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Lebenshunger und Wissensdurst: Die Schriftstellerin Elisabeth Hering
Lebenshunger und Wissensdurst: Die Schriftstellerin Elisabeth Hering
Lebenshunger und Wissensdurst: Die Schriftstellerin Elisabeth Hering
eBook415 Seiten4 Stunden

Lebenshunger und Wissensdurst: Die Schriftstellerin Elisabeth Hering

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Über dieses E-Book

Elisabeth Hering (1909-1999) war eine namhafte deutsche Schriftstellerin im 20. Jahrhundert. Ihr Werk ist charakterisiert durch die Hinwendung zu historischen Ereignissen und dramatischen Entwicklungen, bei denen sich ihre Helden behaupten mussten.

Herings Leben, das zwei Weltkriege umfasste und durch den Verlust der Heimat Siebenbürgen geprägt war, spiegelt ebenso wie das Werk die Haltung einer starken Frau wider, der es gelang, sich aus den Zwängen von Konvention und ideologischen Bindungen zu befreien.
SpracheDeutsch
HerausgeberBUCHFUNK Verlag
Erscheinungsdatum12. Dez. 2019
ISBN9783868475579
Lebenshunger und Wissensdurst: Die Schriftstellerin Elisabeth Hering

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    Buchvorschau

    Lebenshunger und Wissensdurst - Ulla Schäfer

    zusammengetragen.

    ERSTES KAPITEL

    Von der Heimat umschlossen

    Mein Großvater war eitel genug, ein Gedicht der Elfjährigen an unser Heimatblättchen „Großkokler Bote" zu senden, der es sogar abdruckte.

    Aus der Dichterstube

    Hinein in das Leben

    Der 17. Januar 1909, ein Sonntag, war für die Jahreszeit verhältnismäßig mild. Der Schnee auf den Türmen des mittelalterlichen siebenbürgisch-ungarischen Klausenburg (Kolozsvár) war bereits ins Rutschen gekommen und bedrohte mit seinen von den Dächern hängenden, Schürzen gleichenden Resten unachtsam vorüber eilende Passanten.

    Im Haus der Schwiegereltern in der Innenstadt wurde eine 21jährige Frau von ihrem ersten Kind entbunden. Die junge Mutter war Elise Leicht, geborene Bacon. Sie hätte in ihrer Heimatstadt Schäßburg bleiben können, doch das Hilfsangebot der damals 43jährigen Wilhelmine Leicht wurde von den werdenden Eltern gern angenommen: Wilma war Mutter von acht Kindern und in allen Lebensfragen praktisch und tüchtig. Die kleine Elisabeth war ihr erstes Enkelkind. Ihrem langen Leben wollen wir uns in diesem Buch annähern. Der Vater Hans Leicht, zum Zeitpunkt der Geburt 23 Jahre alt, war ebenfalls ein Schäßburger. Über sein Leben, sein Wesen und sein späteres Schicksal werden wir noch ausführlich sprechen.

    Wenden wir uns zunächst beiden Eltern zu, ihrem Lebensumfeld und ihrer Zeit. Sie entstammten der deutschsprachigen Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen, die seit acht Jahrhunderten südlich des Karpatenbogens ansässig war und eine reiche, christlich geprägte Kultur entwickelt hatte. Davon zeugen noch heute die in der Welt einzigartigen Kirchenburgen, die die Orte prägen und schon durch die Bezeichnung ihre Bedeutung offenbaren als Stätten des Glaubens, aber auch der Verteidigung gegen anrennende Feinde. Davon gab es im Laufe der Zeit viele, zu nennen beispielsweise die Truppen des Osmanischen Reiches, die 1683, zum zweiten Mal nach 1529, bis zu den Toren Wiens vordrangen und auf ihrem Weg grausamste Taten an der Bevölkerung begingen. Friedlich verlief in Siebenbürgen die Reformation; die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses (A.B.) von 1530 wurde für die Siebenbürger Sachsen zu einem Teil ihrer Identität.

