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Die Witwe Couderc
Die Witwe Couderc
Die Witwe Couderc
eBook210 Seiten2 Stunden

Die Witwe Couderc

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Über dieses E-Book

Fünf Jahre lang hat Jean im Gefängnis gesessen. Nun steht er auf der Straße und weiß nicht wohin. Bis Tati Couderc sich seiner annimmt. Sie lässt ihn nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Bett. Jean, der 28-jährige Sohn aus gutem Hause, der zum Mörder geworden ist, und Tati, die verwitwete Bäuerin von 45 Jahren, werden ein Paar, ein ungleiches Paar – aber es geht ihnen gut miteinander. Viele Worte machen sie nicht und kommen sich doch immer näher. Und so könnte es ewig bleiben – wären da nicht die anderen: Tatis Familie, die ihr nichts gönnt, weder das Dach über dem Kopf noch den jungen Mann, und die schöne Félicie, blutjung, unverfroren und gierig. Und so zieht das Misstrauen ein in diese Beziehung, und es kommt zur unausweichlichen Tragödie.
1971 mit Simone Signoret und Alain Delon in den Hauptrollen verfilmt.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum4. Okt. 2018
ISBN9783311700098
Die Witwe Couderc
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Die Witwe Couderc - Georges Simenon

    1

    Er ging. Er war allein, und vor ihm erstreckten sich mindestens drei Kilometer Landstraße, die alle zehn Meter vom schräg laufenden Schatten eines Baumstammes unterteilt wurde. Mit großen Schritten, doch ohne sich zu beeilen, ging er von einem Schatten zum anderen. Da es kurz vor Mittag war und die Sonne sich dem Scheitelpunkt näherte, glitt ein kurzer, lächerlich gedrungener Schatten vor ihm her.

    Die Landstraße stieg gerade bis zum Gipfel des Hügels an, wo sie unvermittelt aufzuhören schien. Links im Wald hörte man ein Knacken. Rechts, weiter weg in den weich wogenden Feldern, war ein Pferd zu sehen, ein Schimmel, der ein auf Räder montiertes Fass zog, und im selben Feld eine Vogelscheuche, die vielleicht ein Mensch war.

    Eben fuhr der rote Bus aus Saint-Amand hinaus, wo Markttag war, bahnte sich unter Gehupe seinen Weg durch die endlos lange Dorfstraße mit den weißen Häusern hinaus auf die von Ulmen gesäumte Landstraße. Er las noch eine Bäuerin auf, die zum Schutz gegen die Sonne ihren Regenschirm aufgespannt hatte. Es war kein Sitzplatz mehr frei. Die Bäuerin dachte nicht daran, ihre beiden Körbe abzustellen, und nun stand sie schwankend und mit starren Augen zwischen den Bänken, wie eine kranke Henne.

    »Jeanine, die in der Nachbarloge war, hat es mir erzählt. Es wäre regelrecht eklig gewesen, hat sie gesagt … Und bis Jeanine sich vor etwas ekelt! …«

    Der Fahrer mit seiner Uniformmütze und seiner etwas schief sitzenden malvenfarbenen Krawatte saß ungerührt am Steuer, den Blick auf die dunklen Linien geheftet, welche die Landstraße in Streifen zerlegten. »Rauchen verboten«, stand auf einem kleinen Schild. Die Zigarette, die zwischen seinen Lippen klebte, war ausgegangen.

    »Das kann man wohl sagen …«, meinte er beiläufig und wie ein Mann, der weiß, was er sagt.

    Das dicke Mädchen, das sich eine Viertelstunde vor Abfahrt des Busses ganz vorn neben ihn gesetzt hatte, redete weiter, zwischendurch entfuhr ihr ein leises Glucksen:

    »Léon war da, der Friseurgehilfe … Dann Lolotte … Dann ein Junge aus Montluçon, der in der Flugzeugfabrik arbeitet … Dann Rose …«

    »Welche Rose?«

    »Die müssen Sie kennen … Sie fährt jeden Tag mit dem Fahrrad die Landstraße entlang … Sie ist die Tochter des Schlachters aus Tilly … So eine Dicke mit roten Backen und Glupschaugen und zu kurzen Kleidern … Sie fährt nach Saint-Amand, um Maschineschreiben und Stenographie zu lernen … Ein richtiges Luder!«

    Hühner, Enten regten sich in den Körben. Vierzig Frauen, vielleicht auch mehr, alle in Schwarz, saßen dichtgedrängt auf den Bänken und blickten stumm vor sich hin, während ihre Köpfe im Fahrtrhythmus hin und her ruckelten und ihre Oberkörper manchmal nach vorn geschleudert wurden.

    Zehn, neun, acht Kilometer vor ihnen lief noch immer der Mann, und er lief wie einer, der kein Ziel hat und an nichts denkt. Er hatte kein Gepäck, keine Pakete, keinen Spazierstock, nicht einmal einen Stecken. Seine Arme schwangen frei.

