Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Dutzendgeschöpfe
Dutzendgeschöpfe
Dutzendgeschöpfe
eBook250 Seiten3 Stunden

Dutzendgeschöpfe

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Geschichte ist in einen Prolog und zwölf Kurzgeschichten unterteilt, die aber inhaltlich aufeinander aufbauen bzw. zusammengehören. Die letzte Geschichte knüpft an den Prolog an. Der Schauplatz ist Bonn, meine Heimatstadt. Bonner werden viele Orte wiedererkennen, das Mietshaus selbst habe ich mir allerdings ausgedacht. Die Geschichten sind nicht chronologisch angeordnet. Viele Details, die in einer Geschichte beschrieben werden, werden in der folgenden aufgegriffen und erklärt - man versteht nach und nach, wie alles zusammengehört. Im Vordergrund stehen die Beschreibungen der einzelnen Charaktere, die in einer Geschichte Hauptfigur und in der nächsten Nebendarsteller sind.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Jan. 2015
ISBN9783738011944
Dutzendgeschöpfe

Ähnlich wie Dutzendgeschöpfe

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Dutzendgeschöpfe

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Dutzendgeschöpfe - Katia Weber

    Prolog

    13.5.2003

    Mia schließt die Tür hinter sich ab und betrachtet das fremde Badezimmer. Es ist das Bad eines Junggesellen, den sie eigentlich nicht kennt. Ihr erster Eindruck ist, dass es sich um einen sehr ordentlichen Mann handelt: Die Fliesen sind sauber, in den Ecken liegen weder Haare noch Staubflusen, der Spiegel über dem Waschbecken ist streifenfrei. Auf der Porzellankonsole steht ein Becher aus Plexiglas mit einer ausgefransten Zahnbürste darin, daneben liegen eine zur Hälfte aufgerollte Tube Zahncreme und ein Päckchen Zahnseide. Neben dem Waschbecken hängen zwei sorgfältig gefaltete orangefarbene Handtücher, die ganz offensichtlich als Set gekauft wurden. Mia berührt das linke Handtuch. Es ist weich und sieht schön fluffig aus. Sie verzieht den Mund. Die Handtücher bei ihr zuhause sind immer bretthart und knuspern beim Zusammenfalten, weil ihr Vater sich weigert, Weichspüler zu benutzen. Denn das ist schlecht für die Umwelt.

    Mia zieht eine Schublade des Badezimmerschranks heraus. Sie enthält einen schwarzen Hornkamm mit leicht öligem Schimmer (Igitt), ein Nageletui aus irgendeinem billigen Synthetikmaterial und einen Rasierapparat mit Netzteil. Auf dem Boden der Schublade liegen ein paar dunkle Bartstoppeln. Alles eher uninteressant. Mia wendet sich der nächsten Schublade zu.

    Aha. Vorräte, denkt sie.

    Ein paar Shampooflaschen (der Mann hat ein Schuppenproblem), eine noch ungeöffnete 50er-Packung Kondome (Verfallsdatum: Dezember 2002), zweimal Flüssigseife mit Mandelöl, eine angebrochene Dreierpackung Seife mit Fliederduft. Sie erkennt die Verpackung sofort. Die Seife stammt aus dem Laden ihres Vaters. Er hat erzählt, dass Herr Probsthof, der Mann, dem all diese Dinge gehören, ab und zu bei ihm einkauft.

    Die unterste Schublade ist leer. Vielleicht sind Standardschränke von IKEA einfach zu groß, wenn man allein lebt, überlegt Mia. Der Gedanke macht sie traurig. Sie schließt die Schublade und versichert sich, dass alles genauso aussieht wie vorher.

    Sie ist nicht nur zum Schnüffeln auf Klo gegangen. Sie muss tatsächlich. Dringend sogar. Ihr Blick fällt auf die WC-Bürste in der verchromten Halterung. Dann greift sie nach dem Toilettenpapier, das sehr dick und weich aussieht. Bestimmt vierlagig, denkt sie.