    Die Schulgasse in Schäßburg

    Die Stadt Schäßburg liegt im südlichen Siebenbürgen. Diese geografische Lage im Herzen Südosteuropas war, wie wir später sehen werden, eine der Ursachen für wechselnde staatliche Zugehörigkeit mit allen Auswirkungen auf die Bevölkerung. Als unsere Elisabeth geboren wurde, gehörte ihre Heimat zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Der 1. Weltkrieg sollte diese Zugehörigkeit einschneidend verändern.

    Der Stundturm in Schäßburg

    Elisabeths 1888 geborene Mutter kam aus einer alteingesessenen, wie wir heute sagen würden, bildungsbürgerlichen Familie. Sie gehörte nach den Maßstäben der Zeit damit zur Oberschicht der verhältnismäßig kleinen Stadt mit zirka 12.000 Einwohnern. Die stärkste Bevölkerungsgruppe waren mit annähernd 5.000 Menschen die Deutsch sprechenden Siebenbürger Sachsen; hinzu kamen Rumänen und Ungarisch sprechende Szekler. Das kulturelle, geistige und geistliche Leben wurde bestimmt von den Sachsen, deren führende Köpfe sich nach städtischer Sitte als Patrizier fühlten.

    Dr. Josef Bacon mit seiner Tochter Elisabeth

    Elisabeth Bacon im türkischen Kostüm

    Elisabeths Vater Dr. Josef Bacon, geboren 1857, war eine der prägenden Persönlichkeiten der Stadt. Als Stadtphysikus und Armenarzt mit Ordination im eigenen Haus genoss er hohes Ansehen. Er engagierte sich für soziale Belange, gründete den Guttemplerorden in Siebenbürgen und war Initiator des heimatkundlichen Museums „Alt-Schäßburg" im Stundturm, einem der Wahrzeichen der Stadt und nur wenige Schritte vom Wohnhaus Bacons entfernt. Dieser Turm ist der prächtigste Teil der ehemaligen Stadtmauer, die im Mittelalter von einzelnen Zünften mit Türmen versehen worden war. Bevor das Gebäude zum Museum ausgebaut wurde, war es seit längerem ungenutzt.

    Im 19. Jahrhundert archäologisch zu Tage geförderte Artefakte der Wietenberg-Kultur, deren Angehörige einst im Kokeltal gesiedelt hatten, bildeten die Basis für die Sammlung. Gegenstände siebenbürgischer Volkskultur und -kunst kamen nach und nach hinzu. Zu all dem war Dr. Josef Bacon ein begeisterter Gartenbauer – heute würden wir ihn als „Biogärtner" bezeichnen.

    Dieser bedeutende Mann hing mit zärtlicher Liebe an seinem einzigen Kind, unserer nun jungen Mutter.

    Zu seiner Frau Elise, geborene Reinhardt, war das Verhältnis, zumindest in späteren Ehejahren, wenig liebevoll. Die Enkeltochter Elisabeth - im Siebenbürgischen stets mit der Koseform „Lieschen" angesprochen -, erinnert sich in ihren Memoiren an die Großeltern:

    Sie muss ein bildhübsches Mädchen gewesen sein, als sich der junge Dr. Bacon in sie verliebte. Und auch im Übrigen seinen Vorstellungen entsprochen haben. Den „demokratischen als ein „Mädchen aus dem Volke‘, während er selbst einer der Schäßburger „Patrizierfamilien" entstammte, wenn man mir diesen Ausdruck gestattet, da es ja bei uns so scharfe Trennungen zwischen den Ständen überhaupt nicht gab. Offenbar hatte er die Hoffnung, das zehn Jahre jüngere Mädchen zur Gefährtin seiner Lebensgrundsätze und Ideale heranziehen zu können. Bei dieser Annahme freilich hatte er sich gründlich getäuscht.

