Barny nichtssagend und unterdrückte ein Schaudern. Es war schon schlimm genug, dass er sich in den kommenden Wochen mit dem kleinen Dussel arrangieren musste. Bestimmt würde er wegen Craddocks Schnarcherei nachts kein Auge zumachen können. Vor allem, weil das mit dem Schlafen zurzeit sowieso nicht so gut klappte. Backnang lag schon seit Wochen unter einer flimmernden Hitzeglocke und die Nächte brachten kaum Abkühlung. Da musste er sich nicht auch noch um einen anstrengenden Kriminalfall kümmern, der ihn wie beim letzten Mal womöglich nächtelang auf Trab hielt.

    »So, ich glaube, jetzt hast du alles«, überlegte Klara laut und stapelte noch einen Korb – diesmal gefüllt mit Katzenutensilien, auf das Hundehäuschen in Eddies Armen.

    Barny hatte Mühe, seinen Partner hinter der kunstvoll aufgetürmten Pyramide zu erkennen, während Klara ihren Bruder energisch in Richtung Haustür schob.

    »Und jetzt verschwindet, ihr drei«, schniefte sie mit besorgniserregend undeutlicher Stimme. »Ich habe noch eine Menge zu erledigen. Und vom Herauszögern wird der Abschied auch nicht leichter. In zwei Stunden geht meine Bahn, sei also rechtzeitig wieder hier.«

    Barny beeilte sich, vor Eddie zur Haustür zu laufen, da er befürchtete, dass Klara gleich noch einmal in Tränen ausbrechen könnte. Doch diesmal hatte sie sich besser im Griff. Erst als das ganze Gepäck verstaut war, Barny und Craddock sich gemeinsam in die Transportbox gequetscht hatten, und Eddie mit quietschenden Reifen beinahe fluchtartig die Danziger Straße hinunterfuhr, konnte Barny durch die Heckscheibe sehen, dass das riesige Taschentuch ein weiteres Mal im Einsatz war.

    Sie waren kaum in der Fritz-Häuser-Straße angekommen, als Eddie fluchend auf die Bremse trat. Craddock rutschte unsanft gegen Barnys Flanke und gab einen entsetzten Quieker von sich.

    »Was zum Teufel soll das denn jetzt?«, knurrte Eddie erbost.

    Barny reckte den Hals, um zu sehen, was in ihrer Straße vor sich ging. Direkt hinter der Kurve zur Fritz-Häuser-Straße hatte ein alter VW-Bus ziemlich großzügig vor ihrem Nachbarhaus geparkt. Sämtliche Türen mitsamt Heckklappe standen weit geöffnet, während aus seinem Inneren Dylans inbrünstiges Knockinon Heaven’s Door die ganze Nachbarschaft beschallte.

    Eddie musste über den Gehweg fahren, um an dem beigen Bulli mit den grünweißblau karierten Vorhängen vorbeizukommen. Immer noch fluchend stellte er den Wagen vor ihrem Haus ab. Seine Laune sank weiter in den Keller, als er bemerkte, dass er offensichtlich schon sehnsüchtig von ihrer Vermieterin Frau Herzig erwartet wurde.

    »Das hat jetzt gerade noch gefehlt«, stöhnte Eddie abgrundtief. Er warf einen strengen Blick nach hinten. »Dass du dich bloß anständig benimmst, Craddock! Kein Kläffen, kein Anspringen, sonst bekommen wir Ärger!«

    »Warum ist Onkel Eddie so böse?«, flüsterte der Mops mit bebender Stimme. »Was hab ich denn angestellt?«

    Barny seufzte. »Du hast nichts angestellt und Eddie ist auch nicht böse. Wir müssen nur sichergehen, dass die Herzig dich in ihrem Haus duldet. Sie hat es nicht so mit Tieren. Ich geh in Ordnung, weil ich ein Schäferhund und Polizeihund bin, der auf sie und ihr Haus aufpassen kann. Aber bei dir ist Eddie eben lieber mal vorsichtig.«

    »Aber ich kann doch auch auf sie und ihr Haus aufpassen«, quiekte Craddock nun wieder euphorisch, während er sich aufstellte, um die betagte Dame, die vor dem Hauseingang stand und aufgeregt mit ihrem Stock wedelte, besser betrachten zu können. »Ich werde es ihr beweisen. Und dann merkt sie ganz schnell, dass ich auch ein Polizeihund bin, die arme, ängstliche alte Frau! Sie ist ja so klein und hilflos, die Gute. Sie wird sich freuen, dass sie nun zwei starke Aufpasser hat.«

    Bevor Barny dem Mops erklären konnte, dass Frau Herzig alles Mögliche, aber ganz bestimmt weder hilflos noch ängstlich war, öffnete Eddie die Transportbox. Barny sprang mit einem eleganten Satz hinaus, während sein Partner den aufgeregt zappelnden Mops ins Freie setzte.

