Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1: Wer braucht schon einen Dschinn
Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1: Wer braucht schon einen Dschinn
Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1: Wer braucht schon einen Dschinn
eBook544 Seiten7 Stunden

Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1: Wer braucht schon einen Dschinn

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

D ie schöne Scheherezade hat nicht nur dem Sultan den Kopf verdreht. Ihre Geschichten haben auch einen bleibenden Platz in der europäischen Märchenwelt gefunden.
Unsere Autoren haben natürlich eine eigene Meinung dazu. Was, wenn der Dschinn ein Alien ist? Oder Ali Baba als Tellerwäscher sein Glück finden muss? Kann Scheherezade nach Europa geflüchtet sein und der Sultan mit Anzug und Aktentasche spazierengehen? Bekommt Sindbad ein Interview mit der "Times of India", und landet die Wunderlampe mangels Verwertbarkeit am Ende sogar noch auf dem Schrott?
Lassen Sie sich überraschen! So viel kann ich Ihnen verraten – nicht alle modernen Märchen enden glücklich, aber in einigen bekommt die Prinzessin am Ende doch ihren Prinzen.
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum10. Okt. 2019
ISBN9783959591140
Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1: Wer braucht schon einen Dschinn

Mehr von Mira Lindorm lesen

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Märchen aus 1001 Nacht Update 1.1 - Mira Lindorm

    Nacht)

    Sheherezade

    Mira Lindorm

    Es heißt in den Büchern, ich habe um mein Leben geredet. Wie wahrscheinlich ist das? Glauben Sie das wirklich? Ich meine, überlegen Sie doch mal!

    Da ist der Sultan, ein Mann in der Blüte seines Lebens, der, genervt und angeödet von den intriganten Regierungsgeschäften, des Abends in seinen Harem geht und unter den hundertachtundvierzig Frauen – mehr waren wir nie – diejenige aussucht, die ihm ein wenig Entspannung bringen soll. Hätte Achmed tatsächlich jeden Abend einer seiner Frauen getötet, wäre ihm rasch die Quelle seines Vergnügens ausgegangen. Und hätte ich tatsächlich eine Nacht nach der anderen hindurch ständig reden müssen, wäre mir bereits in der zweiten Nacht die Stimme weggeblieben. Außerdem hätten die Geschichten, ich meine die in dem Buch, niemals für tausend Nächte gereicht. Nicht einmal für die Hälfte.

    Aber zum Glück gibt es andere Dinge an mir, die der Sultan schätzte außer meiner Stimme. Uman hatte mich vor meiner Heirat darin geschult, wie man einem Mann Entspannung schenkt, ohne seine Stimme erheben zu müssen. Massagen waren es, schlicht und einfach Massagen, die der Sultan von mir wollte. Die hatten zudem den Vorteil, dass ich mir nicht ständig etwas Neues ausdenken musste. Im Gegenteil, Achmed bestand darauf, dass seine Massagen immer in der gleichen, ihm behagenden Art durchgeführt werden sollten.

    Der wusste schon, warum.

    Am Ende meiner Massagen war meist seine Müdigkeit wie fortgeblasen, und er fühlte sich fit für eine Runde zwischen den Kissen.

    Ich weiß ja nicht, wie andere Männer so sind, leider bekommen wir im Harem keine Möglichkeit eines Vergleichs. Aber danach, wie die Eunuchen sich lobend über die Ausdauer und Technik unseres Herrn äußerten, war er zumindest nicht schlecht.

    Und so bekam nicht nur Achmed seine Entspannung, sondern auch ich.

    Glauben Sie mir, das haben wir weitaus länger als nur tausendundeine Nacht durchgehalten!

    Wie es dann zu diesem Buch kam, wollen Sie wissen? Propaganda. Reine Propaganda. Achmed musste als finsterer, mächtiger Herrscher gelten, mit dem nicht gut Kirschen essen war, wenn er seine Herausforderer und Verwandten von weiteren Mordversuchen abbringen wollte. Zu so einem Mann passt es einfach nicht, dass er sich Massagen auf weichen Kissen wünscht. Also haben wir einen Leibchronisten für ihn angeheuert, der ihn bösartiger gemacht hat, tödlicher, und die entsprechenden Geschichten bei jeder Gelegenheit unter's Volk gebracht hat. Es konnte ja niemand von uns ahnen, dass diese Propaganda einmal ein Märchenbuch werden würde, sonst hätten wir uns mehr Mühe mit den Geschichten gegeben. Ich wäre dann tausendmal schöner und verführerischer, Achmed tausendmal bösartiger, der Dschinn tausendmal schlauer, und den dummen Aladdin und seine Räuberbande hätten wir durch einen ausgewachsenen Krieg gegen einen mächtigen Gegner ersetzt, den wir natürlich gewonnen hätten.

    Nun ja, wir wussten es nicht, der Chronist blieb bei seinen Kinder-Erschreck-Stories, und das Buch ist so geworden, wie Sie es heute kennen: Märchen aus 1001 Nacht.

    Der Fischer und die Peri

    Elea Brandt

    Wie ein willkommener Gast kam der Abend über die Gassen von Zarbahan. Das orangerote Licht der untergehenden Sonne brach sich in den Kuppeln des Palastes und tauchte den Basar in angenehme Schatten, die beim Zusehen an Länge gewannen. Kühle Luft vertrieb die schwüle Hitze des Tages, legte sich wie ein Schleier auf die Haut und nahm die Gerüche und Düfte der Gewürzstände und Teestuben mit sich, um sie bis in die entlegensten Viertel der Stadt zu tragen.

    Die Stimmen der Marktschreier verstummten nach und nach, Händler zählten ihre Einnahmen und die Klappen vor den Ladenbuchten wurden fest verriegelt, um Langfinger abzuschrecken. Die Stadt schien kleiner zu werden, ruhiger. Es blieb Zeit für die wichtigen Dinge des Lebens. Jene, die erst an Bedeutung gewannen, wenn das Tagewerk vollbracht war.