    Wie lange es dauerte, bis er sich das eingestehen musste, weiß ich natürlich nicht. Denn als ich so weit war, mir darüber Gedanken machen zu können, fand ich folgende Lage vor: Die Omama (siebenbürgische Anredeform für die Großmutter, Ableitung von Oma – d. A.), Anfang der fünfzig, hing immer noch mit hingebungsvoller Liebe an ihrem Mann, brachte aber für all seine Interessen nicht das geringste Verständnis auf. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt jemals einen Fuß in sein Museum gesetzt hat, ob sie Mitglied der Guttemplerloge war, die er in Schäßburg mitbegründet hatte, ob sie Anteil genommen hat an irgendeiner seiner Anregungen auf anderen Gebieten. Mir jedenfalls ist nie etwas Derartiges zu Ohren gekommen. Doch wenn er ihr noch zugute hätte halten können, dass ihr dazu die nötige Intelligenz fehlte – dass sie auch an seiner Leidenschaft für die Bebauung seiner Gärten keinen Anteil nahm, das Gemüse, das er ihr auf den Tisch legte, immer schlechter fand als jenes, das man am Markt feilhielt, (…) das machte wahrscheinlich das Maß seiner Enttäuschung und Abneigung voll.

    Diese Abneigung äußerte sich nun keineswegs in Zank und Streit, sondern dadurch, dass er seiner Frau tunlichst aus dem Wege ging. Sie empfand natürlich seine Nichtachtung und begegnete ihr auf die ungeschickteste Weise, indem sie eben immer Szenen machte und sich, um sich seine Beachtung zu erzwingen, über alles beklagte, worüber sich nur immer ein Grund finden ließ.

    Elisabeth Leicht, geb. Bacon

    Mir liegt wieder ein Gespräch zwischen ihnen in den Ohren: Sie schimpfte über die Faulheit eines Dienstmädchens, das seine Arbeit nie richtig ausführe, so dass man immer hinter ihm her sein müsse, und endete mit dem weinerlichen Ausruf: „Nun sag mir nur das eine, Tat – was soll ich machen? Was soll ich machen? Worauf er mit einer müden Handbewegung antwortete: „Schweigen sollst du!. Und das vor den Ohren der Enkelin.¹

    Der junge Vater Hans Leicht

    Es ist anzunehmen, dass dieses nicht gerade innige Verhältnis der Eheleute Bacon zueinander den meisten Schäßburgern bekannt war. Offenbar hat es aber, zumindest öffentlich, den guten Ruf der beiden nicht beeinträchtigt. Sicher gehörten in einer kleinen Stadt wie Schäßburg, zumal in einer sehr überschaubaren gesellschaftlichen Schicht, wie überall auf der Welt Klatsch und Tratsch zu den beliebtesten Kommunikationsinhalten. Dem Getuschel in Schäßburg werden wir später in einem anderen familiären Zusammenhang noch einmal zuhören.

    Doch nun zum Vater unserer Elisabeth: Johann Baptist (Hans) Leicht kam als zweites von acht Kindern – zwei von ihnen starben im Kindesalter -, und erster Sohn des Eisenbahningenieurs Johann Baptist Leicht und seiner Frau Wilma 1886 in Schäßburg zur Welt. Durch die berufliche Tätigkeit des Vaters bedingt, der als Ingenieur österreichisch-ungarischer Bahnbeamter war, wechselte die Familie auf Grund beruflicher Versetzungen 17 Mal (!) den Wohnort. Das hatte zur Folge, dass Sohn Hans sowohl deutsche, als auch ungarischsprachige Schulen besuchte. Dies ist einer der Gründe für die emotionale Bindung Hans Leichts an Ungarn und seine Weltläufigkeit im polyglotten Umgang, die er sich in Kindheit und Jugend erwerben konnte.

    In den Erinnerungen seiner Mutter Wilma, geschrieben 1921 im Alter von 55 Jahren, finden sich aufschlussreiche Überlegungen zum zwischenmenschlichen Umgang und zur Kindererziehung. Diese „Leicht-Omama hatte in Kindheit und Jugend großen Einfluss auf unsere Elisabeth. Bemerkenswert sind Wilmas Gedanken zur Kindererziehung auch angesichts der heutigen Vielzahl von „Erziehungsratgebern, die selten den selbst gesetzten Anspruch erfüllen. Ohne Zweifel hat die Einstellung der Mutter auch das Verhalten ihres Sohnes Hans gegenüber seinen Töchtern beeinflusst, soweit er nach den Umständen überhaupt Einfluss nehmen konnte. So lernte er seine 1919 geborene jüngste Tochter Gerda erst kennen, als sie bereits ein junges Mädchen war.