    »Léon hat im Dunkeln mit Lolotte rumgemacht, und die hat so laut gelacht, dass alle im Kino ›Pscht!‹ gemacht haben …«

    Der dicke rote Bus wurde von einem grauen Auto überholt. Es waren keine Leute aus der Gegend. Sie kamen von weit her und hatten es noch weit. Das Auto fuhr schnell, trotz der beginnenden Steigung. Der Mann, der lief, hörte es, während er im selben Tempo weiterlief, drehte nur ein wenig den Kopf und hob ohne Überzeugung einen Arm.

    Das Auto hielt nicht an. Die Frau, die neben dem Fahrer saß, fragte:

    »Was wollte der?«

    Sie drehte sich um, sah eine lange Silhouette, die immer noch vom Schatten des einen zum Schatten des darauffolgenden Baumes ging, dann hatte das Auto die Hügelkuppe erreicht und fuhr auf der anderen Seite hinunter.

    Der Bus folgte mit laut brummendem Motor, weil der Fahrer einen niedrigeren Gang eingelegt hatte. Der Bus vibrierte heftig. Die Witwe Couderc, die hinter dem Fahrer saß, blickte besorgt zum Dach hoch, auf dem man Gepäckstücke poltern hörte.

    Der Mann, der lief, hob abermals den Arm. Der Bus hielt genau auf seiner Höhe an. Ohne seinen Sitz zu verlassen, öffnete der Fahrer mit einer vertrauten Handbewegung die Wagentür.

    »Wohin?«

    Der Mann blickte um sich und murmelte ganz selbstverständlich:

    »Ganz gleich. Wohin fahren Sie?«

    »Nach Montluçon …«

    »Gut …«

    »Montluçon? Acht Franc …«

    Der Bus fuhr wieder an. Im Stehen durchwühlte der Mann seine Taschen, holte daraus ein Fünffrancstück hervor, dazu eine Marke im Wert von zwei Franc, dann kramte er zuversichtlich in den anderen Taschen und förderte noch fünfzig Centime hervor.

    »Da! Das sind sieben Franc fünfzig. Ich werde kurz vor Montluçon aussteigen …«

    Die Frauen, die vom Markt zurückkamen, sahen ihn an. Die Witwe Couderc sah ihn ebenfalls an, wenn auch anders als die anderen. Das Mädchen vorn neben dem Fahrer drehte sich zu ihm um, denn Männer dieses Schlages kannte sie noch nicht.

    Der Bus rumpelte mühsam die Anhöhe hinauf. Durch die offenen Fenster drang der Fahrtwind herein. Der Witwe Couderc hing eine Haarsträhne in die Stirn, ihr hochgestecktes Haar begann sich aufzulösen, und unter ihrem Kleid sah ein rosa Unterrock – in einem merkwürdig bläulichen Rosaton – hervor.

    Glockengeläut, aber weit und breit keine Kirche. Es musste Mittag sein. Am Rand der Landstraße sah man ein Haus, und eine Frau stieg aus dem Autobus – direkt vor einer Türschwelle, auf der zwei Kinder saßen.

    War es nicht erstaunlich, dass von den vierzig Frauen nur die Witwe Couderc den Mann mit anderen Augen ansah, als man einen x-beliebigen Mitreisenden ansieht? Die anderen waren friedlich wie Kühe auf einer Wiese, die sorglos weiterweiden, wenn zwischen ihnen plötzlich ein Wolf auftaucht.

    Und doch war er ein Mann, wie sie noch keinen im Bus gesehen hatten, wenn sie samstags zum Markt fuhren. Die Couderc hatte das sofort begriffen. Sie hatte ihn den Arm heben und dem Auto zuwinken sehen, bevor er den Autobus anhielt. Ihr waren seine leeren Hände aufgefallen, denn für gewöhnlich läuft man nicht ziellos und mit leeren Händen die Landstraßen entlang.

    Während sie weiterhin die Ohren spitzte und sorgenvoll zum Busdach hochblickte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Sie registrierte alles: seine schlechtrasierten Wangen, seine hellen Augen, die nichts ansahen, seinen grauen abgetragenen und trotzdem irgendwie lässigen Anzug und seine feinen Schuhe, mit denen er sich bestimmt geräuschlos und geschmeidig wie eine Katze anschleichen konnte. Nach den sieben Franc fünfzig zu schließen, die er dem Fahrer für eine blaue Fahrkarte gegeben hatte, war er nun völlig abgebrannt.

