Ihr letzter Wunsch – ein Kind: Dr. Daniel 2 – Arztroman
Von Marie Francoise
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Über dieses E-Book
»Herr Doktor, ich möchte die Wahrheit wissen.« Dr. Gerrit Scheibler sah von dem Krankenbericht auf, in dem er gerade gelesen hatte, und direkt in das Gesicht seiner jungen Patientin hinein. Sehr blaß, was durch die dichten dunklen Locken noch verstärkt wurde, stand sie vor ihm, und in ihren großen tiefblauen Augen konnte er unschwer die Angst erkennen, die sie im Herzen trug. »Bitte, Frau Krenn, nehmen Sie Platz.« Dr. Scheibler versuchte Zeit zu gewinnen. Die Wahrheit, hatte sie gesagt. Wie, um Himmels willen, sollte man ein achtzehnjähriges Mädchen mit einer so grausamen Wahrheit konfrontieren? Dr. Scheibler sah in die blauen Augen, die voller Erwartung auf ihn gerichtet waren, dann stand er abrupt auf und trat mit mechanischen, fast ein wenig eckigen Bewegungen ans Fenster. Auf drei Spuren krochen Autoschlangen am Krankenhaus vorbei. Stoßzeit. Es war jeden Tag dasselbe. Dr. Scheibler seufzte, dann drehte er sich mit einem Ruck um und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. »Sie wollen also die Wahrheit wissen«, wiederholte er Leandra Krenns Worte. »Nun, die Wahrheit ist, daß Sie leider sehr krank sind.« Doch damit ließ sich Leandra nicht abspeisen.
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Buchvorschau
Ihr letzter Wunsch – ein Kind - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 2 –
Ihr letzter Wunsch – ein Kind
Die ungewöhnliche Bitte einer Leukämie-Patientin
Marie Francoise
»Herr Doktor, ich möchte die Wahrheit wissen.«
Dr. Gerrit Scheibler sah von dem Krankenbericht auf, in dem er gerade gelesen hatte, und direkt in das Gesicht seiner jungen Patientin hinein. Sehr blaß, was durch die dichten dunklen Locken noch verstärkt wurde, stand sie vor ihm, und in ihren großen tiefblauen Augen konnte er unschwer die Angst erkennen, die sie im Herzen trug.
»Bitte, Frau Krenn, nehmen Sie Platz.« Dr. Scheibler versuchte Zeit zu gewinnen. Die Wahrheit, hatte sie gesagt. Wie, um Himmels willen, sollte man ein achtzehnjähriges Mädchen mit einer so grausamen Wahrheit konfrontieren?
Dr. Scheibler sah in die blauen Augen, die voller Erwartung auf ihn gerichtet waren, dann stand er abrupt auf und trat mit mechanischen, fast ein wenig eckigen Bewegungen ans Fenster. Auf drei Spuren krochen Autoschlangen am Krankenhaus vorbei. Stoßzeit. Es war jeden Tag dasselbe.
Dr. Scheibler seufzte, dann drehte er sich mit einem Ruck um und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück.
»Sie wollen also die Wahrheit wissen«, wiederholte er Leandra Krenns Worte. »Nun, die Wahrheit ist, daß Sie leider sehr krank sind.«
Doch damit ließ sich Leandra nicht abspeisen. »Wie krank, Herr Doktor?«
Der junge Stationsarzt wand sich. Noch niemals hatte er eine solche Situation durchstehen müssen, und für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, Leandra Krenn zum Chefarzt zu schicken. Doch Professor Thiersch hätte es sicher abgelehnt, mit der Patientin zu sprechen. Er verfügte nun mal nicht über den nötigen einfühlsamen Ton, und das wußte er auch.