    Wilma schreibt, auch sprachlich interessant, wenn man dem „dichterischen Gen" in der Familie nachspüren möchte: „Ich krempele höchstens an mir, soweit meine Natur dies zulässt, an meinen Nebenmenschen krempele ich nie. Ja, selbst ein Kind ist in seinen Naturanlagen nicht zu ändern. Erziehung nützt nur durch andauernden, jahrelangen Druck in einer Richtung hin vielleicht etwas. So wie man ein Bäumchen an den Pflock gebunden mit der Zeit gerade ziehen kann. Sonst heißt es, die guten Anlagen herauszufinden und zur Ausbildung zu bringen. Die schlechten mit Geduld und gutem Beispiel zu unterdrücken und das Ehrgefühl, wo es nicht mitgeboren ist, zu erwecken.

    Am leichtesten lassen sich Menschen wohlgestalten, wo die guten Anlagen samt dem Ehrgefühl angeboren sind. Da genügt Sonnenschein, eine gewisse Sorglosigkeit und körperliches Wohlbefinden, um Prachtexemplare zu ziehen. (…) Mit 20 Jahren, ja noch früher, hört Erziehung auf zu wirken. Was dann Mensch, nicht Tier ist, erzieht weiter an sich selbst, sein Leben lang. Von da an übt von den anderen nur noch Liebe eine erzieherische Wirkung aus, nie mehr Strenge mit Kritik gepaart."²

    An anderer Stelle schaut sie ohne patriotische „Scheuklappen kritisch auf ihre Landsleute: „Wir Deutschen legen leider nicht genügend Wert auf die Bedeutung von liebenswürdigen Umgangsformen im Verkehr mit den Menschen und müssen diesbezüglich von den Ungarn noch viel lernen. Nun ist ja wohl ein wahrer und gerader Charakter die Hauptsache, er lässt sich aber schon mit Liebenswürdigkeit vereinigen, wenn sie uns so zu eigen gemacht ist, dass sie von Herzen kommt.³ Zu dieser Auffassung gelangte sie, wie sie schreibt, auch wegen des unvermeidlichen Umgangs mit „ungehobelten" sächsischen Kommilitonen ihres Sohnes Hans, die er oft und gern in das elterliche Haus mitbrachte.

    Es ist wahrscheinlich, dass sich alle ihre Kinder diese Haltung der Mutter mehr oder weniger zu Eigen gemacht und im täglichen Leben praktiziert haben. Ganz sicher Hans Leicht, unser junger Vater. Ohne diese Liebenswürdigkeit hätte er wohl Elise Bacon nicht oder nicht so schnell erobert.

    Aus den späteren Erzählungen ihrer Eltern kennt Elisabeth die Liebesgeschichte der beiden, die von Anbeginn etliche Hürden nehmen mussten. In Ihren Erinnerungen schreibt sie: „Er lernte meine Mutter in Schäßburg kennen, auf einem Studentenball, man nannte die Gymnasiasten Studenten. Sie war fünfzehn, er siebzehn Jahre alt. Sie muss ein selten schönes Mädchen gewesen sein. Ihre Augen groß und tief dunkel, das Haar schwarz und lockig; es fiel ihr, wenn sie es auflöste, bis zu den Kniekehlen hinunter. Ich besitze ein Bild von ihr aus jener Zeit, von einem Kostümball, an dem sie als Türkin verkleidet teilnahm (…).