    Sie zieht ihre Jeans herunter. Mit einem metallischen Klirren landet die Gürtelschnalle auf den Fliesen, ihre Turnschuhe auf dem kleinen U-förmigen WC-Vorleger verschwinden unter dem Jeansstoff, der sich wie eine knotige Wurst um ihre bleichen Fußknöchel legt.

    Sie hockt sich über die Toilettenschüssel, schließt die Augen und lässt die Arme hängen. In der Wohnung eines alleinstehenden Mannes würde sie sich nie auf die Klobrille setzen, sie lebt schließlich mit einem Mann zusammen, der aus Überzeugung im Stehen pinkelt, und weiß allzu gut, was dabei alles schiefgehen kann. Sie spürt, dass der Urin laufen will, und spannt die Oberschenkelmuskulatur ein wenig stärker an. Dann bemerkt sie den Fußabdruck in dem viereckigen Duschbecken in der Ecke und wundert sich. Der Abdruck ist groß und hellbraun, die Ränder sind ein wenig verlaufen. Wasser tropft von dem schlichten weißen Duschvorhang in das flache Becken. Es ist ganz offensichtlich noch gar nicht so lange her, dass Herr Probsthof geduscht hat. Aber wieso ist er mit Schuhen in die Dusche gestiegen?

    Mia betrachtet den Fleck fasziniert.

    Schade eigentlich, denkt sie, dass ihre Beobachtungsgabe zu nichts taugt. Sie verschafft ihr keine Anerkennung, sie verdient kein Geld damit und damit brüsten kann sie sich auch nicht, weil all ihre kleinen Beobachtungen im Endeffekt niemanden interessieren. Im Grunde genommen nicht mal sie selbst.

    Da vernimmt sie ein eigenartig hohles Geräusch, das sie nicht sofort einordnen kann, und schon geht alles ganz schnell: Etwas spritzt an die Innenseiten ihrer Oberschenkel.

    „Was zum…!", entfährt es ihr.

    Der Deckel, denkt sie, der Deckel war nicht oben. Herr Probsthof ist ein so ordentlicher Mann, dass er den Toilettendeckel wieder nach unten klappt, nachdem er sich erleichtert hat.

    Mia macht instinktiv das Falsche, und zwar einen Schritt nach vorn. Die warme Flüssigkeit läuft an ihren Beinen herab und tropft in die Jeanswurst zu ihren Füßen, spritzt aber auch auf den flauschigen WC-Vorleger und die Fliesen. Sie versucht, den nicht übermäßig starken, aber steten Urinstrahl aufzuhalten, aber es geht nicht. Bis ihr einfällt, sich einfach in die Dusche zu stellen, ist ihre Blase fast leer. Mit den letzten hellgelben Tröpfchen spült Mia den geheimnisvollen Fußabdruck in den Abfluss.

    Bestandsaufnahme. Alles gelb und nass.

    Wow, denkt Mia, was für ein Bild der Verwüstung.

    Sie beißt sich auf die Lippen.

    Pisse. Literweise.

    Oh Mann, wie peinlich, murmelt sie. Scheiße. Wenn das einer merkt.

    Mit zitternden Händen und immer noch heruntergelassenen Hosen steigt Mia aus der Dusche und geht auf Zehenspitzen zur Toilette hinüber, zieht an der Klopapierrolle und reißt ein langes Stück ab. Die Halterung quietscht. Mia blickt an ihren dünnen Beinen hinunter und betrachtet den dunklen Fleck, der sich auf dem Jeansstoff zwischen ihren Füßen gebildet hat.

    Es hilft alles nichts.

    „Tja, flüstert sie, „dann werde ich wohl mal saubermachen.