    Genau diese Dinge hatten mich aus den schützenden Mauern hervorgelockt, hinaus auf die Straßen, dorthin, wo es nach Freiheit und Abenteuer schmeckte. Möge der ehrenwerte Schah seiner störrischen Tochter vergeben – er hasst es, wenn ich heimlich verschwinde.

    Auch an diesem Abend hatten sich Dutzende Menschen auf dem zentralen Platz vor dem zweigeteilten Tempel versammelt. Dort saß ein alter Mann, das Gesicht zerfurcht wie trockener Lehmboden. Wenn er lächelte, lächelte jede Falte seines Gesichts, jede Strähne seines grauen Barts schien dabei zu erbeben und seine dichten, struppigen Augenbrauen tanzten. Manche Menschen sagten, er sei so alt wie die Stadt selbst, sei gebunden an ihr Schicksal und würde erst vergehen, wenn Zarbahans Mauern fielen. Viele glaubten es. Ich glaubte es auch.

    Mit lauter, freundlicher Stimme winkte der Alte die Kinder heran, bat sie, direkt an seiner Seite Platz zu nehmen, während wir Älteren ihn stehend umringten, um ja nichts zu verpassen. Der alte Mann duftete nach Sand und Myrrhe und seine Worte weckten mit Leichtigkeit Bilder, Gefühle und Erinnerungen. Er nannte nie einen Namen, er brauchte keinen Namen. Er war einfach da, wie die Mauern der Stadt, wie der sprudelnde Nisad, der uns nährte, und wie die Rote Wüste, deren Dünen Zarbahan umhüllten.

    Erwartungsvolle Augen musterten den alten Mann, während er genüsslich an seiner Wasserpfeife zog und aromatisch duftende Ringe in die Luft blies. Als Kind war ich überzeugt gewesen, in den Schwaden etwas zu erblicken. Eine Gestalt, ein Ungeheuer gar, etwas, das den Worten des alten Mannes folgte. Man mochte es kindliche Schwärmereien nennen, doch wer die Macht der Magie kannte – so wie ich – der ahnte, dass mehr dahinterstecken mochte als pure Fantasie.

    „Mädchen und Knaben, rief der Mann in die Runde, und obwohl ich so lange Zeit nicht mehr hier gewesen war, kannte ich noch immer jedes Wort seiner Einleitung, „Junge und Alte! Geschichten sind wie wir Menschen. Sie sind einzigartig und besonders, ergreifen und bewegen uns. Sie sind gut oder böse, grausig oder zärtlich, erfrischend oder bedrohlich. Und sie werden erst dann für immer vergehen, wenn die Menschen aufhören, sich an sie zu erinnern. Er sah sich mit bedeutungsschwerem Blick in der Runde seiner Zuhörer um. „Werdet ihr euch erinnern, Mädchen und Knaben?"

    Eifriges Nicken zog sich durch die Reihen der Kinder, ein gedehntes „Jaaaaa" antwortete im Chor. Niemals habe ich eine seiner Geschichten vergessen. Auch jene nicht, die er an diesem Abend zum Besten gab.

    „Habe ich euch schon einmal von Takim erzählt? Nein?

    Dann will ich es heute tun.

    Takim war ein stattlicher junger Mann mit tiefen schwarzen Augen, verheißungsvoll wie die Nacht, und einem Lachen, das alle Menschen in seiner Umgebung dazu brachte, mit ihm zu lachen, ganz gleich, wie schwer ihr Tagewerk gewesen sein mochte. Und das, obwohl auch Takim nie vom süßen, leichten Leben gekostet hatte, sondern harte Arbeit und Entbehrung allzu gut kannte. Früh hatte er seine Eltern an ein Fieber verloren und musste schon als Knabe lernen, sein täglich Brot mit seiner eigenen Hände Arbeit zu verdienen.

    Dies gelang ihm mehr schlecht als recht, denn obgleich Takim ein fleißiger Bursche war, war ihm das Glück selten hold. Und Glück braucht man, wenn man das Leben mit jener Leichtigkeit zu meistern versucht, die Takims Schritte lenkte. Fleiß erkauft euch vielleicht einen teuren Ring, doch nur mit Glück könnt ihr ihn der Person an den Finger stecken, für die euer Herz schlägt.

    Die Liebe meinte es übrigens auch nicht gut mit Takim. Es gab zahlreiche Mädchen, für die er schwärmte, doch einem armen Fischer wie ihm schenkten die Schönen ihrerseits kaum Beachtung.

    Unermüdlich fuhr Takim jeden Tag mit seinem kleinen Nachen den Nisad entlang und warf seine Netze nach Muscheln aus, die er auf dem Basar für einen Hungerlohn verkaufte, während seine Kleider nach Schweiß und Flusswasser stanken.

    Ob er sich jemals beklagt hatte?

    Nun, er haderte oft mit sich und der Welt, wie so viele Menschen es tun, doch seine Arbeit aufzugeben, sich Dattelwein und Rauchkraut hinzugeben oder gar seinen Lebensunterhalt mit Diebereien zu bestreiten, das kam dem eifrigen Burschen nie in den Sinn. Einmal in jedem Mond jedoch ging er in den Tempel hinauf und hinterließ ein Opfer für den streitsüchtigen Brâl und die gütige Nisad, auf dass sie ihm ein Quäntchen Glück im Leben schenken wollten. Sieben mal sieben Opfer brachte Takim dar, ohne dass sein Leben eine Besserung erfahren hatte. Doch dann, eines Tages, geschah etwas, das der arme Fischer niemals wieder vergessen würde."

    Der alte Mann vollführte eine bedeutungsvolle Pause und zog genüsslich an seiner Wasserpfeife. Es war so still in den Reihen der Zuhörer geworden, dass das sanfte Blubbern selbst in den hinteren Reihen zu hören war, in denen ich stand.

