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Das Gewicht von Nähe
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eBook242 Seiten3 Stunden

Das Gewicht von Nähe

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Über dieses E-Book

Ben versucht sich seit Jahren mäßig erfolgreich als Autor von Kurzgeschichten und Romanen. Finanziell hält er sich mit einem Job als Buchhalter über Wasser. In einer Bar lernt er die zehn Jahre ältere Schwedin Nina kennen. Sie fasziniert ihn – und bald wird ihm klar, dass sie der Star aus den siebziger Jahren ist, für den er als Jugendlicher intensiv geschwärmt hat.
Zwischen Nina, die ein Comeback plant, und Ben entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die von Anfang an von Irritationen geprägt ist. Ben schlägt vor, Ninas Biografie zu schreiben. Nina fühlt sich geschmeichelt. Nähe lässt sie aber nur nach ihren Spielregeln zu. Auch den Stoff der geplanten Biografie will sie bestimmen und formen. Als Ben sich zurückziehen will, kippt die Situation.
SpracheDeutsch
HerausgeberSTROUX edition
Erscheinungsdatum13. Nov. 2019
ISBN9783948065102
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    Buchvorschau

    Das Gewicht von Nähe - Fred Reber

    SPÄTER

    Das Messer.

    Plötzlich hält sie es in der Hand.

    Hackt – vorbei an seinem Gesicht – in das Stück Fleischroulade.

    Nagelt es mit einem dumpfen Geräusch auf das Holzbrett. Genau zwischen seinen Daumen und Zeigefinger. Sie hätte seine Hand treffen können, einen seiner Finger.

    „Hast du sie noch alle?"

    Er schubst sie beiseite, stürmt aus der Küche.

    Im Vorbeilaufen zerrt er sein Sakko von der Garderobe. Er bückt sich nach seinen Slippern, will einsteigen, stolpert, reißt die Haustür auf. Nur halb in den Schuhen rennt er aus dem Haus – hinein in den prasselnden Regen. Auf der rutschigen Steinstufe verliert er den rechten Schuh, greift nach unten. Hinter sich in der Eingangstür erkennt er ihren Schatten.

    „Bleib doch, bitte. Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren ist", hört er ihre sanfte Stimme.

    Nein. So nicht.

    Es ist vorbei.

    Endgültig.

    Ben sprintet, den Schuh fest an sich gedrückt, durch die kalte Nässe. Schmerzhaft spürt er spitze Steine unter der Fußsohle. Immer weiter, weiter, nur weg. Nicht beirrren lassen. Völlig durchnässt erreicht er die Abzweigung zur Landstraße. Ein kurzer Blick zurück in die Talsenke: Laubbäume verwehren den Einblick in die Gärten. Über den Wipfeln hängen bedrohliche Regenwolken. Ein Blitz, ein ohrenbetäubender Donner treiben ihn weiter, stolpernd den Straßenrand entlang, auf das Wartehäuschen neben der Bushaltestelle zu. Dort drinnen ist es einigermaßen trocken und geschützt. Benommen lehnt er sich an die Rückwand. Allmählich wird sein Atem ruhiger. Lange starrt er auf seine verdreckten Zehen, auf die Leinenhose, die wie ein nasser Sack faltig über seine Knie und Oberschenkel hängt. Irgendwann wirft er seinen Schuh vor sich auf den Boden, zwängt seinen Fuß in das nasse, steif gewordene Leder, horcht in die Dämmerung.

    Sie wird ihm doch hoffentlich nicht folgen? Motorengeräusche nähern sich, in der Kurve taucht ein Wagen auf und fährt zügig vorüber. Er friert, sein linker Arm, mit dem er schon die ganze Zeit sein Leinensakko gegen die Brust drückt, wird langsam taub. Das durchweichte und zerknitterte Sakko wird ihn kaum wärmen. Er zieht es über, tastet nach seinem Portemonnaie. Glück gehabt, er spürt die Ausbuchtung der Innentasche. Es hätte auch noch auf dem Tischchen neben ihrem Bett liegen können, wo er sonst immer gerne alles abgelegt hat. Hektisch prüft er die Sakkotaschen. Handy. Wohnungsschlüssel. Alles da. Erleichtert lässt er sich auf die hölzerne Sitzbank fallen, starrt er in die vom Regen aufgewühlten Pfützen vor dem Wartehäuschen. Nachmittags war er mit der S-Bahn zu ihr gefahren. Sein alter Käfer hatte einfach nicht anspringen wollen. Ein Messer. Wieso passiert ihm so etwas? Er nimmt das Auto erst wahr, als es schon vor dem Wartehäuschen angehalten hat. Fast panisch springt er hoch, beruhigt sich sofort. Nur ein Taxi! Das Beifahrerfenster senkt sich. Ein bärtiges Gesicht wird sichtbar.