    Als sie den Toilettendeckel anhebt, um das zusammengeknüllte Klopapier in die Schüssel zu werfen, läuft die blassgelbe Flüssigkeit zu beiden Seiten an dem Porzellansockel herunter.

    Magdalena und der schwule Architekt

    17.11.2002

    Er wohnt jetzt hier. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Irgendwie hat es sich so ergeben.

    Er ist ein Freund von einem Freund von einem Freund und neu in der Stadt. Ich habe mich wohl dazu verpflichtet gefühlt, ihn bei mir aufzunehmen. Zuerst sollte es nur für ein paar Tage sein, aber dann ist er noch einen Tag länger geblieben. Und noch einen Tag. Man kennt das ja.

    Eines Morgens stand er also auf meiner Fußmatte. Er hatte nichts dabei außer einer Aktentasche aus Leder. Als ich sie sah, dachte ich:

    „Typisch."

    Es fehlten nur noch die gespitzten Bleistifte hinter den Ohren und die Papierrollen unterm Arm. Ich habe ein zugegebenermaßen altmodisches Bild von Architekten.

    Davon abgesehen, dass der Mann auf meiner Fußmatte wie ein richtiger Architekt aussah, sah er auch noch richtig schwul aus. Seine Finger waren so gepflegt, dass ich mich schämte und die ganze Zeit damit beschäftigt war, meine abgekauten Nägel vor ihm zu verbergen. Ich steckte meine Hände in die Taschen meiner grünen Jogginghose (für die hätte ich mich eigentlich eher schämen sollen) oder verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

    Als er sich mir vorstellte, grinste er breit und zeigte mir seine strahlend weißen Zähne.

    „Ich heiße Arne", sagte er und streckte mir seine perfekte Hand hin.

    Ich hielt sie unsicher fest und erwiderte:

    „Magdalena. Angenehm."

    Dabei dachte ich, dass angenehm ein komisches Wort ist.

    Wir setzten uns in die Küche.

    Meine Küche besteht aus einem mit Duplo-Bildern (Fußball-WM 1990) beklebten Hängeschrank mit ausgeleierten Scharnieren, einem Kühlschrank, der so laut brummt, dass ich die Küchentür geschlossen halten muss, wenn ich die Nachrichten im Wohnzimmer verstehen will, zwei verklebten Herdplatten und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen, die ich auf dem Sperrmüll gefunden habe. Ich weiß, dass meine Mutter sie am liebsten mit Desinfektionsspray einsprühen würde, wenn sie mich besucht.

    Wir saßen uns gegenüber. Arne hielt sich an der Tischkante fest wie ein kleines Kind. Die braune Aktentasche lehnte an einem der wackeligen Tischbeine.

    „Nett von dir, dass du mich bei dir aufnimmst, meinte Arne und wirkte etwas verlegen, „Ich kann natürlich auch in eine Pension gehen oder so.

    Ich winkte ab.

    „Nee, lass mal. Wir werden uns schon vertragen."

    Ich wunderte mich über mich selbst. Solche Phrasen waren eigentlich nicht mein Stil.

    „Was hast du denn so für Pläne?", wollte ich wissen.

    Arne zuckte die Achseln.

    „Ich werde mich bei ein paar Zeitarbeitsfirmen vorstellen und mal gucken, was passiert."

    Mal gucken. Aha.

    Ich nickte.

    „Was machst du so?", fragte er.

    „Ich bin Model", antwortete ich und sah ihm dabei nicht in die Augen.

    „Oh, machte Arne, „Das ist ja interessant.

    Ich glaube, er meinte das ernst.

    „Geht so, gab ich zurück, „Momentan bekomme ich keine Aufträge.

    „Oh", machte Arne erneut und schaute auf seine Hände.

    Wir tranken eine Tasse Kaffee zusammen und redeten in abgehackten Sätzen. Ich war froh, als er plötzlich auf die Uhr schaute und meinte, dass er noch eine Verabredung hätte. Ich begleitete ihn bis zur Wohnungstür. Nachdem ich sie geschlossen hatte, stürmte ich ins Wohnzimmer und stellte mich an die Gardine, um ihm nachzuschauen.