    Dem Leicht Hans fiel es wohl nicht schwer, alle anderen Verehrer auszustechen, denn auch er war schön und stattlich, lebhaften Temperamentes, redegewandt, schlagfertig in jeder Debatte, witzig und überall gern gelitten. Sagte zum Beispiel, sich selbst ironisierend: „Ich behalte immer recht. Zuerst versuche ich, die Leute zu überzeugen; wenn mir das nicht gelingt, überrede ich sie; und wenn mir auch das nicht gelingt, überschreie ich sie. Da ich aber eine lautere Stimme habe als die andern, behalte ich immer Recht. Wie sollte es ihm also nicht auch gelingen, das Bacon Lieschen zu überzeugen, dass er besser zu ihr passt als all die anderen?

    Dem jungen Mädchen gefiel dieser Bewerber wohl sehr, doch sie hatte vorerst die Rechnung ohne den Wirt, das heißt ihren Vater, gemacht. Meine Mutter wurde von ihm nach allen Regeln der Kunst verwöhnt, und als sie heranwuchs, machte er sie auch zu seiner geistigen Partnerin. Im Alter von 17 Jahren nahm er sie auf seine Reisen, nach Konstantinopel und Italien, mit. Ließ ihr Privatunterricht erteilen, da sie das Knabengymnasium nicht besuchen durfte. Und dann kommt so ein grüner Junge und nimmt ihm die erste Stelle im Herzen dieses Herzenskindes weg!"

    Wahrscheinlich ist, dass dies nicht der einzige Beweggrund des Vaters Bacon war, die Verbindung seiner geliebten Tochter mit dem Leicht Hans mit kritischem Auge zu sehen. Ihm war wohl bewusst, dass dieser potenzielle Schwiegersohn ein ganz anderer Mensch war als er selbst. Vielleicht hatte er auf Grund der Wesensverschiedenheit zwischen sich und dem möglichen Schwiegersohn auch die Befürchtung, sein Kind nicht nur an einen Leicht, sondern an einen „Bruder Leichtfuß" zu verlieren. Wenn wir die Haltung des Dr. Bacon mit eigenen Erfahrungen oder Beobachtungen vergleichen, wird offenbar, dass die Wahl der Töchter in den seltensten Fällen den Vater zufriedenstellt.

    Die zu der betrachteten Zeit nicht unwesentlichen Nationalitäts-, Religions- und Standesfragen dürften keine Rolle gespielt haben, war der Bewerber doch Siebenbürger Sachse aus gutbürgerlicher protestantischer Familie und anerkannter, promovierter Rechtsanwalt; im Kreis seiner Klienten und seiner vielen Freunde überaus beliebt.

    So mussten die beiden jungen Leute vier lange Jahre warten, bis sie endlich heiraten durften. Dr. med. Josef Bacon war eben durch und durch ein „Pflichtmensch; der potenzielle Schwiegersohn hingegen hatte neben seiner juristischen Arbeit viele musische Ambitionen. Die Enkelin zitiert ihren Großvater Bacon mit dem Spruch: „Wer mir etwas zu lesen gibt, ist mein größter Feind!.

    Und mein Vater: Er war ein musischer Mensch. Witzig, geistreich, schlagfertig, immer von einem Freundeskreis umgeben. Sein Tageslauf war nicht so streng eingeteilt, sondern variabel. Einer seiner Freunde charakterisierte ihn so: „Ich mache mich erbötig, den Leicht Hans, wenn er auf dem Weg zu einer Sitzung ist, die über seine Zukunft entscheiden soll, mit einem interessanten Gespräch so lange aufzuhalten, bis er die Sitzung versäumt. Und die Gedichte! Alle Stimmungen konnte er darin wiedergeben: Die liebestrunkenen, lebensfreudigen, nachdenklichen, wehmütigen, heiteren, spöttischen – alle! Und er las sie uns gerne vor, ließ uns nicht lange bitten. Das ist aber auch das Einzige, was er zu ihrer Verbreitung tat. Nie hat er sich um eine Drucklegung bemüht.⁶ Sie selbst sollte es später als Schriftstellerin anders halten.