    „Hier kommt heute kein Bus mehr. Es ist zwanzig Uhr durch."

    „Was? Er dreht sich zum Fahrplan hin. „Ach so, ja. Wischt sich über das Gesicht. An seinen Fingern noch der Geruch von rohem Fleisch und Senf. Angewidert lässt er die Hand sinken.

    „Ich muss nach München. Er schluckt. „So schnell wie möglich. Können Sie mich fahren?

    Die Beifahrertür wird aufgedrückt. „Danke."

    Er steigt ein und entdeckt jetzt im beleuchteten Wageninneren, dass sein Daumen blutet.

    „Sind Sie gestürzt?" Der Fahrer neben ihm hat das Blut auch gesehen und reicht ihm ein Papiertaschentuch.

    „Ich war spazieren, unten am See, als mich das Unwetter überrascht hat. Furchtbar. Zu allem Übel bin ich noch über eine Wurzel gestolpert."

    Wie leicht ihm so eine kleine Lügengeschichte fällt. Er untersucht die Wunde zwischen Daumen und Zeigefinger. Erst jetzt spürt er den brennenden Schmerz.

    „Da, an der Brusttasche haben Sie auch Blut. Passen Sie auf, dass Sie hier nichts dreckig machen."

    Der Fahrer hält ihm ein zweites Tuch hin.

    Ben starrt an sich herunter. Überall Blutflecken auf seinem Lieblingssakko, dort, wo er vorhin nach Brieftasche, Handy und Wohnungsschlüssel gesucht hat.

    „Mist!"

    Der Taxifahrer mustert ihn skeptisch, fasst unter seine Schirmmütze, und kratzt sich an der Stirn.

    „Wo müssen Sie denn hin in München?"

    „Brunnerstraße, am Luitpold Park."

    Über sein Lenkrad gebeugt tippt der Mann die Route in das Navigationsgerät, stellt den Taxameter ein, startet den Motor und nimmt die Straße Richtung Autobahn. Er versucht, Ben zu unterhalten, erzählt, wie er einmal mit seiner Freundin ein Gewitter im Boot auf dem See erlebte.

    „Interessiert Sie das überhaupt?", unterbricht er sich und dreht sich zu Ben hin.

    „Ja, natürlich", erwidert Ben mechanisch, während er sich die Finger immer wieder mit dem Papiertuch abwischt, so gut es eben geht.

    Er kann keinen einzigen klaren Gedanken fassen.

    Erst als das Taxi im Petuel-Tunnel die Ausfahrt nach Schwabing nimmt, registriert er, dass der Fahrer inzwischen seinen Wagen schweigend über die im Regen glänzenden Straßen lenkt. Endlich Hausnummer 35, sein Haus. Ben gibt einen Zehner extra, irgendwie bedauert er, so wortkarg gewesen zu sein. Hätte er erzählen können, was er tatsächlich erlebt hat? Er wünscht dem Fahrer eine gute Rückfahrt, steigt aus, wirft die Beifahrertür zu und hastet zum Hauseingang. Oben im dritten Stock drückt er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss. Jetzt fühlt er sich wohler. Die Luft in der Wohnung ist drückend und abgestanden. Er öffnet die Balkontür zum Park und das Schlafzimmerfenster zum Innenhof. Unter der Dusche stellt er fest, der Schnitt zwischen den Fingern ist nur ein kleiner Ritzer.

    Wie kann die Haut an dieser Stelle so bluten? Vielleicht sind die Flecken am T-Shirt und am Sakko nicht nur sein Blut, sondern auch Fleischsaft?

    Er muss endlich etwas essen. In der Küche, beim Anblick seines Messerblocks, vergeht ihm wieder der Appetit. Sein Magen streikt. Er fühlt sich unendlich matt, schleppt sich in sein Schlafzimmer, wirft sich auf das Bett. Draußen prasselt der Regen ans Fenster.