    Der Mann starrte zurück, mit zusammengekniffenen Augen, wie um sie besser sehen zu können, und einmal kräuselte sich seine Oberlippe, als lächelte er in sich hinein. War es der Knubbel der Couderc, der ihn erheiterte? Alle sagten »der Knubbel« zu dem Fünffrancstück großen Fleck auf ihrer linken Wange; er war von tausend seidigen braunen Härchen bedeckt, als hätte man ein Stück Tierfell dorthin übertragen, beispielsweise von einem Iltis.

    Inzwischen hatte der Bus die Anhöhe bereits hinter sich und fuhr bergab; hinter den Bäumen nahm man bisweilen den Cher wahr, dessen schnellfließendes Wasser über die Steine sprang.

    Auch die Couderc musste ein Lächeln unterdrücken. Der Mann klimperte mit den Wimpern. Ein wenig war es so, als hätten sie einander zwischen all den Marktweibern mit den ruckelnden Köpfen erkannt.

    Beinahe hätte die Couderc die Stelle verpasst, wo sie aussteigen wollte. Sie merkte plötzlich, dass sie den Fuß der Anhöhe erreicht hatten. Sie beugte sich vor, tippte dem Fahrer auf den Rücken, worauf dieser bremste.

    »Sie müssen mal bei meinem Brutapparat mit anpacken!«, sagte sie.

    Sie war klein und breit, ziemlich mollig. Mit all ihren Körben aus dem Wagen zu steigen war keine Kleinigkeit, denn erst wollte sie selbst aussteigen, doch dann wollte sie zuerst ihre Körbe auf die Straße stellen.

    Der Fahrer sprang hinaus. Die vierzig Frauen im Bus blickten ihr schweigend hinterher. Nicht weit entfernt stand ein kleines Haus, ein winziges Häuschen mit einem blaugestrichenen Zaun drum herum.

    »Vorsicht, dass nichts kaputtgeht … Diese Sachen sind zerbrechlich! …«

    Der Fahrer hatte sich über die eiserne Leiter am Heck des Busses aufs Dach hinaufgeschwungen und ließ nun eine riesige Kiste mit vier Füßen herunter, welche die Couderc packte und behutsam an den Straßenrand stellte.

    Sie suchte ein Zweifrancstück aus einer vollen Geldbörse hervor, reichte es ihm:

    »Da, mein Junge …«

    Doch sie sah nicht den Fahrer an, sondern den Mann von der Straße, und zwar mit einem Anflug von Bedauern.

    Der Bus fuhr wieder an. Durch die Heckscheibe sah der Mann die Couderc neben ihrem riesigen Kasten und ihren Körben am Straßenrand stehen.

    »Wie ihre Nichte«, sagte das dicke Mädchen vorn neben dem Fahrer. »Kennen Sie Félicie? …«

    Der Mann hätte sich hinsetzen können, denn jetzt war ein Platz frei. Doch er blieb stehen. Die Straße machte einen Knick. Die Couderc und das kleine Haus verschwanden aus dem Blickfeld. Da beugte er sich vor und berührte den Fahrer an der Schulter.

    »Können Sie mich hier rauslassen?«

    Alle Köpfe wandten sich um, als der Bus wieder anfuhr, alle schauten zu, wie er sich in die Gegenrichtung entfernte, und das Mädchen sagte zum Fahrer:

    »Komischer Kerl!«

    Er war bereits weiter weg, als er geglaubt hatte. Er musste mehrere Minuten gehen, bis er erneut das kleine Haus entdeckte, die Pakete am Straßenrand, die Couderc, die das Zauntor geöffnet hatte und an eine Haustür klopfte.

    Ohne Verwunderung sah sie ihn kommen. Als er stehen blieb, kam sie an den Zaun zurück.

    »Ich dachte, die Bichat wäre zu Hause und würde mir ihre Schubkarre leihen!«, sagte sie. »Und jetzt ist alles zu!«

    Dennoch rief sie mit schriller Stimme nach verschiedenen Richtungen:

    »Clémence! … Clémence! …«

    Dann:

    »Wo steckt sie bloß? Sie geht sonst nie weg. Sie hat wohl schlechte Nachrichten von ihrer Schwester bekommen …«

    Sie ging ums Haus herum, fand die Hintertür ebenfalls verschlossen.

    »Wenn ich bloß ihre Schubkarre finden könnte! …«

    Aber es gab ein Gemüsebeet und ein paar Blumenrabatten, doch keine Schubkarre. In einem Käfig gurrte eine Turteltaube.

    »Ist es weit bis zu Ihnen?«, erkundigte sich der Mann.

    »Sechshundert Meter, unten beim Kanal … Ich hatte fest mit der Schubkarre von Clémence gerechnet …«

    »Soll ich mit anfassen?«

    Sie sagte nicht Nein. Sie hatte es erwartet.

    »Glauben Sie, dass Sie den Brutapparat ganz alleine tragen können? Vorsicht, er ist zerbrechlich …«

    Immer wieder warf sie ihm neugierige, zufriedene Blicke zu.