    Beispielhaft hier eines von vielen heiteren Gedichten aus einer relativ glücklichen Zeit:

    Krötenandacht

    Hockt die Kröte voller Tücke

    auf der Scholle, breit und braun,

    sucht mit einem scheelen Blicke

    eine Fliege, eine Mücke,

    will nur fressen und verdau´n.

    Kommt ein Brummer, - schnapp!

    Er zappelt ihr im Schlund,

    tut noch einen letzten Summer

    in des Bauches kühlem Grund.

    Gottesfürchtig wird die Kröte

    wenn der Magen voll und satt,

    und in frommem Dankgebete

    blickt ihr Auge, das verdrehte,

    tief im Magen denkt sie matt:

    „Oh, du heil´ger, alter dicker

    Urkrot in dem Himmelsteich,

    ewig guter Fliegenschicker,

    aller Kröten Allbeglücker,

    wie ist deine Welt so reich!"

    Steckt in diesen Versen neben dem Humor nicht sehr viel mehr? Ob die subtile Botschaft in einer christlichen Umgebung beim Vortrag jeden Zuhörer erfreut hat? Wir wissen, dass gerade Passagen aus den humorvollen Dichtungen in der später weitverzweigten Familie oft zu geflügelten Worten wurden, und der „Urkrot zu einem, wie wir heute sagen würden, Running Gag, wenn eine sanfte Beschimpfung angezeigt scheint. Überliefert sind auch „Ta Göte, ta Schiller, ta Schenie, ta Karakter (Du Goethe, du Schiller, du Genie, du Charakter) zur Ironisierung eines besserwisserischen Redebeitrags in einer der vielen Diskussionen.

    Die großen literarischen Leistungen Hans Leichts haben bisher vielfach Würdigung, auch außerhalb der Familie, erfahren. Eine vollkommene gedruckte Ausgabe seiner Werke gibt es nicht; viele literarische Versuche stammen aus seiner Jugendzeit. Sicher sind nicht alle überliefert.

    Aus der Fülle seines Schaffens zwischen Ernstem und Heiterem sind seine einfühlsamen und literarisch versierten Übertragungen aus dem Ungarischen beachtenswert – ein Ergebnis seines Lebens mit Deutschen, Österreichern und eben Ungarn. So übertrug er Werke der ungarischen Nationaldichter Michael Vörösmárty und Sandor Petöfi mit einem feinen Gefühl für den Satzbau und den poetischen Rhythmus der Verse ins Deutsche. Eine Auswahl erschien im Budapester Universitätsverlag und ist in der Deutschen Nationalbibliothek vorhanden.

    Wer jemals versucht hat, sich als deutschsprachiger Mensch dem Ungarischen zu nähern, weiß, wie kompliziert und farbenreich diese Sprache ist. Hans Leicht wären sicher Bekanntheit und Anerkennung zugewachsen, wenn er seine literarische Tätigkeit nicht nur als Hobby betrieben hätte. So bleibt nur die Bewunderung für eine Haltung, die im Grunde wohl Bescheidenheit war. Er trug gern und zur Freude seiner Zuhörer im privaten Kreis vor, doch das Streben nach Veröffentlichung, bis auf kleinere heitere Gedichte in regionaler Presse, war Hans Leicht offenbar der Mühe nicht wert.

    Das sind die beiden Eltern, die bald nach der komplikationslosen Geburt des kleinen Lieschen nach Schäßburg zurückkehren. Wohnung nehmen sie, es konnte unter den gegebenen Umständen nicht anders sein, im Elternhaus der jungen Mutter.

    Im romantischen Kokeltal

    Wie dürfen wir uns das großelterliche und damit nun auch elterliche Haus Elisabeths vorstellen? Eine anschauliche Beschreibung gibt der erste Ehemann von Elisabeth Hering, Hans Ackner. Wir wählen diese Quelle deshalb aus, weil Hans Ackner seinerzeit im engeren Sinne als Bräutigam von Elisabeth noch kein Mitglied der Familie, also einer beschönigenden Darstellung unverdächtig, ist.