    Warum hat er es so weit kommen lassen?

    Seine Gedanken drehen sich im Kreis, hindern ihn am Einschlafen. Er hätte die Firmen-Weihnachtsfeier sausen lassen sollen. Nur der Hunger hatte ihn dorthin getrieben.

    EIN HALBES JAHR ZUVOR

    18:25 Uhr. Ben setzt sein Namenskürzel BK in die Freigabe der Buchungsmaske und drückt die Entertaste. Für den Zahllauf hat er alle vorliegenden Rechnungen erfasst und gebucht. Er meldet sich an seinem PC ab, steht auf für seine gewohnten Dehnübungen und spürt schnell, wie sich die Verspannungen im Nacken und in den Schultern lösen. Allmählich taucht er gedanklich wieder in seine neue Geschichte ein, in der sich alles um Paul Newman dreht.

    Die Zigarette. Er nimmt sie aus der Schreibtischschublade. Gestern hat er sie unbemerkt dem Kollegen Sandmann stibitzt. Um einen buchhalterischen Vorgang mit dem Kollegen aus dem Controlling zu klären, war er hinübergegangen, hatte ihn aber nicht angetroffen. Als er auf dessen Schreibtisch das Päckchen Zigaretten entdeckte, hatte er zugegriffen. Jetzt hängt die Zigarette lässig im linken Mundwinkel. Er stellt sich vor, er raucht. Der aufsteigende Tabakqualm brennt in seinem Auge. Er kneift es zusammen, so wie er es bei Newman beobachtet hat. Mit diesem schiefen Newman-Gesicht schnappt er sich die leere Wasserflasche und das Glas, trägt beides entspannt und schlaksig den Flur entlang zurück in die Kaffeeküche – wie Paul. Seine Mutter wäre wieder einmal begeistert, wenn sie ihn so sehen könnte. Schon immer hat er sie mit seinen Auftritten begeistern können.

    Er will sein Büro verlassen, hat schon den Mantel übergezogen, da klingelt das Telefon. Die Gottwald vom Marketing, ihr Name leuchtet auf dem Display. Sie sitzt im Nebengebäude, und er weiß ganz genau, dass sie ihn jetzt durch die Glasfronten der Büros von ihrem Schreibtisch aus beobachtet. Er nimmt den Hörer ab.

    „Hallo, lieber Ben. Geht es Ihnen gut? Beschleicht Sie auch langsam dieses gewisse Weihnachtsfeeling?"

    Ihr übertriebenes Gesäusel nervt ihn. Eine dieser Marketing-Frauen. Typisch. Angeblich hat sie etwas mit Lobenthal, dem Vorstand. Er geht auf ihre Frage nicht ein, will einfach nur wissen, was er für sie tun kann, ganz cool. Jetzt wird sie präzise.

    „Ich habe die Rechnungen für den Kundenevent am Nikolausabend geprüft und zur Zahlung freigegeben. Meine Praktikantin bringt Ihnen die Unterlagen sofort rüber."

    „Sie kann sie mir gerne ins Postfach legen."

    Er wird sich von der Gottwald nicht aus der Ruhe bringen lassen.

    „Ich will nur sichergehen, dass alles morgen mit dem letzten Zahllauf in diesem Jahr noch beglichen wird", hört er sie.

    Sein Puls beschleunigt sich. Das darf doch nicht wahr sein. Jetzt, wo er fertig ist, kommt sie mit ihrem Scheiß daher. Das ist absolut nicht zu schaffen. No way!

    „Daraus wird nichts. Rosner hat den Banktransfer auf morgen Vormittag um zehn Uhr festgelegt. Danach bekomme ich von ihm keine Freigabe mehr. Er muss weg zu einem Termin außer Haus."

    Die Gottwald geht überhaupt nicht auf ihn ein.

    „Lieber Ben, Sie wissen doch, wir dürfen niemanden verärgern. Ich brauche die Location, das Catering, den Fotografen mit seinen Leuten. Ende Februar auch den Limousinen-Service für die Präsentation der Sommer- und Herbstkollektion. Und vergessen Sie mir nicht die Rechnung der Kundengeschenke."