    Arne übernachtete auf dem Sofa im Wohnzimmer. Es war zwar keine Ausziehcouch, aber dennoch recht bequem. Arne war jedenfalls glücklich.

    „Das ist echt toll von dir", betonte er noch einmal, bevor er sich am ersten Abend schlafen legte.

    Ich verdrehte die Augen. Seine Dankbarkeit ging mir auf die Nerven. Ich bin kein mildtätiger Mensch. Ich bin auch nicht besonders freundlich oder aufgeschlossen. Ich glaube, tief in meinem Inneren sehnte ich mich einfach nur nach ein wenig Gesellschaft und Abwechslung. Das ewige Herumsitzen in der Wohnung trieb mich langsam in den Wahnsinn.

    Bald stellte sich heraus, dass ich eine gute Entscheidung gefällt hatte. Arne war ein wunderbarer Gast. Er schrubbte die Dusche, nachdem er sie benutzt hatte. Er räumte morgens sein Bettzeug zusammen. Er machte Kaffee und klopfte zaghaft an meine Schlafzimmertür.

    „Guten Morgen, flüsterte er dann, „Kaffee ist fertig.

    Dann stellte er den Becher vor der Tür auf den Dielen ab.

    Wenn er die Wohnung verließ, zog er die Tür leise hinter sich zu, um mich nicht zu wecken oder zu stören. Außerdem schrieb er Einkaufszettel und machte Besorgungen, brachte den Müll hinunter, spülte das Geschirr, wischte Staub, schlug die Kissen aus und putzte sogar zweimal die Fenster. Als er das erste Mal meine Wäsche wusch, war ich zunächst verärgert. Meine Unterwäsche ist mir peinlich. Sie war billig, und das sieht man. Als ich jedoch beobachtete, dass Arne sie beim Aufhängen keines Blickes würdigte und genauso gleichgültig mit Wäscheklammern an den dünnen Metallstreben des Ständers befestigte wie die Spültücher und Socken, atmete ich erleichtert auf.

    „Hast du eigentlich einen Freund?", fragte ich ihn daraufhin.

    „Ich weiß nicht, gab er zurück, „Ist noch nicht ganz klar.

    „Also hast du zumindest Sex?", fragte ich.

    Arne wurde rot.

    „Entschuldigung, entgegnete ich schnell, „Das geht mich nichts an.

    „Nein, nein, meinte Arne und hängte noch zwei Paar Socken von mir auf, „Schon in Ordnung. Wir hatten schon mal Sex, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich etwas für ihn ist.

    Ich wurde neugierig.

    „Du meinst, er weiß nicht, ob er wirklich schwul ist?"

    Arne blickte auf und sah mich prüfend an.

    Ich hob die Arme und machte eine Geste, die wohl Hilflosigkeit oder etwas in der Art ausdrücken sollte.

    „Es tut mir leid, ich bin einfach neugierig."

    Arne bückte sich, um ein Hemd aus dem Wäschekorb zu nehmen.

    „Ja, das kann man wohl so sagen. Er hatte vorher noch nie was mit einem Mann."

    „Wusstest du das, als du ihn kennen gelernt hast?", bohrte ich weiter.

    „Naja. Ich hatte so eine Ahnung."

    Wir schwiegen eine Weile, während Arne die restliche Wäsche aufhängte. Dann ging er um den Wäscheständer herum und setzte sich auf die Lehne der Couch.

    „Noch Fragen?", meinte er und grinste mich an.

    Ich überlegte kurz und schaute dabei an die Decke. Mir fiel tatsächlich noch etwas ein. Ich fragte:

    „Hast du schon mal was mit einer Frau gehabt?"