    „Weiter!, forderte ein kleines Mädchen in der ersten Reihe und wippte unruhig auf und ab. „Erzählt weiter! Was ist dann passiert? Hatte Takim doch noch Glück?

    Der Alte lächelte und stieß eine duftende Rauchwolke aus. Ich schwöre, bei Brâl und Nisad und allen Dschinnen der Roten Wüste, ich sah es ganz deutlich. Ein Gesicht bildete sich im Qualm, fröhlich lachend. Es zwinkerte mir zu – und war im nächsten Moment mit dem Wind dahin. Mein Blick huschte zu den Umstehenden, ob außer mir noch jemand das Bild gesehen haben mochte, doch alle Augen richteten sich auf den alten Mann.

    Er nickte dem Mädchen zu, das ihn gefragt hatte. „Weißt du, mein Kind, das Glück geht bisweilen verschlungene Pfade. Auch unser Takim musste das begreifen. So höret, was weiterhin geschah."

    „Es war ein heißer Tag im Mond der Feige. Die glühende Sonne brannte erbarmungslos auf Takims Schultern und selbst die Gischt des Nisad vermochte die Hitze kaum zu lindern. Lustlos holte Takim die Schleppnetze ein und begutachtete seine karge Ausbeute: Sand, Schmutz, in den Fluss geworfener Unrat und darunter die eine oder andere Muschel. Zu wenig, um auch nur die Kosten für Teer und Hanf zu decken, die er regelmäßig brauchte, um die Risse im Boot abzudichten und die Netze zu flicken.

    Sehnsüchtig blickte er hinüber zu dem großen Kahn, der in der Mitte des Flusses an ihm vorüberzog und ein riesiges Netz hinter sich her zog. Kein Wunder, dass er nichts fing, wenn ihm die anderen jeden Fang streitig machten.Die Wellen ließen seinen Nachen schaukeln und er drehte resigniert eine der wenigen Muscheln in seinen Fingern. Hatten die Götter ihn verlassen? War das der Lohn für all die Jahre der Frömmigkeit und des Fleißes, dass er an seiner ehrlichen Arbeit zu Grunde ginge?

    Takim war ein bescheidener Junge, und doch gab es drei Dinge, nach denen sich sein Herz mehr als alles andere verzehrte. Jene Dinge, die sich jeder aufrechte Mensch ersehnt, wenn er jugendlichen Eifer in der Seele trägt: Reichtum, Anerkennung und das Herz eines Mädchens. Doch Takim zweifelte, dass ihm auch nur einer dieser Wünsche jemals erfüllt würde.

    Lustlos warf er erneut seine Netze aus und sah zu, wie das Licht auf den Wellen tanzte. Schon oft hatte Takim den bläulichen Schleier gesehen, der über den Wassern liegt, der Hauch der Magie, der die ganze Welt umspannt und durchdringt. An diesem Tag allerdings erschien er ihm stärker als je zuvor. Zögerlich streckte er die Finger aus, doch sie griffen ins Leere, spürten nichts als das schäumende Wasser des Nisad.

    Enttäuscht lehnte sich Takim in seinem Boot zurück und ließ den Blick schweifen. Während sich am rechten Flussufer der Hafen Zarbahans erstreckte, drängten sich am linken Flussufer die zahlreichen Pfahlbauten der Peri, die seit jeher das Ufer des Nisad bevölkern. Takim hatte noch nie ein Wort mit ihnen gewechselt, obgleich er sein Boot jeden Tag an ihren Behausungen vorbeisteuerte. Wie jeder Zarbahanier mied er das Volk der Dschinnengeborenen im Wissen, dass sie Unglück brächten, wenngleich er nicht verhehlen konnte, dass sie seine Neugier weckten.

    Fremdartig erschienen sie ihm, jene Gestalten mit den kahlgeschorenen, bunt bemalten Köpfen, die nur anhand ihrer Körper als Mann oder Frau zu erkennen waren. Sie alle trugen dieselben farbenfrohen Kleider, denselben Schmuck aus buntem Glas und Perlmutt, und ihre Gesichter strahlten eine fremdartige Anmut und Schönheit aus, die Takim gleichermaßen faszinierte wie ängstigte.

    Über die Dschinnenkinder hatte er nie etwas Gutes gehört. Verschlagen sollten sie sein, tückisch, wie die Dschinne selbst, stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Kein Teil der menschlichen Welt, vielmehr ein Relikt vergangener Tage, das seinen Platz im Dasein verloren hatte, wie ein alter Schlüssel, für den es lange schon kein Schloss mehr gibt.

    Nun, aber zurück zu Takim. Mit der Stake umschiffte er gerade die Felsen entlang des Ufers, damit sein Boot keinen Schaden nahm, als sein Blick unerwartet auf eine Peri fiel, die leise summend über die Steine balancierte. Konzentriert blickte sie auf ihre nackten Füße, ihr Körper umweht von farbenfrohem Leinen, das sich wie ein Band um ihren schlanken Körper wand. Ihr Gesicht schien ein Kunstwerk, und obgleich sich Takim dagegen sperrte, er konnte nicht anders, als sie unentwegt anzusehen.

    Es war ihm, als blicke er in das Antlitz der göttlichen Nisad höchstselbst, wunderschön und makellos. Ihre Haut unter der bunten Bemalung war viel heller als die seine, als wage die Sonne nicht, etwas derart Reines zu verbrennen, und der Schwung ihrer Lippen, der Verlauf ihrer Wangenknochen, jeder Zug ihres Gesichtes schien von Meisterhand geschaffen.

    Takims Boot glitt lautlos vorüber, doch sein Blick folgte ihr. Eine Melodie summend setzte sie einen Fuß vor den anderen, hielt mit ausgestreckten Armen das Gleichgewicht, mühelos, wie ein Vogel auf einem schmalen Dachsims. Takim vermochte es nicht, die Augen von ihr zu lassen. Er griff gerade nach der Stake, um weiter den Fluss hinunterzufahren, da hob das Peri-Mädchen den Kopf.