    In Momenten wie diesen hasst Ben seinen Job. Niemand in der Firma hat eine Ahnung davon, was er für einen Aufwand betreiben muss, bis er alle steuerlichen Richtlinien für eine Eingangsrechnung abgecheckt hat. Jeder hier denkt wohl, dass er die Belege nur in seinen PC reinschiebt, und dann sucht sich der Computer alle Daten selber zusammen, die für den Banktransfer nötig sind.

    „Ich weiß, Sie enttäuschen mich nicht", säuselt die Gottwald und legt auf.

    Sie kann ihm den Schuh aufblasen. Würde sie ihm besser zuarbeiten, dann bekäme er seinen Job während der üblichen acht Stunden auf die Reihe und sie ihre Rechnungen pünktlich bezahlt. Ben dreht sich um und sieht hinter den Scheiben der Fensterfront, gegen die der Regen trommelt, die Kollegin im Nebengebäude sitzen. Hoffentlich bemerkt sie, dass er den Lichtschalter betätigt – dabei stellt er sich vor, wie ihr sämtliche Gesichtszüge entgleiten, sperrt sein Büro ab, geht lässig wie Paul durch das Treppenhaus nach unten und läuft der Praktikantin direkt in die Arme. Die Gottwald muss sie schon vor dem Telefonat losgeschickt haben. Hätte er bloß den Lift genommen. Das junge Ding überreicht ihm mit einem schüchternen Lächeln den Packen Rechnungen. Er starrt auf das angeheftete Post-it. Für Ihren Einsatz genehmigen wir uns morgen Abend auf der Party ein Glas Champagner extra, hat die Gottwald geschrieben.

    Widerwillig kehrt Ben in sein Büro zurück.

    „Ich kotze gleich." Er feuert seine Umhängetasche in die Ecke, zerrt an den Mantelknöpfen. Er muss sich zwingen, nicht zur Gottwald hinüberzusehen, um ihr den Mittelfinger zu zeigen.

    Es gelingt ihm nicht, sich zu konzentrieren, immerzu schweifen die Gedanken ab zu seiner Paul-Newman-Geschichte für den Schreibwettbewerb. Wieder und wieder vertippt er sich beim Erfassen der Belege.

    21:30 Uhr. Das Hauptgebäude gegenüber liegt im Dunkeln. Wann die Gottwald ihr Büro verlassen hat, ist ihm völlig entgangen, das macht ihn noch wütender.

    Der Regen geht in Schnee über. Schwere, große Flocken wirbeln im Lichtschein der Straßenlaterne unter ihm. Ben beugt sich über den letzten Beleg, ordnet die Ausgaben den entsprechenden Kostenstellen und Projekten zu, und als er sie buchen will, ergibt seine Aufteilung nicht die Rechnungssumme. Er flucht, überprüft alles, addiert, aber es bleibt fehlerhaft. Schließlich springt er hoch, läuft einige Schritte im Büro auf und ab, legt sich auf den Fußboden – für einen kurzen Moment der Entspannung. Autogenes Training wird ihm helfen, es ist ja sonst niemand mehr da. Er spürt die angenehme Schwere in seinem Bein, links, rechts, in seinem Arm, spürt die wohlige Wärme, atmet ganz ruhig …

    Er scheint geschlafen zu haben, denn als er die Augen wieder aufschlägt, sind alle Fenster im Nebengebäude hell erleuchtet. Sämtliche Knochen schmerzen, er friert, kommt nur schwer wieder hoch. Während er sich streckt, bemerkt er Frauen, die in den Büroräumen gegenüber staubsaugen. Dass der Putztrupp noch abends durch das Firmengebäude zieht, ist ihm ganz neu. Jetzt hört er auch in seinem Gang Schritte, in der Tür seines Büros taucht eine Frau auf. Sie begrüßt ihn mit einem freundlichen „Guten Morgen. Ohne ihn weiter zu beachten, beginnt sie, mit einem Tuch die Tastatur seiner Rechenmaschine abzuwischen, das Display seines Telefons. Es braucht einen Moment, bis er begreift: es ist tatsächlich schon kurz nach sieben Uhr morgens. Auf der Toilette stößt er auf eine weitere Putzfrau, die gerade das Handwaschbecken scheuert. Mit einem „Tschuldigung zwängt er sich an ihr vorbei in die hintere der beiden Kabinen. Er verriegelt die Türe und versucht sich zu beruhigen.