    Erstaunlicherweise schien sich Craddock beim Herannahen der Nachbarin an Eddies Warnung zu erinnern. Brav setzte er sich auf sein pralles Hinterteil und blickte mit seelenvollen Augen zu Frau Herzig hoch – die nichts davon mitbekam.

    »Das wird jetzt aber auch Zeit, dass Sie kommen und endlich für Ordnung sorgen, Herr Polizeihauptkommissar!«, trompete sie ihnen zu.

    An ihrer Lautstärke konnte Barny erkennen, dass die Batterien ihrer Hörgeräte wohl schon seit einiger Zeit ihren Geist aufgegeben hatten.

    »Hier geht es zu wie bei den Hottentotten! Sie müssen etwas dagegen unternehmen! Sodom und Gomorrha, sag ich Ihnen, Sodom und Gomorrha!«

    Wütend schwenkte sie ihren Stock in Richtung Bulli, in dem Bob Dylan noch immer ebenso lautstark wie vergebens an die Himmelspforte klopfte.

    »Was ist denn Schreckliches passiert, dass Sie so außer sich sind?«, erkundigte sich Eddie mit höflicher Resignation. »Sie wissen doch, das tut Ihnen gar nicht gut, sich so aufzuregen.«

    »Natürlich tut mir das nicht gut«, blökte Frau Herzig erbost zurück. »Aber diese asoziale Bande bringt mich noch ins Grab. Es wird immer schlimmer mit denen! Und jetzt haben die sich auch noch Verstärkung geholt.« Sie schlurfte auf Eddie zu und klopfte mit dem Griff ihres Stockes gegen seine Brust. »Ich habe Ihnen neulich doch erzählt, dass der Kerl jetzt endgültig abgehauen ist und seine Schlampe mit all seinen Bastarden sitzengelassen hat.«

    »Es geht also wieder einmal um die Nachbarn«, stöhnte Eddie und rieb sich die Schläfen.

    Barny beobachtete seinen Partner besorgt. So wie Eddie aussah, musste er rasende Kopfschmerzen haben. Er bekam ganz sicher diese miese Sommergrippe. Das Letzte, was er da noch brauchte, war der Ärger wegen der kleinlichen Nachbarschaftsstreitereien ihrer Vermieterin.

    Seit die junge Familie vor einem Jahr ins Nachbarhaus eingezogen war, ließ Frau Herzig kein gutes Haar an den Leuten. Ständig hatte sie etwas an ihnen herumzunörgeln. Und Eddie war natürlich der Erste, zu dem sie mit ihren Klagen kam.

    »Ich hatte schon gehofft, dass die jetzt dann endlich wieder von hier verschwinden. Eine alleinstehende Frau mit vier vaterlosen Gören kann sich doch so ein Haus gar nicht leisten … aber von wegen!« Frau Herzig warf einen giftigen Blick auf den alten Bus. »Statt dass die ausziehen, zieht jetzt noch so eine von denen ein! Stellen Sie sich das mal vor! Noch so ein Weibsbild! Und was für eins! Ist nicht mehr die Jüngste, aber kommt daher mit ihren aufreizenden Hippie-Kleidern und – ohne Schuhe! Das müssen Sie sich mal vorstellen! Und als ich ihr erklärt habe, dass das hier eine anständige Straße ist, hat sie nur gelacht und gesagt, das will sie doch hoffen! Aber der habe ich es gegeben!«

    Frau Herzig kam jetzt sichtlich in Fahrt und Barny schwante Schlimmes.

    »Ich habe der gleich erzählt, dass wir einen richtigen Polizeihauptkommissar in der Straße haben, der hier für Ordnung sorgt. Und dass sie nicht einmal daran zu denken braucht, hier irgendwelche krummen Drogengeschäfte zu machen, weil wir nämlich auch einen echten Polizeihund haben, der das sofort riechen kann! Ha! Da hat die aber geguckt.« Energisch nickte sie Eddie zu, der sie ungläubig anstarrte. »Ich gehe dann mal wieder rein. Diese grässliche Hitze und dann noch die Aufregung, das tut einer alten Frau gar nicht gut! Und jetzt wissen Sie ja Bescheid!«