    Ihre Blicke trafen sich, und Takim hatte seiner Lebtage lang noch nie etwas so Atemberaubendes gesehen wie das blaue Funkeln ihrer Augen. Fast erschien es ihm, als erblicke er die reine Magie in ihren Augen. Da verstummte das Summen des Mädchens abrupt. Eine jähe Welle erfasste Takims Boot, schwappte über die Felsen und zugleich über die Füße der Peri und riss das Mädchen beiseite. Ihr glockenheller Schrei verhallte in Takims Kopf. Starr vor Schreck stand er da. Sah das Mädchen stürzen. Sah sie in die Fluten fallen. Sah, wie ihr zarter Körper zwischen den Wogen verschwand.Die Bugwelle verebbte, das Muschelschiff, das den Nisad teilte, fuhr an Takim vorüber. Die Peri blieb verschwunden, verschluckt vom schäumenden Nisad."

    Erneut folgte atemlose Stille, als der alte Mann seine Erzählung ruhen ließ, um einen Schluck zu trinken und an seiner Wasserpfeife zu ziehen. Selbst ich, die ich wahrlich kein Kind mehr war, konnte nicht anders, als voller Spannung an seinen Lippen zu hängen.

    „Und dann?, krähte einer der Jungen aus der vordersten Reihe. „Was ist dann passiert? Ist sie gestorben?

    „Nein!, protestierte ein Mädchen neben ihm und stieß ihn empört mit dem Ellbogen an. „Takim hat sie gerettet, nicht wahr, Sidi?

    Der Alte lächelte und tätschelte der Kleinen liebevoll den Kopf. „Du bist ein kluges Mädchen. Lasst uns hören, was weiterhin geschah."

    „Atemlos starrte Takim in die Fluten, sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

    Was sollte er tun?

    Hieß es nicht, es brächte Unglück, eine Dschinnengeborene auch nur zu berühren? Hieß es nicht, man verwirke sein Leben und seine Gunst vor den Göttern, wenn man sich mit ihnen einließe?

    Und dennoch – zu wissen, dass dieses wunderschöne, reine Geschöpf in den Wogen des Flusses ertrank, schien Takim schier die Brust zu zerreißen. Also tat er, was sein Herz ihm riet. Hastig vertäute er das Boot an einem Felsen, damit die Strömung es ihm nicht entriss, und sprang kopfüber in den Nisad. Kalt schlugen die Wellen über ihm zusammen, doch Takim kannte das Wasser besser als so manch anderer. Wie ein Fisch wand er sich zwischen Felsen und Sandbänken hindurch, suchte, spähte. Er erblickte das Peri-Mädchen nirgends. Sein Herzschlag raste, die Anstrengung presste ihm den Leib zusammen. Er suchte weiter.

    Da! Etwas blitzte zwischen den Schaumkronen! Er schwamm näher, tauchte, griff nach vorne und bekam Stoff zu fassen. Er zog sich nach vorne, umfasste die Hüften des Mädchens und zerrte sie nach oben. Reglos wie eine Puppe lag sie in seinen Armen, die Farben auf ihrer Haut zogen, einem Regenbogen gleich, eine Spur hinter ihr her.

    Takim arbeitete sich dem Licht entgegen, kämpfte sich hoch. Das Gewicht des Mädchens wollte ihn zurück in die Tiefen zerren. Er trotzte ihm. Seine Lungen verlangten nach Luft, ächzten, brannten. Er spürte schon seine Sinne schwinden, da brach sein Kopf durch die Oberfläche. Keuchend nahm er einen tiefen Atemzug, noch einen, und hievte das Peri-Mädchen ins Innere seines Bootes.

    Noch nie in seinem Leben war Takim einer Dschinnengeborenen so nah gewesen. Zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe lag sie vor ihm, die Malereien auf ihrer Haut verschwammen wie ein Wirbelsturm ineinander, bildeten Schlieren und Kreisel, als sei einem Künstler der Pinsel verrutscht. Atemlos starrte Takim das Mädchen an. Kein Atem hob ihre Brust, er erblickte kein Zeichen von Leben.

    Er packte sie an den Schultern, schüttelte sie, drückte das Wasser aus ihren Lungen, da ging ein Ruck durch ihren Körper. Hustend spie sie das Flusswasser aus, rang nach Luft und sah sich dann zitternd nach ihrem Retter um. Takim schluckte, als ihn der Blick ihrer klaren, blauen Augen traf. So rein, so unschuldig, und doch spürte er eine dumpfe Panik in seinem Inneren aufsteigen. Er sollte nicht hier sein, nicht mit diesem Wesen, dessen Blicke allein sein Seelenheil gefährdeten. Er würde im Tempel beten, ein Opfer bringen und hoffen, dass die Götter seine närrische Tat nicht verdammen würden.

    Fahrig griff er nach der Stake, um das Mädchen so schnell wie möglich ans Ufer zu bringen, da vernahm er erstmals den Klang ihrer Stimme: „Ich danke dir."

    Takim schluckte und zwang sich, der Peri keine Beachtung mehr zu schenken, so zauberhaft ihre Stimme ihm auch erschien. Schwerfällig wandte er den Blick ab und konzentrierte sich ganz auf das Boot und die kurze Entfernung bis zum Ufer, die es noch zu überbrücken galt.

    „Du hast mein Leben gerettet, fuhr das Peri-Mädchen fort. „Ich schulde dir meinen Dank – und mehr als das.

    „Nicht nötig", erwiderte Takim hastig, da spürte er die kühle Berührung ihrer Hand an seinem Arm. Ein Schauer überlief ihn.

    „Du hast mein Leben gerettet, wiederholte das Mädchen mit ihrer glockenhellen Stimme, „und eine Lebensschuld will beglichen sein. Drei Wünsche werde ich dir erfüllen. So will es der Brauch.