    Lieschen Leicht ca. 1913

    Es war ein altes ehrwürdiges Patrizierhaus von rotem Anstrich mit der einen Seite nach der Schulgasse, mit der anderen Seite gegen einen kleinen Hofgarten mit Toreinfahrt. Ein paar alte Bäume standen da und an den Seiten allerlei Kleintierställe, Taubenschlag usw. aus besseren Zeiten, jetzt leer. In einer Glasveranda gegen den Hof nahmen wir im Sommer als häufige Gäste die Mahlzeiten ein.

    Die Innenräume des Hauses waren etwas düster wie in allen diesen alten Häusern, die, wie ein Freund mir einmal sagte, so aussehen, als hätte man sie zuerst massiv gebaut und dann ausgehöhlt (so wird die Schäßburger Bauweise von vielen Betrachtern scherzhaft geschildert – d. A.). So wie das Äußere, so trug auch das Innere des Hauses das Gepräge alten sächsischen Patrizier- und Bürgertums. Hinzu kam noch, dass der alte Dr. Bacon eine besondere Vorliebe für Altväterhausrat hatte und von den Ahnen manches Stück ererbt und auch so manches selbst zusammengesammelt hatte.

    Ein Zimmer war eingerichtet wie ein Museum, an den Wänden hingen alte sächsische Krüge und Familienbilder, in einer Ecke stand ein schöner alter Lutherofen, in der Mitte der Stube ein wertvoller geschnitzter Tisch aus dem Besitz des Siebenbürger Ersten Bathori (Mitte des 17. Jahrhunderts). In diese Stube gelangte man durch eine niedere Tür, die schöne Holzintarsien zeigte, auf beiden Seiten Wehrtürme und Stadtmauern in feiner Einlegearbeit aus alter Zeit. Ein Amerikaner bot einmal über eine Million (in welcher Währung? – d. A.) für diese Tür. Zinnkrüge und Zinnteller vervollständigten den Schmuck. Freilich war der Raum mehr zum Ansehen als zum gemütlich Wohnen.

    Das Haus liegt am Fuße des Schulberges zwischen der Pfarr- und der Schulgasse. (Strada Cositorarilor / Strada Școlii). Den Blick hinauf prägen die architektonisch eindrucksvolle evangelische Bergkirche und das Gebäude der Schule, des heutigen Joseph-Haltrich-Gymnasiums. Haltrich war ein Sammler und Herausgeber siebenbürgischer Märchen. Das Areal der Schäßburger Altstadt wird traditionell einschließlich der Wohnbebauung als „Burg" bezeichnet. Die Altstadt von Schäßburg und damit auch das Bacon´sche Haus gehören seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

    Wir sehen die kleine Elisabeth mit fliegenden Zöpfchen die 172 Stufen der überdachten Schultreppe hinaufhüpfen, um gerade so noch rechtzeitig zum Beginn der Stunde in der Schule zu sein. Wer kennt das nicht: Je näher ein Schüler oder Student bei der Lehranstalt wohnt, desto später kommt er an. Das ist am Anfang des 20. Jahrhunderts sicher nicht anders gewesen. Zudem war Lieschen, wie sie später gern erzählte, als Kind von einer gewissen „Morgenträgheit befallen. Heute würden wir sie wahrscheinlich in die Typisierung „Eule im Unterschied zur „Lerche" einordnen.

    Angekommen, war sie eine gute und eifrige Schülerin, was sie vom Schmieden kritischer Verse jedoch nicht abhielt: „Heute in die Schule gehen, wo so schönes Wetter ist? / Warum muss man immer lernen, was man später doch vergisst?"

    Aus der Kinder- und Jugendzeit stammt auch Elisabeths Liebe zu Sprachen. So waren viele Dienstmädchen keine Deutschen, sondern überwiegend Ungarisch sprechende Szeklerinnen. In Schäßburg bevorzugte man Dienstboten aus dem nahegelegenen Szeklerland, weil sie flinker und anstelliger waren als die etwas schwerfälligeren sächsischen Bauernmädchen, aber auch darum, weil sie, aus ärmeren Gegenden stammend, eher darauf angewiesen waren als die wohlhabenderen Sachsen, die es nicht not hatten, ihre Töchter „dienen" zu schicken.