Dr. Scheibler atmete tief durch. »Frau Krenn, Sie leiden an Leukämie.«
Einen Moment lang herrschte in Leandras Gehirn eine völlige Leere – ein großer, leerer Raum, der keinen Gedanken fassen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Arzt an, dann wanderte ihr Blick unkontrolliert weiter und blieb an der großen Wanduhr hängen. Dieses riesige, runde Ding tickte unaufhörlich weiter. Warum blieb die Zeit nicht stehen?«
Von der Straße drangen Motorenlärm und Hupen herauf. Warum ging die Welt nicht einfach unter? Wie konnte das Leben weitergehen, wenn ihr gerade das Todesurteil präsentiert worden war?
Die Geräusche um sie herum verwandelten sich in ihrem Kopf zu einem unerträglichen Getöse, und dazwischen hörte sie immer wieder Dr. Scheiblers Stimme: »Sie leiden an Leukämie… Leukämie… Leukämie…«
In diesem Moment schien in ihrem Kopf etwas zu explodieren, und diese Explosion machte sich in einem markerschütternden Schrei Luft.
Im nächsten Augenblick stürzten drei Schwestern herein, doch Dr. Scheibler bedeutete ihnen mit einer flüchtigen Handbewegung, daß er allein mit dieser Situation fertig würde. Sehr behutsam nahm er Leandra in den Arm, streichelte beruhigend ihren Rücken und wartete, bis der Schreikrampf nachließ und sich in einem schier unaufhaltsamen Tränenstrom ein Ventil suchte. Und während Leandras zierlicher Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde, injizierte Dr. Scheibler ihr ein starkes Beruhigungsmittel. Danach brachte er sie in ihr Zimmer zurück und blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war.
*
Als Leandra erwachte, herrschte tiefe Dunkelheit, und für wenige Minuten hatte sie das Gefühl, als hätte sie das Gespräch mit Dr. Scheibler nur geträumt. Doch dann fiel ihr alles wieder ein – wie sie ihren Schmerz herausgeschrien hatte, ihr haltloses Weinen und schließlich der feine Stich, den sie kaum gespürt hatte.
Noch ein wenig benommen von dem Beruhigungsmittel richtete sich Leandra auf und schaltete das Licht über ihrem Bett an. Der Wecker auf dem fahrbaren Nachttisch zeigte fünf Minuten nach drei Uhr an. Seufzend legte sich Leandra wieder zurück. Sie fühlte sich entsetzlich einsam in dem kahlen Krankenzimmer. Die nette alte Dame, die es in den letzten Wochen mit ihr geteilt hatte, war gestern entlassen worden. Wie schön wäre es, jetzt mit ihr über das zu sprechen, was Dr. Scheibler gesagt hatte.
»Leukämie…«
Sie dachte an ihre Großmutter, die an dieser Krankheit gestorben war.
»Und ich werde auch daran sterben«, murmelte sie.
In diesem Moment wurde die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, und Dr. Scheibler trat ein. Leandra richtete sich auf und sah ihm mit brennenden Augen entgegen.
»Ich habe das Licht gesehen«, erklärte der junge Arzt, zögerte einen Moment und setzte sich dann auf die Bettkante. »Möchten Sie mit mir sprechen?«
»Ich…, ich weiß es nicht«, stammelte Leandra. »Ja…, ich glaube schon.« Sie schwieg einen Moment, weil sie für die nächste Frage erst Mut sammeln mußte. »Herr Doktor, seien Sie ehrlich…, muß ich… sterben?«
Heftig schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Nein, Frau Krenn. Leukämie muß heute kein Todesurteil mehr sein, und gerade in Ihrem Fall halte ich es durchaus für möglich, daß…«
»Ich glaube Ihnen nicht, Herr Doktor«, erklärte Leandra rundheraus. Sie fühlte sich plötzlich ein wenig gefestigter – vielleicht auch nur deshalb, weil ihr dieses Gespräch so unwirklich erschien. Irgendwie schien es ihr, als würde sie mit Dr. Scheibler gar nicht über ihre eigene Krankheit sprechen. »Meine Großmutter ist an Leukämie gestorben, das heißt, eigentlich war sie ja gar nicht…« Sie ließ den Satz offen.