    „Wieso drei?, unterbrach ein trotziger Junge die Geschichte des alten Mannes. „Immer sind es drei Wünsche, in allen Märchen, die ich kenne! Warum? Warum nicht vier Wünsche? Oder noch mehr?

    Während empörtes Murmeln anhob, lächelte der alte Mann nur nachsichtig und zog an seiner Pfeife. „Nun, mein Junge, drei ist die Zahl der Vollkommenheit. Wir verehren drei Götter: Brâl, Nisad und ihren Tochtersohn Krish. Auch ist drei die Zahl des Mondes, kennen wir doch den zunehmenden, den abnehmenden und den vollen Mond. Es ist auch die Zahl des Wandels, des Wachsens, Werdens und Vergehens. Genügt dir dies als Antwort?"

    Der Junge zuckte nur die Schultern, offenbar war er in seinem Ansinnen enttäuscht worden, den alten Mann mit seiner forschen Frage bloßzustellen.

    „Erzähl weiter!, bettelte derweil eines der Mädchen und zupfte am Ärmel des Alten. „Hat das Peri-Mädchen Takim seine Wünsche erfüllt?

    „Nun, wir werden sehen, erwiderte der Alte mit einem vielsagenden Blick. „So weit sind wir noch nicht. Alles hat seine Zeit.

    „Als Takim hörte, was das Peri-Mädchen ihm versprach, wurde er skeptisch. Noch nie in seinem Leben war einer seiner Herzenswünsche in Erfüllung gegangen, das Mädchen musste ihn narren. Und wenn nicht, so grauste ihm vor dem Preis, den er für ihre Dienste würde zahlen müssen, wie es in den Märchen und Sagen immer wieder beschworen wurde.

    „Nicht nötig, erwiderte er also brüsk, während das Boot am Ufer anlegte. „Geh jetzt, lass mich in Frieden.

    „So will es der Brauch, wiederholte die Peri und ihr Lächeln ließ Takims Herz schneller schlagen. Als sie dann seine Hand ergriff, glaubte er, seine Haut müsse in Flammen stehen. „Du hast ein gutes Herz, Takim ben Saruk. Ich diene dir mit Freude.

    Ein Schauer überlief Takim, als er die Peri seinen Namen sagen hörte, obgleich er ihn ihr niemals genannt hatte. Grausen erfasste ihn und er stieß das Mädchen harsch von seinem Boot, wo sie im seichten Wasser landete und ihn aus überraschten Augen ansah. Ohne noch einen Blick zu riskieren, so sehr es ihn auch danach verlangte, griff Takim nach seiner Stake und stieß das Boot vom Ufer ab.

    Die Sonne hatte seine Kleider im Nu getrocknet und er mühte sich, seinem Tagewerk nachzugehen, doch das Peri-Mädchen schlich sich immer wieder in seine Gedanken, wie eine Melodie, die man nicht vergessen kann. Lag etwa darin ihre magische Kraft? Ihn mit ihrer Schönheit so zu umgarnen, dass er unfähig war, an etwas anderes zu denken?

    Angespannt widmete er sich wieder seiner Arbeit und warf die Netze ein ums andere Mal aus. Er mied das Ufer der Peri, suchte sich andere Plätze, um dem Mädchen nicht näher zu kommen als nötig.

    Als der Abend bereits hereinbrach, holte Takim ein letztes Mal seine Netze ein und prüfte seine Ausbeute, welche weder ungewöhnlich gut noch ungewöhnlich schlecht war. Offenbar hatten ihn die Götter noch nicht mit Unglück gestraft.

    Der feiste Händler, den Takim belieferte, zeigte sich recht zufrieden, denn in Takims Netzen fanden sich nicht nur Marudmuscheln, deren Fleisch, wie ihr wisst, köstlich schmeckt, sondern auch zwei schillernde Dschinnenaugen, deren Perlmutt ein Vermögen wert ist. Der Händler bezahlte Takim an jenem Tag daher recht gut, auch wenn er ihm bei Weitem nicht den Preis zahlte, der angemessen gewesen wäre, denn in seinem Herzen war er habgierig und nicht gewillt, seinen Reichtum zu teilen.

    Takim machte sich nun auf den Heimweg und kaufte auf dem Basar Linsen für das Abendbrot und einige Süßigkeiten, um sich für seinen heutigen Arbeitstag zu belohnen. Als er sich gerade umwandte, um den Heimweg anzutreten, erstarrte er. Hinter ihm stand das Peri-Mädchen. Die Farben, die ihr Gesicht und ihren Kopf zierten, waren erneuert, sie trug ein frisches Kleid und ihr Anblick war nicht minder bezaubernd und beängstigend als am Nachmittag.

    Takim fluchte im Stillen und fragte sich panisch, wie sie ihn gefunden haben mochte. Hatte sie ihn verfolgt? Den ganzen Weg vom Hafen hierher? Wollte sie sein Gold, seinen sauer verdienten Lohn?

    „Scher dich fort!, rief Takim ihr entgegen und stolperte einen Schritt zurück. „Lass mich in Frieden!

    Das Mädchen gluckste. Der Blick ihrer blauen Augen umfing Takim wie ein Tuch aus Seide und erfüllte seine Brust mit einem warmen Gefühl der Sehnsucht. „Ich sagte doch, erwiderte sie, „ich stehe in deiner Schuld. Ich gehe nicht eher, als dass ich sie beglichen habe.

    Takims Blick glitt über die Menschenmenge rings um ihn her. Der Basar war belebt, wie immer in den späten Stunden des Nachmittags, ehe die Sonne unterging. Die meisten bemerkten das Mädchen, rümpften die Nase, nahmen ihre Kinder beiseite, um dem Dschinn nicht zu nahe zu kommen. Takim spürte die missbilligenden Blicke auch auf sich kleben, er zog sie an wie der Honig die Fliegen.

    „Fürchtest du mich?", fragte das Mädchen und Takim nickte.