    „Null Problem, ist ganz Natur", dringt die Stimme der Frau in gebrochenem Deutsch an sein Ohr. Null Problem? Die hat ja keine Ahnung.

    Sie ist mit Spiegelpolieren beschäftigt, als er seine Kabine verlässt. Es stört ihn, dass sie ihm nach dem Händewaschen auch noch dabei beobachtet, wie er mit den Fingern seine widerspenstigen Haare in Form zu bringen versucht.

    Weil in seinem Büro Staub gesaugt wird, holt er sich in der Gemeinschaftsküche vom Automaten eine große Tasse schwarzen Kaffee, trinkt ihn langsam und in kleinen Schlucken im Stehen. Endlich sind sie mit seinem Büro fertig. Er muss versuchen, den Additionsfehler vom Vorabend zu finden. Wieder ohne Erfolg. Was kann er noch machen? Die ganzen Mühen umsonst, und auch die Chance vertan, ein letztes Mal an seine Paul-Newman-Erzählung ranzugehen und sie beim Wettbewerb einzureichen.

    Wann wird er endlich seine Karriere starten und diesen Laden hier verlassen können?

    Kurzerhand verbucht er den Differenzbetrag auf das Konto für das Catering. Die Gottwald blickt in ihrem Budget sowieso nicht durch, ihr wird es nicht auffallen. Dafür ist der Betrag zu gering. Irgendwie geht es ihm nun etwas besser. Ihm fällt ein, dass er seine Stunden für den Dezember noch nicht in Rechnung gestellt hat. Er holt es nach, bucht sie ein und setzt die Zahlungsvorschlagsliste auf.

    In den angrenzenden Büros hört er erste Kolleginnen und Kollegen, einige grüßen aus dem Gang zu ihm herein. Niemand macht eine Bemerkung darüber, dass er den Rollkragenpullover vom Vortag trägt, die gleiche verwaschene Jeans, als er über den Flur zum Lift geht, um sich unten in der Kantine Frühstück zu kaufen. Durch die offenstehenden Bürotüren hört er mit, wie sich einige über ihre geplante Garderobe für den Abend austauschen.

    „Jetzt haben wir es ja bald geschafft."

    Kollege Sandmann aus dem Controlling kommt Ben im Gang entgegen. Augenzwinkernd beugt er sich ganz nah zu ihm und raunt:

    „Sobald der Alte weg ist, genehmigen wir uns alle in meinem Büro ein Gläschen und stoßen auf die freien Tage an, die vor uns liegen."

    Ben nickt, obwohl er schon jetzt weiß, er wird sich auf keinen Fall dazugesellen. Dieser Sandmann ist ein unangenehm jovialer Typ. Bei jeder ihm sich bietenden Gelegenheit ködert er die Kolleginnen der Verwaltung mit Prosecco und schart sie um sich.

    Zurück in seinem Büro schließt er die Tür, isst neben dem geöffneten Fenster seine Butterbreze. Unter ihm im Innenhof stehen rauchend Kollegen. Sehen kann er sie nicht. Nur riechen. Wie sehr ihn dieser Zigarettenqualm anekelt. Er schließt das Fenster und beobachtet die dicken Schneeflocken, wie sie sich auf den Ästen und Zweigen des alten Kastanienbaums im Innenhof sammeln. Dann holt er die Zahlungsvorschlagsliste aus dem Drucker, kontrolliert sie mit dem alphabetisch sortierten Stapel von Rechnungen. Rosner wird nachher nur Stichproben machen, er hat gar nicht die Zeit, jeden Beleg einzeln zu prüfen. Das Weihnachtsgeschenk für seine Frau ist ihm doch viel wichtiger.

    Missmutig nimmt Ben die aufbereiteten Unterlagen und läuft den Flur hinunter zu Rosners Büro. Wie erwartet, macht der Alte sich tatsächlich nicht die Mühe, auch nur eine einzige Stichprobe zu nehmen. Nicht einmal Bens Honorarrechnung oben auf dem Stapel interessiert ihn. Ohne die abgerechneten Stunden auch nur eines Blickes zu würdigen, krakelt Rosner sein Namenskürzel JR auf das Papier. Wie kränkend. Warum hat er nicht schon längst alles hingeschmissen, fragt sich Ben wieder einmal. Was macht er hier

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