»Die Medizin hat seitdem Fortschritte gemacht«, beteuerte Dr. Scheibler. »Wir haben vor, Sie mit Zytostatika zu behandeln. Damit werden heute große Erfolge erzielt.« Er senkte den Kopf. »Leider kommt es auch zu Nebenwirkungen, aber…« Er stockte, dann setzte er rasch hinzu: »In Ihrem Fall besteht auch noch die Möglichkeit einer Knochenmarktransplantation. Diese Therapie birgt gewisse Gefahren, aber Professor Thiersch meint, daß gerade bei Ihnen die Chancen auf eine vollständige Heilung sehr gut stünden.«
Leandra runzelte die Stirn. »Knochenmarktransplantation.« Sie schüttelte den Kopf. »Davon verstehe ich nichts.«
Dr. Scheibler zwang sich zu einem Lächeln. »Es würde auch zu weit führen, Ihnen das genau erklären zu wollen. Wichtig ist nur eines: Das Knochenmark muß von einem nahen Verwandten stammen – am besten von der Mutter oder von den Geschwistern – da sonst die Gefahr der Abstoßung besteht.«
Leandras Gesicht versteinerte. »Dann können Sie das Ganze gleich vergessen. Ich wurde als Baby adoptiert und weiß nicht, wer meine leiblichen Eltern sind.«
Dr. Scheibler war sichtlich geschockt, versuchte diese Tatsache aber zu überspielen. Er konnte der jungen Patientin unmöglich sagen, daß eine Knochenmarktransplantation tatsächlich die einzige Möglichkeit war, sie zu heilen. Mit Medikamenten konnte man in Leandras Fall nur versuchen, den rasch fortschreitenden Zellverfall aufzuhalten.
»Das ist ein Todesurteil, nicht wahr?« flüsterte Leandra.
Rasch schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Ganz und gar nicht, Frau Krenn. Es ist nur…«
Leandra wandte den Kopf ab und blickte ins Leere.
»Wissen Sie, was ich mir immer gewünscht habe?« fiel sie dem Arzt ins Wort. »Ich wollte heiraten. Eine ganz große, festliche Hochzeit sollte es sein.« Jetzt wandte sie sich Dr. Scheibler wieder zu. »Ich bin verlobt. Vor zwei Monaten haben Christian und ich Verlobung gefeiert. Kennen Sie Christian?«
Dr. Scheibler erinnerte sich an einen sympathischen jungen Mann mit blonden Locken und sanften grauen Augen.
»Ja, Frau Krenn, ich habe ihn einige Male gesehen, wenn er Sie besucht hat. Er scheint mir ein sehr netter Mann zu sein.«
Leandra nickte. »Er ist das Wichtigste in meinem Leben. Wir lieben uns sehr, und nächstes Jahr wollten wir heiraten.« Sie sah den Arzt scharf an. »Werde ich nächstes Jahr noch leben?«
Die Frage kam so überraschend, daß Dr. Scheibler unwillkürlich zusammenzuckte.
»Ja…«, brachte er mühsam hervor. »Ja, natürlich.«
Leandra schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. »Und dann wollten wir Kinder haben – viele Kinder. Wir lieben Kinder.« Sie schwieg einen Moment. »Wissen Sie, wie sehr ich mich danach sehne, ein Baby im Arm zu halten? Mein Baby! Das Baby, das ich geboren habe!« Tränen liefen über ihr zartes Gesicht. »Und nun werde ich das alles nie erleben dürfen.« Sie schluchzte auf, dann vergrub sie das Gesicht im Kissen und begann haltlos zu weinen. Und dabei krallten sich ihre Finger in das Kissen, als wollte sie damit ihr Leben festhalten.
Dr. Scheibler konnte diese Qual nicht länger mit ansehen. Nahezu fluchtartig