    „Ich will dich nicht hier haben, stieß er hervor. „Lass mich gehen, Verfluchte! Ich brauche deine Hilfe nicht!

    „Aber du verdienst sie, erwiderte das Mädchen. „Fürchte dich nicht vor mir. Ich will dir nichts Böses. Sieh. Sie hielt ihm ihre offene Hand entgegen, auf der eine wunderschöne, schillernde Muschel lag. Ebenso schön wie jene, die Takim in seinem Netz gefangen hatte. Hatte ihm wahrlich das Mädchen zu diesem Fang verholfen?

    Er schüttelte sich energisch und stieß die Peri beiseite. Sein Geist musste verwirrt sein von der Zauberkraft dieses Wesens, das ihn mit seinen Fäden umspann. Tückisch waren die Dschinnenkinder, allesamt. Er durfte ihren Kräften nicht erliegen!

    So fasste Takim all seinen Mut zusammen und rannte los, fort von dem Mädchen. Er ließ die Ladenbuchten des Basars hinter sich, tauchte ein in das Gewirr der Gassen, wie ihr sie vom Handwerkerviertel kennt. Überhängende Balkone, Erker und Giebel verengten den Weg und verschluckten die Sonne, Staub drang in Takims Lungen. Er rempelte Frauen und Männer an, wollte fort, nur fort von dem gespenstischen Mädchen.

    Eine besonders enge Gasse versprach ihm Sicherheit. Er warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob das Mädchen ihm folgen mochte, bog um eine Ecke und prallte dort gegen ein Hindernis.

    Erschrocken blickte Takim auf und starrte in ein kantiges, vernarbtes Gesicht, umrahmt von struppigem Bart. Die Männer waren zu zweit, das Gesicht des Anderen jedoch war unter einem dicken Tuch verborgen, sodass nur seine Nase hervor spitzte.

    Der Ausdruck in den Augen der Männer und der prall gefüllte Beutel, den der Vernarbte in der Hand hielt, ließen Takim sofort erahnen, dass er in etwas hineingestolpert war, das er besser nie gesehen hätte. An diesen Männern haftete eine Ahnung von Ehrlosigkeit und Bosheit, wie sie vielen zu eigen ist, die sich am Leid anderer bereichern.

    Takim stammelte eine Entschuldigung, doch schon schloss sich eine massige Hand um seinen Arm. Der Vernarbte zerrte ihn zu sich, so nah, dass er den nach Dattelwein stinkenden Atem des Mannes auf seiner Haut spürte.

    „Was treibst du hier, Bengel?, fauchte der Vernarbte. „Scher dich weg von hier, auf der Stelle!

    Mit aller Kraft wollte er Takim zu Boden stoßen. Der ruderte schreiend mit den Armen und griff blindlings nach vorne, um im Sturze Halt zu finden. Da erfasste er den Beutel, den der Vernarbte gehalten hatte. Noch im Fallen schlossen sich seine Finger darum, vergruben sich im dünnen Stoff und zerrissen die Fasern, begleitet von einem Aufschrei, der an den Wänden ringsum widerhallte.

    Laut scheppernd ergoss sich der Inhalt über den staubigen Boden und Takims Augen wurden groß und rund wie Teller. Goldene Ringe, ein bronzenes Amulett und funkelnde Steine blitzten ihm entgegen, allein einer davon wertvoller als alles, was Takim besaß. Die Erkenntnis überkam ihn wie ein Schwall kalten Wassers. Diebe. Halunken. Räuber. Und er war mitten hineingestolpert.

    Noch ehe er sich der bedrohlichen Situation stellen konnte, vernahm er donnernde Schritte aus der Nachbargasse, das Scheppern von Rüstungen. Die Räuber zuckten zusammen. Panisch blickten sie zwischen Takim, ihrer Beute und den herannahenden Wachen hin und her, unschlüssig, was zu tun war.

    Mit gierigen Fingern rafften sie zusammen, was sie greifen konnten, doch Takim fühlte neuen Mut in sich aufkeimen und füllte seine Lungen mit Luft.

    „Hierher!, schrie er. „Die Räuber sind hier! Hierher!

    Fluchend versetzte einer der Männer ihm einen Tritt gegen den Kopf. Takims Sinne schwanden. Benommen blinzelte er, sah die Silhouetten der beiden Männer in der Gasse verschwinden. Im nächsten Moment stürmte eine Gruppe Wachen mit gezogenen Säbeln um die Ecke. Bebend deutete Takim in die Richtung, in die die Räuber verschwunden waren, eine Hand noch immer um einen besonders schönen blauen Edelstein geklammert.

    „Alles in Ordnung?", fragte eine Rekrutin und half Takim behutsam auf die Beine. Dieser nickte, die Knie immer noch weich wie frischer Sand. Überrascht bemerkte er im Aufstehen, wie überaus hübsch die junge Frau war. Ihre Augen waren von einem weichen Mandelbraun, ihre Wangen von einem rosigen Hauch überzogen und ihre Gesichtszüge überaus weich und sanftmütig. Noch nie hatte er ein Mädchen gesehen, das wie sie die kriegerische Anmut einer Löwin mit der Schönheit einer Wüstenrose vereinte.

    Takim nickte hastig, als ihm bewusst wurde, dass die Schönheit ihm eine Frage gestellt hatte. „Ich bin wohlauf, erklärte er und verschwieg die Kopfschmerzen, die ihn marterten. „Alles bestens.

    Er spähte den Wachen nach und vernahm Kampfeslärm aus der Ferne.

    „Das war gute Arbeit, lobte ihn die Rekrutin, während sie einem ihrer Kameraden dabei half, die verstreute Beute einzusammeln. „Seit Wochen halten uns diese Halunken schon zum Narren, plündern Reisende und Karawanen und nie konnten wir ihrer habhaft werden. Und wenn doch, so gab es nichts, was der Hauptmann ihnen beweisen konnte. Jetzt jedoch, sie hob zufrieden einen der Ringe auf, „werden sie ihrer Strafe nicht entfliehen."