    Das „Bacon-Haus" in der Schäßburger Schulgasse

    Mit diesen Mädchen sprach man Madjarisch, und daher kommt auch meine geringe Kenntnis dieser Sprache. In der Schule wurde kein Ungarisch mehr gelehrt, weil die rumänische Ära begonnen hatte.¹⁰

    Den Umgang mit den Dienstboten beschreibt Elisabeths Schwester Irmgard noch präziser. So erinnert sie sich, dass die Dienstboten die Familien bei Tisch bedienten und später in der Küche aßen, allerdings das gleiche Essen. Auch mussten sie den Kindern die Schuhe putzen. Sie schildert ein besonders skurriles Erlebnis: Großvater Bacon war doch tatsächlich mit staubiger Hose aus dem Haus gegangen! Die Omama schickte ein „Mädchen" mit der Kleiderbürste hinterher, die dem Dr. Bacon auf offener Straße die Hose bürsten musste. An Sonntagen durften die Dienstmädchen, die an diesem Tag stets ihre ungarische Szekler Tracht trugen, nicht auf dem Korso, der Hauptstraße, spazieren gehen.¹¹

    Lieschens Leistungen im Rumänischen waren also wesentlich besser als im Ungarischen, anfangs allerdings mit etwas Bauchweh. Sie schildert in ihren Erinnerungen, wie sie an einem Zeugnistag weinend nach Hause kam. Die Mutter fragte verwundert, ob sie denn schlechte Zensuren bekommen habe. Nein: Sie hatte in Rumänisch ein „vorzüglich" erhalten, dessen sie sich als gute Sächsin schämte. Ein „Hinreichend in diesem Fach hätte mir, meinem Empfinden nach, meine patriotische Gesinnung bestätigt. Denn in unserem neuen, uns durch den Friedensschluss aufgezwungenen „Vaterland haben wir uns niemals recht zu Hause gefühlt.¹² Doch ein neuer Lehrer verstand es, Lieschens Liebe auch zur rumänischen Sprache zu wecken. Vor allem mit dem Vortrag der ergreifenden Volksballade „Mioritţa", in der ein Hirte zu seinem Lämmchen spricht. Viele Jahre später hat Elisabeth einen Band rumänischer Märchen herausgegeben, von denen sie einige selbst ins Deutsche übertragen hat.

    Wie bereits erwähnt, empfanden die Siebenbürger Sachsen die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche A. B. als Teil ihrer Identität. Die christlichen Einflüsse waren vielgestaltig und die Kirchen gesellschaftliche Mittelpunkte der Ortschaften. Religion und die Auseinandersetzung mit ihr werden im späteren Leben von Elisabeth noch eine bedeutende Rolle spielen, und das nicht nur durch die frühe Heirat mit einem Pfarrer.

    Der Zusammenhalt der Menschen in den Kommunen war eng; in so genannten „Nachbarschaften, einem organisierten Zusammenschluss, wurden städtische Probleme beraten und nach Lösungen gesucht. Stets ein großes Thema war die Organisation traditioneller Festlichkeiten, an die sich noch die alte Elisabeth mit großem Detailreichtum in ihren Memoiren „Versunkene Welt erinnert.

    Allerdings waren nicht alle Siebenbürger Sachsen wohlhabend. Es gab eine bäuerliche Schicht und kleine Handwerker, die durchaus ums Überleben kämpfen mussten. Gerade bei ihnen, aber auch den ärmeren Volksgruppen wie eben den Szeklern und den Zigeunern (diese Bezeichnung war zu dieser Zeit gängig und nicht so diskriminierend, wie wir sie heute empfinden) sah der Armenarzt Dr. Josef Bacon viel soziales Elend, das er mit seinen Mitteln zu bekämpfen suchte.

    In besonderem Maße waren auch alleinstehende Frauen von Armut betroffen.

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