    Fassungslos blickte Eddie der schmächtigen Gestalt hinterher, die nun schimpfend im Haus verschwand. Dann wandte er sich mit erschöpfter Miene ab und begann damit, Craddocks Habseligkeiten auszuladen. Er war eben dabei, das himmelblaue Hundehäuschen von der Rückbank zu zerren, als eine fremde und offensichtlich ziemlich aufgebrachte Frau über den Gehweg auf sie zugestürmt kam. Barny gab ein warnendes Knurren von sich, bei dem Craddock erschrocken aufjaulte. Natürlich reagierte Eddie sofort. Er drehte sich mit dem Hundehaus im Arm um und betrachtete die schlanke Gestalt, die sich rasch näherte, prüfend. Sie trug eine ausgefranste, auf Shortlänge abgeschnittene Jeans, ein weites, buntes Top und – keine Schuhe.

    Barny, der sich sicherheitshalber schützend neben seinem Partner aufbaute, besah sich die zierliche Fremde, die ganz offensichtlich der Grund für Frau Herzigs Ärger war, etwas näher. Er schätzte sie auf Ende fünfzig. Sie trug die dunkelbraunen Haare als Pagenkopffrisur und bewegte sich ausgesprochen energisch.

    Wenn sie nicht so wütend auf seinen Partner zugelaufen wäre, hätte er die Frau als harmlos eingestuft. Sie hatte einen guten Geruch und eine angenehme Ausstrahlung. Und obwohl sie ziemlich sportlich und fit wirkte, stellte sie sicher keine Bedrohung für Eddie dar. Sie reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. Dennoch wich Eddie einen halben Schritt zurück, als sie sich mit funkelnden Augen vor ihm aufbaute. Also gab Barny pflichtschuldig noch ein weiteres, warnendes Knurren von sich.

    Der Blick der Frau schwenkte zu Barny und wurde etwas weicher. »Keine Angst, mein Junge, ich habe nicht vor, deinen Partner zu beißen.« Verdutzt sah Barny, dass ihm die Fremde nicht nur furchtlos, sondern auch noch ziemlich erheitert zublinzelte. Für eine so zierliche Person hatte sie eine erstaunlich dunkle Stimme. Er konnte sich gerade noch beherrschen, um ihr nicht freundlich zuzuwedeln.

    Craddock hatte da jedoch keine Hemmungen. Fröhlich sprang er an der Frau in die Höhe und veranstaltete sein übliches Begrüßungsgetöse, was die Fremde nicht im Geringsten aus der Ruhe brachte. Sie strich dem begeisterten Mops kurz über den runden Schädel und wandte sich dann erneut Eddie zu, der noch immer mit der himmelblauen Hundehöhle im Arm dastand und sie anstarrte.

    »Sie sind also dieser Bulle, der sich anmaßt, seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angehen!«, fauchte sie ihn an und sah nun überhaupt nicht mehr erheitert aus.

    Eddie reagierte noch immer nicht, was Barny so beunruhigte, dass er nicht einmal mehr knurrte. Diese Sommergrippe, die sein Partner da ausbrütete, schien ihn ganz schön mitzunehmen. Bestimmt hatte er sogar erhöhte Temperatur, so rot, wie sich seine Ohren nun färbten.

    »Dann will ich Ihnen mal was sagen«, fuhr die Fremde unbeirrt fort. »Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter und meine Enkel von Ihnen, dieser grässlichen alten Frau oder von wem auch immer schikaniert werden! Jetzt bin ich hier und kümmere mich um sie. Und wenn sich jemand mit uns anlegen will, wissen wir uns zu wehren. Ich lasse mich nicht so leicht einschüchtern, egal mit welcher Bullenmasche Sie uns kommen, weil wir nämlich anständige Leute sind, die sich nichts zuschulden kommen lassen, auch wenn wir keine solchen Spießer sind wie Sie! Haben Sie mich verstanden?«

    Sie sah Eddie genauso erwartungsvoll an, wie Barny es tat, doch von seinem Partner kam noch immer keine Reaktion. Er stand nur da und hielt das Hundehäuschen wie einen Schutzschild vor seine Brust. Jetzt war Barny richtig besorgt. Normalerweise machte sein Partner mit Leuten, die ihn so angingen, kurzen Prozess.

    Ungeduldig stemmte die Frau die Hände in die Hüften. »Was? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, schnauzte sie den zur Salzsäule erstarrten Ex-Polizisten unwillig an.

    Endlich kam etwas Leben in Eddies lange Gestalt. Er drückte den Hundekorb noch fester gegen seine Brust.

    »Ich, äh … habe nie … ich meine, ich habe keine Bullenmasche«, stammelte er und Barny gab einen abgrundtiefen Seufzer von sich. Langsam wurde das Ganze hier richtig peinlich. Was war nur in seinen Partner gefahren?