    Takim grinste breit, die Brust erfüllt von warmer Genugtuung ob ihrer lobenden Worte. Er fühlte sich stärker und mächtiger denn je und genoss die Anerkennung, die ihm zuflog.

    Nur wenig später kehrte auch der Hauptmann der Einheit mit seinen Männern zurück, im Schlepptau die beiden Halunken, deren Hände vor dem Körper gefesselt waren. Sie warfen Takim grimmige Blicke zu, deren Bosheit den Fischer jedoch nicht mehr beeindrucken konnte.

    „Es sei dir vielfach gedankt, sprach der Hauptmann und nickte Takim zu. „Wie ist dein Name?

    Takim stellte sich dem Hauptmann vor und war froh, auf diese Weise auch der schönen Rekrutin seinen Namen zu offenbaren. Zu gerne wollte er sie noch einmal wiedersehen.

    Mit kräftiger Stimme verkündete der Hauptmann: „So soll ganz Zarbahan erfahren, dass Takim ben Saruk die schändlichen Räuber stellte und ihre Gefangennahme ermöglichte. Er soll reich dafür belohnt werden und ein Kopfgeld erhalten."

    Takim lächelte beschämt, die Wangen dunkelrot, während ihn die schöne Rekrutin zur Wachstube geleitete. Er erbat ihren Namen und erfuhr, dass er Ishiba lautete, und dass sie ebenso schlagfertig und geschickt schien wie schön.

    Auch Ishiba fand Gefallen an dem jungen Fischer und so kam es, dass Takim nicht nur mit barer Münze und Jubelrufen, sondern auch mit dem Herz einer jungen Frau belohnt wurde.

    Tag für Tag spähte Takim nun von seinem Boot aus ans Ufer, auf der Suche nach dem Peri-Mädchen, doch von jenem Tag an ward sie von ihm nicht mehr gesehen. Dennoch dankte Takim dem Mädchen im Stillen, denn er wusste, wem er all sein Glück zu verdanken hatte. Ein wenig Glück braucht man nun einmal im Leben."

    Zufrieden lächelnd zog der Alte an seiner Wasserpfeife und ließ den Blick über sein Publikum schweifen, das andächtig gelauscht hatte.

    „Was ist dann passiert?, hakte ein Mädchen nach. „Hat Takim Ishiba geheiratet? Haben sie Kinder gehabt? Wie viele? Und was wurde aus dem Peri-Mädchen?

    Der Alte lachte und ließ etwas Rauch in den Himmel steigen, der, davon bin ich überzeugt, für einen Wimpernschlag lang die Silhouette zweier Menschen annahm, die sich bei den Händen hielten. „Ich weiß es nicht, mein Kind, gab der Alte zu. „Ein einfacher Mann wie ich kennt nicht alle Geschichten dieser Welt. Aber ich bin mir sicher, Takim hat sein Glück gefunden.

    „Eins versteh' ich aber nicht, bemerkte ein älterer Junge mit skeptischem Zug um die Augen. „Das Peri-Mädchen hat ja gar nichts gemacht. Takim hätte das auch ohne sie geschafft.

    „Hätte er das? Der Alte lächelte vielsagend und nahm einen Schluck Wasser. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Manchmal sind Glück und Unglück nur eine Handbreit voneinander entfernt. Wie wäre es, wenn ihr mir einen Krug Wasser bringt, statt zu fragen? Ich bin wirklich durstig.

    Eifrig sprangen die Kinder auf, um Wasser für den alten Mann zu holen. Mein Geist hingegen tastete sich nur langsam zurück in die Wirklichkeit, immer noch verhaftet in der Geschichte des alten Mannes. Seufzend wandte ich den Blick gen Sonnenuntergang. Es wurde Zeit, in den Palast zurückzukehren und meinem Vater meinen Ausflug zu beichten. Er sorgte sich sehr um seine einzige Tochter. Ich wollte das Glück nicht herausfordern.

    Fatimas Bank und Mahruts Glück

    Dolores Pieschke

    In der Stadt Kairo, die die Unvergleichliche genannt wird, lebte Mahrut, ein Bankangestellter. Er hatte so strahlende braune Augen und war so freundlich und beredt, dass die Bankkunden gar nicht bemerkten, wie fadenscheinig sein schwarzer Anzug war. Die Bank war klein, und tagaus, tagein kamen weniger Kunden. Der Besitzer und Direktor von Mahruts Bank hatte all sein privates Geld in die Geschäfte gesteckt, die Bank zu erhalten, doch es reichte nicht. Eines Morgens erschien Fatima, seine Tochter, mit ihrem Schmuckkästchen in der Bank. Der Allerhöchste, Lenker aller Schritte, ließ Fatima und Mahrut im Vorraum der Bank zusammentreffen. Auf den ersten Blick war Mahrut berauscht von Fatimas Schönheit, ihren Perlzähnen, die hinter den Rosenlippen glänzten wie Wassertropfen im Sonnenstrahl, dem sanften Schimmer ihrer Wangen, ihren Augen, die leuchteten wie Sterne am Firmament. Er verneigte sich, unfähig, ein Wort zu sprechen, und geleitete Fatima zum Büro ihres Vaters. Wie im Traum kehrte er an seinen Bankschalter zurück und fühlte sich glückselig wie nie zuvor in seinem Leben.

    Fatimas Vater saß am Schreibtisch. Neben ihm stand ein hagerer, großer Mann, der sofort seinen stechenden Blick auf sie richtete. Sie neigte das Haupt gegen ihn zum Gruße, bemüht, ihren Schreck nicht zu zeigen, und stellte ihr Schmuckkästchen auf den Tisch.

    „Es schmerzt mich, Vater, sagte sie, „denn ich empfing das Geschmeide aus den Händen meiner Mutter, die durch höheren Ratschluss von uns genommen wurde. Dennoch will ich das Meine zum Wohle der Bank beitragen.