    „Klar, meinte Arne, „mehrfach sogar.

    „Aber irgendwie war das nicht so das Richtige?"

    Arne zuckte die Achseln.

    „Naja, sagte er dann, „schlecht war es nicht. Aber Sex mit Männern gibt mir mehr.

    „Und jetzt hast du dir also einen Heteromann an Land gezogen?"

    Arne musste lachen.

    „Irgendwie schon."

    Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

    „Und wie macht man das?", wollte ich wissen.

    Arne ließ sich gegen die Rückenlehne fallen und legte den Kopf in den Nacken. Das Sonnenlicht fiel in diesem Moment in seine Augen. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass sie grün waren. Und das veränderte etwas. Plötzlich war Arne nicht nur schwul, sondern auch attraktiv und ich konnte verstehen, warum sich auch ein Heteromann auf ihn einlassen würde.

    Oder eine Heterofrau.

    „Er ist ein Bekannter von einem Bekannten. Wir haben uns getroffen, einen Kaffee getrunken und uns unterhalten. Und dann war relativ schnell klar, dass er Interesse hat. Man spürt das einfach", berichtete Arne.

    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also schwieg ich.

    „Und du?"

    Arne drehte sich zu mir und sah mich erwartungsvoll an.

    „Was, ich?"

    „Stell dich nicht dumm, lachte Arne, „Wie sieht’s bei dir aus?

    „Hm", machte ich und fixierte Arnes silbergraue Koteletten.

    „Bei mir ist momentan gar nichts los, entgegnete ich schließlich, „Ich bin noch nicht mal verliebt. Ich bin sonst immer verliebt. Ich weiß auch nicht.

    Arne reagierte nicht darauf. Er starrte auf einen unbestimmten Punkt auf dem Teppichboden vorm Fenster. Ich musste ihn die ganze Zeit angucken und hatte Angst, dass er es merken könnte. Aber diese Angst war unbegründet. Arne war so in Gedanken versunken, dass er wahrscheinlich für einen Augenblick vergessen hatte, dass ich mit ihm in einem Raum war. Wir verharrten vielleicht ein oder zwei Minuten in dieser Position des Nichts-Sagens und Nichts-Tuns. Zwei Minuten können ganz schön lang sein. Zwischendurch vergaß ich sogar zu atmen. Ich hatte das Gefühl, ein Foto von Arne und mir zu betrachten und gar nicht echt zu sein.

    „Sollen wir was bestellen?, fragte Arne unvermittelt, „Geht auf mich.

    „Super", antwortete ich.

    Ich hatte überhaupt keinen Hunger.

    Ein paar Wochen später hatte Arne einen Job. Nicht als Architekt, sondern als Rezeptionist. In einem Fitnessstudio. Ich konnte es nicht fassen.

    „Aber du bist doch Architekt!", rief ich aus.

    „Was soll ich machen?, erwiderte Arne, „Ich finde einfach nichts. Und es ist immerhin besser, als den ganzen Tag nur rumzusitzen und nichts zu tun.

    Ich war beleidigt, noch bevor ich eigentlich begriff, warum, und ließ mich mit viel Schwung auf einen der armseligen Küchenstühle fallen. Arne wusste sofort, was los war.

    „Oh, sagte er, „Das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war keine Anspielung, echt nicht.

    „Trampel", motzte ich.

    Da war ich schon gar nicht mehr wütend auf ihn, aber ich hatte das Gefühl, dass es gekünstelt wirken würde, wenn ich von jetzt auf gleich wieder ganz normal mit ihm umging. Also spielte ich noch einen Augenblick lang die beleidigte Leberwurst. Ein bisschen Drama gehörte einfach dazu.

    Arne setzte sich mir gegenüber an den Tisch, wie am ersten Tag.

    „Es tut mir leid", sagte er erneut.

    Ich seufzte.

    „Du hast ja recht, meinte ich dann, „Suchen die vielleicht noch jemanden?