    »Es war ein Sonderangebot … Ich habe ihn beim Blechschmied gesehen, der gleich vorne am Marktplatz seine Werkstatt hat … Ich habe ihm zweihundert Franc geboten … Erst ganz zuletzt, ich wollte schon in den Bus steigen, hat er ihn mir für dreihundert gelassen … Ist er nicht zu schwer?«

    Er war sperrig, aber nicht schwer. In dem Kasten klapperte es.

    »Vorsicht, da ist eine Lampe drin …«

    Sie folgte ihm mit ihren Körben. Sie schlugen einen von Haselnusssträuchern gesäumten Seitenweg ein, mit einem weichen Bodenbelag, wie in einem Wald.

    Auf die Stirn des Mannes traten Schweißtropfen.

    »Sie suchen Arbeit, stimmt’s?«, fragte sie ihn und versuchte ihn mit ein paar raschen Schritten einzuholen.

    Er antwortete nicht. Das Hemd klebte ihm am Leib, und wegen seiner schweißnassen Hände hatte er Angst, dass ihm der Apparat entgleiten könnte.

    »Warten Sie, ich mach Ihnen die Tür auf …«

    Doch die Tür stand bereits offen, und dahinter erahnte man eine geräumige Küche, wenn man auch im Halbdunkel drinnen zunächst nichts sah.

    »Stellen Sie’s hier ab … Gleich werden wir …«

    Eine fuchsrote Katze rieb sich an ihren Beinen. Sie stellte die Körbe auf einen weißen Holztisch. Dann öffnete sie eine zweite Tür, und die Sonne, die in den Garten schien, flutete in den Raum. Im Vorbeigehen nahm der Mann ihren Achselschweiß wahr.

    »Setzen Sie sich einen Augenblick … Ich gebe Ihnen einen Schluck Wein …«

    Was stimmte nicht? Sie war unruhig wie ein Tier, das in seinen Bau zurückkehrt und fremde Ausdünstungen wittert. Sie entdeckte einen winzigen Fettfleck auf der Tischplatte, hob den Blick zu den beiden Schinken, die an einem Dachbalken hingen, und plötzlich funkelten ihre Augen zornig.

    »Warten Sie! … Bleiben Sie sitzen! …«

    Sie eilte in den Garten hinaus, der aussah wie der Innenhof eines Bauerngutes, mit einem Misthaufen, einer Karre, die auf ihren Deichseln ruhte, mit Hühnern, Gänsen, Enten.

    Er stellte sich in den Türrahmen und blickte ihr nach. Sie ging zielstrebig, und er merkte, dass jemand anderer vor ihr herlief, und zwar fluchtartig, ein mageres junges Mädchen von etwa sechzehn Jahren, das ein Kind auf dem Arm trug.

    Das Mädchen ging auf einen Zaun zu, hinter dem man einen Kanal und eine Zugbrücke erahnte. Sie rannte. Die Couderc holte sie trotzdem ein, und man sah sie heftig und wütend auf das Mädchen einreden, auch wenn man sie nicht hörte.

    Die eine Hand des jungen Mädchens hielt den Säugling. Die andere war unter der blaukarierten Schürze versteckt.

    Diese zweite Hand holte die Couderc hervor und entriss ihr ein in Zeitungspapier eingewickeltes Päckchen.

    Dann rief sie der fliehenden Halbwüchsigen etwas nach – offensichtlich Beschimpfungen! – und knallte das Zauntor zu. Mit dem Päckchen in der Hand kam sie zum Haus zurück. Sie öffnete eine Tür, die in einen Schuppen führte, und ließ einen Mann heraus, der nun vor ihr herging, der ein Bein nachzog und den Kopf gesenkt hielt.

    »Dieses Miststück!«, erklärte sie, als sie in die Küche zurückkam und das Päckchen, das zwei dicke Scheiben Schinken enthielt, auf den Tisch warf. »Sie hat schon wieder meine Abwesenheit ausgenutzt, ihren Großvater besucht und mir Schinken geklaut! … Sie können das nicht verstehen … Sie ist eine Schlampe! … Ein Mädchen, das sich mit sechzehn Jahren schon ein Kind hat machen lassen …«

    Sie warf dem Alten einen harten Blick zu; dieser blieb in der Küche stehen und sah zu Boden.

    »Trotzdem würde dieser alte Trottel da sein letztes Hemd für sie hergeben …«

    Der besagte alte Trottel rührte sich nicht vom Fleck und beäugte neugierig den in graues Papier eingeschlagenen Kasten, der mitten in der Küche auf dem Boden stand.

    »Stolz ist er nicht, o nein! … Er weiß genau, dass er mir das büßen wird! … Schauen Sie, was für ein Gesicht er wieder macht …«

    Sie öffnete einen braungestrichenen Wandschrank, entnahm ihm

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