    „Tochter, dein Großmut möge dir im ewigen Leben vergolten werden. Aber vielleicht ist unsere Rettung auch ohne dein Opfer möglich."

    Der traurige Blick ihres Vaters machte Fatima ganz beklommen.

    „Der hochwohlgeehrte Herr Ahmed hier bietet uns Rettung. Der Vater schwieg, und schließlich, nach einer quälenden Pause, fuhr er fort: „Herr Ahmed wird alle unsere Verbindlichkeiten übernehmen und Edelsteine und Perlen im Wert von hundert mal tausend Dinaren in unsere Geldkammer legen.

    Weil der Vater wieder schwieg und seine Tochter nicht ansehen konnte, sagte Fatima: „Und du hast mich ihm versprochen."

    Der Vater nickte.

    „Mein lieber Vater, sagte Fatima, „ich war dir immer eine gehorsame Tochter. Aber – man kann eine Tochter nicht so einfach in Zahlung geben. Außerdem, ich kenne ihn nicht und liebe ihn nicht.

    Der Vater, der seine Würde als Bankdirektor und Familienoberhaupt vor dem Fremden nicht preisgeben wollte, erwiderte: „Fatima, meine Tochter, du bist jung und kennst das Leben und die Geschäftswelt nicht."

    Fatima schwieg. Der Vater hatte sie doch in allen Bankgeschäften, offenen wie geheimen, ausgebildet. Er hatte keinen männlichen Erben, und kein unnützer Schwiegersohn sollte irgendwann sein Lebenswerk zunichte machen. „Vater, sagte Fatima endlich, „du hast mich gelehrt, dreimal den Allerhöchsten anzurufen, bevor ich etwas sage.

    Bei diesen Worten war der Fremde blass geworden. Da erkannte Fatima: Er war der schwarze Dshinni, den sie in der letzten Nacht im Traum gesehen hatte.

    Der Vater achtete so wenig auf ihre Worte wie auf den Fremden. „Herr Ahmed hat mein Wort. Du wirst ihn heiraten. Wenn nicht, vermähle ich dich dem ärmsten Angestellten unserer Bank."

    Bei diesen Worten erschien Mahrut vor Fatimas innerem Auge, der Bankangestellte im schäbigen Anzug.

    „Perlen und Edelsteine?" fragte Fatima. Sie wusste, dass ein Dshinni alle seine Gaben aus Staub macht und sie nach Belieben zu Staub zerfallen lassen kann. Auch fürchtet er jedes Metall. Das aber durfte man in seiner Gegenwart bei Strafe des Todes nicht sagen.

    „Verehrter Vater, im Gedächtnis an meine Mutter, mit der du ein Leben lang in Liebe und Treue verbunden warst, überlege deine Worte, denn es werden ihnen Taten folgen. Meine Mutter hat mich in einem Traum gewarnt, in den nächsten drei Monden einem Mann anzugehören. Bitte also Herrn Ahmed um diesen Aufschub."

    Dieser zeigte eine unbewegte Miene und sagte schließlich: „Mein lieber Herr Banker und künftiger Schwiegervater, Töchter sind manchmal eigensinniger als man erwarten darf. So sollen drei Monate vergehen. Dann werde ich meinen Lohn einfordern. Und Eure Tochter soll genauso sein, wie sie heute ist."

    Er verneigte sich. „Ich werde in jedem Monat einen Tag nach Vollmond hier erscheinen, um zu sehen, wie die Geschäfte laufen, und begehre, Eure Tochter möge jedes Mal anwesend sein." Er verließ den Raum so schnell, als habe er sich in Luft aufgelöst.

    Fatimas Vater erschrak. „Ach, mein Töchterchen, Stern meiner Augen, wenn nun Herr Ahmed gekränkt ist?"

    „Vater, Ihr wisst, wie ich Euch liebe und verehre, verzeiht meinen Widerspruch. Meine Mutter sagte mir noch im Traum: Hüte dich vor einem Mann, der weder Gold noch ein anderes Metall berührt. Wenn der Erhabene will, wird unsere Bank gerettet werden, so, wie er uns gerade vor einem bösen Dshinni geschützt hat. Sie verneigte sich und küsste dem Vater die Hand. „Alles geschieht auf höheren Beschluss.

    In der Schalterhalle trat sie betont geschäftsmäßig zu Mahruts Schalter. „Herr Mahrut, hätten Sie die Freundlichkeit, mir meine Kontoauszüge zu geben? Mahrut legte mit vor Glück zitternden Händen die Papiere zusammen. Fatima neigte währenddessen den Kopf zu ihm und flüsterte: „Sei heute Nacht, wenn der Mond genau über dem Minarett steht, am Osttor. Es geht um Leben und Tod. Aber schweige zu jedermann. Sie steckte die Papiere ein und ging davon.

    Den ganzen Tag über wusste Mahrut nicht, ob er gewacht oder geträumt hatte. Das erste Mal, seit er hier arbeitete, war er unaufmerksam zu den Kunden und verwechselte die Zahlen.

    Mahrut stammte aus angesehener, aber verarmter Familie. Sein Vater war in die Welt gezogen, um seiner Familie den Unterhalt zu sichern, und war verschollen. Aus Armut und Kummer waren die Mutter und die Geschwister gestorben. Fatimas Vater ließ den jungen Mann, weil er höflich und anstellig war, in seiner Bank arbeiten. Mahrut, der wusste, wie Armut schmerzt, gab manchem Armen zu geringen Zinsen oder verlängerte einer Witwe die Zahlungsfrist.

    Fatimas Vater hatte ihm das nachgesehen, solange es der Bank gut ging. Kürzlich aber hatte er seine Tochter gerufen: „Wir können uns diese kleinen, billigen Kredite nicht mehr leisten, auch wenn ich die ehrenwerte Familie von Mahrut schätze."

    Fatima hatte ihn schweigend angesehen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1