    Arne lächelte. Mein Blick blieb an seinen Grübchen hängen und in meinem Kopf formte sich ein Wort, dass nur verliebte Menschen benutzen: zauberhaft. Ich versuchte, den Gedanken wegzublinzeln.

    Mach dich nicht lächerlich, Lena.

    „Ich kann ja mal nachfragen", bot Arne an.

    „Was?"

    Ich hatte den Faden verloren. Mein Blick wanderte von Arnes Grübchen zu seinem Mund und zurück zu seinen Grübchen, und ich hatte urplötzlich fürchterlichen Durst.

    „Ob sie noch jemanden brauchen können", meinte Arne.

    „Wo?"

    Arne legte den Kopf schief.

    „Äh, Lena…?"

    Ich legte den Kopf ebenfalls schief, um Arne genau in die Augen blicken zu können.

    „Kann ich dich mal was fragen?"

    Arne hob überrascht die Augenbrauen.

    „Klar. Schieß los."

    „Dieser Typ, den du dir da aufgerissen hast. Was findest du so toll an ihm?"

    Arne überlegte einen Augenblick.

    „Er riecht total gut."

    Arne musste lachen.

    Ich lächelte schwach. Ich war mit einem Mal todtraurig.

    Arne verschaffte mir einen Job in dem Fitnessstudio. Ich arbeitete mittwochs und freitags, Arne hatte seine Schichten dienstags und donnerstags. Obwohl wir uns im Studio nie über den Weg liefen, hatten wir plötzlich eine ganze Reihe gemeinsamer Bekannter.

    „Ich hasse die Rothaarige", erklärt Arne und verdreht die Augen.

    Es ist Donnerstagabend und wir teilen uns eine Tiefkühlpizza.

    „Die, die immer das Laufrad vorne rechts haben muss?"

    „Genau die, bestätigt Arne kauend, „Erstens sieht sie immer aus, als würde sie jeden Moment vom Rad fallen, und zweitens stinkt sie dauernd nach Knoblauch.

    „Ist mir auch schon aufgefallen", erwidere ich.

    „Wen hasst du am meisten?", will Arne wissen.

    „Die Blonde mit der komischen Tätowierung im Nacken. Ich glaube, sie denkt, sie wäre Angelina Jolie. Sie stülpt die Lippen immer so vor."

    Ich stülpe meine Lippen nach außen, bis ich sie aus den Augenwinkeln unter meiner Nase sehen kann. Arne verschluckt sich vor Lachen, bekommt einen roten Kopf und hustet eine ganze Weile.

    Wer hätte gedacht, dass ich mal in einer WG leben würde, denke ich.

    „Du, am Wochenende kommen meine Eltern vorbei", verkünde ich dann.

    Arne fragt:

    „Du meinst, dass ich mich dann aus dem Staub machen soll?"

    Ich grinse.

    „Nein. Ich meine, dass meine Eltern vorbeikommen. Wenn du darauf keine Lust hast, solltest du dich tatsächlich aus dem Staub machen. Ansonsten bist du herzlich willkommen, mit uns zu frühstücken. Sie sind ganz nett."

    Arne wirft mir einen skeptischen Blick zu.

    „Du machst ja echt Werbung für deine Eltern."

    Ich nehme einen Schluck Kaffee und winke schnell ab.

    „Nein, ernsthaft. Meine Eltern sind wirklich in Ordnung."

    Arne streicht sich ein paar Mal unsicher durch die Haare.

    „Hast du ihnen gesagt, was mit mir los ist?"

    Ich muss lachen.

    „Dass du auf Männer stehst? Na klar! Dachtest du, ich hätte dich als meinen tollen Liebhaber ausgegeben?"

    Arne ist nicht überzeugt.

    „Ich weiß nicht. Ich sollte wahrscheinlich kein Problem damit haben, aber irgendwie ist

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1