    Die Frau musterte Eddie aus schmalen Augen. Ihre Miene entspannte sich dabei deutlich. Sie nickte nachdenklich. »Gut. Dann verstehen wir uns also!« Ihr Blick fiel auf das Hundehäuschen.

    »Netter Farbton übrigens«, grinste sie plötzlich und Eddies Ohren färbten sich noch einen Ton dunkler.

    Sie wandte sich ab, um zu ihrem Bus zu laufen, aus dem inzwischen Mr. Tambourine Man heraus dröhnte, als sie sich noch einmal zu Eddie umdrehte. »Mein Name ist übrigens Molenbeck. Ellen Molenbeck«. Sie zwinkerte erheitert. »Sie dürfen mich Ellen nennen. Auf eine gute Nachbarschaft dann.«

    Ellen Molenbeck war schon längst wieder im Nachbarhaus verschwunden, als Eddie aus seinem katatonischen Zustand erwachte. Und das auch nur, weil Barny ihn vorsichtig mit der Nase anstieß.

    »Was?« Eddie zuckte zusammen und starrte mit glasigen Augen auf die Hundehöhle in seinen Händen. »Auspacken, genau«, murmelte er vor sich hin. »Der Mops … Klara … – verdammt, ich muss sie ja gleich noch zum Bahnhof bringen.« Sein Blick fiel auf Barny und Craddock, die ihn aufmerksam beobachteten. Er nickte ihnen zu. »Los jetzt, wir haben nicht ewig Zeit, um diesen ganzen Krempel bei uns unterzubringen.«

    Während Craddock wie ein beiger Gummiball euphorisch vor Eddie ins Haus hüpfte, blieb Barny hinter seinem Partner, um ihn besser im Auge behalten zu können. Er verwettete sein geliebtes Samstagabend-Steak darauf, dass Eddie in spätestens zwei Tagen diesem bösartigen Infekt erlag. So fahrig und zerstreut hatte er ihn noch nie erlebt.

    Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Auto ausgeladen war. Im Haus konnte Eddie sich dann nicht entscheiden, wo er das Hundehäuschen platzieren sollte, und ständig unterbrach er seine Arbeit, um zur Terrassentür zu laufen und in den Garten zu starren.

    Barny nahm sich fest vor, seinen Partner auf jeden Fall daran zu hindern, am nächsten Tag seine obligatorische morgendliche Fünf-Uhr-Früh-Rennrunde zu absolvieren. In diesem Zustand musste sich Eddie unbedingt etwas schonen. Er war schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Und bei dieser Hitze konnte es nicht gesund sein, sich die Seele aus dem Leib zu rennen.

    Als Eddie eine gute Stunde später aufbrach, um Klara zum Bahnhof zu bringen, war Barny ziemlich dankbar dafür, dass er ihn und den Mops nicht mitnahm. Eddie hatte die Terrassentür offengelassen und Barny wollte sich für eine Weile unter die Hecke zurückziehen, wo er sich eine tiefe und angenehm kühle Mulde gegraben hatte. Die Hitze machte ihm ziemlich zu schaffen und die letzten beiden Stunden hatten gehörig an seinen Nerven gezehrt. Es verunsicherte ihn, seinen Partner in einem so desolaten Zustand zu sehen. Und Craddocks ermüdende Begeisterung gab ihm den Rest.

    Der Mops, dem die Hitze erstaunlich wenig auszumachen schien, hatte sich damit vergnügt, seine unzähligen Spielsachen aus den Taschen zu zerren, die Eddie in eine Zimmerecke gestellt und dort vergessen hatte. Voller Begeisterung hatte er sie dann an – seiner Meinung nach – strategisch günstigen Plätzen verteilt.

    Wohin Barny auch sah, überall lagen nun bunte Strick- und Häkeltiere im Raum herum. Das hässliche Hundehäuschen erschwerte den Weg in den Garten und zu allem Übel hatte sich Craddock nach getaner Arbeit auch noch völlig erschöpft in Barnys Lieblingsecke auf der Couch zusammengerollt. Er war sofort eingeschlafen und schnarchte nun lauter als Frau Herzig.

    Vier Wochen, sinnierte Barny trübselig, während er in den Garten schlich, um den Mops ja nicht wieder aufzuwecken. Er hatte ganz gewiss keine Lust, auch noch seine Hecke mit der kleinen Nervensäge zu teilen.

    »Na, was hat dir denn so die Stimmung verhagelt, Bullenschnüffler?«, erklang eine samtige Stimme über ihm aus dem Geäst der alten Schwarzkiefer. »Lass mich raten! Mein kleiner, unterbelichteter Mitbewohner ist mal wieder zur Höchstform aufgelaufen.«

    Mit einem eleganten Sprung landete eine schlanke, graublaue Gestalt direkt vor Barny im Gras. Barny fühlte sich so erschöpft, dass er sich nicht einmal darüber ärgerte, dass er Dollys Anwesenheit nicht bemerkt hatte. Seit Klaras Katze regelmäßig in seinem Garten auftauchte, hing ihr Geruch hier ständig in der Luft. Und eins musste er ihr lassen. Sie war definitiv eine absolute Meisterin im Anschleichen.

    »Er ist gerade mal vor zwei Stunden bei uns eingezogen«, stöhnte Barny resigniert. »Und ich erkenne unsere Wohnung jetzt schon nicht wieder.«

    Dolly lachte nicht ohne Mitgefühl. »Du musst dich irgendwie daran gewöhnen und dir ein noch dickeres Fell wachsen lassen. Anders kommt man diesem chaotischen Dussel nicht bei, glaub mir. Wie kommt dein Mensch damit klar?«

    »Keine Ahnung.« Barny zog unwillig die Lefzen hoch. »Mit Eddie stimmt was nicht. Er hat Moppel einfach machen lassen, was ihm gar nicht ähnlich sieht. Ihm geht’s ziemlich dreckig. Diese verdammte Grippe.«

    »Jetzt mach dir mal nicht ins Fell«, gurrte Dolly spöttisch. »Das wird schon wieder. So ein kleiner Infekt bringt den nicht um. Und immerhin hast du dann selbst ein bisschen Ruhe und musst nicht die ganze Zeit hinter ihm herhetzen.«

    »Ruhe?«, knurrte Barny. »Mit Moppel im Haus?«

    »Stimmt auch wieder«, amüsierte sich Dolly. Sie horchte auf, als Eddies Auto vor dem Haus zu hören war, und kletterte blitzschnell die Kiefer empor. Noch bevor Barny seinen Partner begrüßen konnte, hatte sie wieder ihren versteckten Wachposten im Geäst eingenommen.

    Eddie, der durch den Garten ins Haus gekommen war, ließ seinen Blick über die herumliegenden Spielsachen zum noch immer seelenruhig schnarchenden Mops auf der Couch wandern. Mit dem Anflug seines vertrauten Grinsens sah er auf Barny hinab. »Da haben wir ja einen wahrhaft beeindruckenden Wachhund dazubekommen, was, mein Junge?«

    Barny wedelte erleichtert mit der Rute. Eddies Stimmung schien sich gebessert zu haben, während er seine Schwester zum Bahnhof gebracht hatte.

    »Und? Ist hier inzwischen was Interessantes passiert?«, erkundigte sich sein Partner und starrte hinüber in den Garten des Nachbarhauses. Hier standen ebenfalls alle Fenster und Türen weit offen und aus dem Inneren erklang nun nicht nur das bereits vertraute Kindergeschrei, sondern auch noch sphärische Musik.

    Eddie lauschte kurz und strich sich dann fahrig mit beiden Händen über die kurzgeschnittenen Haare. »Okay, jetzt wurde Bob Dylan also gegen Loreena McKennitt ausgetauscht.«

    Beunruhigt spürte Barny, dass sein Partner schon wieder in diesen seltsam abwesenden Gemütszustand verfiel.

    Er war ziemlich erleichtert, als die grelle Polizeisirene von Eddies Handy ertönte und ihn wirkungsvoll aus seiner Starre riss. Sogar Craddock wurde durch das durchdringende Geräusch aus dem Schlaf geholt. Mit einem schrillen Entsetzensschrei fuhr der Mops in die Höhe.

    »Heinz, was gibt’s?«, meldete sich Eddie.

    Als Barny sah, wie sich die Miene seines Partners verfinsterte, spitzte er die Ohren, um zu hören, was der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung so Unangenehmes zu berichten hatte. Natürlich hatte er die Stimme sofort erkannt. Sie gehörte zu Eddies langjährigem Freund und Kollegen, Kriminalhauptkommissar a. D. Heinz Eiblinger, der nur einen guten Kilometer entfernt im Seehofweg lebte. Und wie immer, wenn Barny diese Stimme hörte, beschleunigte sich sein Herzschlag und er war nahe daran zu hyperventilieren.

    »…  am besten gleich kommen! Dann erzähle ich dir alles genau«, ertönte es aus dem Handy. »Wir müssen etwas tun und ich brauche deinen Rat, alter Freund.«

    »Ich bin

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1